Dekolonialisierung der Phantastik: Brauchen wir Fantasy-„Rassen“?
Wir kennen die üblichen Fantasy-Welten. Menschen, Elfen, Zwerge, Hobbits – die „freien Rassen Mittelerdes“, wie Tolkien sie bezeichnete. Moment, Rassen? Irgendwie ein unschöner Begriff, oder? Und leider in der Fantasy allgegenwertig, ob in Büchern oder Rollenspielen. Selbst in Science Fiction taucht der Begriff häufiger auf und … nun, er erinnert an eine unschöne Geschichte, oder?
Dieser Beitrag ist der erste inhaltliche Beitrag der Reihe „Dekolonialisierung der Phantastik“. Eine Reihe, die sich mit kolonialistischen Denkweisen in den Phantastik-Genre (Fantasy, Science Fiction, Horror) befasst. Ihr findet den einleitenden Beitrag mit weiteren Erklärungen hier.
Disclaimer: Wie immer dicker Disclaimer. Ich schreibe aus der Sicht einer weißen, queeren Person. Ich bin – bei diesem Beitrag relevant – übrigens auch kein Biologe, hatte aber dankbarerweise einige Biologen in meinem Bekanntenkreis, die mir geholfen haben, diesen Beitrag zu erstellen und Korrektur gelesen haben.
CN: Rassismus, Anti-Semitismus
„Könntest du das Wort bitte lassen?“
Das Thema der Fantasy-Rassen ist einer der Aspekte, die mich überhaupt auf diese Blogreihe gebracht haben. Denn es ist eine der ersten Sachen auf die ich bereits vor ein paar Jahren aufmerksam gemacht wurde. Damals im Kontext einer englischsprachigen online Rollenspielrunde. In deren Rahmen fragte eine schwarze Mitspielerin mich, ob ich den Begriff „Rasse“ bitte in Bezug auf Elfen und Co. aus meinem Wortschatz streichen könne, am besten ganz in Bezug auf irgendetwas Menschliches. Es wäre unschön, würde sie sich unwohl fühlen lassen. Spezies sei ein besseres Wort. Also habe ich das Wort versucht soweit möglich (Gewohnheit ist böse) nicht länger zu verwenden und je nach Kontext durch Spezies, Kultur oder Volk zu ersetzen. Ist nicht schwer und wenn nur eine Person sich dadurch wohler fühlt ist es leicht getan.
Übrigens ist es wohl deutlich mehr als eine Person, wenn man bedenkt, dass ich nicht der einzige Rollenspieler bin, dier das Wort so ausgetauscht hat. Tatsächlich haben sowohl DnD, als auch DSA die Begriffe entsprechend ab ihren jeweils fünften Editionen gewechselt und auch einige Regeln in diesem Kontext abgeändert. Tatsächlich ist es ein häufiger einmal diskutiertes Thema. Bevor ihr weiterliest möchte ich eine dicke Empfehlung für diesen Artikel zum Thema auf Public Medievalist aussprechen.
Doch egal in welchem Kontext das Thema aufkommt: Es gibt immer mindestens die eine Person (und sie ist meiner Erfahrung nach praktisch immer weiß), die da sitzt: „Aber das Wort ist falsch! Das sind keine Spezies, weil die können ja Kinder haben!“ Die kürzeste Antwort darauf wäre natürlich: „Ja, cool, und die eine Spezies ist unsterblich und schmeißt Magie durch die Gegend, also warum genau beschäftigen wir uns mit der wissenschaftlichen Genauigkeit von Wörtern?“ oder „Ja, und wissenschaftlich gesehen gibt es keine Rassen“. Aber das Thema geht auch im Rahmen der Geschichten noch viel tiefer – also erlaubt mir, das Problem der „Fantasy-Rassen“ weiter auszuführen und später auf das Wissenschaftsargument zurückzukommen.
Rassenkunde ist pseudowissenschaftlich begründeter Rassismus
Lange Abschnittsüberschrift? Check! Ich habe darüber im Rahmen der historischen Beiträge bereits gesprochen, halte es aber für wichtig noch einmal hier in Erinnerung zu rufen: Die Einteilung von Menschen in Rassen ist eng im Kolonialismus verwurzelt und wurde genutzt, um mit pseudowissenschaftlichen Begründungen die Unterdrückung von BIPoC im Rahmen von Kolonialismus und Sklaverei zu begründen. Dabei wurden Menschen nach äußerlichen Merkmalen in „Rassen“ unterteilt und diesen „Rassen“ unterschiedliche Eigenschaften zugeschrieben, die im Rahmen dieser Pseudowissenschaft als „biologisch“ gesehen wurden. Kurzum: Es wurden sich wissenschaftliche Gründe herbeifantasiert, die dann sagten, dass Weiße bessere Menschen seien, als alle anderen. Und wir wissen, wohin diese Pseudowissenschaft später geführt hat.
Anders gesagt: Nein, es gibt keine Menschenrassen. Jedenfalls nicht in irgendeinem naturwissenschaftlichen Sinn. Denn Rasse ist ein komplett gesellschaftlich erschaffenes Konzept, das keine biologischen Grundlagen hat. Es gibt eigentlich keine Rassen. Es gibt nur Menschen, die unterschiedlich aussehen. Auch nur irgendwie daran zu glauben, dass da Unterschiede sind, auf die man Anhand des Aussehens schließen kann, ist einfach nur eine Folge von einem in unserer Gesellschaft leider tief verankerten Rassismus, den wir dringend ausmerzen sollten.
„Rassen“ in der Phantastik
Sowohl in Fantasy, als auch aber Science Fiction kennen wir derweil jedoch wieder fantastische „Rassen“ samt Eigenschaften. Elfen, Zwerge und Orks sind von diesen wohl die bekanntesten. Immerhin sind sie dank Herr der Ringe und vielen Rollenspielregelwerken (wie bspw. DSA und DnD) allgegenwärtig. Doch selbst wenn sich eine Welt ein wenig vom tolkienesquen Template löst, findet sich das Wort immer wieder, um alles von Engeln, Dämonen, Drachen, hinzu Vampiren und Werwölfen zu beschreiben. Genauso findet man es manchmal auch in der Science Fiction verwendet, um verschiedene Alienspezies zu beschreiben – selbst wenn hier dankbarerweise das Wort Spezies etwas verbreiteter ist. Das schützt jedoch auch die Aliens nicht vor einigen der problematischen Assoziationen …
Doch was die Phantastik in diesem Rahmen allgemein wieder macht ist eben erneut das Zuordnen von Eigenschaften. Wir kennen sie alle: Die edlen, weisen und wunderhübschen Elfen, die geizigen, wenngleich geschickten Zwerge, die faulen Hobbits und die gewaltbereiten Orks. Im Rollenspiel bekommen Elfen häufig einen Bonus auf ihr Charisma oder vielleicht ihre Intelligenz, Zwerge einen Bonus auf Widerstand und Geschicklichkeit und die Orks einen auf Stärke und einen Malus auf Intelligenz. Schön simpel. Schön einfach. Lässt sich sogar in Zahlen ausdrücken. Aber vor allem: Sehr allgemein.
Und ja, Rassen ist ein Thema in dem Rollenspiele eine große Rolle (ha, der Pun!) spielen, weil sie geholfen haben, viele dieser Vorstelle zu festigen.
Von Allegorien und realem Rassismus
Und dann ist da noch die Sache mit dem realen Rassismus, der sowohl absichtlich, als auch unabsichtlich immer wieder eine Rolle in der Phantastik spielt. Und dabei – oh wunder – immer wieder auch mit den Rassen zu tun hat. (Dazu sei gesagt: Es gibt auch noch anderen Rassismus in der Phantastik, dem ich jedoch einen eigenen Beitrag später widmen werde.)
Fangen wir erst mit dem vielleicht harmloseren Beispiel an: Der Allegorie. Denn gerade in letzter Zeit nutzt Fantasy häufiger einmal die verschiedenen Spezies als eine Allegorie für Rassismus. Zu dem Thema und dazu, warum das oft schief geht, hatte ich schon einen eigenen Beitrag geschrieben. Die Kurzfassung ist: Allegorien machen oft den Fehler, die Diskriminierung als durch etwas Tatsächliches, etwas Reales zu begründen. Eine Spezies ist gefährlicher, als die anderen, oder hat in der Vergangenheit etwas Schlimmes getan. Dabei werden die „Ängste“ der Diskriminierenden verifiziert und als begründet dargestellt, anstatt als vollkommen grundlos, wie sie es in der Realität sind.
Es gibt dahingehend glaube ich kein besseres Beispiel für diesen Beitrag, als den Netflix-Film Bright. Der Film spielt in unserer modernen Welt, nur dass es Elfen, Zwerge, Orks und andere Fantasy-Wesen ebenfalls gibt. Dabei ist der Film nicht im geringsten subtil dadrin, dass die Orks eine Allegorie für schwarze Menschen sind, werden sie durch Kleidung und Sprache doch durchweg so kodiert. Orks werden von der Polizei unterdrückt, es gibt immer wieder ungerechtes
Vorgehen gegen Ork-Communities und einer unserer Protagonisten ist der erste Ork im LAPD. Dummerweise hat das ganze ein großes Problem: Denn es gehört auch zum Lore dieser Welt, dass es vor ein paar tausend Jahren einmal einen bösen dunklen Lord gab – und dass die Orks diesem gedient haben. Deswegen fürchten viele, dass bei einem neuen dunklen Lord die Orks diesem wieder dienen würden. Ja, sicher, unser Ork-Protagonist kann da nichts für. Aber es ist nicht so, als wäre dieser Rassismus wirklich mit dem realen Rassismus gegen schwarze Menschen vergleichbar, die eben keinem dunklen Lord gedient haben, sondern in erster Linie einfach von weißen Menschen unterdrückt wurden.
Und ähnlich undeutlich sind diese Metaphern auch in anderen Geschichten. Sei es Zootopia, wo die Beutetiere durchaus gute Gründe haben sich vor den Raubtieren zu fürchten, oder X-Men, wo es ebenfalls schwer ist die Argumente der Mutantenhasser, dass Mutanten gefährlich sein können, zu widerlegen.
Unschöne Assoziationen
Allerdings ist Bright in einer Sache nicht allein: Damit, Orks als schwarze Menschen zu kodieren. Dies ist etwas, das beinahe seit Beginn der modernen Fantasy geschah. Da waren immer diese subtilen Dinge, die mit der Zeit weniger und weniger subtiler wurden, die Orks mit „Afrika“ assoziierten. Nicht mit einer konkreten Kultur, sondern einfach mit stereotypen Afrika-Vorstellungen und Vorurteilen, die vor allem in den USA verbreitet sind. Einzig Tolkien assoziierte sie nicht damit, sondern beschrieb die Orks stattdessen als „mongolisch“ – nicht, dass dies besser ist.
Doch es sind nicht nur Orks. Auch andere Fantasy-Rassen sind durch rassistische Stereotype geprägt worden. So sind beispielsweise die Zwerge in vielen, vielen Fantasy-Universen mit Stereotypen dargestellt werden, die antisemitischen Ursprungs sind. Wie gesagt: Sie sind geizig, sind von Gold förmlich besessen, aber gute Handwerker in Sachen Metall, und häufig Händler. Oh, und nicht selten werden sie mit großen Nasen dargestellt. Alles antisemitische Vorurteile. Je nach Universum sind dabei noch eventuell schottische oder irische Züge eingebunden.
Man könnte so weitermachen. Gerade wenn man sich das erweiterte Kompendium diverser Rollenspiel-Regelwerke vornimmt. Da hätten wir noch anti-indigene Stereotype in Dunkelelfen oder … einfach alles in Shadowrun, das sich oftmals nicht sicher ist, ob es dass kommentieren/kritisieren möchte oder halt nicht. Dazu wurden bereits endlos viele Artikel geschrieben und dennoch ist es etwas, das viele Leser*innen oder Spieler*innen von Fantasy-Literatur oder Rollenspielen nicht sehen wollen.
Und auch hier sei gesagt: Selbst wenn ich mich in diesem Beitrag vornehmlich auf Fantasy beschränke, da sich hier, anders als bei Science Fiction, ein paar bestimmte Spezies durchziehen und ich so über Muster sprechen kann, statt über Einzelfälle, kann man diese Kodierungen auch in vielen Science Fiction Werken finden.
Fantasy-Wesen: Menschen plus-minus
Was das ganze noch erschwert ist natürlich die Tatsache, dass viele Spezies in Fantasy und Science Fiction letzten Endes Menschen sind. Die ein wenig mehr von der einen Eigenschaft haben und ein bisschen weniger von einer anderen. Zwergen sind besonders kleine, haarige Menschen mit großem Geschick. Elfen sind besonders große, schlanke und elegante Menschen mit spitzen Ohren. Vampire sind untote Menschen mit großer Stärke und Geschick. Dämonen sind Menschen mit Fledermausflügeln, komischen Augen und spitzen Zähnen. Engel sind Menschen mit weißen Federflügeln. Ihr versteht, worauf ich hinaus will, oder?
Die meisten Fantasy-Spezies oder auch Science Fiction Spezies werden durch ihre Gemeinsamkeiten und ihre Unterschiede zur menschlichen Spezies definiert, die in den meisten Fällen sowieso die „Standardkultur“ darstellt. Dabei besteht diese Standardkultur (erneut, Thema eines späteren Beitrags) auch meistens aus weißen Menschen, die nach einer vermeintlich europäischen Kultur kodiert sind. Alle anderen Spezies sind eben fast Menschen, aber mit Abweichungen – und über diese Abweichungen werden sie definiert.
Besonders auffällig ist dieses Phänomen erneut in Rollenspielregelwerken, in denen Menschen meist die üblichen „Allrounder“ sind, die keine Boni oder Mali auf irgendetwas haben. Derweil nehmen alle anderen das Menschen-Template und packen Eigenschaften und Vor- und Nachteile in Attributen drauf. Etwas, das erneut eine Allgemeinheit unterstellt.
Dann war Tolkien ein Rassist?
Spricht man diese Themen kritisch an, wird die Diskussion meistens auf kurz oder lang auf die Frage hinauslaufen: „War Tolkien dann ein Rassist?“ oder alternativ „Sind Fantasy-Fans dann Rassisten?“ Selten ist die Frage ernsthaft gemeint – meist ist sie eher eine indirekte Unterstellung, dass di*erjenige, di*er sich kritisch äußert, einfach überempfindlich sei oder zu viel in Dinge hineinlesen würde.
Dennoch gibt es eine ernste Antwort auf die Frage: Tolkien war kein Rassist, aber er war ein Kind seiner Zeit. Ja, tatsächlich hat Tolkien Rassismus aktiv verurteilt und abgelehnt (es gibt ein paar böse Briefe, die er an Nazis zu seiner Zeit geschrieben hat und die es definitiv wert sind gelesen zu werden), aber dennoch ist er zu einer Zeit aufgewachsen, in der Rassismus allgegenwärtig war. Speziell gab es eben zu seiner Zeit immens viele Vorurteile gegenüber Chines*innen – die so genannte „Yellow Fear“. Und damit ist Tolkien eben aufgewachsen. Es hat sein Denken geprägt, weil es in seiner Gesellschaft allgegenwärtig war. Ist es da überraschend, dass seine erste Assoziation, die Bösewichte zu beschreiben, „mongolisch“ war?
Genauso sieht es eben beim Thema DnD aus: Unterstellt man, dass absichtlich rassistische Stereotypen in das Regelwerk kodiert wurden? Nein. Viel eher wurden einfach geläufige Ideen „des Anderen/Fremden“ in die Geschichte hineingebracht – eine direkte Folge dessen, dass das Regelwerk eben vornehmlich von weißen Menschen (noch vornehmlicher weißen Männern) geschrieben wurde, die darauf nicht sensibilisiert waren. Es war die unreflektierte Wiedergabe von rassistischen Stereotypen, die nicht bewusst als Rassismus wahrgenommen wurden.
Deswegen ist es ja auch positiv zu sehen, dass eben diese Regelwerke anfangen darüber zu reflektieren und es langsam besser zu machen.
Reflektion ist wichtig
Und genau da liegt der Hund
begraben: Wir leben in einer Gesellschaft, die zentral durch
Rassismus und den Kolonialismus geprägt wurde. So viele kulturelle
Vorstellungen sind direkt oder indirekt aus einer dieser beiden
Dingen geprägt und solange man es nicht reflektiert, kann es leicht
passiert, dass man eben repliziert. Nicht jeder, der rassistisch
handelt, ist automatisch ein Rassist (im Sinne eines Menschen, der
nicht-weiße Menschen hasst und Gewalt gegen sie herbeiwünscht oder
gar ausübt), aber dass macht rassistische Handlungen nicht weniger
rassistisch und für betroffene Menschen nicht weniger verletzend.
Das sollten wir uns auch beim Schreiben von phantastischen Welten in den Kopf rufen und darüber reflektieren, was vielleicht Hintergrund von bestimmten Tropes und Stereotypen sind, die wir gerade replizieren. Auch bei eigenen Ideen ist es wichtig darüber nachzudenken, woher diese kommen und inwiefern Werte, die in unserer Gesellschaft zwar allgegenwärtig, deswegen aber nicht zwingend positiv sind, vielleicht eine Rolle gespielt haben.
Genau das bringt mich eben wieder zu dem anfänglich beschriebenen Problem: Den Begriff „Rasse“ und die damit verbundenen Konnotationen. Denn ja, wenn man den Begriff benutzt, um damit menschliche Wesen zu beschreiben, dann ist der Begriff aufgrund seines historischen Gebrauchs problematisch. Und deswegen fühlen sich einige Leute damit verständlicherweise sehr, sehr unwohl. Es sollte nicht so schwer sein, das zu respektieren oder zu beachten, oder?
Die Begriffsfrage
Dennoch weiß ich, dass es diese pedantischen Menschen gibt, für die es eben doch schwer ist – ironischerweise nie Biolog*innen. Daher für diese noch einmal eine kurze Begriffsklärung.
Der englische Begriff „Race“ wird in der englischen Biologie manchmal zur Einordnung von Organismengruppen derselben Subspezies benutzt, die sich jedoch gemeinsam durch eine Eigenschaft von anderen Exemplaren ihrer Subspezies unterscheiden. Die Notwendigkeit dieser Abgrenzung gilt (aufgrund der Regelmäßigkeit von Mutationen in der Biologie) jedoch als strittig. Im Deutschen wird der Begriff „Rasse“ praktisch nur noch verwendet, um nach bestimmten Eigenschaften gezüchtete Organismen (meist Tiere oder Nutzpflanzen), die derselben Spezies und Subspezies angehören, zu unterscheiden. In keiner der sowieso strittigen biologischen Definitionen ließe sich der Begriff „Rasse“ übrigens auf die Wesen in der Fantasy oder Science Fiction anwenden, da Rasse explizit minimale Unterscheidungen beschreibt, von denen jedoch nicht die Rede sein kann, wenn Eigenschaften wie Lebenserwartung und auch äußere Merkmale sich massiv unterscheiden.
Also betrachten wir uns den Begriff „Spezies“ einmal genau. Hierbei ist das übliche Argument das gebracht wird: „Verschiedene Spezies können sich aber nicht miteinander fortpflanzen und dabei Kinder bekommen, die ihrerseits fruchtbar sind!“ Oder auch: „Das habe ich in Bio gelernt!“ Und wie viele Dinge, die wir zur Schulzeit in Bio gelernt haben, ist auch diese Definition stark vereinfacht.
Denn die Tatsache ist: Es gibt ein paar unterschiedliche Spezies, die definitiv unterschiedliche Spezies sind, die sich in der Natur sehr erfolgreich miteinander fortpflanzen und fortpflanzungsfähige Jungtiere bekommen. Polarbären und Grizzlybären seien hier genannt. Oder der amerikanische Wolf und der Kojote. Doch Beispiele gibt es noch einige mehr, vor allem wenn wir in die Welt der Pflanzen abtauchen. Oh, und von Homo Sapiens Sapiens und Homo Neanderthalis – einer Interspezies-Beziehung, der wir wahrscheinlich unsere Existenz zu verdanken haben, fange ich gar nicht erst an.
Die Sache ist, dass die genauere Unterscheidung bei Spezies zum einen über Fortpflanzung hinaus Merkmale mit einbezieht (sprich: Die Spezies müssen sich in ihren Merkmalen ausreichend unterscheiden), zum anderen aber auch die Fortpflanzung durch verschiedene Aspekten verhindert werden kann. Vielleicht lassen sich die Gene nicht mischen oder die Spezies haben miteinander nicht kompatible Genitalien. Vielleicht haben sie jedoch auch eine Art zu balzen, die für die jeweils andere Spezies üblicherweise sehr unsexy ist. Oder, nun, da ist noch der Aspekt, wo die Spezies üblicherweise von der Geographie an der Fortpflanzung gehindert wurden – so zum Beispiel bei Grizzlys und Eisbären, die früher geographisch getrennt lebten, nun aber aufgrund des Klimawandels häufiger aufeinander treffen.
Davon abgesehen: Die genaue Abgrenzung von Spezies zueinander ist in der Biologie furchtbar, furchtbar strittig und weit komplizierter, als ihres im Biounterricht gelernt habt.
tl;dr
Der Begriff „Rasse“ ist aufgrund der kolonialen und post-kolonialen Geschichte mit vielen problematischen Assoziationen verbunden, die ihn auch in Verbindung mit phantatischen Welten problematisch machen können. Die Tatsache, dass gerade Fantasy-Wesen nicht selten auf sehr an die pseudowissenschaftliche Rassenlehre angelehnte verallgemeinernde Ideen (namentlich, dass die Eigenschaften dieser „Rassen“ sich im Charakter und den Attributen ihrer Individuen wiederspiegeln) macht dies nicht besser. Für Aliens in der Science Fiction gilt ähnliches.
In dem Sinne sollte beides von Autor*innen der Phantastik reflektiert werden. Sowohl die Verwendung des Begriffs „Rasse“ (für den es Alternativen wie Spezies gibt), als auch die dahinterstehende Ideologie in der Unterscheidung dieser Wesen. Fragt euch, ob Biologie wirklich den Charakter bestimmen sollte.
Allgemein sollte Rücksicht und ein gewisses Miteinander im Vordergrund stehen. Versucht die Phantastik inklusiver zu machen und hört auf Menschen mit anderen Lebenserfahrungen, wenn sie euch bitten, etwas zu ändern, weil sie damit verbunden negative Erfahrungen gemacht haben.
Quellen und weiterführende Links
- James Mandez Hodes: Orcs, Britons, And The Martial Race Myth – Part I, Part II
- Louise Liebherr: A post-colonial Perspective on ‚The Lord of the Rings‘
- Rebecca Brackmann: „Dwarves are not heroes“ – Antisemitism and the dwarves in J.R.R. Tolkien’s writing
- Tatt Timothy (Conquest of Dread): Decolonize Games (Video)
- Cecilia D’Anastasio: Dungeons & Dragons Stumbles With Its Revision Of The Game’s Major Black Culture
- Eugene Lee: On Decolonising „Dungeons & Dragons“ and Similiar Role-Playing Games
- Paul B. Sturtevant: Race: The Original Sin of the Fantasy-Genre
- Reuben Williams-Smith: That Orc-ward Moment: Racial Coding in Dungeons & Dragons
- John Wilkins: How many species concepts are there?
- University of California: Defining a species