Problematik Geschichtsunterricht
Heute habe ich wieder ein etwas ungewöhnlicheres Thema für euch. Denn heute möchte ich mit euch über Schule sprechen und im spezielle über Schulbildung in Deutschland. Nicht allgemein, sondern über ein ganz bestimmtes Fach: Geschichte.
Das Geschichtsunterrichtsklischee
Es ist ein Klischee, das man immer wieder in Büchern und Filmen sieht: Die Schüler*innen verschlafen den Geschichtsunterricht komplett, während ein alter Professor über Jahreszahlen und Namen monologisiert. Solche Klischees kommen allerdings nicht aus dem Nichts, sondern haben meistens irgendwo eine Quelle in der Realität. Umso mehr, wenn ein solches Klischee über Ländergrenzen hinweg verbreitet ist und sich in Deutschland genau so findet, wie im Vereinigten Königreich oder den USA.
Tatsächlich ist Geschichte bei einigen Schüler*innen verhasst und vor allem kaum geliebt. Denn während sich an Fächern, wie Mathe und Englisch die Geister scheiden, geben nur wenige Geschichte als ihr Lieblingsfach an. Irgendetwas läuft da offenbar falsch, die Frage ist nur was.
Um der Frage auf den Grund zu gehen, habe ich auf Twitter eine Umfrage gestartet. Ich habe Leute gefragt, was sie an ihrem Geschichtsunterricht mochten, was sie nicht mochten und was sie sich vom Fach gewünscht hätten. Selbst wenn diese Umfrage aufgrund des Selection Bias vielleicht nicht repräsentativ ist, so haben sich doch einige Themen immer wieder herauskristallisiert.
Die Lehrkräfte
Fangen wir vielleicht mit dem Thema an, dass am wenigsten systemisch ist, aber halt doch immer wieder entscheidend ist, sind die Lehrkräfte. Gute Lehrkräfte können eine Begeisterung für Geschichte wecken, schlechte Lehrkräfte schrecken eher ab. Wobei bei diesen immer wieder auch mit hineinspielte, inwieweit sich Lehrkräfte auf die inhaltlichen Punkte versteift haben.
Viele der Antwortenden, die ein Problem mit den Lehrkräften hatten, hatten solche, die bspw. einen sehr trockenen, sehr auf Jahreszahlen bezogenen Geschichtsunterricht geboten haben, während diejenigen, die ihre Lehrkräfte positiv nannten, solche hatten, die interaktiven Unterricht auch einmal abseits vom Lehrplan gemacht haben.
Auch die Frage, inwieweit die Lehrkräfte selbst mit Begeisterung dabei waren, gegenüber solchen, die einfach nur ihre Stunden abgearbeitet haben, scheint für viele Entscheidend gewesen zu sein. So oder so: Guter Geschichtsunterricht steht und fällt bei vielen mit der Lehrkraft.
Jahreszahlen
Was immer wieder als Hasselement des Geschichtsunterricht genannt wurde, entspricht komplett dem Klischee aus Film und Fernsehen: Jahreszahlen. Immer wieder verhasst sind Lehrer*innen, die auf diese einen besonders großen Fokus legen.
Dies sollte nicht groß verwunderlich sein, denn weder ist es besonders spannend, Daten und Jahreszahlen auswendig zu lernen, noch erfährt man dadurch besonders viel über Geschichte. Denn sehen wir es, wie es ist: Jahreszahlen sagen an sich sehr wenig aus und werden nebenbei praktisch sobald vergessen, wie die nächste Klausur vorbei ist.
Welcher tatsächliche Wert wird mit der Information vermittelt, in welchem Jahr oder gar zu welchem genauen Datum ein König oder Kaiser geboren wurde oder gestorben ist? Was bringt es einem zu wissen, wann eine Schlacht geschlagen wurde, ohne dabei wirklich den Kontext von dieser Schlacht besprochen zu haben? Selbst mit Kontext, was für einen Unterschied macht es zu wissen, dass der siebenjährige Krieg von 1756 bis 1763 gegenüber „etwa Mitte des 18. Jahrhunderts“? Keinen wirklichen. Entsprechend ist es kaum verwunderlich, dass Jahreszahlen universell verhasst sind.
Große Männer & Eurozentrismus
Der nächste Kritikpunkt ist etwas, worüber wir im Rahmen der Dekolonialisierung der Phantastik mehr als einmal gesprochen haben: Der deutsche Geschichtsunterricht ist sehr eurozentrisch und behandelt beinahe ausschließlich „große Männer“.
Um genau zu sein konzentriert sich der deutsche Geschichtsunterricht auf ein paar wenige Ereignisse. Meistens behandelt man sehr grob Prähistorie, dann die Antike, wobei man über diese meist mehr im Lateinunterricht lernt, als in Geschichte, dann grob ein paar Sachen zum Mittelalter. Erst danach kommen die Themen, die tiefer gehend behandelt werden: Französische Revolution, deutsche Revolution, je nach Schule evtl. industrielle Revolution, Napoleon, Weimarer Republik, erster Weltkrieg, Nazi-Deutschland, zweiter Weltkrieg. Dabei behandelt die gymnasiale Oberstufe beinahe ausschließlich die beiden Weltkriege und die Zeit dazwischen.
Weder der Kolonialismus, der allerhöchstens Mal in Bezug auf den Panthersprung erwähnt wird, noch Geschichte außerhalb dieser Ereignisse oder gar außerhalb Europas wird wirklich behandelt. Und die Geschichte, die behandelt wird, konzentriert sich beinahe ausschließlich auf die Entscheidungen einiger weniger „großer Männer“, wie Caesar, Napoleon, Bismark oder eben auch Hitler.
Diese Perspektive auf die Geschichte ist massiv einschränkend und lässt vieles aus, was wichtig ist. Vor allem ist diese Betrachtung sehr klinisch und stellt Geschichte als etwas da, was nur an wenigen Orten und nur durch die Hände weniger weißer Männer zustande gekommen ist. Etwas, das nicht der Realität entspricht.
Der Mangel an Zusammenhängen
In diesem Kontext wurde auch immer wieder gesagt, dass vielen Leuten die Zusammenhänge gefehlt haben. Denn ja, diese paar historischen Epochen und Ereignisse wurden bei ihnen besprochen, aber die Zusammenhänge, wie das eine zum anderen führte, fehlte bei offenbar vielen komplett.
Dies ist zugegebenermaßen ein Problem, das mir zum Glück erspart geblieben ist (wie gesagt, oftmals steht und fällt das Fach mit der Lehrkraft). Wir haben recht klar vermittelt bekommen, wie die französische Revolution zu anderen Revolutionen geführt hat, wie sie Napoleon beeinflusst hat, wie all das zur Gründung Deutschlands führte und zumindest wie die Grundlagen für den ersten Weltkrieg gelegt wurden. Die Zusammenhänge zu Nazi-Deutschland und dem zweiten Weltkrieg waren (andere Lehrkraft) dagegen allerdings auch bei uns sehr vage.
Das macht es nicht schwer, sich
vorzustellen, wie eben unter anderen Lehrkräften auch diese
Zusammenhänge nicht klar werden, die wir zumindest behandelt haben.
Dabei sind die Themen, die behandelt werden, eigentlich aufgrund
dieser Zusammenhänge ausgewählt – doch diese bringen nichts, wenn
die Lehrkraft sie eben nicht ausreichend behandelt.
Mehr Kolonialismus, mehr Alltag
Es gibt zwei Themenblöcke, die sich in den Kommentaren zu meiner Umfrage mehrfach gewünscht wurden. Dabei sei natürlich gesagt, dass es hier natürlich mit hineinspielen kann, dass vor allem Leute, die mir Folgen, auf diese Umfrage geantwortet haben, was einen Einfluss darauf haben kann, wie oft der erste Punkt genannt wurde: Kolonialismus und Alltag.
Kolonialismus wurde bereits angesprochen: Dieser wird praktisch nicht behandelt. Weder die Kolonialisierung von Amerika oder das britische Reich oder andere koloniale Entwicklungen, noch auch nur der deutsche Kolonialismus. Eventuell wird einmal das Rennen um Afrika und der Panthersprung angesprochen, doch mehr nicht. Dabei ist dieses Thema unglaublich wichtig, um viele Dinge in der Weltpolitik heute zu verstehen. Auch einige Kommentare von Politiker*innen heute zeigen, wie massiv Wissen in diesem Themengebiet selbst bei Akademiker*innen fehlt.
Der andere Themenblock wirkt etwas seltsam, ist aber auch etwas, das in seiner Bedeutung nicht unterschätzt werden soll: Der Wunsch darum mehr zu behandeln, wie der Alltag zu einer gegebenen Zeit aussah und wie die einfachen Menschen mit etwaigen Entwicklungen umgegangen sind. Das mag erst einmal trivial klingen, ist es aber nicht, wenn man bedenkt, dass dieser Alltag wichtig sein kann, um bestimmte Ereignisse zu verstehen – sei es, wie es zur französischen Revolution kam, sei es, wie die Nazis an die Macht kommen konnten. Denn vieles hängt eben doch mehr vom einfachen Volk ab, als von den „großen Männern“.
Mehr moderne Geschichte
Ein weiterer Punkt, der von mehreren angesprochen wurde, ist der komplette Mangel an moderner Geschichte. Praktisch alles, was nach dem zweiten Weltkrieg so passiert ist, wird beinahe komplett ignoriert. Eventuell spricht man noch etwas über die DDR, aber das ist wirklich das höchste der Gefühle.
Dies ist besonders ärgerlich, wenn man bedenkt, wie wichtig es unter anderem auch für die politische Bildung ist, über jüngere Geschichte informiert zu sein. Es ist definitiv sinnvoll die Geschichte der verschiedenen Parteien, die Geschichte der Bundesrepublik und allgemein die moderne Geschichte von Europa, des Westens und auch des Rests der Welt zu verstehen.
Es kann nicht sein, dass es Leute gibt, die kaum was über die deutsche Wiedervereinigung wissen, die kaum etwas oder gar falsche Dinge über die Sowjetunion internalisiert haben und die nichts über Neokolonialismus oder die Verbrechen der westlichen Mächte im Nahen Osten wissen. All diese Dinge sollten eigentlich in der Schule behandelt werden, werden es aktuell aber nicht.
Auch andere Themen würden absolut Sinn ergeben, wie bspw. 9/11 und seine Folgen oder die Finanzkrise von 2008 und wie es dazu kam. Es gibt viele Dinge aus der jüngeren Geschichte, die kaum oder eher gar nicht behandelt werden, aber absolut wichtig sind.
Die Wichtigkeit des Geschichtsunterrichts
Geschichtsunterricht ist wichtig, ich denke darüber müssen wir nicht streiten. Zum einen ist ein gutes Geschichtsverständnis nun einmal wichtig um unsere Welt und ihre Vorgänge zu verstehen. Auch ist es wichtig, Dinge, wie das dritte Reich und wie es dazu gekommen ist, zu verstehen, um nachvollziehen zu können, wie es soweit kommen konnte. Das allein ist ein wichtiger Schutz, um zu verhindern, dass es noch einmal dazu kommt.
Auch aus einer anderen Perspektive ist der Geschichtsunterricht wichtig: Denn in keinem Fach wird die Arbeit mit Quellen so deutlich gelernt, wie im Geschichtsunterricht. Das ist unglaublich wichtig, um zu lernen, Artikel auf Basis ihrer Quellen zu bewerten und ist für etwaige spätere Studierende auch eine wichtige Vorbereichtung auf das Studium.
Entsprechend ist es schade, dass von vielen Leuten – wie sich in der Umfrage auch zeigte – der Geschichtsunterricht so verhasst ist und nebenbei oft genug gerade diese Dinge nicht vermittelt. Es wäre einfach wünschenswert, dass das Konzept des Geschichtsunterricht deutschlandweit zu überdenken. Es kann nicht sein, dass alles auf den Schultern der Lehrkräfte abgelegt wird, effektiv diverse wichtige Themen zusätzlich zum normalen Curriculum zu behandeln. Es ist der Lehrplan, der Überholung bedarf.
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