Solarpunk-Weltenbau: Die Arbeit der Zukunft

Lasst uns heute in Bezug auf den Solarpunk-Weltenbau über einen Aspekt sprechen, der gleichzeitig wichtig ist, aber für viele auch schwer vorstellbar: Arbeit und wie sie in einer besseren Gesellschaft aussehen könnte.

Arbeit, Arbeit

„Arbeit ist das halbe Leben“ heißt es oft. Allerdings fühlt sich das beinahe falsch an, denn in der heutigen Gesellschaft arbeiten wir acht Stunden am Tag, schlafen acht Stunden. Normal ließe das acht Stunden für Freizeit – wäre da nicht die Tatsache, dass man auch noch von und zur Arbeit fahren um den Haushalt kümmern müsste. Das Wochenende wird oft so von der Erholung selbst vereinnahmt, dass man auch hier wenig Freizeit in dem Sinne hat.

Gleichzeitig ist es jedoch so, dass dieser Zustand so in unseren Köpfen verfestigt hat, dass wir uns etwas anderes kaum vorstellen können. Ich habe mehrere Umfragen auf Social Media zu diesem Thema gemacht – und für mich war das Ergebnis ernüchternd. Denn vielen war es unmöglich, sich etwas anderes, als das aktuelle von Arbeitgebern beherrschte Leben vorzustellen.

Dabei sind viele Vorstellungen, die wir über die Arbeit haben schlicht und ergreifend falsch. Eine Erfindung des Kapitalismus mit dem Ziel, eben diesen Aufrecht zu erhalten. Weil diese Vorstellungen jedoch so tiefgreifend verankert sind, sieht dieser Beitrag etwas anders aus als die anderen Solarpunk-Weltenbau Beiträge. Denn heute erkläre ich euch erst einmal, was an unseren Vorstellungen falsch ist.

Eine falsche Vorstellung der Vergangenheit

Das ganze fängt mit unserer Vorstellung der Vergangenheit an. Wie oft habt ihr schon so etwas gehört, wie: „Wenn du dich über die Arbeit heute beschwerst, sei froh, dass du nicht im Mittelalter gelebt hast! Da haben die Leute doppelt so viel gearbeitet und es war harte Knochenarbeit!“ Aber genau das ist eine Lüge.

Natürlich ist es schwer nachzuvollziehen, wie viel die Leute zu bestimmten Zeiten genau gearbeitet haben, aber wir können uns daran orientieren, wie viel die Leute, die in ähnlichen Gesellschaften, die heute existieren, arbeiten. Denn auch heute gibt es Kulturen, die auf reiner Agrarbasis leben. Genau so, wie es bis heute Jäger und Sammler Kulturen gibt. Was wir darüber wissen: Jäger und Sammler arbeiten in etwa 20-Stunden-Wochen. Menschen in einfachen Agrarkulturen etwa 30-Stunden-Wochen. Unterschied ist, dass diese Arbeit etwas ungleichmäßig über das Jahr verteilt wird – mit mehr Arbeit zu Ernte und Aussaat, dafür weniger Arbeit dazwischen.

Die einzige Zeit, in der Menschen deutlich mehr gearbeitet haben, als zur heutigen Zeit, war in der Anfangszeit des Kapitalismus, insbesondere zu Beginn der industriellen Revolution. Denn der Kapitalismus führte ein Leben ein, wo Arbeit nicht länger nur eine Form der Erhaltung der Gesellschaft war, sondern speziell dazu diente, die wenigen zu bereichern. Es folgten teilweise 100-Stunden-Wochen unter schlechter Bezahlung, ehe Arbeiterrevolutionen Schutzgesetze durchsetzten und damit bspw. die 40-Stunden-Woche.

Die Realität der Arbeit

An dieser Stelle kommt eine für viele nur hart zu schluckende Pille: Die meiste Arbeit, die in unserer modernen Gesellschaft verrichtet wird, hat keinen gesellschaftlichen Mehrwert. Tatsächlich dient sie nur dazu, Geld für etwaige Firmenbesitzer zu erschaffen. Der Gesellschaft dient sie jedoch nicht.

Der Anthropologe David Graeber brachte 2018 das Buch „Bullshit Jobs: A Theory“ heraus. Darin unterscheidet er den Arbeitsmarkt in „Shit Jobs“ und „Bullshit Jobs“. Diese definierte er wie folgt.

Bullshit Jobs sind Jobs, die für die Gesellschaft als ganzes unnütz sind, jedoch gut bezahlt werden. Praktisch alle Bürojobs gehören dazu. Es hat keinen gesellschaftlichen Mehrwert, eine Webseite zu programmieren, Telefone zu beantworten, Verträge zu verkaufen, Lobbyarbeit für etwaige Firmen der Art zu betreiben oder Arbeit dieser Art zu verteilen. Diese Jobs werden oft des guten Gehalts wegen angenommen, aber viele Menschen in diesen Jobs fühlen sich eigentlich unwohl, weil der Job sie nicht erfüllt.

Shit Jobs sind derweil Jobs, die gesellschaftlichen Mehrwert haben, jedoch selten gut bezahlt werden. Dazu seien Landwirt*innen genannt, Pflegepersonal, Lehrer*innen, Handwerker*innen und andere Jobs dieser Art. Diese sind in sich oft erfüllend, jedoch oft schlecht bezahlt und haben geringes gesellschaftliches Ansehen, was die Arbeiter*innen in diesen Bereichen oft ins Burn Out treibt.

Graeber baut diese Beobachtung auch auf den Vorhersagen von Keynes aus 1930 auf, als dieser prophezeite, dass wir auf der Basis der zunehmenden Automation irgendwann nur noch 15 oder 20 Stunden in der Woche arbeiten müssten. Graeber argumentiert dazu, dass dies realistisch auch nur nötig wäre – jedoch die Aufrechterhaltung des Kapitalismus, sowie dessen Drang zum stetigen Wachstum dazu geführt haben, dass stattdessen Bullshitjobs geschaffen wurden.

Die Jobs der Zukunft

Nun, wo wir das etabliert haben, sprechen wir über die Jobs, die es in einer Solarpunk-Zukunft wirklich braucht:

  • Medizinisches Personal
  • Pflegepersonal
  • Lehrer*innen
  • Menschen, die in der Lebensmittelindustrie arbeiten (sowohl Agrarwirtschaftlich, als auch in der Verarbeitung)
  • Handwerker*innen
  • Ingenieur*innen
  • Künstler*innen

In einer Solarpunk-Zukunft gibt es keinen Kapitalismus mehr, das heißt kein vermeintlich endloses Wachstum. Das heißt alle Jobs, die nur diesem endlosen Wachstum zuarbeiten, fallen komplett weg. Stattdessen bekommen die von Graeber so genannten „Shit Jobs“ mehr Aufmerksamkeit und Ansehen. Und wir brauchen mehr Menschen, in diesen Jobs. Wir haben aktuell zu wenig medizinisches Personal, zu wenig Pflegepersonal. Also können wir hier aufstocken. In diesen Bereich fallen übrigens auch Hebammen, von denen es heute eindeutig zu wenig gibt! Da wir – wie letzten Monat besprochen – kleinere Klassen in Schulen anstreben, brauchen wir auch deutlich mehr Lehrer*innen.

Im Lebensmittelbereich ist es fraglich, wie viele Jobs wir dort brauchen, denn das ist ein Bereich, den wir tatsächlich sehr gut automatisieren können. Die Teile, die sich nicht automatisieren lassen, sollten jedoch menschenwürdiger aufgebaut sein, als sie es heute sind. Und natürlich ist die Frage, inwieweit es überhaupt eine große Lebensmittelindustrie gibt, statt vieler weniger automatisierter, dezentraler Gärten. (Dazu im August mehr.)

Handwerker*innen und Ingenieur*innen braucht weiterhin. Häuser bauen sich nicht von allein. Fortbewegungsmittel und ihre Infrastruktur natürlich auch nicht. Wir wollen außerdem so nachhaltig wie möglich leben – also braucht es beständige Innovation. In diesen technischen Bereich fallen natürlich durchaus auch Jobs, die mit Computern arbeiten. Denn ja, die Solarpunk-Zukunft wird weiterhin Internet als Mittel haben, Wissen und Kunst auszutauschen. Natürlich gehören zur Infrastruktur auch Jobs, die diese fortbewegen, sofern wir dies nicht komplett automatisieren können.

Der letzte Bereich wird gern übersehen. Aber: Wir brauchen Kunst. Der Mensch braucht Kunst. Kunst hilft unserer Psyche. Und deswegen braucht es auch Künstler*innen. Der Kapitalismus hat für die meiste Kunst wenig Platz – eine post-kapitalistische Welt würde diesen Platz jedoch schaffen.

Und natürlich gäbe es eben auch Forscher*innen, die um des Wissens wegen Forschen.

Die Arbeit der Zukunft

Wir stellen also fest: Viele Jobs, die heute zum Leben dazu gehören, würden in einer post-kapitalistischen Solarpunk-Zukunft wegfallen. Aktuell machen „Bullshit Jobs“ knapp die Hälfte des gesamten Arbeitsvolumens aus. Viele der Arbeitenden aus diesen Berufen würden daher in die anderen, genannten Jobs hineinrutschen und dort die Arbeitslast teilen, was direkt weniger Stunden bedeuten würde. Dies verstärkt sich noch einmal dadurch, dass wir eben bestimmte Berufe sehr gut automatisieren können, um die Arbeitslast zu nehmen.

Anders gesagt: In einer post-kapitalistischen Solarpunk Zukunft würden Menschen weniger arbeiten. Wahrscheinlich 20 bis 25 Stunden die Woche – etwaige Berechnungen unterscheiden sich hier je nach Grundannahmen. Sprich: Nicht ganz die 15 Stunden, die Keynes vorhersagte, doch weitaus näher dran, als die Bullshit-Job getriebene Gesellschaft von heute.

Da die meisten Jobs in dieser Gesellschaft eben auch einen gesellschaftlichen Mehrwert erzielen, ist die Arbeit für den Geist weniger sinnlos und erfüllender. Umso mehr, da viele der bleibenden Berufe auf Teamarbeit aufbauen, was für unser soziales Gehirn in vielen Fällen positiv wäre. (Dies sollte allerdings nicht heißen, dass es nicht eben auch Arbeitsmöglichkeiten für die Leute, die weniger sozial und arbeitswillig sind, geschaffen werden sollten.

Wechselnde Jobs

Es gibt allerdings noch eine andere Sache, die in unserer aktuellen Welt nicht so gut läuft, in Bezug auf die Arbeit. Denn in der Regel erwarten wir von 18Jährigen, dass sie sich bereits für den Beruf entscheiden, den sie für den Rest ihres Lebens ausführen sollen. Das ist schlecht – aus mehreren Gründen. Zum einen: 18Jährige können das oft noch nicht sagen. Zum zweiten: Denselben Beruf ein ganzes Leben ausführen ist häufig anstrengend. Zum dritten: Aktuell ist es für viele finanziell nicht möglich, den Beruf zu wechseln.

In einer besseren Welt, also in unserer utopischen Solarpunk-Zukunft, wäre es möglich, den Beruf zu wechseln, wenn einem der aktuelle Beruf keine Erfüllung mehr gibt oder man eine neue Leidenschaft entdeckt. Niemand sollte aus finanziellen Gründen in einem Job gehalten werden, der sie*ihn depressiv macht. Es wäre entsprechend auch durchaus wahrscheinlich, dass es in einer solchen Welt weit aus normaler ist, den Beruf mehrfach im Leben zu wechseln.

Die Sache mit der Ausbildung

Wo wir schon bei der Sache mit „Dingen, die wir von 18Jährigen erwarten“ sind: Letzten Monat habe ich über die Universität der Zukunft gesprochen. Aber natürlich gehört zur Berufsvorbereitung auch etwas anderes: Ausbildungen. Es gibt sie nicht überall auf der Welt, aber gerade in Europa sind sie recht häufig. Auch wenn ich der Meinung bin, dass in einer utopischen Welt jedem akademische Bildung ermöglicht werden sollte, der sich möchte, so ist das eben der springende Punkt: Nicht jeder hat Bock auf ein Studium. Man kann eben auch Gärtner*in sein, ohne Botaniker*in zu sein.

Allerdings läuft auch im gegenwärtigen Ausbildungssystem einiges schief. Braucht es wirklich drei Jahre für eine Ausbildung? Ich lehne mich aus dem Fenster und sage: Eher nicht. Letzten Endes hat man die Grundlagen in den meisten Berufen recht schnell raus – der Rest ist dann der lange Pfad zur Perfektion.

Ich möchte an dieser Stelle nicht über das für und wider einer geldbasierten Ökonomie sprechen (dazu kommen wir erst im September), weshalb ich erst einmal von einer geldbasierten Welt ausgehen. Und in diesem Fall sei gesagt: Auch Auszubildende verdienen ein gutes Gehalt. Ein System, wie es jetzt existiert, in dem Azubis so wenig Geld bekommen, dass sie oftmals bei ihren Eltern leben müssen, sollte nicht der Sinn und Zweck sein.

Nicht jeder muss arbeiten

Kommen wir zu dem kontroversesten Punkt in diesem Essay: Nicht jeder Mensch kann oder möchte arbeiten. Sei es, weil man auf Basis von körperlichen oder psychischen Krankheiten oder Behinderungen nicht arbeiten kann, oder weil man es einfach nicht möchte. Und in diesem Fall sollte es absolut in Ordnung sein, dass man es eben nicht tut.

Zumal es eine Lüge ist, dass Menschen, die nicht arbeiten „nichts“ tun. Die meisten Menschen tun etwas – nur eben nicht zwangsweise etwas, das von der (aktuellen) Gesellschaft als Arbeit anerkannt wird. Man denke hier an das Klischee der Hausfrau und Mutter. Arbeitet diese etwa nicht?

Natürlich mag ich mich hier auch selbst inkludieren: Ich bin aktuell arbeitssuchend. Allerdings schreibe ich aktuell an mehreren Projekten, von denen ich eins sogar kostenlos zur Verfügung stelle, und arbeite außerdem an diesem Weblog. Die Gesellschaft sagt nun: „Das ist ein Hobby.“ Aber mal ehrlich: Ist es keine Arbeit. (An dieser Stelle möchte ich einfach noch einmal auffordern: Unterstützt mich auf Patreon oder Ko-Fi!)

Arbeit, weil man möchte

Die Moral sollte folgende sein: Genau die Arbeit, die in der Gesellschaft am meisten gebraucht wird, ist letzten Endes auch die, die für die Arbeitenden am meisten intrinsisch motivierend ist. In einer Solarpunk-Welt sollte diese, zusammen mit kreativer Arbeit, den größten Teil der Arbeit ausmachen. Dabei sollte es Leuten ermöglicht werden, die Arbeit auszuführen, die sie selbst arbeiten wollen – dafür sollten auch Hürden zum Einstieg in bestimmte Berufe gesenkt werden. Denn hier ist die Tatsache: Wenn jemand einen Beruf ausüben möchte und motiviert ist, dann ist das letzten Endes oftmals mehr wert, als ein bestimmtes Studium. Es sollte dabei auch möglich sein, dass man eben auch in der Karriere möglichst niedrigschwellig den Beruf wechseln kann. Auch hier müssen die Hürden dringend abgebaut werden.

Darüber hinaus ist es so, dass die Leute aktuell weit, weit mehr arbeiten, als es eigentlich notwendig ist. Grund dafür ist, dass wir aktuell größtenteils arbeiten, um Gewinn für Firmen (und das bedeutet vor allem für Shareholder) zu erwirtschaften. Dies wäre in einer post-kapitalistischen Solarpunk-Welt nicht notwendig – entsprechend müssten die Leute weniger arbeiten. 20 bis 25 Stunden wären wahrscheinlich realistisch.

Zuletzt sollte auch eine Sache deutlich gemacht werden: Wenn jemand wirklich, wirklich nicht arbeiten will, dann sollte diese Person auch nicht dazu gezwungen werden. Jemanden auf einer Arbeit zu haben, die si*er nicht verrichten will, ist kein Gewinn für irgendjemanden.


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