Dekolonialisierung der Phantastik: Japanischer Imperialismus

Seit ich mit der Dekolonialisierungs-Reihe angefangen habe, gibt es ein Thema, dass mir unter den Fingernägeln brennt: Japan. Denn Japan ist das Land, das eine gewisse Sonderrolle annimmt. Und ich finde, deswegen müssen wir über Japan reden – auch, weil es einige der Science Fiction Genre-Tropes in einem anderen Licht erscheinen lässt.

Kolonialismus: Von Mustern und Ausnahmen

Sprechen wir über Kolonialismus, dann reden wir meistens davon, wie weiße Menschen Gebiete von nicht-weißen Menschen kolonialisiert haben. Und zu großen Teilen stimmt das auch. Kolonialismus im Sinne des Kolonialzeitalters ging zu großen Teilen von Europa und später von den europäisch-stämmigen Menschen, die sich in Amerika niedergelassen hatten, aus. Aber zum einen: Wie schon gesagt wurden auch Gebiete anderer weißer Menschen mehr oder weniger kolonialisiert und es gibt auch weiße Bevölkerungsgruppen, die unter Kolonialismus gelitten hatten – wenngleich vielleicht nicht zum selben Ausmaß, wie viele nicht-weiße Gruppen.

Und zum anderen gibt es da Japan. Auch Japan war eine Kolonialmacht, die zwar spät mit der Kolonialisierung angefangen hat, jedoch diverse Gebiete sowohl in Ost- und Südostasien, als auch im Pazifik kolonialisiert hat – etwas, das letzten Endes auch mit zum zweiten Weltkrieg beigetragen hat.

Über Japans Anteil am Kolonialismus und die japanischen Kriegsverbrechen im zweiten Weltkrieg, die eng mit der imperialen Kampagne zusammenhingen, wird in der Regel selten gesprochen. Deswegen möchte ich diesen Beitrag dem Stück der Weltgeschichte widmen.

Die Meiji Restauration

Es macht keinen Sinn über japanischen Imperialismus zu sprechen, ohne vorher die Meiji Restauration zu behandeln. Diese beschreibt eine Reihe von Reformen, die ab 1868 durch Kaiser Meiji durchgesetzt wurden.

Diese Reform war vor allem eine Reaktion auf einen Besuch von Matthew C. Perry in Japan. Dieser US-amerikanische Admiral besuchte Japan, um das Land dazu anzuhalten, seine Grenzen für Handel mit den USA zu öffnen. Bis dahin hatte Japan sich komplett gegen die Außenwelt isoliert und es war in der Regel sowohl für Ausländer*innen verboten, sich in Japan aufzuhalten, als auch für Japaner*innen, das Land zu verlassen. Bei Perrys Besuch jedoch hinterließ vor allem das moderne Kriegsschiff, auf dem er anreiste, einen bleibenden Eindruck. Es machte Japan klar, dass sie durch ihre Isolation vom technischen Fortschritt vom Rest der Welt abgeschnitten worden waren. Es blieb die Moral: „Wenn wir jetzt handeln, können wir herrschen. Wenn wir es nicht tun, werden wir beherrscht.“ Gleichzeitig sahen sie sich jedoch gezwungen, um nicht weiter hinterher zu hängen, ihre Häfen für Handel mit den US und dann verschiedenen europäischen Mächten zu öffnen – was auf internationaler Ebene als „Schwäche“ wahrgenommen wurde.

Es folgten politische Unruhen in Japan, während der Shogun, verschiedene Daimyou und das eigentlich nur mit symbolischer Macht ausgestattete Kaiserhaus miteinander in Konflikt standen. Es gab eine Rebellion, die jedoch aufgrund der Uneinigkeit zwischen den Daimyou niedergeschlagen.

Was folgte, war die Meiji Restauration. Diese begann damit, den Kaiser, der in den letzten Jahrhunderten mehr und mehr zu einer Puppe des Shogunats geworden war, wieder als tatsächlichen Herrscher des Landes zu einzusetzen und im selben Zug das Shogunat abzuschaffen. Gleichzeitig wurde Japan zentralisiert und es wurde sich bemüht ein japanische Identität zu schaffen, nachdem Japan zur Zeiten des Shogunats stark zersplittert gewesen war. Mit diesem Ziel und um technischen Fortschritt verwirklichen zu können, wurde ein staatliches Schulsystem institutionalisiert, in dem die Kinder einheitliches Japanisch, Mathematik und „kulturelle Bildung“ erhalten sollten.

Ebenso wurden auch neue Gesetze veranlasst, um japanische Ethik in einigen Punkten stärker der westlichen Ethik anzupassen. Im Rahmen dieser Gesetze kamen auch neue Vorschriften zum Thema Sexualität und Ehe, inklusive eines kurzlebigen Versuchs Homosexualität in Japan unter Strafe zu stellen. Dies war vornehmlich dadurch motiviert, vom Westen als „gleichwertig“ gesehen werden zu wollen.

Zuletzt wurde auch das japanische Militär überarbeitet. Anstatt das Militär weiterhin auf der Samurai-Klasse aufzubauen, wurde eine Wehrpflicht für alle japanischen Männer eingeführt, um so ein stehendes Militär aufzubauen.

Industrielle Revolution und erste Annektierung

Die Maßnahmen bewirkten, was sie bewirken sollten. Japan begann mit dem Westen zu handeln und gleichzeitig die eigene Industrie aufzubauen. Von 1872 an, baute Japan mehr und mehr Fabriken und erlebte so innerhalb von kürzester Zeit eine industrielle Revolution, die zum einen zur Herstellung moderner Textilien, zum anderen aber auch zu einer Verbesserung der Waffen- und vor allem der Kriegsschifftechnologie führte.

Man versuchte dadurch, sich stärker dem Westen anzupassen, um von diesem als gleichberechtigter Handelspartner angesehen zu werden. Immerhin war sich Japan durchaus der Gefahr bewusst, selbst zu einer Kolonie zu werden. Da die westlichen Mächte allerdings weiterhin Japan als untergeordnet sahen, fing Japan an, über ein eigenes Imperium nachzudenken – immerhin hatten auch sämtliche westlichen Mächte ein Imperium. Deswegen wurden zuerst die Ryukyu Inseln im Süden Japans, die zwar immer Verbindung zu Japan gehabt hatten, jedoch eine eigene Kultur und einen eigenen König hatten, 1875 annektiert und zwanghaft in das neue Japan eingegliedert.

Gleichzeitig begannen auch die ersten politischen Parteien, sich zu bilden. Zuerst auf der Basis des Konfliktes, ob Samurai weiterhin vom Staat bezahlt werden sollten, obwohl es nun eine Wehrpflicht gab und damit die Aufgabe der Samurai nicht länger von Nöten war. Jedoch wurde im Rahmen dieser politischen Diskussionen schon früh in den Raum geworfen, ob die neue japanische Armee nicht Korea angreifen und übernehmen sollte, um so das Imperium weiter aufzubauen.

In diesem Zug begann Japan mit Drohgebärden gegenüber Korea und schloss schließlich einen Handelspakt mit Korea.

Der erste sino-japanische Krieg

Die Sache mit Korea war, dass Korea zu diesem Zeitpunkt ein chinesischer Vasallenstaat war. Sprich: China hatte starke wirtschaftliche Interessen, die an Korea gebunden waren und die koreanische Regierung war in vielen Aspekten der chinesischen Untergeordnet. Allerdings herrschte zu genau dieser Zeit in Korea auch einige Unruhe. Zuerst gab es eine Dürre, die zu einer Hungersnot führte und dazu, dass die koreanische Regierung ihr Militär nicht zahlen konnte. Dies führte wiederum zu einem Militär Aufstand.

China kämpfte in Folge dessen darum, seinen Einfluss über Korea zu halten und hielt diesen nur mit militärischer Macht aufrecht. Als Frankreich jedoch versuchte (und es schließlich auch schaffte), das ebenfalls unter chinesischem Einfluss stehende Vietnam an sich zu reißen, war China gezwungen Militär von Korea abzuziehen und nach Vietnam zu schicken. Dies wurde von Aufständischen in Korea genutzt, um für weitere Unruhen zu Sorgen.

Schließlich kam es Donghak Rebellion – einer Rebellion des einfachen Volkes von Korea angespornt durch eine religiöse Bewegung, die sich gegen die Regierung und vor allem die hohen Steuern richtete. Sowohl Japan, als auch China sahen es in ihrem eigenen Interesse, einzugreifen. Dabei schickte China als erstes weitere Soldaten nach Korea, was von Japan jedoch als Verstoß eines Abkommens gesehen wurde. Auch Japan sendete Soldaten. Die Rebellion wurde recht schnell nieder geschlagen, doch als sowohl China, als auch Japan sich weigerten, ihre Truppen anschließend abzuziehen, kam es zum Konflikt.

Obwohl es im Westen als gegeben angesehen wurde, dass China diesen Konflikt gewinnen würde, war genau das Gegenteil der Fall. Japan gewann und zwang China, sich aus Korea zurückzuziehen, womit Korea unter japanischen Einfluss kam und es Japan zudem schaffte, Einfluss über Taiwan zu erlangen.

Kampf um Anerkennung

Japan versuchte in den folgenden Jahren immer wieder Anerkennung von den westlichen Mächten zu erhalten und von diesen als gleichwertig gesehen zu werden. Nicht zuletzt, weil noch immer die Möglichkeit selbst kolonialisiert zu werden eine sehr reale war – etwaige Verträge mit dem Westen könnten dies jedoch verhindern.

So half Japan auch massiv bei der Niederschlagung der Boxer Rebellion in China aus, stellte sogar die meisten Truppen von irgendeiner der beteiligten Mächte. Dennoch war danach Großbritannien das einzige Land, dass eine Allianz mit Japan einging – vornehmlich als eine Allianz gegen Russland. Dieses stellte für Japan eine besondere Bedrohung dar, da es ihnen am nächsten war. Zudem störte sich Japan daran, dass Russland einige Teile im Norden Chinas übernommen hatte.

Genau darüber kam es schließlich auch zum Konflikt zwischen Russland und Japan und zum Russo-japanischen Krieg, den jedoch erneut Japan gewann. Dadurch verlor Russland den Einfluss über Machurien und Japan gewann Einfluss über einige weitere chinesische Inseln. Vor allem aber erlaubte dieser Konflikt, der Japan nun die Anerkennung von Russland eingebracht hatte, dass Japan 1910 Korea komplett annektieren konnte. Dabei bestätigten Großbritannien und Russland Japans Anspruch auf Korea.

Der erste Weltkrieg

Während Kaiser Meiji in Japan starb und durch Kaiser Taisho ersetzt wurde, begann in Europa der erste Weltkrieg – der vornehmlich durch den kolonialen Einfluss der europäischen Mächte überhaupt zu einem internationalen Krieg wurde. Da Großbritannien und Japan eine Allianz geschlossen hatten, bat Großbritannien Japan um Hilfe im Kampf gegen Deutschland und Japan gewährleistete diese Hilfe.

Diese Hilfe zeigte sich auf zweierlei Art: Zum einen schickte Japan ein Kriegsschiff ins Mittelmeer, um dort zu unterstützen, zum anderen vertrieb Japan allerdings Deutschland aus seinen Kolonialgebieten im Westpazifik. Dadurch gelang es Japan die Kontrolle über die Mariana Inseln und die Karolineninseln an sich zu reißen und diese in ihr eigenes Imperium aufzunehmen.

Gleichzeitig beteiligte sich Japan auch an der sibirischen Intervention – eine Intervention mehrerer Mächte im Versuch die Bolschewiken in Russland aufzuhalten. Dabei erlangte Japan für eine Weile Einfluss über weitere Teile Chinas und Abschnitte Russlands, schaffte es jedoch aus ökonomischen Gründen nicht, diesen Einfluss aufrecht zu erhalten und geriet über den Versuch auch mit den USA aneinander.

Ebenso zur selben Zeit, versuchte Japan mit 21 Forderungen an China, weitere Macht dort zu gelangen, was jedoch nur teilweise gelang und zu weiteren Konflikten mit dem Westen führte.

Dennoch war es Japan erlaubt bei der Unterzeichnung des Vertrags von Versailles dabei zu sein. Hier versuchte Japan in den Vertrag einzubringen, dass die westlichen Mächten alle „Rassen“ als gleichwertig anerkennen sollte – was jedoch vor allem von USA und Großbritannien abgelehnt wurde.

Aufbau japanischen Nationalstolzes

Nach dem ersten Weltkrieg geschahen gleich mehrere Sachen in Japan – und international mit Bezug auf Japan.

1920 kündigte Großbritannien in Folge der Problematiken während des ersten Weltkriegs Großbritannien seine Allianz mit Japan. Im Jahr darauf wurde von Großbritannien und den USA die Washington Naval Conference abgehalten, die beschränken sollte, wie viele große Kriegsschiffe die teilnehmenden Länder noch besitzen sollten – wobei Japans Bestand auf drei eingeschränkt werden sollte.

Während Japans Demokratie das Wahlrecht ausbreitete und zudem die schulische Bildung ausgeweitet wurde, was zu einem größeren Nationalstolz führte, sorgten allerdings auch unvorhersehbare Desaster, wie ein Erdbeben in 1923 für vermehrte Instabilität. Aus dieser ergab sich ein größerer Einfluss des japanischen Militärs, das zudem von ultranationalen Gruppen gestützt wurde. 1926 kam mit Kaiser Showa ein neuer Kaiser an die Macht.

Gleichzeitig ging es der japanischen Wirtschaft schlechter, nicht zuletzt, da Japan selbst kaum Rohstoffe besaß und diese zu teuer geworden waren. Es gab daher einen größeren wirtschaftlichen Druck vermehrt zu handeln oder – besser noch – Einfluss über weitere Rohstoffquellen zu erlangen.

Diese Faktoren führten schließlich zum Druck, neues Land an sich zu reißen.

Der zweite sino-japanische Krieg

1931 zerstörten japanische Soldaten eine Eisenbahnstrecke in der Mandschurei und gaben die Schuld dafür chinesischen Rebellen. Dies wurde als Vorwand genommen, um mehr Truppen in die Mandschurei zu schicken und diesen Teil Chinas schließlich unter japanische Kontrolle zu bringen. Dieses Vorgehen wurde jedoch von den anderen Mächten des Völkerbunds, dem Japan angehörte, verurteilt, was Japan dazu brachte, aus dem Völkerbund auszutreten.

In Japan selbst riss das Militär mehr und mehr Macht an sich, was 1936 sogar zu einem versuchten Coup d’état führte, auch wenn dieser dank Kaiser Showa niedergeschlagen wurde. Dennoch hielt das Militär die größte Macht im japanischen Staat und strebte weitere Expansion an.

In China gab es derweil Spannungen zwischen den besetzenden japanischen Truppen und chinesischen Soldaten. Diese eskalierten schließlich bei einem Vorfall, bei dem es zum Austausch von Schüssen kam. Dieser begann den zweiten sino-japanischen Krieg, in dem die japanischen Truppen jedoch schnell voranrückten und weitere Teile Chinas unter ihre Kontrolle brachten.

Der Krieg wurde mehr oder minder entschieden, als Japan es schaffte, bis zu Nanjing vorzudringen. Was folgte war das Nanjing-Massaker, bei dem japanische Soldaten 200 000 bis 300 000 Chines*innen – sowohl Soldaten, als auch Zivilist*innen – brutal ermordeten. Dies führte dazu, dass China sich aus vielen Küstengebieten zurückzog und Japan so weitere Teile Chinas zu Vasallenstaaten ernennen konnte, auch wenn der sino-japanische Krieg weiterhin andauerte.

Pazifische Expansion und der zweite Weltkrieg

Es ist historisch noch immer umstritten, ob der Beginn des ersten Weltkriegs nicht eigentlich der Beginn des zweiten sino-japanischen Kriegs sein sollte. Immerhin war der asiatische Teil des Konflikts zumindest später auch Teil des internationalen Krieges.

Kurz nach Nanjing versuchte Japan Öl von den USA zu erhandeln, doch stattdessen verhängte Roosevelt ein Öl-Embago gegen Japan. In einem Rachefeldzug dagegen kam es zum bekannten Angriff auf Pearl Harbour, der später auch dafür verantwortlich sein sollte, die USA in den zweiten Weltkrieg hineinzuziehen.

Gleichzeitig allerdings konzentrierte sich Japan 1942 auch darauf, mehr Land für sich zu gewinnen. Dabei begann Japan damit, britische Kolonien in Südostasien anzugreifen und zu gewinnen. Die ersten davon waren Malesien, Singapur und Hongkong, wo Japan sich schließlich einen Sieg erringen und Großbritannien zum Aufgeben zwingen konnte. In den nächsten Monaten breitete Japan seinen Einfluss aus und schaffte es große Teile Südostasiens und auch Teile der melanesischen Inseln an sich zu reißen.

In den so errungenen Kolonien, schuf Japan neue Regierungen aus Einheimischen, die bereit waren Japan die Treue zu schwören. Darüber fiel es Japan leichter, die Macht zu halten. Es sei dazu jedoch gesagt, dass Japan auf keinen Fall plante, diese Regierungen wirklich unabhängig regieren zu lassen. Ein Hauptgrund dafür die Regierungen auszutauschen war, dass Japan keine Europäer*innen asiatische Länder regieren sehen wollte.

Versorgungsprobleme, Aufstände in den Kolonien und eine effektive Militärstrategie der USA machten es jedoch schwer für Japan, die Macht auf dem großen Gebiet zu halten. Dennoch weigerte sich Japan aufzugeben, bis die USA bekannterweise 1945 die Atombomben über Nagasaki und Hiroshima abwarfen.

Japan als Kolonialmacht & japanische Kriegsverbrechen

CN: Vergewaltigung, Folter

Nun ist es an dieser Stelle wichtig, über Japan als Kolonialmacht zu sprechen. Es sei an dieser Stelle gesagt: Es gibt im Westen die Neigung, über Japan als besonders schlimme Kolonialmacht zu sprechen. Und fraglos war Japan eine schlimme Kolonialmacht – allerdings wird dieses Narrativ auch gerne verwendet, um die eigenen Kolonialverbrechen des Westens zu relativieren. Das möchte ich hier explizit nicht. Allgemein möchte ich nicht irgendwelche Verbrechen gegen irgendwelche anderen Verbrechen ausspielen. Stattdessen würde ich darum bitten, noch einmal die Teile über den westlichen Kolonialismus (1, 2, 3) zu lesen, um so beides zu reflektieren.

Das Land, das fraglos über die längste Zeit unter Japan gelitten hat war Korea, das immerhin für fast 40 Jahre unter japanischer Kontrolle stand. Dabei wurde es sowohl für Rohstoffe, als auch für Arbeit von Japan ausgenutzt, da Japan beides für seine Wirtschaft brauchte. Korea war gezwungen seine Produktion speziell im Bereich von Fischerei und Försterei innerhalb kürzester Zeit zu verzehnfachen, wobei es natürlich auch zur Zwangsarbeit kam. Diese wurde noch erhöht, als der zweite Weltkrieg begann und Japan Arbeiter*innen für seine Fabriken brauchte, die so als effektive Sklav*innen von Korea geholt wurden. Teil der Zwangsarbeit im zweiten Weltkrieg ist jedoch auch der wohl bekanntere Teil: Die Trostfrauen. Koreanische Frauen (aber auch Frauen anderer Gebiete), die als Zwangsprostituierte in alle japanischen Territorien geschickt wurden, um dort dem japanischen Heer mit unbezahlten sexuellen Dienstleistungen zu dienen. Bis heute ist nicht klar, wie viele Frauen von diesem Schicksal betroffen waren, doch Schätzungen gehen bis zu 500 000 hoch. Einige von ihnen wurden im Rahmen dieser Arbeit auch ermordet.

Ein besonders historisch hervorgehobenes Kriegsverbrechen ist natürlich das Nanjing-Massaker. Es sei dabei allerdings gesagt, dass was in Nanjing geschah sich auch während des zweiten Weltkriegs in anderen Ländern, wie bspw. Manila in den Philippinen und Kalagong in Burma, aber auch diversen anderen Städten. Das Vorgehen der japanischen Truppen war immer ähnlich: Erst wurden Truppen, die sich häufig bereits ergeben hatten, ermordet. Dann wurden Zivilist*innen gefoltert und vergewaltigt und in vielen Fällen anschließend ermordet. In einigen Fällen wurden noch Teile der Städte abgebrannt.

Ebenso gab es Fälle von teilweise brutalen Experimenten an Menschen, die denen der Nazis in Deutschland sehr ähnlich waren, die größtenteils in China stattfanden. Zudem gab es in einem Teil der pazifischen Inseln Vorfälle von Kannibalismus.

Kurzum: Die Liste der japanischen Kriegsverbrechen ist lang. Lang genug, als dass man einen ganzen Eintrag nur damit füllen könnte. Dies soll vor allem dazu dienen ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass sie geschehen sind.

Die mangelnde Aufarbeitung

Wir wissen, wie der zweite Weltkrieg endete. Nach dem Abwurf der Atombomben, ergab sich Japan und wurde infolge dessen von den USA besetzt. Wie auch in Deutschland waren die USA daran interessiert, einen Wiederaufbau einzuleiten und unterstützten Japan mit Geld, was jedoch daran gebunden war, dass die USA großen Einfluss auf die neue Verfassung nahm. Zentral dabei war, dass der japanische Kaiser fortan nur noch eine zeremonielle Rolle haben sollte und ein neues Regierungssystem eingeführt wurde, das unter anderem nun auch Frauen erlaubte zu wählen.

Teil der Entmachtung des japanischen Kaisers war auch die Vorschrift, dass nicht länger die religiöse Darstellung des Kaisers als Gottheit oder kami aufrechterhalten werden durfte. Im diesem Sinne und auch um andere imperialistischen und nationalistischen Inhalte auszumerzen, waren die USA unter anderem auch stark daran beteiligt, das Curriculum japanischer Schulen zu überarbeiten. So wurde unter anderem eben auch die Darstellung, dass der Kaiser eine Gottheit sei, aus Schulbüchern gestrichen.

Anders als in Deutschland allerdings, behielten die USA weniger Kontrolle über Japan und zogen sich von einigen wenigen Stützpunkten abgesehen, beinahe komplett aus dem Land zurück. Dies hatte allerdings zur Folge, dass Japan zu weniger Aufarbeitung gezwungen war, als Deutschland und diese bis heute nicht geschieht. Mehr noch: Auch Inhalte, die aus japanischen Schulbüchern gestrichen wurden, fanden weiterhin ihren Weg in den Unterricht. Denn auch wenn die Schulbücher beispielsweise den Kaiser nicht länger als kami darstellten, gab es zu wenig Kontrolle, um die Lehrer*innen daran zu hindern, den Kaiser als solchen darzustellen.

Diese mangelnde Aufarbeitung hält bis heute an. Japanische Schulen sprechen zumeist sehr wenig über diesen Abschnitt der japanischen Geschichte. Dies ist sicher auch ein Grund dafür, dass Leugnung von Nanjing und Trostfrauen weit verbreitet ist.

Übrigens gibt es auch in Japan, ähnlich wie bei uns, eine erstarkende nationalistische Bewegung – inklusive politischer Bestrebungen diverse der Inhalte, die aus den japanischen Schulbüchern gestrichen wurden, wieder in das Curriculum aufzunehmen.

Japan und seine Sonderposition

An dieser Stelle müssen wir in Bezug auf das Thema dieser Reihe nun anerkennen, dass Japan und japanische Kultur eine seltsame Sonderstellung einnehmen. Denn, ja, technisch gesehen ist Japan nie vom Westen kolonialisiert worden und war stattdessen selbst eine Kolonialmacht. Wenn wir nun also die Faustregel aus dem Beitrag zur kulturellen Aneignung betrachten („Es ist nicht okay, wenn eine koloniale Macht die Kultur einer kolonialisierten Macht verwendet“), ist die Frage: Was ist mit Japan?

Und tatsächlich ist diese Frage mit Japan äußerst kompliziert. Dies ergibt sich eben zum einen aus der Rolle von Japan als Kolonialmacht, die allerdings dennoch massiv vom Westen beeinflusst wurde. Es darf nicht vergessen werden, dass Japan im Rahmen der Meiji-Restauration seine eigene Kultur an westliche Ideale angepasst hat, um eben eine Kolonialisierung oder Unterdrückung Japans zu verhindern. Zwar wurde diese Restauration nicht direkt vom Westen erzwungen, aber den westlichen Einfluss komplett abzustreiten ist falsch. Zum zweiten ist dieser Einfluss auch im Rahmen des japanischen Imperialismus zu sehen. Zumindest zu Beginn war ein wichtiger Faktor bei diesem, die eigene Macht zu demonstrieren, um so von den europäischen Mächten als ebenbürtig anerkannt zu werden. Erneut: Sie wurden zu nichts gezwungen, aber ein Einfluss war gegeben. Es ist stark anzuzweifeln, dass es das imperiale Japan in der Form ohne den westlichen Imperialismus gegeben hätte.

Zuletzt ist auch ein anderer Faktor da: Japan selbst stört sich sehr wenig an kultureller Aneignung und sieht es eher als einen Export seiner Kultur, selbst wenn diese missverstanden wird. Auch hierbei spielt fraglos eine Rolle, dass Japan eben nie Kolonialgebiet war und seine Kultur nie wirklich unterdrückt wurde, was es in anderen Fällen eben mit so problematisch macht.

Dennoch muss auch betrachtet werden, dass es zumindest eine Gruppe gibt, die unter diesen Dingen leidet: Japanischstämmige Menschen, die in westlichen Ländern leben. Denn diese sehen sich weiterhin rassistischer Übergriffe ausgeliefert, bei denen auch weit verbreitete kulturelle Aneignung und kulturelle Fehldarstellungen häufig eine Rolle spielen. Deswegen ist es nicht okay zu sagen: „Nun, Japan war selbst Kolonialmacht, also ist es total okay, dass ich meine Geschichte über magische Samurai schreibe, die alles für ihre Ehre tun.“

Fazit

Wenn wir über Kolonialismus sprechen, dreht sich das Gespräch beinahe ausschließlich um die Kolonialisierung nicht-weißer Kulturen durch weiße Kulturen. Dabei wird jedoch oft Japan ausgelassen, ein asiatisches Land, dass zwischen dem Ende des 19. Jahrhunderts und Mitte des 20. ebenfalls am Kolonialismus beteiligt war. Dennoch sollte dabei nicht unterschlagen werden, dass die Kultur, die zur Grundlage des japanischen Imperialismus wurde, eine Reaktion auf westliche Machtdemonstrationen war. Im Versuch selbst der Kolonialisierung zu entgehen, passte sich Japan in einigen Aspekten an westliche kulturelle Normen an und begann schließlich zu kolonialisieren, um Macht zu demonstrieren.

Während der japanische Imperialismus zuerst gegen Korea und China gerichtet war, so erlangte Japan während des ersten Weltkrieges die Herrschaft über einige pazifische Inseln, indem es diese vom besiegten Deutschland übernahm. Erst nach dem ersten Weltkrieg, begann Japan seine Imperiale Macht noch weiter auszubreiten. Es lässt sich dabei argumentieren, dass technisch gesehen der zweite Weltkrieg mit Japans militärischem Konflikt mit China begann, der vor dem Beginn des Krieges in Europa stattfand. Während des zweiten Weltkriegs eroberte Japan große Teile von Ost- und Südostasien.

Problematisch zu sehen ist, dass in Japan bis heute wenig Aufarbeitung dieser Zeit passiert ist und die Thematik auch an vielen Schulen kaum behandelt wird.

Allgemein bringt das Thema Japan in eine Sonderposition was viele Gespräche rund um den Kolonialismus und seine Folgen geht. Es wäre falsch, den Einfluss westlicher kolonialer Handlungen, die rund um Japan herum geschahen, aus dieser Geschichte herauszuschreiben. Gleichzeitig bleibt es jedoch eine Tatsache, dass Japan selbst eine Imperialmacht war, die wie auch die anderen imperialen Mächte mit Brutalität gegen die indigene Bevölkerung ihrer Kolonien vorgegangen sind.

Japans erste Kolonie – die Ryukyu Inseln – gehören bis heute zu Japan. Die lokale Sprache gilt weiterhin als unterdrückt, die Bevölkerung als deutlich ärmer als der Rest von Japan.


Quellen, weiterführende Texte & Links

Ich möchte bei den Quellen anmerken, dass ich wirklich, wirklich versucht habe, Quellen zu finden, die von Japaner*innen oder Chines*innen geschrieben wurden – aber leider war nichts dergleichen auf einer für mich zugänglichen Plattform. Das eine Buch von einem Japaner, das ich für mich zugänglich gefunden habe, enthielt sehr viel Verteidigung und Relativierung des Nanjing-Massakers, weshalb ich es hier nicht aufführen möchte. Ich kann jedoch die Bücher von Huffman warm Empfehlen, da diese sehr, sehr eng an japanischen Quellen arbeiten und Huffman unter anderem auch für einige der wenigen Übersetzungen japanischer Quellen verantwortlich ist.

  • Kate McDonald: Placing Empire: Travel and the Social Imagination in Imperial Japan (2017)
  • Marius B. Jansen: The Emergence of Meiji Japan (1995)
  • Marius B. Jansen: The Making of Modern Japan (2002)
  • William M. Tsutsui: A Companion to Japanese History (2007)
  • James L. Huffman: Japan in World History (2010)
  • James L. Huffman: Japan and Imperialism 1853-1945 (2017)

Auch wenn diese Videos nicht von einem Historiker gemacht wurden, möchte ich drei der Videos der Rare Earth Reihe empfehlen, da sie sich recht reflektiert mit den etwaigen Themen auseinandersetzen:


Das Beitragsbild ist eine Illustration aus der Le Patriote Illustré, das unter Public Domain steht.
Das Bild stammt aus
WikiCommons.