Harry Potter und 20 problematische Dinge

Eigentlich wollte ich diesen Beitrag erst später hochstellen. Ich weiß auch nicht, ob ich ihn online lassen werde oder runternehme. Aber nachdem mein Twitter-Thread zum Thema etwas eskaliert ist und auf Twitter es so schwer ist, ausführliche Gedanken in Worte zu fassen, mache ich es nun hier. Harry Potter und die Buchreihe, die so furchtbar problematisch war und dennoch so viele von uns geprägt hat.

Harry Potter und ich

Fange ich erst einmal damit an, wie meine Geschichte mit der Reihe ist. Denn ich habe angefangen HP zu lesen ein paar Wochen, bevor „Der Gefangene von Askaban“ in Deutschland erschien. Damals in einem Versuch meiner Mutter mich von meinem damaligen Lieblingsgenre (Krimis) wegzubringen. Und ich habe diese Bücher als Kind geliebt, habe als ich 11 war auf meine Eule gewartet und war lange, sehr, sehr lange Teil der Harry Potter Community – selbst wenn es kein so zentrales Fandom für mich war, wie bspw. Digimon. Aber ja, Harry Potter hat mein Interesse an Fantasy geweckt und war ein großer Teil meines Lebens und ein wichtiger Eskapismus, während ich missbraucht und gemobbt wurde.

Es ist nicht so – darauf gehe ich gleich ein – dass ich gar keine Probleme bemerkt hätte. Ich habe mich an der ein oder anderen Sache schon relativ früh gestört. An manchen sogar von Anfang an. Aber alles in allem habe ich die Bücher lange, sehr lange geliebt und sogar mitverteidigt. Nicht zuletzt, weil ich auch gesellschaftlich diverse Dinge genau so internalisiert hatte, wie Rowling – manche sicher auch dadurch, diese und andere Bücher so jung zu lesen, aber natürlich waren es nicht nur diese Bücher, sondern immer die gesamte Umgebung/Medienlandschaft.

Das gesagt: Es ist vornehmlich die Erkenntnis gewesen, wie sehr die Bücher meine Kindheit und Jugend negativ beeinflusst haben, die mich meine Liebe zu den Büchern hat verlieren lassen. Die Erkenntnis, gemeinsam mit Rowlings alles in allem beschissenen Verhalten online und der Tatsache, dass dem online erwähnen der Erkenntnis mit Todesdrohungen durch HP Fans begegnet wurde. Ja. Ernsthaft. (Merkt euch: Ihr tut eurem Fandom keinen Gefallen mit sowas.)

Aber kommen wir zu den Problemen, die ich mit der Reihe habe, denn auch wenn viele es nicht hören wollen, da sind eine Menge problematischer Inhalte da. Ich gehe diese in der Reihenfolge durch, wie ich sie bemerkt habe. Was auch bedeutet, dass viele der ersten noch vergleichsweise harmlos sind. Ihr entschuldigt bitte meinen Zynismus in den Titeln.

Harry Potter und die Tierquälerei

Die eine Sache, die mich von Anfang an in den Büchern gestört hat – da ich ein sehr tierliebes Kind war – war der dargestellte Umgang mit Tieren. Da fliegt recht früh Krätze durch die Gegend (bei dem alle davon ausgehen, dass er eine normale Ratte ist) und es ist alles in allem undramatisch. Generell geht Ron mit Krätze alles andere als friedlich um. Und bei ihm zuhause fliegt in Band 2 eine halbtote Eule gegen die Scheibe und niemand ist so wirklich um das Tier besorgt. Das muss weiter Post austragen.

Auch so im Unterricht von Hogwarts gibt es eine Menge Tierquälerei, wenn Tiere als Subjekte für Zauberübungen missbraucht werden. Nein, damit rede ich nicht von Moody, sondern davon, dass Tiere bspw. oft in Verwandlung dran glauben müssen, während sie panisch versuchen zu entkommen. Das ist … unschön, wenn man es so betrachtet.

Und nein, das ist kein riesiger Kritikpunkt an den Büchern aus meiner heutigen Sicht, aber es ist dennoch etwas, das auffällt und sich leider sehr durchzieht. Und gerade dem tierlieben Kind, das damals die Bücher gelesen hat, taten die Tiere oft leid.

Harry Potter und die nervigen Mädchen

Das nächste, was mich störte, auch wenn ich es damals nicht konkret benennen konnte, da es mehr so ein Gefühl war, als etwas, das ich bemerkt habe, war die Darstellung weiblicher Figuren. Denn ja, ich hatte Hermine und mochte Hermine damals sehr, aber davon abgesehen? Die meisten Mädchen wurden gerade in den ersten Bänden als nervig dargestellt, Frauen gab es nur als strenge Lehrerinnen, Mütter oder absolut unfähige Wahrsagerin. (Ja, es gibt auch Prof. Sprout, aber die spielt kaum eine Rolle.) Auch sind alle Mädchen und Frauen auf Lockhart hereingefallen – selbst Hermine. Und das war … irgendwie doof.

Als ich älter wurde, begann ich mehr und mehr ein Verständnis dafür zu entwickeln. Erwachsene Frauen wurden vornehmlich über ihre Mutterrollen definiert (oder als Lehrerinnen, von denen zumindest zwei vornehmlich Comic Relief waren). Die Mädchen waren alle überemotional, schienen sich – bis auf Hermine und Luna – nur für Romantik zu interessieren. Und dann musste Rowling nach dem letzten Band auch klarstellen, dass jedes Mädchen, das den letzten Band überlebte, als Frau heiraten und Mutter werden würde. Yay. Übrigens beinahe alle andere Zauberer, wozu ich nachher noch komme. Na ja, und Ginnys ganzer Charakter war es, die perfekte Freundin für Harry zu sein. Doppeltes Yay.

Und dann merkte ich nach und nach, wie auch Hermine von dieser unterschwelligen Misogynie nicht verschont geblieben war. Sie war ein „nicht-wie-die-anderen-Mädchen“-Mädchen. Sie hat sich immer abgesondert, hat teilweise über das Verhalten der anderen Mädchen die Nase gerümpft und selbst misogyn agiert. Gleichzeitig wird sie jedoch auch mehrfach hysterisch dargestellt und als rechthaberisch – und die meiste Zeit macht sie dennoch die Arbeit für Ron und Harry, wenn diese zu faul sind. Juhu.

Harry Potter und eine toxische Freundschaft

Aus dem Aspekt heraus, dass ich mich sehr mit Hermine identifizierte, störte ich mich sehr früh schon an Ron und manchmal auch an Harry. Denn die beiden waren oftmals nicht sehr nett zu ihrer Freundin. Gerade Ron gerät in beinahe jedem Band mit ihr aneinander oder macht sie nieder (bzw. versucht es). In Band 1 erst einmal allgemein, bevor sie sich anfreunden, in Band 2 wegen Lockhart, in Band 3 wegen Krätze, in Band 4 wegen den Hauselfen, in Band 5 aus Eifersucht, in Band 6 aus Eifersucht, in Band 7, weil er sich da allgemein doof verhält. Und auch gegenüber Harry verhält er sich oft daneben. Genau so, wie Harry gegenüber Hermine.

Nach und nach kam aber die Feststellung, dass Harry teilweise auch gegenüber Ron beschissen agiert und Hermine ebenso auch Ron häufiger herumhackt. Etwas, das mir gegenüber oft als Rechtfertigung für Rons Verhalten genannt wurde – doch das sehe ich nicht so. Allgemein rechtfertigt es nicht, wenn dir gegenüber jemand einfach scheiße ist, scheiße zurück zu sein. Nicht wenn es dauerhaft ein Problem ist. Vor allem ist „Ich bin scheiße zu dir und du bist scheiße zu mir“ keine gute Grundlage für eine Freundschaft.

Was mich daran so stört: Man kann bei jedem Charakter (auch wenn ich zweifle, dass Rowling das absichtlich so gemacht hat) sehen, warum sie ein wenig doof sind. Ron hat ein mieses Selbstbewusstsein, wegen Familie. Hermine hatte nie viele Freunde. Harry auch nicht. Aber oftmals wird es halt nicht problematisiert. Gerade in der Hinsicht wächst keiner der drei wirklich. Und diverse kleine, aber andauernden Seitenhiebe werden auch nie als problematisch gesehen, sondern sind eher „Witze“. Witze, die für mich nur irgendwann aufhörten witzig zu sein, wenn man selbst in der Situation ist.

Harry Potter und die ungesunden Beziehungen

Damit kommen wir nahtlos zu etwas, das mir gerade, weil es damals auch mehr und mehr besprochen wurde, auffiel: Die romantischen Beziehungen in Harry Potter. Davon gibt es nicht viele (nicht zuletzt, weil die Bücher noch sexuell negativer und mononormativer sind als Twilight – und das ist eine Kunst), aber die die da sind, sind durchweg mies.

Bei Harry und Cho ist zumindest „positiv“ anzumerken, dass hier wenigstens die Bücher bewusst zeigen, dass die Beziehung nicht toll ist. Harry weiß nicht, was er machen soll, fühlt sich unter Druck gesetzt, alles ist doof. Es bricht auseinander. (Und dann wird Cho dafür geshamet, zu ihrer Freundin zu halten, aber das ist auf einem anderen Blatt und fällt wieder eher unter die Frauendarstellung).

Aber dann haben wir Harry und Ginny. Wie schon gesagt: Ginny scheint nur dafür da zu sein, Harrys perfekte Freundin zu sein. Was ist ihr Charakter? Am Anfang Harry Fangirl, danach „feisty“. Aber … nicht viel mehr. Wir haben, als die beiden zusammen sind, nicht mal groß Dialog, während sie was gemeinsam machen.

Und Ron und Hermine … sie sind einander (beide) miese Freunde. Ron shamet Hermine dafür, dass sie Dinge ernst nimmt, sie shamet ihn für seine Faulheit und ist teilweise auch ziemlich ableistisch drauf. Das ist eine miese Grundlage für eine Beziehung.

Na ja, und dann haben wir noch so etwas, wie James und Lilly. Eine Beziehung, in der Lillys Perspektive genau so egal ist, wie die von Ginny in der mit Harry. Cool. Immerhin interessiert sich Harry weit, weit mehr für seinen Vater, als für seine Mutter, scheint es. Doch allgemein hören wir nur, warum James Interesse an Lilly hatte – dass Lilly eigentlich was von ihm wollte, wird einfach angenommen. Warum?

Harry Potter und wann Mobbing voll okay ist

Den nächsten Punkt habe ich selbst nie bewusst bemerkt. Ich wurde darauf von einer Freundin aufmerksam gemacht, doch als ich einmal darauf aufmerksam gemacht wurde, konnte ich es nicht wieder ignorieren. Harry Potter ist definitiv eine Geschichte gegen Mobbing, oder? Immerhin wird ja das Mobbing durch Malfoy oder Snape durchaus als schlecht angesehen, nicht? Na ja …

Eine Freundin von mir bemerkte irgendwann, dass die Weasley Zwillinge durchaus ziemlich auf Percy herumhackten. Etwas, an dem sich Harry und Ron und teilweise auch Ginny mit beteiligten. Einzig Hermine fand es eher uncool. Und ja, dieses „rumhacken“ nimmt teilweise schon Mobbing-Züge an. Speziell wenn man bedenkt, dass Percy davor nie fliehen konnte – denn in der Schule und daheim war er dem ausgesetzt. Etwas, das in den Büchern damit begründet wird, dass Percy, der einfach nur seinen Job als Schulsprecher macht, ja ständig den Spaß verderben würde.

Aber wenn wir weiterschauen, hört es mit Percy nicht auf. Ron und Harry sagen Neville, dass er ja ein wenig selbst Schuld hätte, am Mobbing. Er sollte Draco gegenüber mal Rückgrat zeigen. 1A Victim Blaming. Und auch mobben die Weasley Zwillinge mit ihrer kleinen Gang gerne Slytherins. Teilweise provoziert, teilweise unprovoziert. Man sollte dennoch anmerken, dass sie dabei teilweise zur Körperverletzung übergehen. Beidseitig? Teilweise schon. Aber die Begründung läuft am Ende auf „Slytherins, daher ist es okay“ hinaus. Übrigens auch, wenn Harry seinerseits Draco zurückmobbt. Die beiden tun einander auch wenig, wenn wir einmal ehrlich sind.

Na ja, und Snape? Snape mobbt Schüler*innen. Er nutzt seine Machtposition eiskalt aus, um noch besser Mobben zu können. Wer sich wehrt bekommt schlechte Noten oder verliert Hauspunkte. (Yikes!) Aber am Ende ist all das offenbar vergeben und vergessen, immerhin war er ja unglücklich in Lilly verliebt und hat ja eigentlich für die gute Seite gearbeitet. Inwiefern das verlangt hat, Schüler*innen zu mobben …? Der arme Neville, der später ein Kind unterrichten darf, dass von einem Freund nach dem Mann benannt wurde, vor den er lange Zeit die meiste Angst hatte!

Harry Potter und die nicht-so-tolle Familie

Dieselbe Freundin, die mich auf die Weasley Zwillinge und das allgemeine Percy-Mobbing aufmerksam machte, kritisierte auch die Weasley-Familie als solche. (Leider ist ihr schöner Artikel, den sie mal dazu schrieb, wegen gelöschtem Blog nicht länger online.) Denn da läuft so einiges schief.

Molly setzt ihre Kinder durchweg unter Druck, gute Leistungen zu bringen. Sie selbst ist Hausfrau und Mutter. Die Kinder werden bei schlechten Leistungen geshamet. Wir wissen, dass sie zumindest die Zwillinge in zwei Fällen geschlagen hat, können am Hand der Präsentation aber erahnen, dass es nicht die einzigen Male waren. Ron wahrscheinlich auch. (Ich habe in meinem Leben gelernt, dass man Kindern, die blass oder weinend äußern, dass die Eltern sie „umbringen“ werden, glauben sollte, dass irgendwas schief läuft.) Offenbar wurden nur die Ältesten und Ginny umtüddelt.

Arthur könnte einen Job haben, der seine Familie ernährt, tut es aber nicht, weil er seinen jetzigen Job gerne hat. Seine Familie nagt deswegen zwar am Hungertuch, aber hey, Hauptsache er kann seinen Herzensjob ausüben, nicht? Und das ist ohne zu bedenken, dass da sieben Kinder im Haus sind, für die das Geld fehlt, weil sie unbedingt noch ein Mädchen wollten. Gibt es dafür keine Zauber?! (Wieder ein Punkt für die sexuelle Negativität der Bücher – Verhütung ist böse! Abtreibung erst Recht!)

Na ja, und innerhalb der Familie wird halt viel aufeinander herumgehackt. Gerade auf Percy, der nur von seiner Mutter in Schutz genommen wird. Wundert es einen wirklich, dass dieser am Ende auf der Seite des Ministeriums steht?

Harry Potter und ein wenig hinterfragtes Justizsystem

Das Justizsystem der Magierwelt in Harry Potter ist am Arsch. Das war mir an sich schon in Band 3 klar, aber die Implikationen kamen erst nach einer Weile so wirklich. Denn ja, sicher, wir sehen durchaus in einem kritischen Kontext, dass das Justizsystem gelinde gesagt korrupt ist. Es gibt kein „in dubio pro reo“ sondern eher ein „in dubio contra reo“. Schuldig bis zum Beweis der Unschuld. Das sehen wir an Sirius. Das sehen wir an Hagrid. Das sehen wir auch in Band 5 an Harry.

Das Problem? Nun, die Bücher stellen dies nie als einen systematischen Fehler da. Nicht einmal Dumbledore oder Hermine hinterfragen das System, dass es erlaubt, einen Jungen ohne Beweise von der Schule zu schmeißen, einen Mann ohne Beweise zu (de facto) Tode zu verurteilen oder einen anderen Jungen beinahe von der Schule zu werfen. Es sind immer die Fehler einzelner Personen. Sei es Fudge, der aus politischen Gründen Harry loswerden will. Sei es jemand, der übereifrig ist. Wer vermutet wird und die Unschuld nicht beweisen kann, wird sehr schnell zumindest ins Foltergefängnis Askaban geworfen. Und seien wir ehrlich: Es ist ein Foltergefängnis.

Problematischer wird es dadurch, dass die „Polizei“ – die wir zu teilen sogar aktiv korrupt sehen – dabei enorm idealisiert wird. Auror sein ist Harrys Traum. Und Auroren sind ja so cool. Sie dürfen Gewalt im Job einsetzen. Wuhu. (Davon abgesehen, dass es sehr suspekt ist, wie groß die Polizeimacht auf die sehr kleine Magiergesellschaft der Welt ist.)

Auch das politische System, über das wir wenig erfahren, scheint nicht gerade wenig anfällig für Korruption zu sein. Realistisch? Ja. Problem ist eben, dass es nicht hinterfragt oder ggf. sogar, wie die Auroren, idealisiert wird. Unschön.

Harry Potter und die Sklaverei

Dann haben wir da noch die Hauselfen und das ganze Fass. Übrigens etwas, das ich als Kind jetzt nicht cool fand, aber nie weit genug hinterfragt habe, um zu sehen, wie problematisch es ist. Denn: Die Hauselfen in der Magierwelt sind Sklaven. Sie sind (genau so wie andere Spezies in der Welt auch) rechtlich weniger Wert, als ein magischer Mensch, dürfen nicht wählen, dürfen nicht frei am gesellschaftlichen Leben teilnehmen und verrichten unbezahlte Sklavenarbeit, wie Hermine in Band 4 richtig feststellt.

Leider ist sie die einzige, die das so sieht. Denn alle anderen zucken mit den Schultern und sagen „Die wollen das so“ und „Die sind dazu geboren“. Und das war‘s. Alles Argumente, die im realen Leben auch gegenüber Gegnern der Sklaverei gemacht wurden. Damit ist es aber natürlich nicht vorbei, denn auch die Hauselfen sagen dasselbe. Die Hauselfen sind entsetzt von Hermine, davon, dass sie versucht für sie Lohn zu bekommen oder davon, dass sie versucht sie zu befreien. Alle. Bis auf Dobby. Aber Dobby wird als „seltsam“ behandelt. Die Ausnahme der Regel.

Ja, ich weiß, viele haben es nicht so gelesen, weil sie selbst einen moralischen Kompass haben, der ihnen sagt, dass Sklaverei schlecht ist. Und das ist super. Aber im Text wird Hermine als unvernünftig dargestellt dafür, den Hauselfen helfen zu wollen. Als hysterisch und rechthaberisch. Als jemand, der die Welt halt einfach nicht versteht, aber sich irgendwann eines besseren belehren wird. Etwas, das sie übrigens laut Rowling direkt nachdem die Bücher heraus waren, auch explizit gesagt hat. Irgendwann hat Rowling dahingehend nur zurückgerudert und Hermine hatte es geschafft, bessere Rechte zu bekommen – wie diese genau aussahen, wird jedoch nicht gesagt.

Harry Potter und eine heteronormative Welt

Kommen wir zu Dingen, die mir im letzten Band oder danach klar wurden. Angefangen mit etwas, das vor allem durch Rowling selbst klar wurde zur selben Zeit, zu der sie auch Dumbledore als schwul outete: Die Welt ist sehr, sehr heteronormativ. In dem Sinne, dass von allem, was wir wissen, niemand außer Dumbledore und Grindelwald etwas anderes als allo und hetero und natürlich monoarmor ist.

Denn wie schon gesagt: De facto jeder benannte Charakter aus Harrys Generation (mit einer Ausnahme) heiratet laut Rowling. Hetero natürlich. Und offenbar auch sexuell. Die müssen ja alle Kinder bekommen. Und ja, tut mir leid, aber das ist nicht realistisch. Auf die Menge an Charakteren, die wir kennen, hätte es allein in Harrys Generation mindestens zwei queere Personen geben müssen. Und das ist auf die Zahlen, die 1990 bekannt waren, gerechnet. Gehen wir nach heutigen Zahlen, sollte knapp jeder zweite Charakter nicht cisallohetero sein.

Und natürlich sind alle cis. Wir sprechen hier ja überhaupt erst darüber, da Rowling sich mittlerweile häufiger transfeindlich geäußert hat – indem sie effektiv sagt, dass was man zwischen den Beinen hat, bestimmt, was man denn ist, selbst wenn man sich laut ihr ja gerne „verkleiden“ kann, solange man keine cis Frauen davon abhält, einen dennoch zu misgendern.

Harry Potter, miese Metaphern und Queermisia

Aber zumindest an die Existenz homosexueller Menschen scheint sie ja zu glauben. Siehe Dumbledore. Nur leider kommen auch die nicht gut dabei weg. Das fängt mit der Geschichte von Dumbledore und Grindelwald an. Denn Grindelwald ist ein Bösewicht und eine nicht subtile Hitler-Metapher. Denn es braucht nicht viel, um die Dumbledore/Grindelwald-Geschichte (wenn man sie denn kennt, da sie ja nicht im Text ist) als ein Bösewicht, der eine „gute“ Figur zur unmoralischen Homosexualität verführt zu lesen. Und dann ist die gute Figur für den Rest des Lebens Single, weil sie ja moralisch ist und kein unmoralisches Verhalten zeigen würde.

Ist es so gemeint? Nun, keine Ahnung. Aber da wird nun einmal in der ganzen Geschichte kein einziges homosexuelles Paar sehen, dass gemeinsam in einer glücklichen Beziehung ist, drängt sich so ein Gedanke nun einmal auf. Gerade – da komme ich als nächstes zu – wenn wir die christlichen Metaphern bedenken und die Einstellung, die zumindest manche Christen gegenüber queerer Identitäten haben.

Dazu kommt, dass wir eben die Werwolf-Klamotte haben. Werwölfe, sagt Rowling, sind eine Metapher für HIV-infizierte. Darin, wie die Gesellschaft sie ächten, sagt sie. Doch wenn wir es so lesen … Welche Gruppe war in den 90ern vor allem von Vorurteilen bzgl. HIV betroffen (egal ob sie es hatten oder nicht) und von der Infektion? Schwule Männer. Und dann haben wir einen Fenrir Greyback, der durch die Gegend rennt, und kleine Kinder absichtlich infiziert. Während Rowling bei dem einen positiv kanontierten Werwolf darauf beharren muss, dass er definitiv 100% hetero ist.

Und auch das ist so eine Sache: Denn Rowling hätte abseits von dem, was wir im Epilog sehen, sagen können „Denkt euch aus, was die Figuren sind“. Doch stattdessen musste sie immer beständig darauf beharren, dass diverse Figuren, die das Fandom als queer las, definitiv 100% cisallohetero sind. Vornehmlich bei Sirius, Lupin, Sean, Dean und Tonks. Warum nicht einfach die Interpretation lassen?!

Harry Potter und christliche Normativität

Im selben Zuge begann ich mich auch an einer anderen Sache zu stören, da ich gerade meine Religion hinterfragte und mich mehr und mehr mit christlichen Metaphern und Sinnbildern in Medien auseinandersetzte. Und dabei feststellte, dass die Magiergemeinschaft sehr, sehr christlich war – auch wenn es dort offiziell keine Religion zu geben scheint. Jedenfalls wird nie eine benannt.

Das fängt mit den Feiertagen an. Sie haben Weihnachts- und Osterferien. Nicht etwa Winter- und Frühjahrsferien. Nicht Yule- und Ostera-Ferien. Nein. Weihachts- und Osterferien. Bei Weihnachten inklusive alles in allem sehr modern weihnachtlich anmutender Traditionen. Weiter geht es jedoch auch damit, dass wir wissen, dass Leute getauft werden und Taufpaten haben und dass von Leuten sehr monogame Lebenswege erwartet werden. Auch haben die Magier*innen selbst bei denen, die komplett in der Magierwelt aufgewachsen sind, einige aus dem Christentum übernommene Sprichwörter (bspw. „For heaven’s sake“). Kurzum: Es mutet alles sehr christlich ab – selbst wenn niemand die Religion aktiv auszuüben scheint.

Warum ist das ein Problem? Nun, weil dadurch irgendwie der Platz für Kinder fehlt, die aus anderen Religionen kommen. Atheistische Kinder und christliche Kinder (sofern diese nicht aktiv ausüben) werden sich in Hogwarts wohl gut einfinden. Doch wir wissen ja auch (via Word of God) von einem jüdischen Jungen. Was ist, wenn er aktiv seine Religion ausüben will? Und was würden muslimische Kinder machen? Und gerade wenn wir dann dazu noch diese Hetero- und Mononormativität bedenken, ist es vielleicht nicht das größte Problem der Reihe, aber unschön nichts desto trotz. (Bedenkt bitte: Diese Liste ist in chronologischer Reihenfolge, in der ich Dinge bemerkt habe – nicht nach Schwere der Probleme sortiert.)

Harry Potter und viele weiße Magier*innen

Oder auch: Warum mach ich das Gendersternchen? Es ist nicht so, als würde Rowling die Existenz von inter- oder nicht-binären Personen anerkennen.

Aber ja, aus der Überlegung, was ein muslimisches Kind auf Hogwarts machen würde, kam dann auch die Erkenntnis, dass da keine muslimischen Kinder sind. Und auch ansonsten gibt es sehr, sehr wenig nicht-weiße Figuren, gerade auf die Gesamtzahl der Charaktere gerechnet. Denn auch wenn Rowling so tut, als hätte sie Hermine nicht als weiß geschrieben: Sie hat es. Und prinzipiell haben wir nur wenige BIPoC: Dean, Lee, Alicia, Blaise und Kingsley sind schwarz. Die Patil-Zwillinge sind indisch. Und dann ist Cho „irgendwie asiatisch“ – also sie scheint wohl irgendwie aus Richtung Ost- oder Südostasien zu kommen, aber mehr wissen wir nicht. Alle anderen Figuren sind weiß. Und … nun.

Die Patil-Zwillinge fallen sowieso schon in das Problem mit den Mädchen, sind aber auch ansonsten uncool dargestellt. Im Film tragen sie mies gestaltete Sari zum Juul-Ball, in denn Büchern wahrscheinlich auch, selbst wenn Rowling es nicht ausdrücken kann. (Die Kleidung wird als Pink und „sie tragen viele Goldarmreife“ beschrieben.) Cho ist nicht nur uncool benannt, mit einem Namen, der an „Ching Chang Chong“ erinnert, sondern entspricht auch vielen anderen rassistisch kanontierten Klischees. Und kein BIPoC spielt eine große Rolle in den Büchern. Auch uncool.

Harry Potter und die widersprüchliche Moral

Und wo wir schon bei Rassismus sind: Geht es nicht eigentlich darum in Harry Potter? Also ich meine, rein vom Text her, geht es nicht darum, dass Salazar Slytherin ein wenig rassistisch war und deswegen diverse Slytherins noch immer eine rassistische Doktrin hochhalten und deswegen die Bösewichte darstellen?

Nun, einmal davon abgesehen, dass ich das ganze Haussystem ebenfalls problematisch finde, dafür aber keinen eigenen Punkt will, da dieser Artikel eh schon endlos lang wird: Ja und nein. Denn böse gesagt: Rowling ist eine weiße Frau, die über Rassismus schreibt, aber diesen nie erfahren hat und deswegen einfach nur Klischees abbedient, ohne zu verstehen, dass ihre Narrative nicht wirklich anti-rassistisch ist.

Denn effektiv läuft die ganze „Muggle/Halbblüter sind eine Unterdrückte Minderheit“-Klamotte auf ein „Hey, also die Leute töten ist übertrieben, aber wir müssen sie ja dennoch nicht mögen“ hinaus. Es ist dahingehend sehr rechts-zentristisch, statt progressiv. Denn auch unsere Protagonisten nutzen das M-Wort, das effektiv ein Slur ist. Sie reflektieren darüber nicht mal. Auch die Trennung von der Muggel-Welt wird nie hinterfragt. Das ist so, das muss so. Selbst vermeintlich progressive Zauberer sehen damit kein Problem. Im Gegenteil. „Muggel würden sich sonst darauf verlassen, dass Magier ihre Probleme lösen.“ Und dann haben wir Mr Weasley, der Muggel auf dieselbe Art liebt, wie manche Leute exotische Tierarten. Denn wirklich als Menschen sieht er sie nicht. Er ist jemand, der Artefakte einer anderen Kultur sammelt, ohne sie zu verstehen, betrachtet diese Kultur als faszinierend, aber begreift sie eben nicht. Etwas, das weiße Menschen durchaus machen und es wohlwollend meinen, das aber dennoch rassistisch ist – da es die Deutungshoheit über die andere Kultur nimmt und eben die Menschen zu „exotischen Tieren“ herabwürdigt. Anders gesagt: Es ist ziemlich ekelhaft.

Und auch wenn im Buch diverse Charaktere wohl aus gemischten Familien kommen und letzten Endes immer wieder gesagt wird, dass Mischehen total okay seien … laut Rowling heiratet nur genau eine Person aus Harrys Generation einen Muggel. Und das ist Cho. Und irgendwie geht das sehr der Moral der Geschichte entgegen.

Harry Potter und die kulturelle Umerziehung

Das fliest wunderbar in ein anderes Thema mit herein, das mir per se schon sehr, sehr früh (mit ca. 11 Jahren) aufgefallen ist, für mich jedoch die längste Zeit einfach als ein Beispiel für miesen Weltenbau lief. Erst als mir gewisse Parallelen zur Realität auffielen, wurde es von miesem Weltenbau zu einem echten Problem. Und das ist das Abtrennen der „muggelgeborenen“ Kinder von ihrem kompletten sozialen Umfeld.

Es wird de facto von den muggelgeborenen Kindern erwartet, dass sie ihren gesamten Freundeskreis aufgeben. Denn seien wir einmal ehrlich: Mit denen können sie von Hogwarts aus nicht mehr kommunizieren dank der Geheimhaltung. Es gibt keine Telefone, es ist anzunehmen, dass wenn ihre Zeit kommt Handys in Hogwarts tabu wären oder einfach nicht funktionieren, es gibt vor Ort keine Möglichkeit auf „normalem“ Wege Briefe zu verschicken und auch wenn es zu Harrys Zeit weit weniger relevant war (da war das Internet tatsächlich für die meisten Neuland) glaube ich nicht, dass die Schule je auf Internet updated. Und sehen wir es, wie es ist: Aufgrund der Geheimhaltung können sie eben auch keine Eulen an etwaige Freunde schicken. Wahrscheinlich darf auch der erweiterte Verwandtenkreis nichts davon wissen. Kurzum: Die Kinder werden von großen Teilen ihres bisherigen Umkreises, von ihren bisherigen Freunden, ihren bisherigen Hobbys und ja, auch ihrer bisherigen Kultur und ggf. auch Religion komplett isoliert. Man erwartet von ihnen auch, nach der Schule einen magischen Job anzunehmen. Du wolltest Videospielprogrammierer werden? Nun, Pech gehabt, du bist Magier. Ist nicht mehr.

Und wisst ihr, wo man genau das in der realen Welt so gemacht hat? Bei den Kindern indigener Völker in Amerika – und zwar in ganz Amerika, nicht nur der USA. Auch diese wurden komplett aus ihrer bisherigen sozialen Umfeldern getrennt, durften weder ihre Kultur ausüben, noch ihre Sprache sprechen, teilweise auch ihre Familien nicht wiedersehen. Das ist eine Praxis, die noch sehr lange angehalten hat. Und während sich in Hogwarts – da die Bücher uns davon überzeugen wollen, dass Hogwarts die geilste Schule ever ist – natürlich niemand daran stört … realistisch gesehen gäbe es einfach Schüler*innen, die nicht auf irgendeine komische Zauberschule gehen wollen würden, aber aufgrund der Obscuro-Gefahr wahrscheinlich dazu gezwungen würden.

Harry Potter und das hässliche Böse

Machen wir weiter mit etwas, das mir sehr spät auffiel. Erst als ich während dem Bachelor-Studium die Hörbücher hörte. Und das ist das Bewerten von Personen abhängig von ihrem Aussehen. Das offensichtlichste dadurch, dass sämtliche „bösen“ Figuren als hässlich beschrieben werden. Wer jetzt meint: „Das ist wegen Harrys Perspektive“ … nun, Harry beschreibt sie als hässlich und besonders gerne mit Tiervergleichen, bevor er sie hassen lernt. Dudley sieht aus wie ein Schwein, Petunia wie eine Giraffe, Malfoy wie ein Wiesel, Umbridge wie eine Kröte. Snape wird mit fettigen Haaren beschrieben. Diverse böse Figuren (Crabbe, Goyle, Millificent) als fett, was sowieso fatmisisch und damit scheiße ist. Auf der bösen Seite gibt es niemanden, der laut Buchbeschreibung, gut aussieht.

„Aber die Guten sehen auch nicht toll aus“, mag manch einer sagen. Und ja, das stimmt: Harry wird als hager und mit O-Beinen beschrieben, Hermine mit krausem, unordentlichen Haar und Hasenzähnen, Ron als schlaksig und blass. Aber niemand von ihnen wird auch nur als hässlich beschrieben oder auch nur annährend in denselben Maßen, wie die Bösewichte. Nun, und auch wenn die beiden große Bösen (Tom Riddle und Grindelwald) in ihrer Jugend attraktiv waren, so hat ihre böse Magie sie hässlich gemacht. Damit klar ist, dass „böse“ wirklich „hässlich“ ist.

Und allgemein sind die Bücher im Umgang mit fetten Menschen uncool. Denn auch bei den guten … der „plumpe“ Neville ist ungeschickt und wird die längste Zeit als rückgratslos beschrieben und auch andere fette Leute sind bestenfalls Comic Relief – mit Ausnahme von Molly Weasley vielleicht, bei der es aber wohl mit den sieben Kindern begründet wird.

Harry Potter und der Kindesmissbrauch

Damit aber kommen wir zu dem Tropfen, der für mich das Fass zum Überlaufen brachte. Aka die Sache, die für mich dafür gesorgt hat, dass ich diese Bücher nicht länger mochte und nicht länger ertragen konnte. Denn hier haben mir die Bücher selbst so übel geschadet – doch ich habe es lange nicht bemerkt.

Harry wird von den Dursleys misshandelt, darüber müssen wir nicht streiten, oder? Er wird geschlagen, er wird in einen Schrank gesperrt, er wird permanent psychisch fertig gemacht. Dennoch ist er komplett in Ordnung. Ja, er gibt auch mit 11 den Dursleys noch Widerworte, hat durchaus ein solides Selbstbewusstsein und hat irgendwie keine Probleme Freundschaften zu schließen, Vertrauen in Menschen zu fassen oder sonstige Spätfolgen. Ja, mehr noch: Viel von dem Missbrauch wird humoristisch dargestellt, wenn beschrieben wird, wie Vernon rote Flecken im Gesicht hat und wie [ableistischer Slur] doch Dudley sei. Dazu kommt, dass es natürlich nicht Harrys eigene Familie ist, die ihn misshandelt.

Warum ist das problematisch? Weil es ein Bild davon zeigt, wie ein Opfer so drauf sein soll, das reale Opfer nicht erfüllen können. Es wird erwartet, dass Harry selbst seinen Missbrauch erkennt. Es wird erwartet, dass er dennoch ein normaler Junge ist. Es wird erwartet, dass er keine Neurosen hat. Und Harry muss warten, bis er gerettet wird, anstatt selbst zu fliehen oder Hilfe zu suchen. Ja, auch im Plot wird es irgendwann relevant, dass er immer wieder zurückmuss. Zurück in den Missbrauch.

Dabei ist dieser Missbrauch den Harry erfährt schon übertrieben brutal. Die wenigsten Kinder werden so extrem misshandelt. Das spielt mit in die Vorstellung, dass Missbrauch immer entweder sexuell oder mit körperlicher Gewalt einhergeht – etwas, das gleichzeitig dadurch, dass Molly zumindest in zwei Fällen, von denen wir wissen, die Zwillinge mit dem Besen prügelt, so relativiert wird, dass es kein Missbrauch ist, wenn die misshandelnde Person die Kinder dennoch liebt (und es vielleicht ja „nur“ eine Ausnahme ist). Auch die Tatsache, dass wir den psychischen Druck im Haus der Weasleys nicht als Missbrauch sondern sogar als „liebevoll“ dargestellt werden, hat Kindern wie mir gesagt, dass psychisch missbrauchende Eltern das ja nur aus Liebe tun und wir undankbar wären, würden wir es „petzen“. Und Harrys Umgang mit seinem Missbrauch, der keine Narben zu hinterlassen scheint, sagt Kindern, die selbst Missbrauchssituationen entkommen, dass sie schwach sind, wenn sie – wie es normal ist – über dieses Trauma nicht so leicht hinwegkommen. Denn ja, Narrativen wie Harry Potter sorgen dafür, dass von misshandelten Kindern erwartet wird, dass sie „einfach mal so“ über ein jahrelanges Trauma hinwegkommen.

Harry Potter und der miese Schulleiter

Damit kommen wir zum nächsten Ding. Ein wenig was davon, war mir lange schon klar, doch hier passt es in meiner persönlichen Timeline am besten, denn es war Dumbledore, der entschied, Harry zu den Dursleys zu schicken. Warum? Nun, in den ersten Bänden wird gesagt, weil Harry sonst zu hochnäsig geworden wäre. Stellt euch nur vor, viel schlimmer als 10 Jahre Missbrauch: Ein hochnäsiger Harry! Offenbar hat Rowling dahingehend zurückgerudert, indem sie die Sache mit dem Blutschutz erfunden hat. Leider hat sie dabei nur keine Konsistenz gehabt: Denn wenn es während Hogwarts für Harry reicht für zwei Wochen in den Sommerferien zu Petunia zu fahren, um den aufrecht zu erhalten, warum hat das vor Hogwarts nicht gereicht? Ich denke, die Dursleys hätten sich für zwei Wochen im Jahr (evtl. gegen Bezahlung) mit der Idee viel leichter anfreunden können. Aber Dumbledore hat sich dagegen entschieden.

Genau so hat er sich dagegen entschieden aktiv gegen Voldemort zu agieren, als dieser mit seiner Vorbereitung angefangen hat. Oder aktiv etwas zu machen, als Voldemort ohne Körper durch die Gegend gegeistert ist. Oder aktiv einzuschreiten, als an der Schule gemobbt wurde. Oder aktiv zu verhindern, dass Snape als Lehrkraft Schüler mobbt. Oder auch nur so etwas wie aktiv dafür zu sorgen, dass es ein Curriculum gibt, dem die Lehrer*innen folgen, um zu verhindern, dass die Schüler teilweise für Jahre in verschiedenen Fächern nichts lernen. (Ich meine, ernsthaft, die einzigen drei Fächer von denen wir wissen, dass sie zumindest das Wissen in einem vernünftigen Klima durchweg vermitteln sind Kräuterkunde, Zauberkunde und Verwandlung.)

Und dann hat er noch die großartige Idee einen riesigen dreiköpfigen Hund in der Schule zu verstecken. Zusammen mit einem Gegenstand, bei dem er weiß, dass unser Hauptbösewicht ihn haben will. Cool. Ich habe Probleme zu glauben, dass es seit Jahren keinen Tod auf Hogwarts gab.

Harry Potter und der Kolonialismus

An dieser Stelle werde ich etwas schummeln und zumindest in Ansätzen auch einmal Dinge, die mit den Fantastic Beasts Filmen und Pottermore zu tun haben, eingehen. Aber ich will es nicht ungesagt lassen, da letzten Endes es zumindest in Teilen auch mit Problemen der eigentlichen Serie zusammenhängt und ein paar bereits genannte Dinge wohl deutlich unterstreicht.

Denn wer die Geschichten liest, die sie sich zu den anderen magischen Schulen ausgedacht hat – Geschichten, die per se schon voller rassistischer Klischees stecken – sieht vor allem eine Sache: unterschwelligen Prokolonialismus. Inwiefern? Nun, die ganzen anderen magischen Schulen sind darüber definiert, was britische Magier*innen ihnen gebracht haben, als sie im Rahmen des Kolonialismus zu ihnen kamen. Bei Ilvermony ist es besonders auffällig. Die britischen Magier*innen haben den indigenen Magier*innen beigebracht einen Zauberstab zu nutzen. Anders gesagt: Sie haben ihnen ihr kulturelles Verständnis von Magie aufgezwungen. Yay.

Und auch bei den anderen Schulen steht immer etwas darin, was sie durch ehemalige Hogwarts Schüler*innen gelernt hätten. Denn wir müssen sicher stellen, dass alle wissen, dass keine Schule international so wichtig ist, wie die britische … Ähm ja. Inklusive der immer wiederkehrenden Erwähnung dessen, dass Zauberstäbe ein europäisches Konzept sind.

(Und das ist ohne zu bedenken, dass Rowling offenbar wenig Übersicht darüber hat, wie viele Leute in den etwaigen anderen Ländern leben und wie es dort mit Sprachen funktioniert, wenn wir nur eine oder nur eine Hand voll Schulen für ganze Kontinente haben. Ich meine, ernsthaft, Rowling, knapp 30% der Weltbevölkerung lebt in Asien. Und Asien ist weit, weit größer als Europa. Wie kann es da nur 1-2 Schulen geben?!)

Harry Potter und der Anti-Semitismus

Etwas, das ich erst bemerkt habe, als ich darauf aufmerksam gemacht wurde, das sich aber durchzieht, ist die anti-semitische Darstellung der Goblins von Gringotts. Diese ist in den Filmen noch stärker zu bemerken, als in den Büchern, aber in beidem vorhanden. Und bevor jemand meint: „Aber auf die Filme hatte Rowling keinen Einfluss.“ Doch. Doch, hatte sie. Rowling ist bei HP sehr unwillig gewesen, zu viel Macht abzugeben. Insofern: Ja, doch, sie hatte zumindest genug Einfluss, um „Nein, nicht so!“ zu sagen.

Was macht die Darstellung der Goblins so anti-semitisch? Nun, wir haben dort hakennasige, kleine Männchen, die extrem geizig sind und im Finanzsektor arbeiten und nebenbei als „weniger menschlich“ gelten. Kurzum: Wir haben eine anti-semitische Karikatur, die Adolf Hitler selbst befürwortet hätte.

Und als wäre das nicht genug, haben wir in Gringotts in den Filmen Davidsterne auf dem Boden. Offenbar sind diese schon immer am Drehort gewesen – doch hätte irgendwer irgendwelches Fingerspitzengefühl gehabt … nun, dann wären die Goblins nicht geizig und hakennasig und würden nicht an einem Ort mit Davidsternen arbeiten. Anders gesagt: Sie entsprächen eben nicht dieser wirklich bösartigen Karikatur.

Harry Potter und die problematische Autorin

Grund für all diese Sachen ist letzten Endes J. K. Rowling, die einfach gesagt dem Klischee einer „White Feminist“ entspricht. Wer nicht weiß, was das ist: White Feminism beschreibt eine Form des Feminismus, die noch sehr nahe beim „First Wave“ Feminismus ist. Das heißt, die Moral ist: „Wenn Frauen dieselben Rechte haben, wie Männer, dann ist die Welt in Ordnung.“ Intersektionale Thematiken werden nicht betrachtet oder gar klein geredet (bspw. „Sexismus ist viel schlimmer, als Rassismus!“). Auch pro-koloniale Ansichten sind in dieser Gruppe weit verbreitet. Ebenso stark verbreitet, ist internalisierte Misogynie – denn die Ansichten, wie eine akzeptable Frau sein darf, sind im weißen Feminismus sehr eng definiert. (Übrigens: Nicht jede weiße Frau, die feministisch ist, ist eine White Feminist. Es geht beim „White Feminism“ spezifisch darum, dass er nicht intersektional ist.) White Feminism ist gerade in den UK weit verbreitet, insofern ist es nicht verwunderlich, dass Rowling dem angehört.

Und diesen weißen Feminismus – White Feminism – merkt man bei Rowling massiv. Sowohl in dem, wie sie schreibt, als auch natürlich in allem, was sie in der realen Welt macht. So hat sie weder in der Schrift, noch in der Realität Probleme damit, Rassismen und Sexismen zu reproduzieren, reagiert auf Kritik gar nicht oder ungehalten. Ihre „Wohltätigkeit“ geht häufig in die „Weiße Retterin erklärt Afrika mal, wie die Welt funktioniert“ Richtung.

Und natürlich ist all das nichts im Vergleich zu ihrer Transfeindlichkeit, die in der britischen weißen Feminismusszene leider weit verbreitet ist. Für diverse trans Menschen war diese durch die eine oder andere kleine Anmerkung schon länger offensichtlich, doch um alle Zweifel aus dem Weg zu räumen sprach sich Rowling im vergangenen Dezember für Maya Forstater aus. Forstater hatte zuvor ihren Job für transfeindliche Tweets (unter anderem der Aussage, dass man „das Geschlecht nicht ändern könne“) verloren und hatte dagegen geklagt. Das Gericht entschied aber gegen Forstater. Daraufhin begann Rowling sich darüber zu empören, wie es sein könne, dass Frauen dafür gefeuert werden, dass sie die Wahrheit sagen. Und wenn noch irgendwer zweifel hatte, regte sie sich vor kurzem über die inklusive Formulierung „menstruierende Personen“, die in einem Artikel statt „Frauen“ benutzt wurde, auf und redete sich danach in Rage, weil, so sagte sie, „das biologische Geschlecht“ real sei und jeder der anderes behauptet nur Frauen diskriminieren will. Frauen und Homosexuelle, die es ja laut ihr auch nicht geben könnte, wenn das „biologische Geschlecht“ nicht real sei (was es nicht ist).

Kurzum: Sie ist das Sinnbild einer problematischen Autorin und arbeitet lange schon daran, diesen Status zu erhalten. Von den Malen, bei denen sie ihre große Followerschaft mehr oder weniger dazu aufgerufen hat, kleine Accounts auf Twitter zu mobben, weil diese sich für Pairings ausgesprochen haben, die Rowling nicht mochte, oder gemeint haben, dass Draco Malfoy nicht so schlimm sei … nun, würden wir damit anfangen, würden wir ein Fass ohne Boden auf machen.

Harry Potter und 20 Jahre alte Bücher

Dankbarerweise sind sich mittlerweile die meisten Fans von Harry Potter dessen bewusst, dass Rowling eine sehr problematische Person ist. Also blendet man Rowling einfach aus, versucht weniger Geld in das Franchise (Geld, das sonst bei Rowling landen würde) zu stecken und schwelgt weiterhin in Nostalgie. Immerhin: Selbst wenn die Bücher problematisch sind … Sie sind 20 Jahre alt. Ja, sogar noch älter. Damals war es eine andere Zeit. Damals waren die meisten Franchises halt noch komplett weiß, Sexismus in vielen Kinderbüchern und überhaupt: Ist es alles wirklich so schlimm?

Und die Sache ist: Ich habe volles Verständnis selbst noch in Nostalgie schwelgen zu wollen. Das ist durchaus auch in Ordnung, sofern man nicht Leute, die eben diese Kritikpunkte sehen, dafür angeht. Es ist halt manchmal ganz schön, sich in eine Zeit zu versetzen, in der die Welt noch irgendwie einfacher war. Ich kann es persönlich bei HP nicht, weil ich relativ schnell an irgendeine Stelle komme, wo mir die Galle hochkommt. Aber ich beneide jeden, der es kann.

Was ich allerdings nicht in Ordnung finde, sind diejenigen, die meinen HP ihren Kindern vorlesen zu müssen. Ich habe diese Neigung Sachen aus der eigenen Kindheit mit den eigenen Kindern teilen zu müssen, ohnehin nie verstanden. Es gibt moderne Kinderbücher, die divers sind, ohne Sexismus und Rassismus auskommen, keine „Sklaverei ist gut“ Moral beinhalten, keine Beschönigung von Kindesmissbrauch und keine toxischen Freundschaften. HP den eigenen Kindern vorzulesen, sorgt dafür, dass Franchise am Leben zu erhalten – und damit auch das Einkommen von der transfeindlichen Rowling.

Es stimmt, dass viele 20 Jahre alte Kinderbücher problematisch sind. Harry Potter ist damit nicht allein. Aber genau deswegen sollten wir lernen, diese problematischen Dinge in der Vergangenheit zu lassen, anstatt die Problematiken für eine weitere Generation zu reproduzieren.


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