Solarpunk Weltenbau: Die Gesellschaft der Zukunft
Während Solarpunk natürlich ein Science Fiction Genre ist und Technologie, wie ich sie letzten Monat vorgestellt habe, eine wichtige Rolle spielt, so hat Solarpunk auch einen großen Sozialkritischen Aspekt. Solarpunk ist eine post-hierarchische, post-kapitalistische und dekoloniale Gesellschaft. Aber … Was heißt das überhaupt?
Gesellschaft der Zukunft
Wir dürfen uns beim Bau einer Solarpunk-Welt nicht zu sehr auf den technischen Aspekt. Natürlich können wir allerhand coole technologische Weiterentwicklungen haben und die Tatsache, dass eine Solarpunk-Welt auf erneuerbaren Energien aufbaut, ist natürlich im Namen. Dennoch ist die Technologie nicht alles.
Denn letzten Endes strebt Solarpunk an, utopisch zu sein und zu einer Utopie gehört eben mehr als Technologie, die Probleme löst. Zu einer Utopie gehört eben auch der gesellschaftlicher Aspekt. Und ja, die wohl bekannteste Utopie, die wir in unseren Medien kennen, ist Star Trek. Hier wurde immerhin der Kapitalismus abgeschafft und Menschen leben in relativer Freiheit. Auch Ressourcenknappheit existiert nicht länger. Dennoch geht Star Trek aus Solarpunk-Sicht nicht weit genug.
So heißt es in dem Solarpunk-Manifest zum Beispiel: „Beim „Punk“ im Solarpunk geht es um Rebellion, Gegenkultur, Postkapitalismus, Dekolonialismus und Begeisterung.“ Und außerdem: „Eine post-knappe, posthierarchische, postkapitalistische Welt, in der sich die Menschheit als Teil der Natur versteht und saubere Energie fossile Brennstoffe ersetzt.“ Wir halten also zusammen: Die Welt ist post-hierarchisch, post-kapitalistisch und dekolonial. Aber was bedeutet das genau? Wie wirkt sich das auf das Leben der Menschen aus? Wie wirkt es sich auf das soziale Miteinander aus? Wie auf Familien?
Post-hierarchische Gesellschaft
Fangen wir mit der grundlegenden Frage an: Wie sieht eine post-hierarchische Gesellschaft aus? Nun, der erste Ansatz ist recht simpel: Es gibt keinen Kapitalismus mehr und damit auch keinen Klassismus – weil es eben einfach keine Klassen mehr gibt. Damit fällt ein Teil der üblichen gesellschaftlichen Hierarchien schon einmal weg.
Grundlegend ist es außerdem so, dass eine Solarpunk-Gesellschaft wahrscheinlich in irgendeiner Form von Anarchismus lebt. Das heißt, die einzigen Formen von Herrschaft, die erlaubt ist, ist die Herrschaft, der die Betroffenen zugestimmt haben. Bspw. in Form von gewählten Vertretern.
Doch natürlich gibt es eine Vielzahl von anderen Hierarchien in unserer Gesellschaft. Das Patriarchat ist eine Hierarchie, die cis Männer über alle anderen Geschlechter stellt. Rassismus sorgt dafür, dass weiße Menschen über allen anderen stehen. Heteronormativität stellt nicht-queere Menschen über queere Personen. Ableismus stellt behinderte Menschen als Menschen zweiter Klasse dar. Und natürlich steht alles unter den Folgen des Kolonialismus, der bis heute anhält.
Dekoloniale Gesellschaft
Fangen wir mit einer wichtigen Grundlage an: Dekolonialismus. Das auflösen von Hierarchien wird nicht möglich sein, solange nicht dekolonialisiert wird. Immerhin bauen sehr viele Hierarchien auf dem Kolonialismus auf. Rassismus fand im Kolonialismus seinen Ursprung und auch der massive globale Unterschied zwischen dem sogenannten „globalen Süden“ und dem sogenannten „Westen“ ist komplett in Kolonialismus und Neokolonialismus begründet. Das aktuelle kapitalistische Wirtschaftssystem baut zentral darauf auf, dass wir billige Ressourcen (sowohl in Form von physischen Ressourcen, als auch in Form von Arbeitskraft) aus dem globalen Süden bekommen. Nur so ist die aktuelle Konsumkultur des Westens möglich. Und auch innerhalb des Westens gibt es weiterhin Folgen von Kolonialismus: Indigene Menschen müssen weiterhin um ihr Land kämpfen, Schwarze Menschen im speziellen werden weiterhin unterdrückt.
Daher ist Dekolonialisierung ein so zentraler Grundbaustein. Das würde bedeuten:
- Gestohlenes Land wird an diejenigen zurückgegeben, denen es ursprünglich gehörte – das heißt nicht automatisch, das alle anderen von dort fortgeschickt werden, aber dass indigene Stämme wieder das Recht zur Selbstverwaltung bekommen. Dies inkludiert vor allem auch die Erhaltung des Landes selbst.
- Für etwaige Schäden, die durch den Kolonialismus und auch die Sklaverei entstanden sind, werden Ausgleichzahlungen und Reperationen geleistet – entweder an die Nachfahren von Betroffenen oder an Organisationen, die diese vertreten.
- Bodenschätze im globalen Süden gehören den Menschen dort, wer sie will, muss mit diesen Menschen verhandeln. Minen und Landbesitz, die auf Kolonialismus zurückgehen, müssen zurückgegeben werden.
- Die Indigenisierung muss gefördert werden. Das bedeutet unter anderem auch Förderung indigener Kulturen und Rituale und auch speziell der Ausbau indigener Schulen.
Post-Rassistische Gesellschaft
Aus dem Kolonialismus ist vor allem natürlich Rassismus hervorgegangen. Dieser stellt eine Hierarchie zwischen Menschen abhängig von ihrer angenommenen Herkunft, ihrem Aussehen und speziell der Hautfarbe her. In dieser Hierarchie werden weiße Menschen über alle anderen gestellt. Dies diente eben auch als Grundlage, um unter dem Kolonialismus nicht-weiße Kulturen auszubeuten und teilweise sogar auszulöschen. Rassismus ist tief in unserer Gesellschaft verankert – zum Teil in sehr deutlichen Formen, wie physischen, teils tödlichen Angriffen gegenüber BI_PoC (teilweise durch die Polizei), und der deutlichen Diskriminierung von BI_PoC sowohl in der Bildung, als auch im Berufsfeld, zum Teil aber auch eben durch so viele kleine Mikroaggressionen. Beispiele dafür sind eben so Fragen, wie „Von wo bist du?“ oder „Darf ich deine Haare anfassen?“ oder „Kannst du Deutsch?“ und dergleichen. Außerdem ist da natürlich das übliche Vorgehen von weißen Menschen in allen Gesprächen zum Thema sich selbst zu zentrieren. Sobald ein BI_PoC darüber spricht, dass ein weißer Mensch ihr*m gegenüber rassistisch war, zentriert sich die Diskussion schnell darum, dass dem weißen Menschen Rassismus vorgeworfen wurde.
In einer Welt, die post-rassistisch ist, findet so etwas natürlich nicht mehr statt. Eine Grundlage ist, dass aufgrund von Aussehen und Hautfarbe, weder auf psychische oder andere physische Eigenschaften geschlossen wird, noch auf die Herkunft. Gleichzeitig wäre eine solche Welt natürlich kulturell weiterhin divers.
Gleichzeitig wären in so einer Welt Institutionen, die Rassismus aufrecht erhalten, abgeschafft werden. Das schließt unter anderem die Polizei ein. Es sei an dieser Stelle noch einmal betont, dass das Konzept Polizei in erster Linie erschaffen wurde, um zum einen arme Menschen, zum anderen aber auch ethnische Minderheiten zu unterdrücken. In den USA entstand die Polizei aus Gruppen, die entlaufende Sklaven einfingen.
Post-Patriarchale Gesellschaft
Damit kommen wir zu einem weiteren sehr wichtigen Punkt: Das Patriarchat. Dieses ist die Grundlage von einer Menge Unterdrückung auf der Welt – vor allem, da es sich leider auch (nicht zuletzt dank Kolonialisierung) weit verbreitet hat. Das Patriarchat stellt prinzipiell Männer und alles, was gesellschaftlich als männlich kodiert wird, über Frauen, und alles, was gesellschaftlich als weiblich kodiert wird. Erweitert gefasst stellt das Patriarchat um genau zu sein dyacis Männer über alle anderen Geschlechter. Desweiteren werden auch Männer, die traditionellen, oft schädlichen Männlichkeitsbildern entsprechen, über Männer gestellt, die dies weniger tun.
Eine Folge des Patriarchats ist unter anderem eine große Kontrolle über Frauen und andere Geschlechter und speziell über den weiblichen Körper. Dazu gehören das Verbot von Abtreibungen und auch die schwere Zugänglichkeit von Verhütung, sowie die praktische Unmöglichkeit sich als Frau auf eigenen Wunsch sterilisieren lassen zu können. Auch das Verbot und die starke Kontrolle von Sexarbeit fällt mit in diesen Bereich. In einigen Ländern (und historisch gesehen in den meisten Ländern) gehört auch dazu, dass von Frauen im spezifischen erwartet wird nicht zu arbeiten und sich um Kinder zu kümmern, beziehungsweise auch explizit zu heiraten um dann eben solche Kinder zu produzieren.
Dies würde in einer post-hierarchischen und damit post-patriarchalen Welt wegfallen. Abtreibungen wären legal, alle Menschen hätten freien Zugang zu Verhütungsmitteln, freiwillige Sexarbeit wäre legal. Ebenso könnten Frauen beliebigen Karrieren (oder eben auch keinen) nachgehen. Auch Männer hätten die Freiheit ihre Männlichkeit nach belieben auszuleben.
Außerdem gäbe es nicht länger die so genannte Rape Culture. Vergewaltigungen würden als das, was sie sind, klar benannt und gesellschaftlich nicht geduldet. Witze und übergriffiges Verhalten wären nicht länger normalisiert.
Post-Heteronormative Gesellschaft
Kommen wir zu einem anderen Teil, der zu einem nicht unerheblichen Anteil aus dem Patriarchat hervorgeht: Cisheteronormativität. (Weiter gefasst natürlich auch Dya- und Allonormativität.) Sprich: Die grundlegende Annahme und Erwartung, das alle Menschen, wenn nicht weiter geklärt, alle cis, hetero, dya und allo sind – weiter mit der Unterdrückung von Menschen einhergehend, die dies nicht sind. Auch dies ist eine unnatürliche Hierarchie, die zwischen nicht-queeren und queeren Menschen geschaffen wird.
Dazu gehört, dass Menschen beim Treffen ein Geschlecht direkt nach Aussehen zugeordnet wird, dass prinzipiell eine heterosexuelle und allosexuelle Orientierung angenommen wird, dass Eltern enttäuscht sind, wenn das Kind sich als queer outet, dass es in vielen Ländern noch immer unter Strafe steht, queer zu sein, dass in vielen Ländern queere Menschen nicht heiraten und nicht adoptieren dürfen, und dass Transitionen nach eigenem Wunsch nicht oder nur eingeschränkt oder nur nach einem Spießrutenlauf durch die Psychiatrie möglich sind. Von der mangelnden Aufklärung und Repräsentation einmal ganz zu schweigen.
Auch das wäre in einer post-heteronormativen Welt nicht so. Prinzipiell würde bei einem Treffen weder direkt ein Geschlecht angenommen, noch eine sexuelle Orientierung. Es wäre normalisiert nicht allohetero zu sein, genau so, wie das Vorstellen mit Pronomen normalisiert wäre. Erwachsene Menschen dürften untereinander heiraten, wie auch immer sie wollten, solange alle Beteiligten damit einverstanden wären. Trans Menschen könnten ihr Geschlecht und ihren Namen frei ändern lassen und hätten auch ohne großen Aufwand zugriff auf die notwendige Versorgung.
Und natürlich wäre die Welt allgemein sexpositiver, da dies praktisch Automatisch mit einer Abwendung von Patriarchat und Heteronormativität einherginge.
Post-Ableistische Gesellschaft
Und dann gibt es den Bereich, der natürlich sehr gerne übersehen wird: Ableismus. Dieser stellt ablebodied Menschen über behinderte und chronisch kranke Menschen – wobei zu den Behinderungen sowohl körperliche Sachen wie Blindheit, Taubheit oder Lähmung gehören, als auch Neurodivergenzen, wie Autismus oder ADHS. Auch diese Form von Unterdrückung zeigt sich in verschiedenen Aspekten. Wieder stehen auf der einen Seite offene Angriffe und Benachteiligungen (bspw. schlechtere Chancen gut bezahlte Jobs zu finden). Die andere Seite ist bei Ableismus allerdings ein wenig anders: Nämlich die Tatsache, dass die Gesellschaft auf ablebodied Menschen ausgelegt ist. Viele Gebäude sind für Menschen mit Gehbehinderung schwer zugänglich, wenige Dinge werden für blinde Menschen bspw. durch Braille zugänglich gemacht, auch Möglichkeiten für Hörgeschädigte sind eingeschränkt, bspw. weil es keine Gebärdensprachenübersetzer gibt oder keine Untertitel, und auch Menschen mit Autismus und ADHS sind von vielen Veranstaltungen ausgeschlossen, indem es unter anderem keine ruhigen Rückzugsorte gibt. Außerdem ist da unter dem Kapitalismus der genaue Leistungsdruck, der bereits in der Schule anfängt, der vorschreibt wer was, wie viel und wie lange zu können hat – inklusive Abstrafungen, wenn man diese Leistungen nicht so bringen kann. Sei es durch schlechte Noten oder dadurch, dass man selbst als „erfolgreicher“ Behinderter oft weniger Geld hat, da viele behinderte und chronisch kranke Menschen nicht Vollzeit arbeiten können.
Genau da setzt auch der wichtigste Punkt einer post-ableistischen Welt an: Es wird Accessibility geschaffen. Das heißt: Gebäude und Veranstaltungen sind mit Rollstuhl und Gehhilfe problemlos betretbar. Braille gibt es überall. Gebärdensprache ist viel weiter verbreitet, so dass sich viele Menschen mit tauben Menschen unterhalten können. Es gibt überall Rückzugsmöglichkeiten. Es wird sich bemüht Veranstaltungen etwas ruhiger zu gestalten – und speziell Umfelder wie Läden und Schulen auch für neurodivergente Menschen angenehmer zu machen. Menschen sind auch nicht immer zu Sachen wie Telefonaten gezwungen. Homeoffice ist weit verbreitet. Generell gibt es in der Gesellschaft weniger Leistungsdruck. Das gilt auch in der Schule. (Mehr zum Thema Solarpunk-Schulen gibt es nächsten Monat.)
Übrigens sei, weil Solarpunk Science Fiction ist, noch eins gesagt: Es ist nicht unbedingt eine Utopie, wenn man sagt „Es gibt keine Behinderungen mehr, weil das ist alles heilbar!“ Ja, es gibt behinderte Menschen, die „geheilt“ werden wollen (wobei bei vielen Behinderungen „heilen“ letzten Endes „der Mehrheit anpassen“ bedeutet), aber genau so gibt es behinderte Menschen, die dies nicht wünschen. Eine Welt zu schaffen, in der Behinderungen „ausgelöscht“ werden – selbst wenn dies durch „Heilung“ statt durch Tötung passiert – ist letzten Endes durchaus eugenisch. Das heißt: Heilung in diesen Welten als Möglichkeit bieten ist in Ordnung. Aber am Ende sollte die Entscheidung bei der betroffenen Person liegen und nicht verurteilt werden, egal wie sie ausfällt.
Kooperation statt Wettbewerb
Abseits der post-hierarchischen Systeme findet sich auch eine andere große Veränderung durch die Abwendung vom Kapitalismus. Der Kapitalismus baut stark auf Wettbewerbsdenken auf, das jeden gegen jeden in den Ring zwingt. Das fängt bereits häufig in der Schule schon an. Genau das führt eben auch zu dem Denken, das viele Neoliberale zeigen: „Wenn ich etwas nicht haben kann, dann soll es niemand haben.“ Das sehen wir bspw. in den USA in der Diskussion darum, ob die Studentenschulden vergeben werden sollen. Weitergehend entwickelt sich daraus auch ein stark individualistisches Denken, dass eigene Interessen über die Interessen aller anderen stellt. „Ich will keine Maske tragen, auch wenn es mich und andere schützt, weil mir ist es unangenehm“ und „Ich will nicht geimpft werden, weil ich brauche das nicht“ und „Ich will aber mit dem SUV fahren, mir egal, was mit Kindern und Umwelt ist“ sind halt eine Folge dieses Denkens.
Dies lehnt Solarpunk – und auch der Anarchismus im weiteren Sinne – ab. Hier wird eher ein Miteinander und eine Kooperation in den Mittelpunkt gerückt. Obwohl jeder einzelne die Möglichkeit haben soll, sich frei zu entfalten (und unter Kommunismus auch mehr Gelegenheiten dazu bekommt), so wird eben auch immer Rücksicht auf andere und die Gemeinschaft genommen. Statt einem „Jeder gegen jeden“ Denken wird ein Denken von „Alle ziehen am selben Strang“ gefördert.
Dies reduziert auch den Druck auf den Einzelnen, bestimmte Dinge erfüllen zu müssen und permanent leisten zu müssen. Denn in einer Kooperation ist es problemlos möglich, dass auch einmal jemand anderes übernimmt und aushilft – das gilt für alle Bereiche des Lebens.
Kommunales Leben
Ein wichtiger Aspekt, der sich durch viele Solarpunk-Welten zieht, ist der Aspekt des kommunalen Lebens. Das heißt, dass die Gesellschaft ein wenig in Kommunen unterteilt ist – meistens auf Nachbarschaftsbasis. Etwas, das natürlich nur funktioniert, wenn das Wohnsystem gegenüber unserer Welt massiv überarbeitet wird und Leute weit mehr Freiheit dahingehend haben, wo und in welcher Nachbarschaft sie wohnen wollen. Was jetzt als eine Kommune gilt, ist recht unterschiedlich, jedoch übersteigen diese Kommunen in der Größe selten 300 Menschen.
Ziel dabei ist eben, wieder Nachbarschaftsverhältnisse zu schaffen und kooperativ miteinander zu leben. Das heißt, es wird normalisiert, um Hilfe zu fragen und einander zu helfen – eben auch in Form von Mutual Aid. Prinzipiell sollte das Ziel sein, dass man in einer Solarpunk-Welt auch seine Nachbar*innen kennt. Städte sollten nicht länger komplett anonym sein, Dörfer natürlich genau so wenig.
Auch innerhalb der Kommunen, die wie gesagt Straßen oder ähnliche Gemeinschaften von bis zu 300 Menschen sein können, arbeitet man zusammen. Es gibt wahrscheinlich irgendwelche Kommunalen Projekte, die gemeinschaftlich – jeder, wie si*er kann – durchgeführt werden. Das können Sachen wie ein kommunaler Garten sein, vielleicht ein kommunales Café oder eine kommunale Küche ganz allgemein …
Mutual Aid
Was sich daraus ergibt, ist eben, dass die Welt rund um Mutual Aid aufgebaut wird. Dieses Konzept kommt ursprünglich aus dem Anarchismus, gilt allerdings auch als eins der Standbeine von Solarpunk. Mutual Aid, also gegenseitige Hilfe, ist genau das, wonach es klingt: Die Gesellschaft ist darum aufgebaut, sich gegenseitig zu helfen, soweit es möglich ist. Dabei gilt derselbe Grundsatz, den wir auch im Kommunismus finden: „Jeder so viel, wie er kann, jedem so viel, wie er braucht.“ Das heißt, man soll nicht mehr leisten, als man (gesund) leisten kann, aber man soll auch nicht weniger bekommen, als man braucht.
Diese Hilfe kann auf unterschiedliche Arten stattfinden. Zum einen über Aufgaben, die für die Gemeinschaft erfüllt werden. Das kann beispielsweise die Arbeit in Gemeinschaftsgärten stattfinden, über Reparaturen an gemeinschaftlichen Gebäuden oder Arbeit in der Gemeinschaftsküche. Zum anderen natürlich aber auch Aufgaben für einzelne Personen zu erfüllen, wie zum Beispiel Reparaturen für sie durchzuführen (bspw. an Kleidung oder Fahrrad) oder für sie zu Nähen.
Wichtig dabei ist eben, dass diese Hilfe kein Tauschgeschäft ist. Also kein: „Ich mache das für dich, wenn du für mich dies machst.“ Stattdessen bieten alle in der Gemeinschaft die Hilfe an, die sie eben leisten können, komplett unabhängig ob di*er Geholfene am Ende selbst etwas als Gegenleistung bringen kann. Denn wie gesagt: Eine Solarpunk-Gesellschaft sollte offen für Menschen mit chronischen Krankheiten und Behinderungen sein, die weniger leisten können.
Familienleben
An dieser Stelle wäre es allerdings noch einmal an der Zeit, über eine bestimmte Einheit der Gesellschaft zu sprechen: Die Familie. Denn wenn wir von Familie sprechen, dann haben wir heutzutage meistens ein bestimmtes Bild im Kopf – selbst, wenn gerade die queere Gemeinschaft dies natürlich etwas aufweicht: Vater, Mutter, ein bis drei Kinder. Allerdings war das lange nicht das Familienbild der Gesellschaft.
Das Entstehen des modernen Familienbildes
Eine Sache, die viele Leute überraschen wird: „Familie“ sah lange Zeit nicht so aus, wie wir es heute kennen. Selbst in Europa nicht. Denn auch in Europa war es die längste Zeit Tradition, dass Familie weit mehr umfasste, als einfach nur die Eltern und Kinder. Großeltern lebten üblicherweise mit im Haus. War das Haus groß genug, dann lebten auch häufig Onkel und Tanten mit im Haus – inklusive ihrer Kinder. War die Familie reich genug, dann gab es häufig auch Angestellte im Haushalt, die ebenfalls als Teil der Familie gehandhabt wurden. Dies hatte den Vorteil, dass diverse Aufgaben im Haushalt – von der Kindererziehung bis zur Pflege – unter den Familienmitgliedern aufgeteilt werden konnte.
Dies änderte sich allerdings mit dem Aufkommen von Renten, die es alten Menschen erlaubten, auch einen eigenen Haushalt zu führen. So kam es, dass alte Menschen häufiger allein lebten und gleichzeitig das Bild der nuklearen Familie weiter verbreitet und durch Medien normalisiert wurde. Auf einmal galt es als sehr normal, eben in dieser Vater-Mutter-Kind Konstellation zu leben und ältere Familienmitglieder, sollten sie pflegebedürftig werden, ins Pflegeheim zu geben. So entstand das moderne Familienverständnis.
Es sei interessanterweise dazu gesagt, dass sich dies aktuell ändert. Zum einen natürlich wegen dem angesprochenen Einfluss der queeren Gemeinschaft, zum anderen aber auch, weil die Mieten es aktuell unrealistisch machen. Rente reicht vielerorts nicht mehr aus, um davon allein zu leben – und auch viele junge Menschen haben nicht das Geld, um von Zuhause auszuziehen. So werden Mehrgenerationenhaushalte üblicher, genauso wie ein Zusammenleben mehrerer Familien, die sich aus Kostengründen gemeinsam ein Haus teilen.
Diese finanzielle Begründung würde natürlich in einer Solarpunk-Welt dennoch wegfallen …
Alternative Familienmodelle
Aber gut, dann stellen wir uns die Frage: Wie sieht eine Familie in einer Solarpunk-Welt aus? Gibt es dann wieder mehr Mehrgenerationenhaushalte? Die Sache ist: Das kommt ein wenig darauf an, ob dies auch gut für alle beteiligten Menschen ist. Wir dürfen nicht vergessen, dass in der heutigen Zeit – während auch mehr Leute aus Kostengründen wieder zu ihren Eltern ziehen – mehr und mehr komplett den Kontakt zur Familie abbrechen, eben weil deren toxische und konservative Einstellungen der Psyche der Kinder schaden.
Dennoch denke ich, dass sich das Familienbild in einer Solarpunk-Welt verändern wird – weg von dem nuklearen Gebilde, das wir heute kennen. Und damit meine ich nicht, dass statt Vater-Mutter-Kind auch Vater-Vater-Kind, Mutter-Mutter-Kind oder Mutter-Elter-Kind Kombinationen stattfinden, selbst wenn dies sicherlich auch zutreffen wird, sondern auch, dass eine „Family of Choice“, also eine Wahlfamilie einen größeren Aspekt spielen wird. Die Folge wird sein, dass sich mehr gewählte Gemeinschaften finden, die als Familie zusammenleben und in dieser Familienkonstellation verschiedene Aufgaben übernehmen.
Generell wird das Familienbild offener sein, als es das zur heutigen Zeit ist. Es wird wahrscheinlich einfach allgemein mehr Umfassen, als es das heute ist. Und vor allem wird niemand mehr ein Kind mit zwei Müttern „Aber wo ist dein Vater?“ fragen.
Es braucht ein Dorf …
„Es braucht ein Dorf, um ein Kind großzuziehen“, das ist die europäische Abwandlung eines afrikanischen Sprichworts. Genau das, so denke ich, wird auch eine größere Rolle in einer Solarpunk-Gesellschaft spielen, ganz automatisch dadurch, dass die Menschen in enger verstrickten Gemeinschaften leben. In unserer aktuellen, modernen Gemeinschaft, sind Nachbarschaften oftmals sehr anonym. Vielleicht kennt man noch Menschen, die in einem Mehrfamilienhaus mit einem auf derselben Etage leben, doch darüber hinaus? Selten.
Wie gesagt: Eine Solarpunk-Gesellschaft wird sich wahrscheinlich in irgendeiner Form in Kommunen und Nachbarschaften aufteilen, die sehr damit arbeiten, einander zu unterstützen. Und genau so kommt es auch, dass die Kinder in einer Solarpunk-Welt wesentlich mehr Beziehungen zu anderen Menschen aufbauen können. Auch gibt es eben mehr Möglichkeiten, die vielleicht in der Nachbarschaft einmal Kinder betreuen können.
In vielen indigenen Kulturen war es so, dass tatsächlich das ganze Dorf gemeinschaftlich die Kinder großgezogen hat und dies eine Aufgabe war, die weniger zentral mit den biologischen Eltern zusammenhing. Während ich es für durchaus wahrscheinlich halte, dass in einer Solarpunk-Gesellschaft Kinder durchaus eine Familie haben, halte ich es auch für gut und wichtig, dass sie darüber hinaus ebenfalls Bezugspersonen haben.
Fazit
Ein wichtiger Aspekt bei der Umstellung der Gesellschaft für eine Solarpunk-Zukunft, wäre sich über bestehende Hierarchie-Strukturen hinwegzusetzen, die zur Zeit bestehen. Das bedeutet ein Ende des Patriarchats, der Cisheteronormativität, des Rassismus und des Ableismus, sowie eine komplette Dekolonialisierung der Welt. Und natürlich sollten indigene Gruppen bei der Indigenisierung ihrer Kulturen unterstützt werden. Hierfür wird sehr viel Arbeit und sehr viel Aufklärung notwendig sein.
Generell scheint es in der Solarpunk-Community sehr angenommen zu sein, dass die Gesellschaft sich in irgendeiner Form in Kommunen und Nachbarschaften aufteilen wird. Das heißt Menschen haben wesentlich mehr Kontakt zu den Menschen in ihrer Nachbarschaft, entscheiden innerhalb von dieser über Dinge, die sie gemeinsam betrifft, und helfen einander gegenseitig.
Auch die Familie wird sich verändern. Familien werden nicht länger komplett nuklear sein, sondern sowohl in Richtung queerer Familienmodelle aufgeweicht, als auch dahingehend, dass Mitglieder einer Wahlfamilie tatsächlich Teil des Familienbildes sein werden. Auch ist die Verantwortung für die Betreuung und Erziehung der Kinder nicht mehr nur allein bei den Eltern. Stattdessen ist dies eine Aufgabe der Gemeinschaft.
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Das Beitragsbild stammt von Unsplash.