Urban Fantasy Review: Sanguen Daemonis

Heute steht wieder eine Urban Fantasy Rezension in diesem Weblog an. Dieses Mal wieder zu einem Buch, das in einem Kleinverlag erschienen ist. Es geht um Sanguen Daemonis von Anna Zaibini, das beim Verlag ohneohren erschienen ist.

Worum es geht

Vor mittlerweile über vierzig Jahren ist die Menschheit sich einer Bedrohung bewusst geworden: Wesen aus einer anderen Dimension haben ihren Weg in unsere Dimension gefunden. Diese als Dämonen bezeichneten Kreaturen können nur mit einem Wirtskörper überleben, richten jedoch, sobald sie einen haben, oftmals massiven Schaden und ganze Massaker an.

Die Verteidigenden der Menschheit sind die Auserwählten – Menschen, die als Kinder von Besessenen geboren wurden und daher von Geburt an einen Dämonen in ihrem Körper haben, der in Symbiose mit ihnen lebt. So kommt es, dass die Auserwählten in den meisten Ländern der Welt die Regierung übernommen haben. So auch in Wien, wo Shanna zur Ersten Auserwählten – dem Staatsoberhaupt – gewählt wurde.

Doch es gibt Menschen, die sich nicht mit der Herrschaft der Auserwählten abfinden wollen. So gibt es immer wieder Anschläge durch den Widerstand. So wird auch Shannas Zwillingsbruder Sivan in diesen Konflikt mit hineingezogen, mit dem er eigentlich nichts zu tun haben wollte.

Dystopische Urban Fantasy in Wien

Sanguen Daemonis ist ein dystopischer Roman, gleichzeitig aber auch Urban Fantasy. Der Roman spielt in einer Welt, deren Geschichte seit mehreren Jahrzehnten sich von unserer unterschieden hat. Eben seit dem Auftauchen der Dämonen und dem Chaos, das diese so angerichtet haben. Dadurch hat sich ein dystopischer Überwachungsstaat entwickelt, der unter der Führung der Auserwählten funktioniert. Normale Menschen sind in ihren Rechten stark eingeschränkt.

Eine interessante Entscheidung dabei ist, dass diese Geschichte beinahe komplett aus der Sicht der Auserwählten – also der durchaus autoritären Regierung erzählt wird. Spezifisch stehen in der Geschichte die Erste Auserwählte Shanna, ihr Bruder Sivan und ihre beiden Beziehungspartner*innen im Mittelpunkt.

Der Roman ist in nicht-linearer Form erzählt. Bei jedem Kapitel findet man eine Zeitangabe, dabei können sich Handlungsstränge von 2020 durchaus mal mit Handlungssträngen aus dem Jahr 2022 mischen. Dies sollte man sich bewusst machen, ehe man das Buch in die Hand nimmt.

Aufbau und Stil

Leider muss ich den Aufbau des Buches stark kritisieren. Damit meine ich nicht einmal den nicht-linearen Aufbau – selbst wenn dieser das Lesen für mich, einem Lesenden mit ADHS, deutlich schwerer gemacht hat. Viel eher muss ich kritisieren, dass sich das Buch liest, als wäre es die Zusammenfassung einer fünfbändigen Reihe. Wobei „Zusammenfassung“ es vielleicht nicht ganz trifft. Viel eher liest es sich, als wären einzelne Kapitel aus fünf verschiedenen Bänden zusammengestellt worden, wobei man sich nicht zwangsläufig auf die spannendsten Kapitel beschränkt hat.

Ich verstehe durchaus, dass der Roman sich in erster Linie auf die beiden zentralen Beziehungen beschränkt – der Romanze zwischen Shanna und Nesrin, sowie der Romanze zwischen Sivan und Nikola – doch ist das Gefühl, was bleibt, das einem sehr viel Vorenthalten wird. Es gibt verschiedene Handlungsstränge, die angedeutet, aber nie ausgearbeitet werden. Zwischendurch ist Nesrin, die Journalistin ist, damit beschäftigt etwas aufzudecken, nur leider erfahren wir davon nur in Ansätzen was. Die Spannung, die diese Handlung geht komplett verloren. Dasselbe gilt auch später im Buch, als ein Charakter den Widerstand unterwandert. Davon bekommen wir den Anfang mit und dann springt das Buch bereits zu einem Jahr später, als die Figur aufgeflogen ist. Sämtliche Spannung, die aus diesem Setup hätte hervorgehen können, geht komplett verloren.

Ich hätte mir an vielen Stellen einfach gewünscht, dass sich verschiedene Handlungsstränge entwickeln können, was leider nicht gegeben war. Das hat für mich die Spannung zerstört, denn einen richtigen, übergreifenden Handlungsbogen gab es in dem Buch leider nicht.

Auch stilistisch habe ich ein wenig etwas zu meckern. Zwar lässt sich der Stil an sich sehr gut lesen, nur ist er leider sehr gleichbleibend über das ganze Buch. Das ist deswegen ein Problem, weil das Buch eine Vielzahl verschiedener Perspektivenfiguren hat, die jedoch alle mit einem sehr ähnlichen Stil geschrieben wurden und keine starken eigenen Stimmen haben. Dies fiel mit besonders bei Shanna auf, zu der der teils recht ausschweifende Stil des Buchs in meinen Augen nicht wirklich passte.

Weltenbau

Leider wirkt sich dieses Aufbauproblem auch auf den Weltenbau aus. Denn an vielen Stellen werden Dinge über die Welt angedeutet, jedoch nicht wirklich ausgearbeitet. So wissen wir zum Beispiel, obwohl Shanna als Hauptfigur Erste Auserwählte ist, nicht wirklich was ihre Aufgaben sind. Ja, sie trifft irgendwie Entscheidungen, aber wirklich viel erfahren wir darüber nicht. Auch sonst wissen wir sehr wenig darüber, wie das Regierungssystem funktioniert.

Genau so geht auch komplett unter, was eigentlich die Ziele des Widerstandes sind. Natürlich erfahren die Lesenden, dass der Widerstand gegen die Auserwählten ist, doch was ihre genauen Forderungen sind, geht aus dem Text nicht hervor.

Einzig, wie die Dämonen und Besessenheit funktionieren wird zureichend erklärt, sowie auch, was es mit den Auserwählten genau auf sich hat. Leider sehen wir aber auch von den besonderen Kräften der Auserwählten sehr wenig – gerade wenn man bedenkt, dass diese eben der Grund für ihre gesellschaftliche Vorherrschaft sind.

Diversity

Der Punkt, wo ich so gar nichts zu meckern habe, ist die Diversity. Denn Diversity kann das Buch – und dass sehr gut. Unsere zentralen Figuren sind Shanna, Sivan, Nesrin und Nikola. Shanna, Sivan und Nesrin sind POC. Shanna ist eine trans Frau. Shanna und Sivan sind homosexuell. Nesrin und Nikola sind bisexuell. Praktisch das gesamte Hauptcast des Buchs ist in irgendeiner Form queer. Auch Behinderungen verschiedener Arten sind repräsentiert.

Dahingehend gibt es ebenso in Bezug auf Mental Health sehr gute Repräsentation, wobei bspw. auch ein psychischer Zusammenbruch mit Dissoziation sehr gut beschrieben wird.

Kurzum: In diesem Bereich kann das Buch wirklich überzeugen.

Die problematische Seite

Auch kann ich kann auch nicht wirklich etwas finden, was an diesem Roman problematisch ist. Es überleben sowohl alle POC, als auch alle queeren Figuren. Da der Roman so viel Repräsentation hat, wäre es nicht einmal schlimm gewesen, wären queere Figuren gestorben – es hätten genug andere queere Figuren überlebt.

Triggerwarnungen

Auch loben bei dem Buch muss ich die Triggerwarnungen. Der Roman hat sowohl einleitend eine Liste der wichtigsten Trigger, als auch noch einmal über jedem Kapitel eine Liste der Trigger, die in dem Kapitel vorkommen. Das ist wirklich vorbildlich gemacht. Kann man nicht anders sagen.

Noch einmal die Liste der wichtigsten Trigger im Buch:

  • Depression/psychische Krankheiten
  • Selbstverletzendes Verhalten
  • Suizid(versuche)
  • Selbstverbrennung
  • Mord
  • Kannibalismus
  • Gewalt (tlw. explizit)
  • Gewalt gegen Kinder (erwähnt)
  • Kindestod (erwähnt)
  • Folter
  • Sexueller Missbrauch Minderjähriger (erwähnt)
  • Queerfeindlichkeit
  • Internalisierte Queerfeindlichkeit
  • Rassismus

Es muss gesagt werden: ja, es ist eine lange Liste. Aber das Buch ist eben auch Dark Urban Fantasy und wird dem ganzen so gerecht.

Fazit

Es ist für mich leider sehr schwer, das Buch am Ende zu bewerten – aus den genau gegenteiligen Gründen, wie bei Kondorkinder. Während mich Kondorkinder in Sachen Aufbau und Stil wirklich packen konnte, aber in Sachen Diversity versagte, ist es hier genau umgekehrt: Das Buch ist sehr Divers und das gehört gelobt, aber leider konnte mich der Aufbau so gar nicht überzeugen.

Das größte Problem für mich war, dass ich an einigen Stellen das Gefühl hatte, dass mir das Buch etwas versprach und dann nicht hielt. Eben an den Stellen, an denen Figuren in einen eigentlichen Handlungsstrang hineingetrieben wurden (bspw. Nesrins Ermittlungen), man dann als Lesende jedoch nichts weiter darüber erfahren hat.

Insofern ist es erneut eine gemischte Sache. Für Leute, die gerne ein wirklich diverses Buch lesen wollen, kann ich Sanguen Daemonis empfehlen, aber man sollte darauf vorbereitet sein, dass es so aufgebaut ist, wie es aufgebaut ist. Und die Art, wie die Triggerwarnungen für dieses Buch gestaltet sind, würde ich mir wirklich von allen Büchern wünschen!