Kapitalismus: Entstehung, Schulen, Probleme

Wisst ihr was? Ich spreche diese Woche nicht über Medien, ich spreche über Kommunismus, Kamerad*innen. Warum? Weil dank Corona einige der Probleme des Kapitalismus offensichtlicher werden und das Thema in den letzten Tagen in meinem Umfeld mehrfach aufkam – und weil jedes Mal, als das Thema aufkam immer von irgendwem bestimmte Aussagen kamen, die uns antrainiert wurden, die aber nicht zwangsweise stimmen. Deswegen: Heute rede ich über Kapitalismus, dessen Entwicklung und Wirtschaftsschulen des Kapitalismus, Mittwoch über Kommunismus, Sozialismus, dazugehörige Philosophie und Geschichte und Freitag über Dinge, die von Sozialismus und Kommunismus behauptet werden, aber nicht stimmen.

Disclaimer: Ich möchte an dieser Stelle anmerken, dass es sich hierbei um ein Thema handelt, bei dem ich durch mein Studium sogar vollkommen akademisch qualifiziert bin darüber zu sprechen, da zu meiner Wirtschaftsinformatik nun auch ein großer „Wirtschafts“-Anteil gehört, in dem ich zumindest den kapitalistischen Anteil in aller Ausführlichkeit behandeln durfte.

Die „neue“ Frage der Wirtschaftssysteme

Fangen wir mit einer grundlegenden Aussage an: Die Idee der Wirtschaftssysteme als solche ist historisch gesehen sehr jung – selbst wenn man die Wirtschaften alter Zeiten natürlich in die eine oder andere Richtung einsortieren kann. Kapitalismus als Begriff wurde Mitte des 17. Jahrhunderts geprägt. Diverse Wirtschaftshistoriker und Wirtschaftswissenschaftler sehen auch den Ursprung des heutigen Kapitalismus in seinen Idealen im damaligen Merkantilismus, der seinerseits eine Folge und gleichzeitig ein großer Treiber des Kolonialismus war. Allerdings gehen auch einige grundlegende Ideen des Kapitalismus auf den Feudalismus zurück oder haben sich aus diesem heraus entwickelt.

Der Konflikt zwischen Kapitalismus, Sozialismus und Kommunismus entstammt vor allem der Zeit der Industrialisierung – geht aber nicht auf Marx zurück, der zwar massiv einflussreich war, jedoch nicht „Begründer“ des Kommunismus oder Sozialismus ist. Grund war, dass die Industrialisierung, die damit einhergehende Urbanisierung und der damalige komplette Mangel an Arbeiter*innenrechten im Zusammenhang mit dem Kapitalismus zu viel Leid geführt haben und damit mehr Kritiker geschaffen haben.

Doch heute geht es vor allem um den Kapitalismus selbst, seinen Ideen und seinen Schulen. Also: Fangen wir damit an.

Die Grundlage des Kapitalismus

Fangen wir erst einmal damit an, was Kapitalismus eigentlich ist – denn daran scheitert es oft bereits. Dieses scheitern liegt nicht zuletzt daran, dass es ein paar nicht ganz übereinstimmende Interpretationen von Kapitalismus gibt, die zwar alle auf dieselbe Idee zurückgehen (Angebot und Nachfrage), aber verschiedene Grundannahmen über den Markt treffen.

Die grundlegende Idee kennt ihr wahrscheinlich tatsächlich aus der Schule: Es gibt einen Markt. Auf diesem Markt gibt es Angebot und Nachfrage. Über Angebot und Nachfrage werden die Preise bestimmt. Ist die Nachfrage höher als das Angebot, dann steigen die Preise. Ist das Angebot größer, dann sinken sie. Zumindest sagt das die Theorie. Bestimmt wird dies dadurch, dass es Konkurrenz gibt – sowohl auf der Seite des Angebots, als auch auf der Nachfragsseite. Sprich: Es gibt viele Verkäufer und viele Käufer. Ist das Angebot daher geringer, als die Nachfrage, konkurrieren die Käufer um das Produkt und diejenigen, die bereit sind am meisten zu zahlen, bekommen es. Die Verkäufer können die Preise daher anziehen. Ist die Nachfrage geringer, konkurrieren die Verkäufer um Kunden und senken daher die Preise, da niemand auf dem Produkt sitzen bleiben möchte.

Dieses System zieht sich dabei durch den ganzen Markt. Der Preis für Arbeit wird durch Angebot und Nachfrage von Arbeitskraft genau so bestimmt, wie der Preis von Essen, Trinken, Behausung und Luxusgütern.

Während dieses System auch in Tauschgesellschaften manchmal vorkam, funktioniert es besonders gut in einem System, das irgendeine Form von Währung benutzt, die in ihrem Marktwert für alle Marktteilnehmer gleich ist, was soviel heißt, wie: Jeder bezahlt dieselbe Menge Währung für dasselbe Produkt. Diese Währung kann in ihrem Wert an physische Eigenschaften gebunden sein (Goldmünzen wären ein Beispiel), sie funktioniert aber genau so, wenn die Gesellschaft als ganzes sich über den Wert einig ist. (Anmerkung: Dies ist keine Eigenschaft des Kapitalismus – Währungen machen Kapitalismus nur einfacher, als wenn dieser über Tauschgeschäfte funktioniert. Ich empfehle diese Reihe von „Extra History“ zum Thema Währung.) Was auch immer als Form der Bezahlung verwendet wird, gilt unter dem Kapitalismus als Kapital, wie auch alle Dinge, die genutzt werden können, um mehr davon zu erhalten (wie Maschinen, Fabriken etc.).

Unter dieser Voraussetzung lässt sich feststellen, dass Kapitalismus zwangsweise auf Privatbesitz angewiesen ist – sowohl den Privatbesitz von Kapital, als auch den Privatbesitz von Produkten oder Dienstleistungen. Ohne Privatbesitz ist es nicht möglich Konkurrenz auf dem Markt zu haben. Daraus ergibt sich aber auch, dass es unter Kapitalismus von Vorteil ist, Privatbesitz anzuhäufen, um auf dem Markt besser in Konkurrenz treten zu können – sowohl als Kunde, als auch als Anbieter. Als Kunde ist eine Anhäufung von Kapital von Vorteil, da man so garantieren kann, bei steigenden Preisen noch immer gewollte oder benötigte Produkte erwerben zu können, als Anbieter ist eine Anhäufung von Kapital von Vorteil, da man so etwaige Rückschläge abfangen kann, aber auch weil man potentiell die Möglichkeit hat, das eigene Angebot zu erweitern und dadurch noch konkurrenzfähiger zu werden.

Smith, Konservatismus & klassischer Liberalismus

Nun gibt es unter dieser Grundlage des Kapitalismus mehrere Ansätze, damit umzugehen und mehrere Schulen der Wirtschaftslehre, speziell wenn es um die Beziehung von Staat zu Markt geht. Doch fangen wir erst einmal mit Konservatismus und dem klassischen Liberalismus an. Der Konservatismus ist in seiner Essenz eine soziopolitische Einstellung, hängt aber eng mit dem klassischen Liberalismus, einer kapitalistischen Wirtschaftspolitik, zusammen.

Zuerst aber müssen wir über Adam Smith sprechen. Adam Smith war ein Kritiker des Merkantilismus und was wir heute wohl am ehesten als Wirtschaftsphilosoph beschreiben würde. Er hat sich mit der Wirtschaft seiner Zeit – des 18. Jahrhunderts – beschäftigt und über die Probleme philosophiert. Sein einflussreichstes Werk war „The Wealth of Nations“, in dem er unter anderem den starken staatlichen Einfluss unter dem Merkantilismus kritisiert. Dabei kritisierte er vor allem, wie stark sich die Staaten selbst bereicherten und oftmals den freien Austausch unter anderem dadurch verhinderten, dass sie und ihre Organisationen für einige Produkte eine Monopolstellung einnahmen, wodurch auf Angebotsseite kein Konkurrenzkampf zustande kam. Er formulierte außerdem den „Wert der Arbeit“. Etwa wie folgt: Nimmt ein*e Arbeiter*in einen Rohstoff und verarbeitet diesen zu einem Produkt, dann ist der faire Wert des Produkts der Wert des Rohstoffs zuzüglich des Werts der Arbeit.

Erklärung:
Als Merkantilismus wird die von Kaufleuten angetriebene Handelswirtschaft zur Kolonialzeit beschrieben, bei der viele der handelnden Organisationen unter direktem Einfluss der Regierungen (zu seiner Zeit also vor allem Königshäuser und Adel, selbst wenn es bereits demokratische Einflüsse gab) standen. Die East India Trading Company, über die ich ja bereits im Kontext mit der Geschichte des Kolonialismus geschrieben habe, unterstand beispielsweise der englischen Krone.

Viel von Adam Smiths Schreiben wird als Grundlage der klassischenWirtschaftslehre gesehen – unter anderem da er einige wichtige Begriffe, wie „die unsichtbare Hand des Marktes“ geprägt hat. Man sollte allerdings sagen, dass man damit Smith ein wenig Unrecht tut, da nach ihm einige kamen, die daran einige Modifikationen gemacht haben und die Smiths in einigen seiner grundlegenden Aussagen eigentlich nicht zustimmten. Und an dieser Stelle kommen wir zum Konservatismus, der einen großen Einfluss auf den klassischen Liberalismus hatte.

Denn einer der ersten Konservatisten, Burke, nahm Smith und sagte: „Wert der Arbeit ist ja schön und gut, aber die Arbeit hat erst einen Wert, wenn es auch jemanden gibt, der bereit ist, dafür zu zahlen. Das heißt es ist nicht der Wert von Rohstoff und Arbeit, der den Wert eines Produktes bestimmt, sondern die Bezahlung, wenn sie erfolgt.“ Das klingt erst einmal logisch, doch wir müssen an dieser Stelle auch betrachten, was andere Grundlagen des Konservatismus waren. Denn dieser glaubt – darüber habe ich ebenfalls einmal schon gebloggt – daran, dass der natürliche Zustand einer menschlichen Gesellschaft hierarchisch ist. Also, dass es eine Elite gibt, die über die anderen Menschen regiert und dass dies optimal ist. Nach diversen Revolutionen war Europa sich allerdings „einig“ geworden, dass diese „Elite“ keine Königshäuser sind, denn das hatte nicht funktioniert. Und an dieser Stelle wandte sich der Konservatismus dem Kapitalismus zu.

Dabei kam folgende Theorie heraus: Wenn der Markt frei ist und von Angebot und Nachfrage reguliert wird und dabei alle Teilnehmer dazu motiviert so viel Kapital, wie möglich anzusammeln, dann ist es gut und gerecht, dass diejenigen, die es schaffen, das meiste Kapital anzusammeln, auch einen stärkeren Einfluss auf den Markt haben. Denn offenbar sind diejenigen die, die am härtesten arbeiten oder den Markt am besten verstehen.

Aus dieser Theorie und auch Smiths Kritik am Einfluss der Staaten auf den Markt ergab sich dann die Schule des klassischen Liberalismus, der sagt, dass der Markt am besten funktioniert, wenn dieser so wenig wie möglich reguliert wird. Allerdings sieht auch der klassische Liberalismus in den meisten Fällen ein, dass es sinnvoll ist, von staatlicher Seite insoweit einzugreifen, dass bspw. Hungersnöte verhindert oder wenigstens verringert werden.

Ein paar grundlegende Probleme

Und damit sollten wir vielleicht über ein paar Probleme des unkontrollierten Kapitalismus reden, die denke ich recht offensichtlich sind.

Das erste Problem ist ein sehr simples: Es gibt Produkte, auf die alle Menschen angewiesen sind, bei denen eine Notwendigkeit besteht. Das ist Nahrung, das ist sauberes Wasser, das ist Kleidung, das ist Schutz vor der Umwelt, idealerweise in Form einer eigenen Wohnung oder wenigstens irgendeiner Form eigener Räumlichkeiten, das ist medizinische Versorgung und zusätzlich idealerweise Bildung. Und weil auf diese Produkte alle Menschen gleichermaßen in irgendeiner Form angewiesen sind, bedeutet ein striktes Folgen kapitalistischer Prinzipien in diesen Bereichen, dass Menschen sterben werden. Denn: Alle diese Produkte sind begrenzt, weil alles begrenzt ist. Ja, technisch gesehen haben wir zumindest was Nahrung angeht aktuell genug, um den weltweiten Bedarf zu decken – aber unter dem Kapitalismus gibt es keinen Anreiz dafür. Deswegen haben einige Länder einen Lebensmittelüberschuss (es werden also mehr Lebensmittel produziert/angeboten, als verbraucht und verkommen entsprechen) und andere eine Lebensmittelknappheit. Wie auch innerhalb einzelner Länder Haushalte einen Überschuss haben oder eine Knappheit an Lebensmitteln. Ähnlich sieht es mit den anderen Notwendigkeiten aus. Und dadurch sterben – logischerweise – Menschen an Hunger, an Kälte oder Hitze oder an behandelbaren Krankheiten, deren Behandlung sie nicht zahlen konnten oder die in ihrem Land nicht möglich ist.

Das zweite Problem sind Monopole. Etwas, das Smith unter anderem kritisierte. Denn die ganze Theorie mit dem Markt baut darauf auf, dass die Preise durch die Konkurrenz auf beiden Seiten – also auf Seite von Käufern und Verkäufern – existiert. Dieser Konkurrenzkampf auf Verkäuferseite soll zwei Sachen garantieren: Zum einen, dass die Preise nicht in exorbitante Höhen steigen, zum anderen, dass die Qualität der Produkte gesichert wird. Je mehr Konkurrenten es gibt, desto schwerer ist es für Produkte richtig hohe Preise zu verlangen (sofern der Grundwert nicht hoch ist, versteht sich), da dies nur funktioniert, solange alle Anbieter mit diesen Preisen mitziehen. Je mehr Konkurrenten existieren, desto höher ist jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass zumindest einer den Preis niedrig ansiedelt. Dadurch zwingt er alle anderen Anbieter, ihre Preise zu senken, da sie sonst keine Ware verkaufen. Gleichzeitig sorgt Konkurrenz dafür, dass die Qualität der Produkte gleich bleibt oder verbessert wird – denn solange es bessere Produkte zu einem vergleichbaren Preis gibt, verkauft man nicht. Gibt es aber Monopole, Quasi-Monopole oder Kartelle (Zusammenschlüsse vieler Anbieter desselben Produktes, die sich bzgl. des Preises zusammentun) funktioniert dies nicht mehr. Das trifft die Käufer umso mehr natürlich, wenn diese Monopole oder Kartelle eine der zum ersten Problem gehörigen Produkte treffen.

Das dritte Problem hängt mit den Anreizen zur Kapitalanhäufung – sowohl in Bezug auf die Währung, als aber auch im Bereich der Mittel der Erzeugung im eigenen Tätigkeitsfeld. Anders gesagt: Es werden im Kapitalismus automatisch Anreize geschaffen, auf ein Monopol oder Quasi-Monopol zuzustreben. Dies geschieht allerdings natürlich nicht nur in einem Bereich, sondern überall. Und je mehr Bereiche, vor allem je mehr essenzielle Bereiche, in Richtung von Monopolen (oder alternativ Kartellen) streben, desto weniger Konkurrenzkampf gibt es und desto mehr sind alle Marktteilnehmern von den Monopolinhabern abhängig – da viele Bereiche des Markts nun einmal zusammenhängen. Ohne den Konkurrenzkampf kann der Markt jedoch Preise nicht mehr regulieren, was auch das politische System außerhalb des Marktes beeinflusst. Das heißt der Monopolinhaber kann Preise diktieren. Das gilt sowohl für ihn als Verkäufer, aber auch für ihn als Käufer von bspw. Rohstoffen und Vorerzeugnissen, mit denen er arbeitet. Im weiteren führt es außerdem dazu, dass das gesamte Marktsegment, sowie die anliegenden Marktsegmente davon abhängig ist, dass dieser Monopolinhaber die richtigen Entscheidungen trifft, da sonst das gesamte Segment und eben auch abhängige Segmente kollabieren können.

Das vierte Problem ist, dass im Markt Menschen agieren und Menschen irrational handeln. In Wirtschaftswissenschaften fangen viele Texte damit an, dass man für die Theorie unterstellen solle, dass alle Akteure rational handeln. Das ist jedoch nicht der Fall. Menschen handeln emotional, wie wir aktuell bspw. auch an Panikkäufen von Toilettenpapier sehen können. Dies heißt aber auch, dass Nachfrage nicht immer dem Bedarf entspricht – und das wird vor allem zur Gefahr für den Markt, wenn die Nachfrage sich auf etwas ausrichtet, das wenig aktiven Nutzen hat. Denn dann kann dadurch der Markt im schlimmsten Fall kollabieren. Ein Beispiel dafür ist die Tulpenmanie, die sich im 17. Jahrhundert in Holland ereignete. Dort ging es den Menschen finanziell gut und als Tulpen aus dem ottomanischen Reich importiert wurden, gewannen diese an großer Beliebtheit. Die Nachfrage wurde groß. Die Preise stiegen. Mehr Tulpen wurden importiert. Menschen fingen an, auf Tulpen zu spekulieren, also Tulpen zu kaufen, um sie dank den permanent steigenden Preisen später teurer zu verkaufen. Es entstand eine wirtschaftliche Blase – ein Segment, das künstlich größer und größer wurde. Und was passiert mit Blasen, wenn man sie immer weiter vergrößert? Sie platzen. Und genau das passierte bei der Tulpenmanie. Die Blase platzte, die Tulpen verloren dadurch plötzlich wieder an Wert, da sie sich nun niemand mehr leisten konnte und die Nachfrage für dieses Produkt ohne Nutzen rapide sank und alle, die in Tulpen Geld angelegt hatten, wurden in den Ruin getrieben, was den Markt natürlich gesamt geschadet hat. Beinahe alle Wirtschaftskrisen der letzten Jahrhunderte hingen direkt oder indirekt mit Blasen zusammen, die entstanden und platzten.

Diese vier Probleme spielen in alle wirtschaftlichen Schulen irgendwo eine zentrale Rolle – nur finden die verschiedenen Schulen verschieden Antworten darauf. Ich möchte auf die zwei gängigsten eingehen.

Liberale Wirtschaft & laissez-faire Kapitalismus

Der erste Umgang damit ist ultra-liberale Wirtschaftspolitik, wie wir sie im Moment bspw. in den USA beobachten können. Dieser ist in dem genannten klassischen Liberalismus begründet, trägt diesen jedoch noch weiter. Nicht selten baut er auch auf philosophischen Ideologien, wie Objektivismus oder Sozialdarwinismus auf – Ideologien, in denen Arme für ihre Armut selbst verantwortlich sind, da jeder, der fähig und motiviert ist, sich, wenn er es nur richtig wollen würde, Reichtum erarbeiten könnte. An dieser Stelle lasse ich eine Diskussion, inwieweit das wirklich stimmt.

Im ultraliberalen Kapitalismus oder laissez-faire Kapitalismus greift der Staat so wenig wie möglich in den Kapitalismus ein und so viel vom Markt, wie nur irgendwie möglich, ist dem Kapitalismus unterworfen. So beispielsweise auch das Gesundheitssystem. Die darunterliegende Philosophie sagt, dass die unsichtbare Hand des Marktes alle Probleme richten wird und wenn dadurch Monopole und durch die Monopole Probleme entstehen, dann soll es so sein, da es etwas ist, dass in dem Markt „natürlich“ entsteht. Es wird – wie der Name schon sagt – als ultimative Form der „Freiheit“ gesehen.

Durch die USA haben wir einen ganz guten Vergleich, wie es aussehen kann – selbst wenn auch die USA nicht komplett liberal ist und bspw. durch Steuern und durch Regelungen gegen Monopole durchaus noch in den Markt eingreift. Wir sehen dort aber auch, dass der Staat spätestens dann gezwungen wird, einzugreifen, wenn die Banken von schlechten Entscheidungen betroffen werden und damit auch das Land vieler Bürger*innen, wie es bei der Finanzkrise 2007 passiert ist. Selbst die meisten Leute, die Kapitalismus an sich befürworten, sehen laissez-faire Kapitalismus daher oft kritisch.

Also, was sind die Alternativen?

Keynes und der „Wohlfahrtsstaat“

Nun, es gibt einige wirtschaftliche Schulen, die verschiedene Vorstellungen mit sich bringen, wo und wie in den Kapitalismus einzugreifen sei. Doch die einflussreichste – gerade in Europa – ist wohl die keynesianische Schule. Keynes war ein britischer Wirtschaftler, der nach dem zweiten Weltkrieg seine Theorien formulierte, die bisherige Annahmen über den Kapitalismus herausforderte. Zentral sagte er, dass der Markt zwar stabil sein kann, dennoch aber Arbeitsplätze verloren gehen können, und dass ein Problem hinter der bisherigen Betrachtung ist, dass diese annimmt, dass ein Kapitaleigner immer ein Interesse hat, sein Kapital zu vergrößern, in dem er dieses gänzlich einsetzt und arbeiten lässt. Keynes kam aber zu dem Ergebnis, dass viele tatsächlich große Teile ihres Kapitals unangetastet zurücklassen und nicht investieren, gerade wenn die Zukunft der Wirtschaft unsicher ist – sprich: Ausgerechnet, wenn die Wirtschaft Investition am meisten braucht. Er erkannte außerdem eine von Marx‘ Theorien an: Dass Kapitalismus immer von Perioden der Expansion, gefolgt von Perioden der Regression geprägt ist. Also Perioden in denen die Wirtschaft wächst, gefolgt von Perioden in denen sie schrumpft (anders gesagt: Krisen).

Daraus zog Keynes den Schluss, dass es im Interesse eines kapitalistischen Staates sei, dahingehend helfend einzugreifen. Das bedeutet zum einen Arbeitskräfte grundlegend abzusichern, da sich hohe Anteile an Krankheit, Armut und Obdachlosigkeit sich negativ auf die Wirtschaft allgemein auswirken. Das bedeutet aber auch, dass der Staat gerade zu schwachen Konjunkturzeiten in die Wirtschaft eingreifen sollte, um mit Investitionen diese wieder anzukurbeln, mehr Arbeitsplätze zu schaffen und die Wirtschaft zu stabilisieren.

Diese Grundlagen sind etwas, die in irgendeiner Form (aus der keynesianischen Schule haben sich diverse Abwandlungen entwickelt) in vielen europäischen Staaten das soziale System, aber auch das politische Handeln stark geprägt haben. Es wird in den meisten Ländern in irgendeiner Form anerkannt.

Auch andere wirtschaftliche Schulen haben ähnliche Probleme erkannt und schlagen ebenfalls verschiedenes Vorgehen des Staates vor, um die Wirtschaft stärker zu stabilisieren und dadurch sowohl die Wirtschaft, als auch die Bürger zu schützen.

Anteilshandel und Börsen

Davon abgesehen, sollten wir jedoch noch über eine Sache sprechen, die für Kapitalismus, wie wir ihn heute haben, von massiver Wichtigkeit ist und die ich bisher nur in Sachen Tulpenmanie angesprochen habe: Spekulation und finanzielle Anlagen.

Denn Kapitalismus bringt noch etwas anderes mit sich: Wenn Leute etwas neues entwickeln brauchen sie meistens Geld. Das gilt sowohl für die kleine Student*innengruppe mit dieser geilen Idee für eine Webseite, als auch für die große Firma, die ein neues Produkt entwickelt. Ja, sicher, letztere könnte in manchen Fällen rein theoretisch eigenes Kapital verwenden und dieses in die Entwicklung des neuen Produktes stecken – doch damit trägt sie allein das Risiko. Also suchen sich die Student*innengruppe und die große Firma für die Entwicklung ihrer Webseite/ihres Produktes Kapitalgeber. Leute, die die Entwicklung finanzieren. Natürlich macht das niemand einfach so und deswegen versprechen sie im Gegenzug Sachen. Meist einen Anteil an dem Projekt und den daraus erfolgenden Einkünften. Das ist bspw. letzten Endes, was an der Börse gehandelt wird: Anteile an Firmen, die der Firma Geld bringen, mit dem diese ihren Betrieb aufrecht erhalten kann.

Diese Anteile werden von den Leuten aus den unterschiedlichsten Gründen gekauft. Der von der Wirtschaft am liebsten gesehene Grund ist die tatsächliche Investition. Jemand gibt Geld in eine Firma, damit diese höheren Umsatz macht und ihm mehr Geld zurückbringt. Dadurch wird die Wirtschaft angekurbelt. Aber genau so gibt es natürlich auch Firmen, die recht stabil sind, weswegen man in sie das Geld relativ sicher anlegt – die sichersten Anlagen sind meistens allerdings Staatsanleihen, sprich, wenn man Geld an den Staat gibt.

Dann gibt es aber auch noch Leute, die Geld in eine Anlage stecken, um damit zu hedgen. Das ist Finanzsprech um „absichern“ zu sagen. Das sich Menschen, die selbst bereits in eine Sache investiert haben (oder selbst in einer Firma tätig sind), die aber ein hohes Risiko birgt und deswegen Geld in etwas geben, dass ein gegenläufiges Risiko hat. Sprich: Macht die eine Anlage Verluste, macht die andere Gewinne. Das klingt soweit natürlich noch sinnvoll.

Dann aber gibt es noch eine weitere Gruppe: Menschen, die einfach nur spekulieren. Anders gesagt: Menschen und Firmen, die auf den Aktienmarkt oder andere Formen der Anlage spekulieren, Geld darein investieren, um das ganze später teurer zu verkaufen. Und diese sind eben oft ein Problem, da sie halt bei ihren Investitionen nicht immer rational vorgehen. Sie nehmen nicht die klügsten Investitionen – und wenn viele es eben falsch machen und diejenigen, die investieren auch noch selbst Firmen sind, tja, dann kann das der Wirtschaft auch weh tun.

Allerdings bringen Anlagen und Investitionen noch einen weiteren Aspekt mit sich.

Stakeholder und Shareholder

In unserer Vorlesung zu Finanzierungswesen wurde der Finanzmarkt als ein „beständiger Wettbewerb um Eigenkapitalgeber“ beschrieben. Sprich: Der Finanzmarkt, der einen nicht unerheblichen Teil des Gesamtmarktes ausmacht, da die hier verteilten Finanzmittel nun einmal wichtig für die Funktion vom Rest der Wirtschaft sind, ist dadurch geprägt, dass alle Firmen versuchen Finanzmittel für sich zu sichern – die eben meist von einigen eher wenigen großen Kapitalgebern kommen. Das sorgt natürlich, da auch hier das Prinzip von Angebot und Nachfrage zutrifft, dazu, dass die Firmen versuchen müssen, diesen Kapitalgebern möglichst gute Angebote zu machen. Ihnen soll möglichst viel ausgeschüttet werden und das möglichst regelmäßig. Und da die Kapitalgeber üblicherweise Dividenden, die vom Gewinn des Betriebs in einer Zeitperiode abhängig sind, erhalten und eventuell abwandern, wenn es mehrere Perioden keine hohen Dividenden gibt, werden Anreize geschaffen, die Gewinne in den einzelnen Perioden möglichst hoch zu halten – selbst, wenn der Gesamtgewinn, wenn man langfristiger plant, eigentlich höher ausfallen würde. Doch diese langfristige Planung ist nicht möglich, wenn man Gefahr läuft einen Teil des für die Aufrechterhaltung des Betriebs notwendigen Kapitals jeder Zeit verlieren zu können.

Und damit kommen wir zum Unterschied zwischen Stakeholder Kapitalismus und Shareholder Kapitalismus. Diese sind noch einmal eine andere Betrachtungsweise des kapitalistischen Systems, die speziell den Finanzmarkt mitbedenkt.

Shareholder*innen sind eben diese genannten Investierenden, die Kapitalgeber, die ihre Finanzmittel Firmen zur Verfügung stellen, damit diese damit wirtschaften können, und die dafür eben Ausschüttungen wie bspw. in Form von Dividenden erwarten. Stakeholder*innen sind alle, die mit der Firma zu tun haben. Im engeren bedeutet das üblicherweise alle Mitarbeiter*innen der Firma, alle Chef*innen der Firma, die Shareholder*innen und eben auch Firmen, mit denen die eigene Firma eng zusammenarbeitet (bspw. Lieferant*innen). Im weitesten Sinne kann man aber auch sagen, dass die Öffentlichkeit, andere Marktteilnehmer und der Staat ebenfalls Stakeholder sind. Sprich: Sie alle werden davon beeinflusst, wie gut die Firma wirtschaftet und wie diese handelt.

Es galt lange Zeit in vielen Ländern (vor allem in Japan übrigens) als üblich einen Stakeholder-Kapitalismus zu betreiben. Also einen Kapitalismus, bei dem die Firma zum Wohl der zumindest engeren Stakeholder*innen gearbeitet hat. Das beinhaltete auch die Shareholder*innen, aber eben auch die Mitarbeiter und Firmen, mit denen kooperiert wurde. Dadurch wurden Entscheidungen tendenziell eher langfristig getroffen. Durch einige Regeländerungen – vor allem in den USA unter Reagan – wurde der Finanzmarkt jedoch dereguliert, was die Macht der Kapitalgeber erhöht hat und dies führte dazu, dass mehr und mehr Shareholder im Fokus der Firmen und ihrer Entscheidungen standen und bis heute stehen. Das heißt bspw. auch, dass Mitarbeiter*innen einer ganzen Abteilung notfalls bei einem schlechten Quartalsergebnis gefeuert werden, um dadurch die Quartalsergebnisse durch geringere Personalkosten etwas zu schönigen zu können, was wiederum zu höheren Ausschüttungen führt. Die Tatsache, dass in vielen Fällen auch Entscheidungsträger*innen selbst Shareholder *innensind und sein dürfen, verstärkt diesen Effekt natürlich noch weiter.

Machtfragen

Das sind also die Grundlagen des Kapitalismus. Es ist ein System, dass in der Theorie auf einem gesunden Wettbewerb aufbaut, der dafür sorgen soll, die Preise zu regulieren. Es gibt damit, wie oben bereits gesagt, einige Probleme, die verschiedene Schulen auf unterschiedliche Arten angehen. Dazu gehören eben die Notwendigkeit bestimmter Produkte, die Gefahr von Monopolen und Kartellen, den Anreiz Kapital zu horten und zuletzt die Irrationalität menschlicher Entscheidungen und die daraus resultierende Volatilität des Marktes.

Es gibt allerdings zwei andere Probleme im Kapitalismus – das eine wirkt der Funktionsweise des Kapitalismus selbst entgegen. Das zweite ist moralischer Natur – selbst wenn es auch hier genug wirtschaftliche Studien gibt, die zeigen, dass es dem Markt schadet.

Das erste ist die ungleiche Machtverteilung des Kapitalismus. Die Kapitaleigner haben ungleich viel Macht, gegenüber allen anderen. Dies erkauft ihnen sowohl politische Positionen, die Möglichkeit sich (bspw. durch Nutzung von den unterschiedlichen Rechtslagen in verschiedenen Ländern bei globalen Unternehmen) über Regulierungen hinweg zu setzen und auch in jeder eigentlich durch den Wettbewerb regulierten Situation entgegen des Marktes handeln können. Ein gutes Beispiel findet sich hierbei bzgl. Jobangeboten. Denn auch hier kommt die ungleichmäßige Machtverteilung hin. Viele Leute sind laut Markt (Stichwort: Angebot und Nachfrage) unterbezahlt. Technisch gesehen kommt dies aus dem ersten Problem: Die Arbeiter*innen brauchen einen Job, weil sie das Geld brauchen, um zu überleben. Deswegen sind sie am Verhandlungstisch jedoch am kürzeren Hebel. Meist findet sich wer, der verzweifelt genug ist, um für ein niedrigeres Gehalt zu arbeiten. Ansonsten sind viele Firmenbesitzer weniger darauf angewiesen, dass alle Stellen besetzt sind, als die Arbeiter*innen auf das Gehalt.

Und daraus resultiert jedoch natürlich der moralische Aspekt: Die Kapitaleigner (egal ob nun der Chef oder die Kapitalgeber) erhalten beinahe immer mehr Geld aus einer Firma, als die Arbeiter – egal, wie essenziell letztere sind. Weit mehr. Während viele normale Arbeiter*innen oft froh sind, wenn sie zwischen 40 000 und 60 000 im Jahr machen, verdienen etwaige Manager*innen, Chef*innen und Kapitalgeber*innen oft ein Vielfaches. Dies wurde lange Zeit damit begründet, dass sie diejenigen sind, die die Verantwortung tragen und den Kopf hinhalten müssen, wenn etwas schief geht. Doch genau das bestätigt sich nur noch selten. Schauen wir bspw. den VW-Abgas-Skandal an, so haben diverse Manager*innen nicht nur ihre Jobs, sondern auch ihre Boni behalten – während diverse Arbeiter*innen entlassen wurden, die mit der Betrugsentscheidung nichts zu tun hatten. Genau das ist der Aspekt, an dem viele der anti-kapitalistischen Ideologien ansetzen. Mit der Frage: Ist so etwas gerecht? Ist so etwas moralisch zu verantworten?

Es ist einer der Aspekte, die unter anderem Marx inspiriert haben – und darüber sprechen wir am Mittwoch.


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