Der Fluch der Heteronormativität

Fangen wir den Pride Month mit einem wichtigen Thema an: Heteronormativität. Oder vielleicht eher: Hetero-Cis-Allo-Mono-Normativität. Wobei ich über die Mononormativität bereits schon einmal gesprochen habe. Denn wenn wir über das Thema LGBTQ*-Repräsentation in den Medien sprechen, fängt alles mit dieser Normativität an.

Was ist Heteronormativität?

Fangen wir mit der einfachen Frage an: Was bedeutet Heteronormativität? Kurzum: Es bedeutet, dass man davon ausgeht, dass jeder, der nichts anderes angibt, heterosexuell und heteroromantisch ist. Und es impliziert letzten Endes ebenso, dass dasselbe für Cisgeschlechtlichkeit und bspw. auch Allosexualität (dem Gegenteil von Asexualität) gilt.

Damit kommen wir aber direkt zu der nächsten Frage: Warum ist das ein Problem? Nun, weil es queere Menschen vor eine Wahl stellt: Entweder du outest dich oder du wirst als jemand wahrgenommen, der du nicht bist. Während Zweiteres oft sicherer ist, fühlt es sich für einige auch einfach wie ein Selbstbetrug an. Gleichzeitig dürfen wir uns aber auch immer wieder anhören: „Warum musst du dich denn outen? Gott, bei euch dreht sich immer alles um eure Sexualität/euer Geschlecht!“

Dabei ist genau letzteres halt albern. Denn wenn heterosexuelle Menschen über ihre Ehepartner reden oder darüber sprechen, welche Stars sie sexy finden, outen sie sich auch als hetero (selbst wenn sie natürlich auch bi/pan sein können) – nur ist dies eben normal, normativ, und wird daher nicht wahrgenommen. Und ihr kennt die Teen-Jungs, die etwaig über die Länge ihres „besten Stücks“ reden? Nun, die outen sich natürlich als cis. Doch erneut: Es wird nicht wahrgenommen. Es ist normal.

Heteronormativität in der Geschichte

Bevor wir uns dem Schreiben und der Fiktion widmen, vielleicht ein kleiner Exkurs über die Geschichte. Also im Sinne von historischen Figuren. Denn auch hier schlägt gerne die Heteronormativität zu. Etwas, das natürlich dadurch erschwert wird, dass viele unserer Begriffe – von schwul, lesbisch, transgender, hin selbst zu Homosexualität – kaum älter als hundert Jahre sind. Sprich: Leute, die vorher lebten, hätten diese Begriffe nicht genutzt, um sich selbst zu beschreiben.

Doch das heißt natürlich nicht, dass es Homosexualität und Co. nicht gab. Im Gegenteil. Wir wissen von einigen historischen Figuren, dass sie recht sicher in irgendeiner Form queer waren. Doch auch hier ist es eben so, dass dies oft untergeht. Bei einigen versucht man es explizit wegzuinterpretieren („Ach, damals hatten Männer eben sooooo enge Freundschaften!“), in anderen wird halt nicht darüber gesprochen. Und ja, natürlich, es ist eben immer wieder die Frage: „War ein Charakter homosexuell, bi, pan, trans oder was ganz anderes?“ Denn erneut, es gab eben nicht dieselben Worte.

Nichts desto trotz: Historische Figuren waren natürlich auch nicht alle hetero. Auch viele, viele Leute, deren Namen im Verlauf der Geschichte verloren gingen, waren nicht hetero, nicht cis. Es ist die Heteronormativität, die zu dieser Interpretation geführt hat. (Nun, und bei einigen Menschen der jüngeren Geschichte, auch eiskalte Ignoranz.)

Heteronormativität in der Fiktion

Damit kommen wir zur ersten Frage: Heteronormativität in der Fiktion? Wie macht sie sich hier bemerkbar? Die erste Sache ist natürlich relativ einfach: Ein Leser/Zuschauer/Spieler wird immer davon ausgehen, dass ein beliebiger Charakter cis, allo, mono, hetero ist, bevor ihr*ihm etwas anderes gesagt wird. Das gilt besonders natürlich für Zuschauer, die dies selbst sind und eben in einer so normativen Welt aufgewachsen sind.

Das heißt: Wenn ein Charakter das nicht ist, muss si*er geoutet werden. Und auf einmal ist angeblich wieder das ganze Buch, die ganze Serie über „Identity Politics“. Dabei gehört dies eigentlich mit zum Charakter (ein Thema, zu dem es nächste Woche noch einen Eintrag geben wird). Es muss dem Zuschauer halt nur klar sein – nun, sollte es zumindest.

Dazu kommt noch ein Problem: Die Sexualisierung von Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit. Denn während es vollkommen FSK12, teilweise auch FSK6 ist, wenn Junge und Mädchen sich küssen – oder ein paar Teenager über hetero Sex reden – so wird es auf einmal gleich schlimmer, wenn es eben nicht cisheterosexuell ist. Etwas, das man in Fernsehserien oft beobachten kann, wenn kanonisch bisexuelle Charaktere onscreen mit einem gegengeschlechtlichen Partner, aber nur off-screen mit einem gleichgeschlechtlichen Partner rummachen dürfen.

Heteronormativität im Fandom

Weiter noch macht sich Heteronormativität in Fandom bemerkbar – und hier sieht man besonders, wie sie queeren Jugendlichen auch oft schadet. Vielleicht kennt jemand diese Diskussion noch: „Charakter X ist aber gar nicht schwul!“ Denn ja, in einigen Fandoms gibt es diese Diskussion immer wieder. Dabei geht sie eben auf Heteronormativität zurück. Denn sehr wahrscheinlich outet der Charakter X sich nie als hetero. Eventuell hat si*er ein gegengeschlechtliches Love Interest, oft genug aber nicht mal das. Woher also die Annahme, dass si*er hetero ist?

Die Antwort ist einfach: Heteronormativität.

Dabei sollte es eigentlich recht einfach sein: Charakter X existiert nicht real. Charakter X hat keine Sexualität. Charakter X kann die Sexualität haben, die man ihm geben will. Ja, wer will kann Charakter X zu einem trans Mann machen – oder zu einer trans Frau, die sich nicht geoutet hat. Niemand kann euch daran hindern.

Nun, niemand, außer andere Fans, die eventuell ziemlich giftig werden können. „Zwangsverschwulung“ heißt es dann auf einmal, wenn jemand zwei männliche Charaktere in einer Beziehung sehen will. Dabei ist da gar kein Zwang, weil der Charakter keinen eigenen Willen hat.

Heteronormativität tut weh

Und damit kommen wir zu dem anderen Problem: Heteronormativität tut weh, wenn man selbst nicht dem normativen Bild entspricht. Dies ist etwas, was schwer zu erklären, schwer in Worte zu fassen ist. Deswegen entschuldigt eine persönliche Erklärung: Als ich 16 war, habe ich – damals selbst als bisexuell identifiziert – darauf beharrt, dass es Zwangsverschwulung sei diverse Charaktere zu verkuppeln. Die sind alle hetero, habe ich gesagt. Weil praktisch alle Menschen hetero sind. Die, die anders sind, bei denen muss das deutlich sein. So habe auch ich gedacht, weil es mir die Gesellschaft und die Medien vermittelt haben. Ich habe andere dafür angegriffen, mehr Repräsentation in Medien zu lesen, weil es mir so eingeschärft wurde, weil ich unterbewusst dachte, dass es falsch ist.

Dieser Eindruck ist eben Teil der Heteronormativität. Dass es eben eine Sache gibt, die „normal“ ist und damit richtig. Und dass alles, was davon abweicht, in irgendeiner Form falsch sein muss und sich zumindest dafür rechtfertigen muss. Doch natürlich ist genau das falsch.

Mit diesem Problem werden einige der Beiträge, die ihr diesen Monat hier findet, zu tun haben. Denn ja, darauf geht so vieles zurück.

Was tut man?

Aber was kann man denn tun? Gibt es überhaupt eine gute Lösung, wenn doch jeder Charakter, der nicht der „Norm“ entspricht, geoutet werden muss? Nun, ja, doch. Denn erst einmal hilft es, den Charakter unterschwellig zu outen.

Was das heißt? Vorrangig heißt es, dass Charaktere schwul, lesbisch, bi, pan oder a sein können, ohne es auszuleben, ohne dass es eine große Rolle spielt. Und das kann auf unterschiedliche Art und Weise passieren. Eventuell spricht der Charakter darüber. Eventuell wird kurz eine ehemalige Liebschaft erwähnt. Eventuell impliziert jemand, dass der Charakter gute Chemie mit jemand anderem hätte, worauf jemand anmerkt: „Ne, die/der tickt nicht so.“ Es ist nicht schwer.

Wichtig ist, dass es Charaktere gibt, die von der Cis-Hetero-Allo-Mono-Norm abweichen, ohne, dass dies immer wieder zum zentralen Thema werden muss. Genau das brauchen wir, weil es eben zeigt, dass es nicht einen Charakter definieren muss. Und es zeigt, dass es so etwas in eurer Welt gibt – und lässt damit die Tür offen, dass eben jemand, dessen Sexualität und Geschlecht man nicht genauer kennt, alles mögliche sein kann!

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