Mein Fav ist problematisch. Was nun?
Eigentlich wollte ich diese Woche ein Review zu einem Buch schreiben. Aber ich fürchte, das muss ich vorerst verschieben. Stattdessen möchte ich mit euch über Fandoms, Fan-Sein, Celebritys und das gute alte Thema sprechen: „Problematic Favs“. Zum einen möchte ich das machen, weil ich dazu mehrfach befragt wurde, zum anderen muss es sein, weil es einfach zu viele Diskussionen dazu in den letzten Wochen gab.
Mein Fav ist problematisch
Irgendwann hat jeder, der irgendwie für das Thema Diskriminierung sensitiviert ist, schon einmal die Feststellung gemacht: „Mein*e Lieblingsfilm, -buch, -spiel, -serie, -autor*in oder -künstler*in ist problematisch.“
Vielleicht hat man einen alten Lieblingsfilm wieder geschaut und bemerkt, dass da ziemlich viele rassistische oder transfeindliche Witze drin sind. Vielleicht stieß einem bei einem Replay unschön auf, dass ein Videospiel eine Vergewaltigungsmechanik hat. Vielleicht wurde man darauf aufmerksam gemacht, dass der Protagonist im Lieblingsbuch die ganze Zeit queerfeindliche Witze reißt. Vielleicht hat man erfahren, dass der Hauptdarsteller einer Lieblingsserie selbst ein Vergewaltiger ist. Und vielleicht heißt die Lieblingsautorin J. K. Rowling und hat angefangen, verbale Jagd auf trans Personen zu machen.
So oder so: Wahrscheinlich löst diese Erkenntnis m ersten Moment ein ziemlich bedrückendes Gefühl aus. Immerhin liebt man etwas, das allerdings irgendwie anderen Menschen geschadet hat und weiterhin schadet. Möglicherweise will man das erst einmal gar nicht wahrhaben. Oder man wehrt sich sogar, wenn man von jemand anderem darauf aufmerksam gemacht wird, di*er es vorher bemerkt hat und eventuell auch vorwurfsvoll anmerkt, dass man noch an der Lieblingssache festhält.
Eines ist sicher: Es tut weh. Je nachdem, wie nahe einem die Sache selbst am Herzen liegt, sogar sehr weh. Und solche Dinge bringen Fragen mit sich.
Was jetzt?
Die größte und pressendste Frage, die aufkommen sollte, ist natürlich: „Was jetzt?“ und „Wie gehe ich damit um?“ Wobei es häufiger ein wenig dauert, bis man bei diesen Fragen angelangt. Ich weiß, dass das „5 Stufen der Trauer“ Konzept als überholt gilt. Doch in vielen Fällen beobachte ich diese Phasen, wenn jemand so etwas bemerkt – und mehr noch, wenn si*er auf eine solche Sache aufmerksam gemacht wird.
- Leugnung: „Nein, es ist eigentlich nicht wirklich diskriminierend.“
- Wut: „Die diskriminierte Gruppe sind einfach zu empfindlich und stellen sich nur an!“
- Verhandeln: „Okay, vielleicht ist es diskriminierend, aber es war sicher nicht so gemeint.“
- Depression: „Wie konnte ich das nicht bemerken? Ich bin ein schlechter Mensch.“
- Akzeptanz: „Okay. Es ist diskriminierend. Ich habe es nicht bemerkt. Was mache ich jetzt?“
Es sei natürlich angemerkt, dass leider zu häufig Leute irgendwo zwischen Phase 1 und 3 stecken bleiben. Zu allem Übel greifen manche darüber dann die diskriminierte Gruppe teilweise direkt, teilweise indirekt an. Sei es, indem ihnen die Diskriminierung und die dadurch erfahrene Verletzung abgesprochen wird, sei es, indem man den Opfern selbst die Schuld daran gibt (z.B. indem die Opfer von Vergewaltiger*innen der Lüge bezichtigt, bedroht oder attackiert werden).
Hoffentlich kommt man jedoch bei Phase 5 an und möchte andere Menschen nicht verletzen. Dennoch bleibt die Frage: Was jetzt? Wie gehe ich damit um?
Und ich bin ehrlich: Es ist schwer, eine allgemeingültige Antwort darauf zu geben. Daher möchte ich zunächst über vier eigene Erfahrungen sprechen, und erst dann versuchen, ein paar allgemeine Ratschläge abzuleiten, gehe ich zum Elefanten im Zimmer übergehe.
König der Löwen
Ich fange mit der Geschichte an, die mir in der Jugend wohl die meisten Schmerzen bereitet hat: Disneys „König der Löwen“. Während ich nie ein übermäßiger Fan des „Extended Universe“ von „König der Löwen“ mit all den Löwenstammbäumen und dergleichen war, habe ich den eigentlichen Film abgöttisch geliebt.
Der Film hat mich, als ich in die Grundschule kam und schwer depressiv wurde, wortwörtlich am Leben gehalten. Ich habe den Film teilweise täglich immer und immer wieder angesehen. Ich konnte den Film mitsprechen. Es war ohne Frage für die längste Zeit meines Lebens mein liebster Disney-Film. Es ist schwer in Worte zu fassen, wie viel der Film mir bedeutet hat.
Und dann kam der Punkt, an dem sich das änderte. Ich entwuchs meiner Jugend und hatte eine Onlinefreundin aus New York, mit der ich viel, sehr viel über Disney diskutiert habe. Sie fand den allgegenwärtigen Sexismus diverser Disneyfilme vergleichsweise weniger schlimm als ich. Dafür hatte sie zu „König der Löwen“ eine eigene Geschichte zu erzählen: Sie ist schwarz. Als der Film in den USA den Rerelease bekam, ging sie mit ihrer Familie und einem Cousin, der den Film noch nicht kannte, ins Kino. Danach fragte der Kleine ihre Mutter: „Aber warum sprechen die Hyänen so wie wir?“
Das ist etwas, das in der deutschen Fassung nicht vorkommt: Aber in der US-Fassung sprechen die Löwen mit einem weißen, britischen Dialekt, die Hyänen dagegen mit schwarzamerikanischem Dialekt. Sie waren auch vornehmlich von schwarzen Schauspieler*innen besetzt. Jetzt mag der ein oder andere sagen: „Na ja, eigentlich sind die Hyänen selbst nur von Scar in die Irre geführt worden.“ (Als Kind taten mir die Hyänen immer leid, weil sie offensichtlich nichts anders taten als die Löwen.) Doch eigentlich macht es das noch perfider, denn die Hyänen sind nicht nur Antagonist*innen, sondern werden auch als leicht beeinflussbar und weniger klug dargestellt.
Diese Erkenntnis hat mir wirklich weh getan. Auch weil ich es eben nicht selbst realisiert hatte. Also habe ich mir den Film noch einmal auf Englisch angesehen und musste feststellen: Es stimmt. Ab da habe ich es nicht mehr über mich gebracht, diesen Film einzulegen. Etwas in mir wehrt sich einfach dagegen, obwohl ich gleichzeitig noch eine tiefe Bindung zum Film fühle.
Das einzige „König der Löwen“-Produkt, bei dem es mir besser geht, ist das Musical, das in den meisten Filmen vornehmlich schwarz besetzt ist und dadurch nicht mehr dieselben Implikationen hat.
Fluch der Karibik
Numero 2 meiner Beispiele ist „Fluch der Karibik“. Dieses kam praktisch mit gleich zwei Schlägen daher. Auch hier sei gesagt: Die originale Trilogie bedeutet mir unglaublich, unglaublich viel. Die Filme haben mich durch die Jugend gebracht, während ich gemobbt wurde. Es war eine der wenigen Sachen, über die ich mit Klassenkameraden reden konnte. Ich hatte sogar meinen ersten Kuss in dem ersten der drei Filme. Jap, diese Reihe ist mir sehr wichtig und hatte erneut einen tiefen Einfluss auf mein Leben.
Die erste Feststellung kam von alleine. Ich selbst fand den „Cannibal Island“-Abschnitt im zweiten „Fluch der Karibik“ schon gleich zu Anfang ziemlich unschön. Allein weil er erzähltechnisch wenig zum Film beiträgt und wie ein 25minütiger Filler wirkt. Dann aber kam die Erkenntnis, dass der gesamte Abschnitt vor allem wenig mehr als eine Ansammlung rassistischer Klischees und Witze war – inklusive der Tatsache, dass der sich „outende“ Kunde der Kannibalen ein schwarzer Mann ist. Das ist so super problematisch, das ist schwer auszudrücken.
Der zweite Aspekt hängt – wie ihr euch denken könnt – mit Johnny Depp zusammen, weil die ganze Sache mit ihm und den Missbrauchsvorwürfen durch die Medien lief. Ich bin mir bis heute nicht sicher, wie ich über die Vorwürfe denken soll, gerade weil mittlerweile zumindest auf die Beziehung gesehen wohl so aussieht, als wäre er eher das Opfer gewesen.
Mit „Fluch der Karibik“ sehen meine Konsequenzen insgesamt anders aus als bei „König der Löwen“. Denn während mir die „Cannibal Island“-Geschichte den zweiten Teil absolut verdorben hat und ich sie bei Rewatches immer überspringe, habe ich nicht komplett aufgehört, die Filme anzusehen. Anders sah es in der Zeit der Vorwürfe gegen Johnny Depp aus: Während die Sachen durch die Medien gingen, habe ich es eine Weile nicht über mich gebracht, die Film anzusehen.
Mein jetziger Umgang damit? Nun, leider haben sich meines Wissens nach weder die Autoren, noch andere Mitwirkende je zum „Cannibal Island“-Abschnitt geäußert. Ich kaufe keine neuen Sachen mehr, die mit den Filmen zu tun haben. Aber die DVDs, die ich bereits vorher (ohnehin gebraucht) gekauft habe, sehe ich mir dennoch weiterhin gerne an. Ich fände es allerdings schön, würde sich endlich jemand vom Team dazu äußern, was es das leichter machen würde zu entscheiden, wie ich Autoren und Regisseur bewerte soll – denn eigentlich mag ich Verbinski als Regisseur sehr gern.
Joss Whedon
Kommen wir zu Mr. Nerdbible selbst. Er ist ein Beispiel für eine problematische Person, die allerdings an extrem vielen Sachen mitgearbeitet hat. Allen voran: Buffy. Buffy war für mich in meiner Jugend unglaublich wichtig, weil es zum einen eine tolle, auf eine weibliche Figur zentrierte Geschichte war, und gleichzeitig eins der wenigen Medien, das queere Repräsentation beinhaltete. Und natürlich empfand ich auch große Liebe zu diversen anderen Sachen von Whedon, zum einen wegen (von mir so wahrgenommenen) guten weiblichen Figuren, zum anderen … nun, er hat „The Avengers“ gemacht? Was soll ich sagen? (Außer: Eigentlich wäre das MCU auch ein gutes Beispiel für diese Liste gewesen.)
Und dann kam irgendwann die Feststellung: Joss Whedon ist selbst problematisch. Joss Whedon hat mehrere Frauen sexuell belästigt. Joss Wheon ist mit seiner Partnerin nicht besonders gut umgegangen. Joss Whedon ist ein wenig ein Creep, wenn es um Frauen geht.
Im Fall Joss Whedon erlebte ich die längste Phase, in de ich irgendwo zwischen Leugnung und Verhandeln festhing. Wut hatte ich nicht wirklich, aber ich habe lange angezweifelt, ob das denn alles wirklich so war. Und dann saß ich da und sagte: „Na ja, aber er hat sich offiziell entschuldigt.“ Das ist fraglos wichtig , aber … nun, die eigentliche Frage sollte sein, ob er sich geändert hat, oder?
Letzten Endes war es allerdings nicht einmal Joss Whedon, der mir Buffy verdorben hat, sondern die Folge, in der Xander beinahe vergewaltigt wird und die Serie das als nicht besonders dramatisch darstellt. Sie führte irgendwie zu der Erkenntnis, dass sämtliche Whedon-Serien frauenzentrisch waren, weil sie vornehmlich Whedons sexuelle Fantasien wiedergaben. Wie es der Honest Trailer zu Firefly sagte: Die Whedon Frauen sind „Sexy Powerfrau, sexy Nerdfrau und sexy seltsame Frau“. Und da ist irgendwie das dran.
Seither cringe ich ständig, wenn ich Whedons-Serien ansehe, weshalb ich sie nicht wirklich genießen kann. Trotzdem lege ich
noch immer gerne den ersten Avengers-Film ein, selbst wenn ich die eine oder andere Black-Widow-Szene ebenso cringeworthy finde.
Die Sookie-Stackhouse-Reihe
Kommen wir als letztes Beispiel zur Sookie Stackhouse Reihe von Charlaine Harris. Diese Reihe war meine erste Urban-Fantasy-Serie und praktisch dafür verantwortlich, dass es zu meinem liebsten Genre wurde. Sie war für mein Leben alles in allem vielleicht nicht so einflussreich, wie die beiden erstgenannten Beispiele, aber dennoch sehr wichtig. Die Reihe hat mich über Jahre hinweg begleitet, und immerhin habe ich mir dazu sogar nach und nach die Bücher gekauft habe, wenn sie in den USA erschienen.
Als ich aber irgendwann ein Reread angesetzt habe, wurde mir schon ein wenig anders. Die ersten paar Bände beinhalten genau einen Charakter, der nicht weiß und nicht hetero ist. Ja, genau einen. Und der stirbt auch noch. Gleichzeitig sind Bezüge auf Queerness recht abwertend formuliert, auch als sie nach und nach mehr werden. Ja klar, es kommt später auch etwas positive Repräsentation vor, inklusive dass die Queerness eines wichtigen Charakters deutlich gemacht wird. Gleichzeitig aber ist auch der letzte Antagonist ein schwuler Mann.
Hier allerdings hat es mir die Autorin leichter gemacht. Denn anders als andere Leute, hat sie zu der Kritik weder geschwiegen, noch diese irgendwie relativiert, sondern hat sich dafür entschuldigt. Sie hatte wohl tatsächlich queerfeindliche Ansichten, war aber bereit zuzuhören – besonders als die Bücher dann von einem queeren Regisseur verfilmt wurden, der ihr das Ganze näher brachte. Fortan ist sie dazu übergegangen, sich Sensitivity Reader zu holen und sich beraten zu lassen und ihre neueren Reihen sind deutlich inklusiver. Während mir ein paar Stellen beim Lesen immer noch Bauchschmerzen machen, so weiß ich zu schätzen, dass sie schon im Verlauf der Reihe deutlich inklusiver wird und anfängt, sich zu bemühen – selbst wenn es manchmal scheitert. Entsprechend fühle ich mich aktuell auch nicht schlecht, dass ich die Reihe noch einmal komplett kaufe, da zwischen den Umzügen leider einige Bände abhanden gekommen sind.
Ein paar allgemeine Ratschläge
Versuchen wir, daraus ein paar allgemeine Ratschläge abzuleiten:
Erstens: Es ist wichtig, betroffenen Leuten zuzuhören, wenn man von diesen hört, dass sie etwas als diskriminierend empfunden haben – sei es ein Inhalt, sei es etwas, das ein*e Schaffer*in gesagt oder getan hat. (Stellt euch mal vor, ich hätte der Onlinefreundin aus New York gesagt: „Dein 8jähriger Cousin will sich nur als Opfer fühlen!“)
Zweitens: Es ist durchaus möglich, Dinge zu mögen, die problematisch sind. Gerade wenn man man eine enge Bindung zu einer Sache hat und diese eine besondere Bedeutung für einen angenommen hat. Manche problematischen Aspekte haben sich auch in Werke geschlichen, weil die Macher*innen einfach nicht aufgeklärt und reflektiert genug waren. Entscheidend ist dann, wie sie sich im Nachhinein dazu stellen. Wenn man jedoch nicht weiß, wie ihre Einstellung aussieht und ob es sich vielleicht sogar um Absicht handelte, ist es sinnvoll, mindestens die finanzielle Unterstützung an sie zu hinterfragen.
Drittens: Autor*innen und Macher*innen können sich ändern. Das macht es dann leichter. Ist ein*e Autor*in einsichtig, wie bspw. Charlaine Harris, fällt es zumindest mir leichter, darüber hinwegzusehen, dass si*er problematische Sachen geschrieben hat. Schließlich weiß ich selbst: Wir haben alle diskriminierende Ansichten verinnerlicht. Wenn jemand in einem vornehmlich weißen, vornehmlich cishetero Umfeld aufgewachsen ist – was auf viele Leute zutrifft –, ist es nicht verwunderlich, dass es Vorurteile gibt, die so auch den Weg ins Werk finden. Sieht di*er Betreffende das ein, entschuldigt sich und sucht eventuell sogar Wege , solche Fehler in Zukunft zu verhindern (indem si*er als Autor*in Sensitivity Reader hinzuzieht oder bei einem Film oder Videospiel ein diverseres Team anstellt) ist das ein gutes Zeichen und sollte unterstützt werden.
Viertens: Es ist nie okay, Menschen, die einen auf derartige Probleme aufmerksam machen, anzugreifen oder ihnen gegenüber übermäßig defensiv zu werden – schon gar nicht, wenn diese Menschen selbst von der Diskriminierung betroffen sind. Nur dass man etwas selbst nicht bemerkt hat, heißt nicht, dass diese Diskriminierung nicht da ist. Nur weil man sich nicht vorstellen kann, dass ein Star sich irgendwie abusive verhält, heißt das nicht, dass si*er es nicht tut.
Fünftens: Auch Tone Policing ist nicht okay. Menschen, die von jemandem verletzt wurden, dürfen über diese Person schimpfen. Menschen, die von jemandem verletzt wurden, dürfen sogar über Leute schimpfen, die di*en Täter in Schutz nehmen. Es steht niemandem zu diesen Menschen zu verbieten, der daraus entstehenden Wut und Trauer Luft zu machen.
Und was ist mit dem Tod des Autors?
Eine Frage, die an dieser Stelle auch gerne aufkommt, ist die, nach dem Tod des Autors. Das Konzept ist simpel: Wenn ein Buch, ein Film, ein Spiel, ein Comic oder sonst etwas einmal veröffentlicht ist, hat di*er Autor*in keinen Einfluss mehr darauf, wie es gelesen wird. Das Werk gehört dann den Konsument*innen und wird fortan durch ihre Interpretation geformt. Entsprechend ist es also auch egal, welche toxischen Vorstellungen di*er Schöpfer*in nun internalisiert hatte: Das Werk wird nicht länger von ihnen beeinflusst.
Das Problem dabei ist jedoch zweierlei: Zum ersten verändert es nun einmal nichts daran, dass viele der fraglichen Werke selbst diese toxischen Denkmuster widerspiegeln. Ja, allgemein greift diese Philosophie gar nicht, wenn das Werk selbst eben problematisch ist. Dabei muss eben bei einem problematischen Werk keine problematische Ansicht zwangsweise dahinterstecken. Oftmals sind es einfach internalisierte Vorurteile, die nicht realisiert werden. Ich glaube nicht, dass jemand bspw. bei „König der Löwen“ aktiv sich entschieden hat, die Hyänen so zu kodieren. Dennoch ist diese Assoziation da und schadet Leuten – zum einen 8jährigen kleinen Jungen, die dadurch verletzt werden, zum anderen aber auch jenen, die dadurch selbst Vorurteile internalisieren.
Zum anderen ist da jedoch auch noch der simple Fakt, dass diverse Autor*innen (und andere Kreative) eben nicht tot sind und finanziell vom Erfolg des etwaigen Werkes profitieren. In Fällen, wo nun irgendjemand daran beteiligtes ein*e Vergewaltiger*in war, kann das bedeuten, dass die Person weiterhin in einer Machtposition bleibt, die es ihr erlaubt, weitere Leute sexuell auszunutzen. In Fällen, wo di*er Schöpfer*in extrem toxische und menschenverachtende Ansichten vertritt, heißt es aber auch, dass der Erfolg dieser Person mehr Macht und Einfluss bringt und es ihr dadurch erlaubt, diese menschenverachtenden Ansichten weiter zu verbreiten. Vielleicht fließt sogar ein Teil der Umsätze des Werkes direkt in rassistische, sexistische, ableistische oder queerfeindliche Organisationen.
Ist der Autor wirklich tot, wie bspw. ein H. P. Lovecraft, ist es eine Sache. Dort spielt dies nicht mehr wirklich hinein, so dass es möglich ist, seine Werke zu konsumieren, ohne seinen Rassismus zu enablen. Aber bei in der Realität wirklich lebenden Schöpfer*innen ist „der Tod des Autors“ zu einfach gedacht.
Und damit kommen wir zum Elefanten im Raum.
Ich mag Harry Potter. Was mach ich jetzt?
Diese ganze Diskussion wird aktuell natürlich vornehmlich geführt, weil J. K. Rowling jeden Tag ein wenig transfeindlicher wird und viele nicht wissen , wie sie damit umgehen sollen. Nein, ich werde an dieser Stelle nicht darauf eingehen, warum Rowling transfeindlich ist, das könnt ihr an anderen Stellen nachlesen. Sie ist es. Fakt. Und sie nutzt ihre Reichweite, um transfeindliche Ansichten zu verbreiten, hat damit speziell in den USA und den UK bereits jetzt schon trans Menschen geschadet, da ihre Aussagen prompt von Politiker*innen aufgegriffen wurden.
Und das bringt uns zum Problem: Für viele hat Harry Potter große Teile ihres Lebens bestimmt. Das Werk ist für viele Millenials und genug Zoomer das Fandom, mit dem sie aufgewachsen sind. Es ist schon eine lange Zeit der vornehmliche Zielort für Eskapismus gewesen. Hogwarts im Speziellen ist ein Ort, den viele nicht aufgeben wollen.
Ich gestehe offen ein, dass es mir schwer fällt, mich damit zu identifizieren. Denn zwar war für mich Harry Potter sehr lange sehr wichtig, aber aufgrund der vielen inhaltlichen Probleme, die mir aufgefallen sind und die mich mehr und mehr gestört haben, habe ich mich von dem Franchise schon vor Rowlings Abstieg in die Reihe der TERFs verabschiedet.
Ist aber das Franchise für jemanden einfach so wichtig, dass si*er es einfach nicht aufgeben kann: Wie geht di*erjenige dann am besten vor?
Nun, so hart es auch ist, wäre der erste Schritt, keine neuen Sachen aus dem Franchise mehr zu kaufen. Gegenstände, die man bereits besitzt, sowie Gebrauchtkäufe sind sicherlich eine andere Sache. Doch von Neuwaren profitiert Rowling finanziell. Manche argumentieren, dass Rowling so viel Geld hat, dass ihr Einkauf keinen Unterschied mache. Tatsächlich gilt für Rowling wie für kleinere Akteure – etwas dem Wild Womyn Workshop – immer noch, dass das dadurch gewonnene Geld, wie auch gewonnener Einfluss verwenden werden kann, um trans Menschen zu schaden. Das gilt auch für neue Filme im Kino oder das Theaterstück. Von all dem profitiert Rowling, sowohl finanziell, als auch durch neuen und erhaltenem Einfluss.
Der nächste Schritt wäre es, Rowling auf Twitter und etwaigen anderen Plattformen zu entfolgen. Denn auch Follower geben ihr immense Reichweite. Twitter beispielsweise wird gelegentlich den Followern einer Person, die Rowling ihrerseits folgt, ein „X folgt“ und dann einen Tweet von ihr in die Timeline spülen, inklusive etwaiger Transfeindlichkeit.
Dann wäre es ein mögliches Vorgehen, weniger zu ihren Veröffentlichungen – also speziell HP – zu posten. Auch hier gilt: Jede Erwähnung gibt ihr zumindest soziales Einkommen und – wieder – mehr Reichweite. Und wenn man es absolut nicht lassen kann, dazu etwas zu posten, wäre am Anfang des Posts ein „CN Rowling“ angebracht, damit Menschen, die von ihr verletzt wurden, es zumindest ausfiltern können.
Zuletzt wäre es ebenfalls wichtig, Rowlings Werke nicht mehr weiter zu bewerben. Das heißt keine Freund*innen dazu überreden, die Bücher zu lesen oder die Filme zu schauen – auch nicht, indem ihr es verleiht – und ebenso auch, nicht die eigenen Kinder bspw. durch Vorlesen der Bücher anzufixen.
Wenn ihr ein HP-Fan seid: Erspart euren Kindern den Prozess zu verkraften, dass ihre Kinderbücher von einer TERF geschrieben wurden, problematisch waren und sie es selbst nicht bemerkt haben. Erspart es anderen, sich darüber Gedanken machen zu müssen.
tl;dr
Die Feststellung, dass etwas oder jemand, das/die/den man sehr mag, problematisch ist, tut häufig weh. Wenn man von außen darauf aufmerksam gemacht wird, fühlt es sich sogar häufig wie ein Angriff auf einen selbst an – umso mehr, wenn man der Sache oder Person große Teile seines Lebens gewidmet hat. Selbst wenn man es von selbst merkt, ist es sehr verletzend und kann betroffen machen.
Es ist wichtig, Leute, die einen darauf aufmerksam machen, nicht anzugreifen. Dies gilt doppelt, wenn die Person selbst ein Opfer des problematischen Verhaltens oder Inhalts war – sei es durch diskriminierende Inhalte oder durch direkt Angriffe einer Person. Zu vermeiden sind auch Microaggressionen wie Tone Policing, also die betreffende Personen als empfindlich, emotional oder zu aggressiv zu bezeichnen. Menschen haben das Recht, ihrer Wut und Trauer Luft zu machen – auch wenn sich diese Wut gegen etwas oder jemanden richtet, das man selbst toll findet.
Wie es weitergeht, muss man fraglos selbst entscheiden. Was kann man vor sich selbst verantworten? Es lohnt sich dabei aber auf jeden Fall zu prüfen, wie die Verantwortlichen mit der Problematik umgehen. Es ist wesentlich leichter, Dinge mit sich selbst zu vereinbaren, wenn etwaige Urheber*innen einsichtig sind, sich entschuldigen und daran arbeiten. Wenn das nicht der Fall ist , wäre es gerade für Betroffene viel wert, würde man aufhören, die Künstler*innen beispielsweise durch Käufe zu unterstützen.
Zuletzt sei noch gesagt: Es hilft im Gegenzug immer, wenn marginalisierte Autor*innen und Aktivist*innen unterstützt werden. Sei es durch das Kaufen und Bewerben ihrer Werke, sei es durch direkte Spenden, sei es einfach durch regelmäßiges Teilen auf den sozialen Medien – und indem ihr dort folgt.
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