Marginalisierungen in Urban Fantasy

Urban Fantasy ist das modernste der Fantasy-Subgenre (selbst wenn man darüber streiten kann, ob es überhaupt noch ein Subgenre ist). Dabei sollte man meinen, dass dies zu mehr Diversität führt. Wie es tatsächlich aussieht, darum soll es in diesem Beitrag gehen.

Urban Fantasy – Ein modernes Fantasy Setting

Urban Fantasy ist das modernste der Fantasy-Subgenre. Es unterscheidet sich so sehr von den anderen Subgenre der Fantasy, dass es teilweise sogar umstritten ist, ob man es überhaupt als Subgenre sehen kann oder ob es nicht viel eher als eigenes Genre gesehen werden kann. Argumente gibt es für beide Seiten.

Die genaue Definition von Urban Fantasy ist vielseitig umstritten. Im Rahmen dieses Beitrags wollen wir jedoch davon ausgehen, dass Urban Fantasy Geschichten beschreibt, die in unserer Welt zu einer mehr oder minder modernen Zeit spielen und fantastische Elemente beinhalten. Die genaue Definition der „Modernität“ ist schwer festzuhalten, doch in der Regel gehen wir von einem Setting nach dem zweiten Weltkrieg aus. Die fantastischen Elemente sind in der Regel übernatürliche Wesen und/oder Magie.

Dabei kann eine Urban Fantasy Geschichte in einer großen Stadt, also einem urbanen Setting spielen, doch auch ländliche Settings sind durchaus möglich. Eine Unterteilung in Urban Fantasy und Suburban Fantasy macht wenig Sinn. Dies gilt vor allem wenn man bedenkt, dass viele frühe und einflussreiche Vertreter des Genres tatsächlich in Kleinstädten oder Dörfern angesiedelt sind.

Versteckt in unserer Welt

Prinzipiell kennt Urban Fantasy zwei „Modi Operandi“: Entweder alles magische ist vor den Menschen versteckt oder die Magie existiert offen und ist in die Gesellschaft eingegliedert. Ist zweiteres der Fall, so gibt es meistens vor nicht allzu langer Zeit einen Punkt, zu dem aus irgendwelchen Gründen das Wissen rund um Magie und/oder übernatürliche Kreaturen allgemein bekannt geworden ist.

In Welten mit versteckter Magie ist alles oftmals ein wenig komplizierter. Immerhin müssen hier Gründe und Möglichkeiten gefunden werden, diese Dinge auch wirklich geheim zu halten. Dies ist in einer Welt voller Kameras ziemlich schwer. Allerdings führt die Geheimhaltung oft dazu, dass die magische Gemeinschaft oder zumindest Teile von ihr näher zusammenrücken, weil enge Zusammenarbeit notwendig ist, aber auch, weil es nur innerhalb der Gemeinschaft Wesen gibt, die die eigenen Erfahrungen teilen.

Dies ist etwas, das sich selbst in Welten, in denen die Magie nicht geheim gehalten wird, häufig so. Es bilden sich auch dort oftmals Parallelgesellschaften zwischen magischen Wesen und den nicht-magischen Menschen. Die magischen Wesen bleiben oft unter sich und nicht selten ist es den Menschen ganz recht. Immerhin neigen Menschen dazu, zu fürchten, was sie nicht verstehen, und so übersehen sie lieber die Magie und ihre Gemeinschaft.

Ungesehene Gruppen

Übersehene Gruppen gibt es auch in unserer wirklichen, realen Realität. Hier in der Form von marginalisierten Gruppen. Denn diese und ihre Bedürfnisse werden häufig von der Mehrheitsgesellschaft ignoriert. So ist es kaum verwunderlich, dass auch diese Gruppen häufig ihre eigenen Gemeinschaften bilden, die parallel zur Mehrheitsgesellschaft existieren.

Der Vorteil an diesen eigenen Gemeinschaften ist, dass es so andere Menschen gibt, mit denen man über geteilte Erfahrungen sprechen kann. Anders, als von vielen Teilen der Mehrheitsgesellschaft, kann man so Verständnis und Zuspruch von diesen Menschen, die ein ähnliches Schicksal teilen, erfahren.

Diese gemeinsamen Erfahrungen schweißen diese Gruppen oft zusammen und bieten außerdem die Grundlage für aktivistische Tätigkeiten. Dennoch bleibt es eine traurige Tatsache, dass man als Teil dieser Gruppe oft von der Mehrheitsgesellschaft übergangen und übersehen wird. Egal, wie laut Forderungen gestellt werden, so werden sie häufig ignoriert. Dies bringt auch immer wieder Personen dieser marginalisierten Gruppen dazu, sich komplett in diese Gruppe zurück zu ziehen, da das Gefühl bleibt, von der Mehrheitsgesellschaft ohnehin nicht wahrgenommen zu werden.

Zusammenschluss

Was sich daraus ergeben könnte, wären Geschichten, in denen sich die magische Gemeinschaft mit marginalisierten Gemeinschaften zusammentun. Dafür könnte es mehrere Gründe, je nach Setting der Geschichte geben.

Wird Magie geheim gehalten, ist das naheliegendste, dass sich die magische Gemeinschaft mit marginalisierten Gruppen verbündet, weil diese eine geringere Gefahr für sie darstellt. Immerhin werden marginalisierte Gruppen häufig übersehen und ihre Stimmen nicht ernst genommen. Entsprechend sind sie eine geringere Gefahr in Bezug darauf, die magische Gemeinschaft zu verraten. Denn in den meisten Fällen ist die magische Gemeinschaft so klein, dass sie auf Hilfe von außerhalb angewiesen sind.

Ist Magie nicht geheim, bleibt der Fakt bestehen, dass die magische Gemeinschaft ihrerseits eine marginalisierte Gruppe darstellt. Denn fast immer gibt es weniger magische Wesen, als nicht-magische Menschen. Gesetze werden in den meisten Welten von Menschen gemacht. Wie sich auch in der Realität verschiedene marginalisierte Gruppen verbünden, um gegen Diskriminierung anzukämpfen, würde dies in einem solchen Setting auch Sinn ergeben, wenn dies auch magische Geschöpfe mit einschließt. Entsprechend macht es auch hier Sinn, dass sich diese Gruppen zusammentun.

Die traurigen Tatsachen

Das ist zumindest die Theorie. In der Realität sieht es allerdings anders aus. Denn zwar ist Urban Fantasy das eine Phantastik-Genre, das nicht von cis Männern dominiert wird, doch davon abgesehen ist es leider nach wie vor nicht sehr inklusiv. Im folgenden gehe ich auf die verschiedenen marginalisierten Gruppen ein und wie sie in Urban Fantasy (nicht) dargestellt werden.

BI_PoC

Die erste traurige Feststellung, die man über das Genre sagen muss, ist dass es leider sehr weiß ist. Dies ist kaum verwunderlich, da es für praktisch alle Phantastik-Genre gilt und auch der Ursprung des Genre vornehmlich von weißen Autor*innen geprägt wurde. Schauen wir uns die Anfänge des Genres mit Anita Blake oder auf Fernsehseite auch Buffy an, so sind diese Serien praktisch komplett weiß.

Traurig ist nur, dass sich dies auch in viele moderne Reihen fortsetzt. Es ist zwar in den letzten zehn Jahren deutlich besser geworden, doch die Held*innen der meisten Romane und Reihen sind dennoch weiße Personen. Meistens wird es nur Nebencharakteren erlaubt BI_PoC zu sein und auch diese sind mal besser, mal weniger gut geschrieben.

Ein großes Problem dabei ist auch, dass die meisten Autor*innen, die von großen Verlagen publiziert werden, weiß sind. Wir haben sehr wenig Own Voices im Genre vertreten, selbst in den Fällen, wo die Protagonist*innen nicht weiß sind.

Sehr problematisch wird es übrigens, wenn indigene Charaktere dargestellt werden. Denn diese unterliegen häufig dem Klischee der magischen Indigenen Person, gerne mit der Darstellung als „Schamane“, die sehr problematisch ist.

LGBTQ*

Mit queeren Identitäten in Urban Fantasy ist es so eine Sache. Viele Reihen, die in den letzten 10 bis 15 Jahren publiziert wurden, hatten queere Nebenfiguren, doch queere Protagonist*innen sind auch heute noch eine absolute Ausnahme, die sich eher in Indie-Publikationen finden lassen.

Allerdings haben wir auch bei den Nebencharakteren meist dieselben Probleme: Diese sind meistens einfach nur homo- oder bisexuell und natürlich dabei auch noch weiß. Die anderen Teile der queeren Community, wie beispielsweise asexuelle oder transgeschlechtliche Menschen werden üblicherweise nicht dargestellt.

Auch mit Homo- und Bisexualität gibt es ein Problem: Die häufigsten Charaktere, die damit dargestellt werden, sind Vampire. Dies wird zum einen damit begründet, dass viele Vampire durch ihr langes Leben einfach aufhören dem sozial konstruierten Geschlecht viel zuzuschreiben, aber auch damit, dass der Biss des Vampirs etwas sexuelles hat. Ersteres ist vor allem dann ein Problem, wenn wir keine menschlichen Charaktere haben, die auch queer sind. Zweiteres ist allerdings noch problematischer, da es häufiger vor allem Bisexualität mit predatory Verhalten gleichsetzt. Dabei zieht sich gerade das durch mehrere Reihen.

Disabled

Was lässt sich über die Darstellung von Behinderten in Urban Fantasy sagen? Sie findet schlicht und ergreifend nicht statt, nicht einmal in Nebenfiguren. „The Arcadia Project“ und „Magnus Chase“ sind die einzigen mir bekannten Beispiele – außerhalb der Indie Szene – die behinderte Figuren darstellen. Und bei „Magnus Chase“ kann man sich streiten, ob es überhaupt Urban Fantasy ist, da es größtenteils in anderen Welten spielt.

Die einzige Form von Behinderungen, die wir eventuell dargestellt sehen, sind magische Behinderungen. Sprich Charaktere, die ihre übernatürlichen Fähigkeiten nicht wirklich unter Kontrolle haben. Dies ersetzt allerdings nicht tatsächliche Disabled Repräsentation.

Body Diversity

Eine weitere Sache, die wir praktisch nicht in der Urban Fantasy dargestellt sehen, ist Body Diversity. Die wichtigen Figuren in einer Urban Fantasy Serie sind meistens traditionell hübsch und dünn, haben im Fall von Frauen die nötigen Rundungen, im Fall von Männern natürlich Muskulatur. Übergewichtige Figuren gibt es praktisch nicht. Selbst männliche Figuren, die nicht gut gebaut sind, finden wir selten.

Übrigens ist es auch sehr auffällig, dass man selbst jenen weiblichen Hauptfiguren, die viel kämpfen und daher sehr viel Wert auf körperliche Fitness legen, dies nicht ansieht. Diese Charaktere sind nicht etwa wie ihre männlichen Gegenstücke muskulös, sondern bleiben auf teilweise wortwörtlich magische Art und Weise grazil und traditionell hübsch.

Was sein könnte

Der Mangel an Diversität in der Urban Fantasy ist besonders ärgerlich, weil gerade die Urban Fantasy so viele Möglichkeiten bieten würde, diese darzustellen. Nicht nur aus der oben genannten naheliegenden Nähe zwischen magischer Gemeinschaft und marginalisierten Gruppen, sondern auch aus anderen Gründen.

Fantasy mit historisch inspirierten Settings redet sich in Bezug auf Diversität gerne darauf heraus, dass es „historisch korrekt“ sei, dass es keine marginalisierten Gruppen in dem Setting gibt. Dies ist natürlich nur eine Ausrede, aber zumindest eine Ausrede, die sich beständig hält und immer wieder verwendet wird, um diese Art von Fantasy zu verteidigen.

Urban Fantasy hat diese Ausrede aber nicht zur Verfügung. Urban Fantasy spielt in modernen Settings, in denen Diversität nun einmal existiert. Es ist ziemlich unrealistisch, dass in diesen Settings fast nur weiße, cishetero, abled und normschöne Menschen herumlaufen. Dies gilt noch einmal doppelt, da Urban Fantasy beinahe immer in Großstädten spielt und Großstädte noch einmal diverser sind, als eher ländliche Gegenden.

Entsprechend wäre eigentlich zu erwarten, dass dies genutzt wird, um Repräsentation darzustellen, doch leider ist es nicht der Fall.

Der Indie-Buchmarkt

Die eine Ausnahme, die es dahingehend gibt, ist der Indie-Buchmarkt. Denn anders, als bei Romanen, die bei großen Inprints erschienen sind, gibt es hier die tatsächlichen Diversität. Nicht zuletzt auch, da hier auch Own Voice Autor*innen schreiben und eine Möglichkeit haben, so zu veröffentlichen.

Leider ist das Problem, dass Indie-Projekte den Sprung vom englischsprachigen auf den deutschen Buchmarkt nicht schaffen. Selbst welche der wenigen Romane, die sich bei großen englischen Verlagen um Diversität bemühen (wie bspw. „The Arcadia Project“) werden nicht ins Deutschen übersetzt.

Das heißt, dass die einzigen diversen deutschen Veröffentlichungen im Genre, die es gibt, auch von deutschen Verlagen oder Self-Publishern herausgebracht werden. Leider nicht sonderlich viel, da Urban Fantasy auf dem deutschen Buchmarkt allgemein ein vernachlässigtes Genre ist.


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