Dekolonialisierung der Phantastik: Wahre Könige und ihr Land
Fantasy ist voller Könige und ab und an auch Königinnen. Es gibt gute Könige, böse Könige, moralisch graue Könige und vor allem echte und falsche Könige, die sich durch ihr Anrecht auf den Thron unterscheiden. Doch häufig ist die Darstellung von König*innen und ihren Reichen nicht ohne Probleme.
Die Rückkehr des Königs
Die meisten Phantastik-Fans sind mit Herr der Ringe, sei es in Film- oder Buchform, vertraut. Am Ende wird der Ring vernichtet und Aragorn, der wahre König von Gondor, steigt auf den Thron. Sein Anspruch auf den Thron wird dadurch bestätigt, dass er einen Setzling des weißen Baums von Gondor findet. Am Ende, so heißt es, regiert er lange und gerecht über das Land, das unter seiner Herrschaft wieder aufblüht.
Dieses Konzept sehen wir häufig – sowohl in der Phantastik, als auch in der europäischen Mythologie: Der wahre, gerechte König unter dem das Land erblühen kann, allein dadurch, dass er auf dem Thron sitzt. Schon in früher Kindheit bin ich damit über König der Löwen konfrontiert worden: Als Mufasa auf dem Thron sitzt, geht es dem Land gut. Als Scar den Thron, auf den er kein Anrecht hat, an sich reißt, bricht eine Dürre aus, die scheinbar magisch endet, als Simba, der rechtmäßige Erbe, den Thron besteigt. Und auch in der Mythologie kennen wir wahre Könige – allen voran natürlich Arthur – deren Recht auf den Thron oftmals magisch bestimmt ist.
Doch selbst ohne Betrachtung von Geschichte und Kolonialismus sollte klar sein, dass diese Darstellung problematisch ist: Ein absoluter Herrscher ist das beste, solang es nur der Richtige ist? Wenn wir uns die Geschichte von Diktaturen und tyrannischen Königshäusern ansehen, spricht einiges dagegen.
Die Geschichte der König*innen
Es ist geschichtlich schwer festzustellen, wann die Menschen mit Monarchien oder weiter gefasst dem Königstum angefangen haben. Dies sei hier so definiert, dass es eine*n nicht-gewählte*n Herrscher*in gibt, die in der Gesellschaft über hohe Macht verfügt und über die anderen Menschen in dieser Gesellschaft herrscht. Dieser Einfluss wird über irgendeine Form von Erbrecht innerhalb von Familien weiter gegeben.
Während auch nomadische Kulturen häufig Anführer*innen haben, wird davon ausgegangen, dass Konzepte, wie wir sie heute mit dem Königstum verbinden, erst mit der Niederlassung von Kulturen aufkamen. Denn in einer agraren Kultur ergibt es sich schnell, dass eine Person, die besonders viel gutes Land oder besonders viel Saatgut besitzt, mehr Einfluss auf die anderen Menschen in ihrer Gesellschaft haben.
Als solche existierten König*innen oder Menschen, deren Position mit König*innen vergleichbar war, praktisch solange, wie die Geschichtsschreibung selbst. Egal ob im alten Mesopotamien, Ägypten, frühen Griechenland oder antiken Indien: König*innen waren praktisch überall. Es war eine übliche, wenngleich nicht die einzige mögliche Form, eine Gesellschaft aufzubauen, was definitiv dafür spricht, dass sie einige Vorteile mit sich brachte.
Jedoch sehen wir ebenso überall, wo wir schriftliche Aufzeichnungen über König*innen und ihre Politik haben, auch dieselben Probleme: Intrigen am Hof und verschiedene Leute, die durch verschiedene Mittel, unter anderem Mord, die Herrschaft an sich reißen.
Erbschaft und Blutlinien
Ebenso, wie davon ausgegangen wird, dass das Konzept von König*innen existiert, seit Menschen sich niedergelassen haben, wird davon ausgegangen, dass mindestens solange Erbschaft in irgendeiner Form entlang Familienlinien existiert. Wie dies genau angefangen hat, ist nicht bekannt. Jedoch wissen wir, dass von allen dokumentierten Kulturen, die häufigste Form der Erbfolge war, dass ein Vater etwas an einen Sohn vererbte.
Dies zeichnet sich auch in den europäischen Königshäusern ab. Die meisten von diesen waren patrilinear, sprich: Immer der älteste männliche Erbe hatte das Anrecht auf den Thron. Das heißt in den meisten Fällen, dass wenn ein König stirbt, sein ältester Sohn Anrecht auf den Thron hat. Gibt es keine Söhne, ist es meist der Bruder, der als nächstes erbt. Danach wird es häufig komplizierter. In einigen Königshäusern ist es jedoch auch möglich, dass wenn es keinen Sohn gibt, die älteste Tochter erbt und Brüder oder andere Verwandte erst in Frage kommen, wenn es gar keine Kinder gibt.
Dennoch gibt es unterschiedliche Erbschaftssysteme, inklusive matrilinearer, solcher, wo alle gleich erben und jene, in denen das fähigste Kind erbt.
Was Erbschaft natürlich voraussetzt, ist ein Konzept von Besitztum. Das mag offensichtlich klingen, doch nicht in allen Kulturen gab und gibt es dieses Konzept. Vor allem eine Form von Besitz ist eng mit Erbschaft und vor allem der Thronfolge in Verbindung: Landbesitz.
Landbesitz
Auch bei Landbesitz ist es schwer zu sagen, wann er angefangen hat – wie gesagt: Landbesitz und die Entwicklung von monarchischen Strukturen hängen wahrscheinlich eng zusammen. Entsprechend gehen sie wahrscheinlich auf menschliche Frühgeschichte zurück.
Es lässt sich allerdings feststellen, dass nicht alle menschliche Kulturen eine Vorstellung von Landbesitz haben. Allen voran nomadische Kulturen kennen dieses Konzept zumeist nicht, aber auch andere Kulturen, die sich niedergelassen haben, haben kein Land besessen, weil in ihrer Vorstellung niemand Land besitzen kann.
Im Mittelmeerraum ist jedoch bereits in den frühsten Kulturen, die schriftliche Aufzeichnungen hatten, Landbesitz dokumentiert. Bereits im Perserreich haben wir Aufzeichnungen dafür und auch im antiken Griechenland und natürlich Rom war Landbesitz nicht nur existent, sondern auch ein wichtiger Faktor in politischen Themen. Immerhin war häufig das Land der entscheidende Faktor, ob jemand sich aktiv an der Politik beteiligen konnte oder nicht. Land war gleichzeitig jedoch in vielen antiken Reichen auch eine übliche Belohnung für Soldaten – sei es während des Diensts oder danach. Es sei in diesem Kontext auch erwähnt, dass sowohl Griechenland, als auch Rom bei Kampagnen, die ihr Reich vergrößert haben, Land in den neu gewonnenen Gebieten als Belohnung vergeben oder verlost haben. Land, das so Teil von Kolonien wurde.
Landbesitz im Mittelalter ist ein komplexes und strittiges Thema, auch wenn es häufig in unserem Geschichtsunterricht nicht so dargestellt wird. Ein Thema dazu noch, das in unterschiedlichen europäischen Ländern unterschiedlich gehandhabt wurde. Deswegen sei gesagt: Etwaige Königshäuser und Adel besaßen fast überall Land und ebenso die Kirche – dieses Land konnte sowohl als Lehn oder Pacht gehandhabt werden und so von einem Versallen oder Pächter bestellt werden.
Im Rahmen dieser Reihe ist jedoch vor allem auch der Bezug von Kolonialismus zu Land interessant. Denn als Amerika kolonialisiert wurde, spielte sich wieder und wieder ähnliche Geschichten ab: Europäische Mächte kamen wohin, wo bereits indigene Gruppen lebten, die hier häufig Landbesitz als Konzept nicht kannten. Daraufhin überzeugten die europäischen Kolonialist*innen die indigenen Menschen, das Land oft für lächerliche Preise zu verkaufen und nahmen dies dann als Grund dafür, die indigenen Menschen von ihrem Land zu vertreiben.
Die König*innen der Kolonien
Natürlich sollte auch der Zusammenhang der Monarchien zum Kolonialismus nicht komplett außen vor gelassen werden. Immerhin war jede einzelne der Kolonialmächte zumindest zu Beginn des Kolonialismus eine Monarchie. Selbst wenn wir bei Kolumbus anfangen, so wurde dieser vom der spanischen Krone gestützt und mit Schiffen versorgt. Grund dafür war das ökonomische Interesse der spanischen Krone, einen besseren und billigeren Zugang zu indischen Gewürzen zu bekommen.
Zumindest, was die Ausbeutung der Kolonialgebiete angeht, spielten die verschiedenen Königshäuser eine große Rolle. Sie wollten die Ressourcen abbauen, um dadurch direkt oder indirekt zu profitieren. Auch verschiedene merkantile Organisationen, wie die EITC standen unter meist unter Befehl des Königshauses ihres Reiches. Egal ob Gold, Gewürze, Biberfell oder Tee – Ressourcen spielten immer eine große Rolle im Kolonialismus und die Königshäuser bauten darauf einen nicht unerheblichen Teil ihres Reichtums auf.
Gleichzeitig brachten ihnen die Kolonialgebiete mehr Land und mehr Ansehen ein. Das bedeutete für sie mehr Untertanen und mehr Gebiete, von denen Steuern verlangt werden konnte – erneut um ihr Reichtum zu sichern.
Nationale Identität und historische Revision
Es sei allerdings gesagt, dass ein Konzept in Bezug auf Land neuer ist, als die Herrschaft von König*innen: Feste Grenzen. Ja, natürlich gab es auch im Mittelalter und vorher eine grobe Vorstellung davon, wo Reiche anfingen und endeten. In manchen Fällen gab es sogar befestigte Grenzen. Doch war dies eher ein Konzept, dass eventuell den Adel, aber nicht das einfache Volk existierte. Dieses hatte keine wirkliche Identität innerhalb eines Reiches, sondern mehr städtische oder dörfliche Identitäten. Auch einen richtigen Bezug zum Königshaus gab es für die wenigsten. Dies war nicht zuletzt ein Grund, warum Monarchien für so lange so stabil waren, obwohl es am Hof Intrigen, Mord und Totschlag gab.
Wirklich ein Konzept von einer weiterreichenden Identität kam erst mit Beginn der Nationalstaaten auf. Wichtig dabei war die Möglichkeit weitreichender Medien (zuerst im Sinne von Printmedien) und auch die verbreitete Zugänglichkeit von Schulen. Gerade letztere waren in Europa, wie eben etwas später auch in Japan, wichtig, um eine nationale Identität zu formen.
Doch mit der nationalen Identität wurde es auch wichtig, eine nationale Geschichte zu haben. Das bedeutete, dass mit der historischen Revision angefangen wurden und dazu gehörte auch eine Mystifizierung der Königshäuser. Immerhin waren diese historisch nicht von der Geschichte des Landes zu trennen. Bei einigen König*innen war es schwer, gute Dinge über sie zu finden, was zentral mit zur Vorstellung von guten und bösen König*innen geführt hat. Es ist derselbe Vorgang, der auch zur Romantisierung des Mittelalters geführt hat.
Alternative Herrschaftskonzepte
Mit König*innen und ihren Reichen sind also einige problematische Vorstellungen verbunden, was jedoch auch die Frage aufbringt, wie man es sonst gestalten sollte. Immerhin waren die meisten historischen Kulturen monarchisch, richtig?
Nun, nicht ganz. Das fängt schon damit an, dass wir wahrscheinlich alle in der Schule gelernt haben sollten, dass sowohl Griechenland als auch Rom eine „Demokratie“ hatten. Dabei ist „Demokratie“ zugegebenermaßen nicht ganz das richtige Wort. Es waren Oligarchien und Plutokratien. Das heißt, es wurde gewählt, jedoch nur zwischen den Leuten, die Land besaßen. Dieses Konzept wurde übrigens auch in den USA für die längste Zeit verwendet. Wirklich demokratisch ist es nicht – aber wenigstens demokratischer als eine Monarchie.
Schauen wir uns jedoch in Kulturen außerhalb Europas um, finden wir einige, die immer schon irgendeine Form von System hatten, das wir als demokratisch bezeichnen können. Mögliche Formen der Führung eines Gebiets können dort sein: Gewählte Vertreter, die Ältesten bestimmter Gruppen als Vertreter, Vertreter für bestimmte Gruppen, die jedoch nur das weitergeben, was die Gruppe selbst abgestimmt hat, oder direkte Selbstregierung durch konkrete gemeinsame Abstimmungen über jedes Vorgehen.
All diese Formen sind nicht erst irgendein neues Konzept, sondern wurden in diversen Kulturen schon vor hunderten, wenn nicht tausenden von Jahren praktiziert.
Land ohne Grenzen
Genau so lohnt es sich in Erinnerung zu rufen, dass feste Grenzen auch eine nationalstaatliche Idee sind. Natürlich gab es in vielen Kulturen grobe Vorstellungen davon, bis wohin sich ein Reich ausbreitete.Ja, sicher hatten auch schon in der Antike die Reiche teilweise befestigte Grenzen, wenn diese besonders stark umkämpft waren, aber an vielen Stellen waren die Grenzen nur grob und meist anhand natürlicher Landmassen definiert. Doch diese Grenzen sind nicht mit heutigen Grenzen zu vergleichen, die klar und fest definiert sind und in den meisten Fällen kulturelle Gemeinschaften umfassen.
Dasselbe lässt sich auch für Kulturen außerhalb von Europa sagen: Manche hatten Grenzen, aber sofern die Kultur auf einer kleinen Insel lebten, so waren diese Grenzen selten fest. Diverse Kulturen hatten gar keine Grenzen, sondern einfach nur Land auf dem sie lebten – wie gesagt, die Vorstellung von Landbesitz war nicht überall verbreitet.
Wie schon gesagt: Die Vorstellung von festen Grenzen, die ein Land, eine Kultur umschließen, ist neu und kam auch in Europa erst mit den Nationalstaaten auf. Davor war allein auf Basis der langsamen Informationsverbreitung es auch nicht möglich, eine weitläufige Kultur aufzubauen. Gemeinschaftliche Kultur existierte somit viel eher innerhalb von Städten oder was wir heute als Landkreise bezeichnen würden. Das gilt übrigens auch für Sprachen, die sich dank der geringen Kommunikation häufig auch zwischen Städten schon massiv unterschieden.
Welten ohne Könige
Die Darstellung von König*innen in der Fantasy hängt eng mit der Romantisierung des Mittelalters zusammen. Mehr aber noch: Sie hinterfragt grundlegende Ideen in Bezug auf König*innen, ihre Herrschaftsansprüche und ihr Herrschaftsgebiet sehr selten. Stattdessen wird gerne eine quasi mythologische Vorstellung von König*innen eingearbeitet.
Es sollte sich allerdings nicht der Vorstellung hingegeben werden, dass Welten, die ohne König*innen auskommen, unrealistisch wären. Historisch gesehen gab es immer wieder Kulturen, die keine Monarchien waren, sondern auf Basis anderer, oft demokratischer oder quasi anarchischer Systeme lebten, die jedoch selten Darstellung in fantastischen Welten finden.
Während, wie immer, wahre König*innen natürlich ihre Existenzberechtigung haben, wäre es schön, mehr Welten zu sehen, die auf anderen Herrschaftsystemen aufbauen. Mehr noch: Es wäre schön, Welten zu sehen, die nicht zwangsläufig moderne, nationalstaatliche Darstellungen in ein fiktives Mittelalter reflektieren.
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