Urban Fantasy Review: Berlin Monster – Nachts sind alle Mörder grau

Ich habe letztes Jahr noch ein Buch als Rezensionsexemplar bekommen – natürlich wieder in der Urban Fantasy. Dieses Mal geht es um das Buch „Berlin Monster“. Im folgenden Text erzähle ich euch meine Eindrücke.

Worum es geht

Vor dreißig Jahren tötete eine Explosion in Berlin Tegel über 200 000 Leute und setzte eine neuartige Strahlung frei – Omega-Strahlung. Diese sorgte dafür, dass sich auf einmal Wesen, die zuvor ihren Ursprung in Mythen, Sagen, Märchen und Filmen hatten, in der Realität materialisierten. Damit brach eine Menge Chaos aus.

Im heutigen Berlin leben in der Gegend von Tegel, wo einst die Explosion losging, die so materialisierten Wesen – Stifs genannt. Die Gegend in Tegel ist allgemein bekannt als die ZONE. Stifs haben noch immer nicht gleiche Rechte, werden von einigen Leuten auch noch immer gejagt. Da beginnt eine Reihe von Stif-Morden, bei den Opfern das Herz entfernt wird. Die Morde werden einem Werwolf zugeschrieben, obwohl diese eigentlich als ausgestorben gelten.

In diesem Umfeld erhält die Privatdetektivin Lucy Wayne den Auftrag eine verschwundene Stif zu finden. Eine Fae, die scheinbar vor fünf Tagen auf dem Weg zu ihrer Arbeit verloren ging. Die Frage, die sich dabei stellt: Hat ihr Verschwinden etwas mit den Stif-Morden zu tun?

Alternative Urban Fantasy in Berlin

Ähnlich wie bei meinem letzten Review – Sanguen Daemonis – handelt es sich bei Berlin Monster um ein Buch, das in einer parallelen Realität existiert, in der Magie offenkundig ist. Während Sanguen Daemonis nie genauer definiert, wann sich seine Zeitlinie von der Realität getrennt hat, so ist es bei Berlin Monster sehr klar: 3. Oktober 1990. Die Geschichte spielt nun dreißig Jahre später in der Zeit vor dem 3. Oktober 2020.

Das heißt auch wieder, dass wir hier keine Geheimgesellschaften haben, wie sie für Urban Fantasy so üblich sind, sondern tatsächlich offene „Magie“. Wobei die Magie als solche weniger existiert – sondern sich eher in der Existenz magischer Wesen mit ihren etwaigen Fähigkeiten kundgibt.

Die Protagonistin Lucy, die übrigens Schwarz ist, hat, weil sie zum Zeitpunkt der Explosion geboren wurde, eine besondere Fähigkeit: Sie kann die Omega-Strahlung spüren, die von Stifs ausgeht. Mit dieser Fähigkeit war sie ursprünglich bei der Polizei, hat sich mittlerweile aber als Privatermittlerin selbstständig gemacht, was die Grundlage zu der Geschichte ausmacht.

Aufbau und Stil

Das erste, was sich über dieses Buch feststellen lässt, ist, dass es einen sehr malerischen Stil hat. Das merkt man vor allem in den detailreichen Beschreibungen der Umgebung, die sehr genaue Bilder zeichnen und sich dennoch sehr leicht lesen. Entsprechend ist am Stil eigentlich nichts auszusetzen.

Auch der Aufbau des Buchs ist wirklich gut gelungen. Die Handlung baut sich nach und nach auf und spitzt sich immer weiter zu, hat damit einen sehr ähnlichen Aufbau, wie es für Ermittler-Urban-Fantasy üblich ist. Leider ist es auch sehr üblich fürs Genre – und hier damit nicht anders – das man als Leser*in nicht miträtseln kann, da man die entsprechenden Informationen tatsächlich erst in dem Moment erreicht, wenn sie auch für die Handlung und die Protagonistin wichtig werden.

Wenn ich in Sachen Aufbau etwas kritisieren kann, dann ist es ein wenig die Beschreibung der Figuren, sowie den Ausbau der Figuren-Beziehungen. Denn ich hatte bei vielen Figuren nicht wirklich ein Bild vor dem inneren Auge, wie sie aussehen, was ein wenig seltsam war, bei den dagegen sehr ausführlichen Umgebungsbeschreibungen. Außerdem sind leider die Figuren-Beziehungen teilweise sehr dünn. Während die Beziehung zwischen Protagonistin Lucy und dem Dämon Aki noch halbwegs nachvollziehbar ist, habe ich kaum ein Gefühl für ihre Beziehung zur Mitbewohnerin Lore bekommen, geschweige denn der Beziehung zum Love Interest (?) Tom. Diese sind leider mehr „Tell“, als „Show“.

Ein weiterer, jedoch eher kleiner Kritikpunkt ist das Finale, das leicht hätte etwas entwirrt werden können. So wie es sich im Buch aufbaut, hat man das Gefühl, es handele sich um einen Bosskampf in einem Videospiel, der der Epicness wegen sich durch gleich eine ganze Reihe von Arenen fortbewegt.

Weltenbau

Der Weltenbau lässt sich prinzipiell in zwei Aspekte unterteilen: Der magische Weltenbau und die Alternative Zeitlinie, in der die Geschichte spielt.

Der magische Weltenbau funktioniert größtenteils gut. Wir sehen eine Vielzahl von magischen Kreaturen, die durch die Omega-Strahlung real geworden sind, lernen ein wenig etwas über ihre gesellschaftlichen Strukturen kennen. Da die Geschichte in Deutschland spielt, lernen wir vor allem viele europäische Kreaturen kennen, aber es kommen zumindest auch ein paar aus dem arabischen und persischen Raum vor. Hier stößt die Geschichte natürlich wieder an das altbekannte Problem „Kulturelle Aneignung vs Eurozentrismus“, doch ich bin der Meinung, dass der Roman hierbei genug Fingerspitzengefühl zeigt.

Was ich ein wenig irritierend fand, war, dass die Stifs als „prinzipiell unsterblich“ beschrieben wurden, was ich nach nur 30 Jahren etwas seltsam finde. Ja, fraglos, sie altern offenbar nicht, aber das heißt nicht, dass sie wirklich unsterblich sind. Umso mehr, da man davon ausgehen sollte, dass die Strahlung irgendwann abnehmen sollte.

Der Weltenbau rund um die Alternative Zeitlinie ist allerdings recht enttäuschend. Denn grundlegend scheint sich die Welt genau so entwickelt zu haben, wie in der Realität. Selbst politische Größen an der Macht scheinen gleich zu sein, wie in der Realität, nur, dass etwaige reale Welt Rassisten nun rassistisch gegen Stifs statt gegen Schwarze Menschen oder Muslime sind. Hier hätte der Weltenbau durchaus ein wenig kreativer sein können.

Generell stößt natürlich auch diese Rassismus-Darstellung wieder auf das übliche Problem der Unterdrückungsmetapher. Während das Buch zwar viele Aspekte von Unterdrückung mitdenkt, was durchaus positiv zu bemerken ist, so ist die Unterdrückung doch sehr simpel gehalten und vergisst in ihrer Rassismus-Metapher die komplexen geschichtlichen Verhältnisse, aus denen realer Rassismus hervorgegangen ist.

Diversity

Zu meiner Überraschung (da bei einem großen Verlag erschienen), kann das Buch in Sachen Diversity wirklich überzeugen. Wie bereits eingangs erwähnt, ist die Protagonistin selbst Schwarz, ein Teil ihrer besten Freunde, die gezeigt werden, arabischer Abstammung.

Es kommen auch verschiedene queere Figuren vor, unter anderem auch eine trans Frau.

Kurzum: In diesem Bereich kann ich das Buch nur loben. Gut gemacht. Das würde ich mir häufiger bei großen Veröffentlichungen wünschen!

Die problematische Seite

Das heißt allerdings nicht, dass es komplett unproblematisch ist. Dahingehend sehe ich zwei Teile. Zum einen kleine Dinge. Bspw. schreibt das Buch Schwarz klein und schreibt auch Transfrau, statt trans Frau, was falsch ist.

Auch gibt es eine Szene, in der die trans Frau misgendert wird, dies jedoch komplett unkommentiert bleibt.

Das größte Problem sehe ich allerdings tatsächlich im Bezug auf die Polizei. Denn wie bereits gesagt, war die Protagonistin selbst einmal Polizistin und bekommt über den Verlauf der Handlung wieder Kontakt zu ihren alten Kollegen. Und die Polizei wird als größtenteils komplett unproblematisch dargestellt. Ja, tatsächlich wird als größtes Problem angeführt, dass sie unterfinanziert sind. Systematische Probleme mit der Polizei bleiben unangesprochen und gleich mehrfach kommen Polizisten der Protagonistin rettend zur Hilfe.

Triggerwarnungen

Wie leider für Veröffentlichungen bei großen Verlagen soweit üblich, hat das Buch keinerlei Triggerwarnungen. Selbst auf der Webseite der Autorin gibt es leider keine Liste von Triggern – zumindest habe ich keine gefunden.

Daher hier aus meinem Erinnerungen eine möglichst komplette Liste der Trigger:

  • Gewalt (speziell auch rassistisch motivierte Gewalt, Gewalt gegen Schwarze Menschen, Gewalt gegen Frauen)
  • Mord
  • Erwähnung von sexueller Gewalt
  • Kannibalismus
  • Alkohol
  • Abhängigkeit
  • Erwähnung von Drogen
  • Emeto
  • Erpressung
  • Rassismus (in Form von Metapher)
  • Tierquälerei
  • Ertrinken
  • Tod
  • Krankenhaus

Fazit

Im Gesamtpaket hat mich Berlin Monster wirklich positiv überrascht. Während ich durchaus Kritikpunkte gefunden habe, so konnte das Buch doch im Gesamtpaket überzeugen – umso mehr, da es wirklich alle Bereiche (Handlung, Weltenbau und Diversität) okay bis gut behandelt.

Für mich der schwächste Punkt des Buchs sind definitiv die Figuren-Beziehungen und eben der wenige Weltenbau, in Bezug auf einen realistisch veränderten Verlauf der Geschichte seit 1990 und dem entsprechenden Umbruch durch das Auftauchen magischer Kreaturen. Sowie natürlich das Fehlen von Triggerwarnungen. Das muss 2021 (als der Roman erschien) wirklich nicht sein.

Derweil sind die stärksten Aspekte des Romans für mich die sehr malerischen Umgebungsbeschreibungen, der generell sehr gut gepacte Handlungsaufbau und die tatsächlich vernünftige Diversity des Romans.

Generell möchte ich aber trotzdem den Roman tatsächlich empfehlen!


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