Gewalt in Fantasy – Teil 6: Gewalt und Privilegien
Als kleiner Bonus noch ein letzter Eintrag zum Schluss, weil es ein Thema gibt, dass ich bisher ausgelassen habe und das sehr interessant ist, wenn es um die Frage von Gewalt – sowohl in der Fiktion, als auch in der Realität geht. Und das ist die Frage wie Gewalt von Privilegien beeinflusst wird.
Auf dieses Thema bin ich dank dem Video von Fandom Musings zu Steven Universe und wie diese Serie damit umgeht, gekommen. Denn Steven Universe ist eine interessante Show, wenn es um das Thema: Gewalt oder keine Gewalt geht, da sie dahingehend Grautöne besitzt, die viele andere Geschichten nutzen. Schaut euch das Video an, wenn ihr auf dem aktuellen (englischen) Stand der Serie seid.
Doch ja, darin wird ein Thema angesprochen, dass sehr wichtig und interessant ist: Einen Konflikt ohne Gewalt lösen zu können, ist oftmals ein Privileg, beziehungsweise braucht gewisse gesellschaftliche Privilegien. Denn man muss eine Stimme haben, die gehört wird, um dazu fähig zu sein. Man muss jemand sein, dem die Verantwortlichen zuhören wollen. Ist man das nicht, kann es sein, dass andere Mittel – von zivilen Ungehorsam, hinzu Gewalt – benötigt werden, um sein Ziel zu erreichen.
Ich würde allerdings noch weiter gehen: Sich mit Gewalt gegen Ungerechtigkeit wehren zu können, kann ebenso ein Privileg sein, denn nicht jeder hat diesbezüglich dieselben Möglichkeiten. Mit dem Thema fangen wir vielleicht an.
Gewalt als Privileg
Ich denke, den meisten von euch fallen Bereiche ein, in denen Menschen in ihrer Fähigkeit Gewalt zu nutzen auf irgendeine Art eingeschränkt sind. Allein schon in der Realität: Jemand mit eingeschränkter Mobilität kann sich nicht gegen alles mit Gewalt verteidigen. Jemand, der körperlich nicht stark genug und nicht die Möglichkeit hat an Waffen zu kommen, definitiv auch. Wie schon gesagt, werden auch Frauen oft von Gewalt ausgeschlossen. Aber es geht noch weiter.
Wer beispielsweise die Situation in den USA verfolgt, weiß, dass dort Minderheiten oft in Bezug auf ihre Möglichkeiten sich selbst gewalttätig zu verteidigen (etwas, das in einigen Staaten sogar ein Recht ist) stark eingeschränkt sind. Implizit und explizit. BPoC werden überproportional stark auf Waffen kontrolliert. Es wird ihnen deutlich schwerer gemacht an Waffen zu kommen – auch dort, wo der Besitz eigentlich legal ist. (Adam Ruins Everything hat unter anderem darüber gesprochen.) Und wenn sie eine Waffe haben, kann diese überproportional stark bei BPoC dazu führen, dass die Polizei sie erschießt – angeblich in Selbstverteidigung.
Und das sind nur Möglichkeiten zur Gewalt. Auch andere Minderheiten werden dahingehend eingeschränkt. In den Native American Reservations sind oftmals sogar diesbezüglich die Möglichkeiten der örtlichen Polizei deutlich eingeschränkt – im Vergleich zu polizeilichen Institutionen außerhalb.
Und dieser Umstand, der Umstand, dass bestimmte Gruppen in in ihren Möglichkeiten Gewalt einzusetzen, durch Umstände, Regeln und Institutionen stark eingeschränkt werden ist natürlich nicht nur in den USA so, selbst wenn es dort durch die Ungerechtigkeit bezüglich der Verteilung von ansonsten kaum regulierten Feuerwaffen, noch verstärkt wird.
Doch beispielsweise haben wir auch in Ländern mit stark limitierenden Regeln für den Gebrauch und Besitz von Waffen – wie es bspw. in Deutschland ist – natürlich einen Unterschied. Manche Leute haben einen einfacheren Zugang auf legalem Weg und wer bereits in illegale Machenschaften verstrickt ist, hat natürlich ebenfalls leichten Zugang auf illegalem Weg an Waffen und andere Möglichkeiten zu kommen, sich zu wehr zu setzen. Etwas, das ein bevorzugtes Argument der Waffenlobby für lockere Gesetze ist: Wer ohnehin das Gesetz bricht, kommt dennoch an seine Waffen, wenn er will.
Gewaltprivilegien in Fantasy
Das ganze geht jedoch noch einen Schritt weiter, wenn wir ein fantastisches Setting betrachten, in dem manche Leute magische Fähigkeiten haben, aber nicht alle, und natürlich auch noch zusätzliche Hindernisse dafür bestehen, wer kämpfen kann und wer nicht. Eventuell sind die Bösewichte auch Dämonen, die nur von Halbengeln bekämpft werden können – ein übliches Set-Up, um den Helden in Aktion zu zwingen, allerdings auch eins, dass eben auch die Frage mit sich bringt, was mit allen anderen ist.
Technisch gesehen bringt auch Herr der Ringe dieses Thema auf, als Eowyn und Merry vom Krieg ausgeschlossen werden. Sie, weil sie eine Frau, er, weil er weder Mensch, noch Elf, noch Zwerg ist und ihnen damit die Fähigkeit zu kämpfen aberkannt wird, weshalb sie sich auf das Schlachtfeld am Ende schleichen. Auch das ist ein Thema bezüglich Gewaltprivilegien: Dass eben Bestimmte Gruppen ausgeschlossen sind.
Doch natürlich ist die Kräfte-Diskrepanz zwischen den „einfachen Menschen“ und den „besonderen Menschen“ in Fantasy und SciFi Geschichten oft das größere Thema. Der nicht-magische Mensch hat wenig Möglichkeiten sich gegen magische Angriffe zu wehren – jedenfalls in vielen Fantasy-Welten – ist daher als Kämpfer komplett irrelevant oder wird zumindest so gehandhabt. Ausnahmen mag es geben, immerhin haben Ensemble-Geschichten in solchen Settings gerne einen Charakter ohne Kräfte dabei und eventuell gibt es alte, gelehrte Mönchspriester oder etwas der Art, die ebenso eingreifen können, dennoch sind oftmals die „magischen Menschen“ die Hauptkämpfer.
Was dahingehend schade ist, ist eben, dass dieses Privileg selten erforscht wird im Sinne, wie es das Denken der Menschen in der Welt beeinflusst, jedenfalls von den Menschen, die davon wissen – etwas, das nicht immer gegeben ist. Immerhin kann sich eine nicht-magische Person ziemlich hilf- und nutzlos fühlen, wenn sie weniger Möglichkeiten haben, sich selbst zu verteidigen. (Was übrigens auch ein in meinen Augen unterrepräsentierter Aspekt in Superhelden-Franchises ist.)
Friedensprivilegien
Wir sollten allesamt nicht vergessen, dass es jedoch auch ein Privileg ist, dass auch wir genießen: Die meisten von uns und zumindest alle, die in Deutschland und Österreich aufgewachsen sind, sind ohne Krieg aufgewachsen. Nicht unbedingt ohne Gewalt, doch zumindest ohne Krieg. Das ist ein Privileg, das nicht alle Menschen auf der Welt genießen können. Ein doppeltes Privileg ist es, komplett ohne Gewalt aufzuwachsen. Keine Gewalt in der Familie, in der Schule und anderen sozialen Umfeldern. Vielleicht ein beinahe utopisches Privileg.
Gerade wenn man Geschichten hat, in denen die Protagonisten aus einem „einfachen Leben“ in einen mystischen Krieg gestoßen werden, kann dies beispielsweise ebenso ein interessanter Aspekt sein: Sie können sich ihres Privilegs bewusst werden und es hinterfragen, anstatt sich entweder der Gewalt einfach hinzugeben oder einfach nur von der Gewalt – weil sie schlecht ist – angewidert zu sein.
Dies hat mit einem Punkt zu tun, der in dem oben verlinkten Video angesprochen wird: So sehr ich mir auch wünschen würde, dass Fantasy und SciFi (aber vor allem Fantasy) nicht ständig auf Gewalt aufbaut, so sehe ich absolut ein, dass es die Realität ist, dass bestimmte Konflikte sich nicht gewaltfrei lösen lassen. Gerade in Fantasy, wo die Bösewichte vollends böse sind, ist es oft eine utopische Vorstellung, dass dies möglich wäre. Auch in anderen Geschichten ist ein vorgehen ohne Gewalt oftmals nicht möglich. Was allerdings nicht heißt, dass die Gewalt nicht dennoch psychische Spuren beim Charakter hinterlassen würde.
Nein. Einen Konflikt, auch einen kriegerischen Konflikt, ohne Gewalt und mit Diplomatie zu klären, ist ein Privileg. Wenn du der einfache Bauernsohn Hans Christian bist, wird dir der König nicht zuhören – es sei denn, du bist der einfache Bauernsohn Hans Christian, der zum Kriegshelden geworden, zum Ritter geschlagen und praktisch legendär geworden ist, so dass der König sich mit dir gut stellen will. So oder so: Diplomatisch vorgehen zu können und dabei Beachtung zu finden, ist ein Privileg. Eventuell ein erarbeitetes Privileg, nicht selten aber auch ein angeborenes. Dessen sollte man sich als Autor bewusst sein, wenn man solche Geschichten schreibt.
Abschlussworte
Was ich letzten Endes sagen will: Ich würde mir wünschen, dass Autoren und Leser (beziehungsweise Medienkonsumenten gesamt) stärker die Rolle der Gewalt in der Fiktion und ihre Notwendigkeit hinterfragen würden, wie auch ihre Auswirkungen auf die Welt in der eine etwaige Geschichte spielt. Ebenso würde ich mir wünschen, dass darüber nachgedacht wird, wer Gewalt einsetzt, wer Gewalt einsetzen kann, wer dies nicht kann und wer dies nicht muss und was das über die Welt und die Charaktere aussagt.
Und wenn ihr einen Charakter haben wollt, der mordend durch die Bösewichtsreihen brescht: Auch das wäre eine Sache, die man ansprechen kann. Denn Gewissenlosigkeit und die Fähigkeit vor Gewalt nicht zurückzuschrecken, kann in einer Situation, die Gewalt erfordert, ein deutlicher Vorteil sein – aber in anderen Situationen zum Hindernis werden.
Gewalt hat unterschiedliche Seiten. Sie ist nicht per se gut oder schlecht. Sie ist eine Folge von Geschehnissen, die sich auf Charaktere und Umwelt auswirkt und die nicht jedem als gleiches Mittel zur Verfügung steht. /ENDE
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