Allergenangaben sinnvoll? Die Triggerdebatte

Ab und an höre ich Beschwerden von Köchen und Restaurants, dass man mit den Angaben von Allergie-Auslösern sowieso nichts richtig machen kann. Immerhin gäbe es so viele verschiedene Zutaten, auf die einzelne Leute allergisch reagieren können, dass es praktisch unmöglich wäre, alle zu nennen. Und manche Leute würden sich sowieso nur etwas einbilden, hätten gar keine richtige Allergie. Immerhin äße so manch ein angeblich Gluten-Intoleranter auf einmal doch Brot, wenn der Hunger groß oder das Brot nur richtig präsentiert würde. Dazu möchte ich etwas sagen.

Triggerwarnungen für den Artikel SelectShow

Eine Imbisskette und zwei Todesfälle

Denn wenn so ein Koch selbst keine Allergien hat und nicht viel mit Allergikern zu tun, kann es natürlich manchmal so wirken, dass manch ein Allergiker übertreibt und ja, manche Leute auch einfach angeben, allergisch zu sein, obwohl sie es nicht sind. Was so ein Koch allerdings bedenken sollte: Allergien können tödlich sein. Es gab in den letzten Jahren mehrfach Fälle in den UK, wo bei der Kette Pret a Manger Allergiker, die gegen Sesam allergisch waren, aufgrund von den Folgen eines anaphylaktischen Schocks gestorben sind. Warum? Weil der Sesam nicht ausgeschrieben war. Immerhin beinhalteten die Produkte nur Spuren von Sesam.

Todesfälle sind natürlich nur die Spitze des Eisbergs. Häufiger kommt es zu Atemproblemen, Kämpfen, Übelkeit und Ausschlag, die für den Betroffenen unangenehm bis schmerzhaft sind – und natürlich immer Gefahren mit sich bringen. Bestenfalls ist es nach kurzer Zeit vorbei, aber eventuell sind diese allergischen Reaktionen mit Arztbesuchen und einigen Tagen Krankheitsausfall von Schule und Arbeit verbunden. Welche, wenn die Auslöser nicht angegeben waren, fraglos auf die Kappe des Herstellers, Restaurants oder Kochs gehen.

Und ja, natürlich gibt es Menschen, die Allergien vorschützen. Doch die wenigstens machen das „einfach so“. Vielleicht mag die Person eine bestimmte Zutat einfach nicht. Vielleicht löst diese Zutat bei ihnen auch Unwohlsein aus. Und selbst, wenn es einfach „Wichtigtuerei“ ist, sollte dies kein Grund sein, auf wirklich Betroffene keine Rücksicht zu nehmen.

Zuletzt noch: Sicher. Allergie-Auslöser sind vielzählig, vor allem wenn man Kreuzallergien bedenkt, doch sind die meisten schon damit zufrieden, die häufigsten Auslöser (bspw. Erdnüsse, Mandeln, Ananas, Gluten, Glutamat etc.) aufgezählt zu finden. Wer seltenere Allergien hat, fragt meistens nach.

Allergisch allegorisch

Ich denke, die meisten von uns fänden den Vorschlag albern mögliche Allergene nicht länger auf den Lebensmitteln anzugeben, oder? Denn natürlich können von Allergien Menschen sterben oder zumindest stark gesundheitlich beeinträchtigt werden. Ein Restaurant, dass entsprechende Dinge nicht ausschildert, steht wie Pret a Manger schnell in der Kritik.

Warum fällt es in den Medien dabei aber so vielen Menschen schwer, psychische Allergene anzugeben? Anders gesagt: Warum ist es für manche Leute so schwer zu verstehen, dass Triggerwarnungen wichtig und nötig sind? Denn tatsächlich gibt es zwischen Triggern und Allergenen viele Gemeinsamkeiten.

Folgen von Triggern

Ich höre jetzt schon wieder den üblichen Einwand: „Aber der Vergleich ist doch absolut lächerlich! Die bilden sich den Scheiß doch nur ein! Diese doofen Schneeflocken sollen sich nicht so anstellen!“ Worauf die korrekte Antwort nur sein kann: „Falsch in beinahe jeder Hinsicht.“

Trigger sind real. Sie werden psychologisch auch als Traumastimulus oder Traumaerinnerung bezeichnet und hängen, wie der Name schon sagt, meistens mit psychologischen Traumata, manchmal allerdings auch mit anderen psychischen Erkrankungen zusammen. Sie bedeuten, dass bestimmte Themen bei betroffenen Menschen psychische, aber auch physische Symptome hervorrufen können.

Die psychischen Symptome können sein: Verschlechterung einer Depression, Panikattacken (inklusive der damit einhergehenden physischen Symptome), Weinkrämpfe, Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, die teilweise für mehrere Tage anhalten, und viel, viel mehr.

Physische Symptome können neben den üblichen Nebeneffekten von Panikattacken generelle Atembeschwerden, Kreislaufprobleme, Übelkeit und Erbrechen, Kopfschmerzen, Schwindel und ähnliches sein.

In manchen Fällen können Trigger auch selbstverletzendes Verhalten und Suizidalität begünstigen oder verstärken, können damit also durchaus tödlich sein.

Kann man denn vor allem warnen?

Ja, aber“, schreibt der Advocatus Diaboli jetzt, „die Leute können doch wegen jedem Schwachsinn getriggert werden! Ich habe mal von jemanden gehört, der wurde von der Farbe Rot getriggert! Soll ich jetzt jedes Scheißwort, das in meiner Geschichte vorkommt, angeben? Ist doch totaler Blödsinn das alles!

Und natürlich lautet auch hier die Antwort: Nein. Ähnlich wie bei Allergenen verlangt gar niemand, dass jedes mögliche Thema angeben wird, denn das wäre tatsächlich absolut nicht möglich. Allerdings gibt es nun einmal ein paar Themen, die besonders viele Leute betreffen, eben ähnlich wie die Erdnussallergie, und daher als mögliche Angabe hilfreich sind – umso mehr, wenn diese Themen eine große Rolle in der Geschichte spielen.

Um einige übliche Themen zu nennen (ohne einen Anspruch zu haben, dass die Liste vollständig ist):

  • Suizid, Suizidversuche und suizidales Verhalten von Figuren
  • Selbstverletzendes Verhalten (selbst, wenn dieses innerhalb von bspw. magischen Ritualen passiert)
  • Depressionen
  • Vergewaltigungen und sexueller Missbrauch
  • Gewalt (eventuell spezifiziert durch „Gewalt an Kindern“, „Gewalt an Frauen“, „Gewalt an Tieren“ etc.)
  • Tod
  • Krieg
  • Krankheiten (erneut eventuell spezifiziert, wenn es um weit verbreitete Krankheiten wie „Krebs“ geht, die für Betroffene nicht schön zu lesen wären)
  • Mobbing
  • Kindesmissbrauch
  • Drogen, Alkohol & Suchtverhalten allgemein
  • Sexismus
  • Rassismus
  • LGBTQ* feindliches Verhalten

Ähnlich wie bei selteneren Allergien sind sich Menschen, die unter sehr spezifischen Triggern leiden, bewusst, dass sie diese Angabe meistens nicht direkt finden werden und fragen eventuell vorher nach, indem sie beispielsweise ein Buch erst von Freund*innen lesen lassen.

„Die sollen sich nicht so anstellen“

Dann kommt jedoch der nächste Gegensprecher: „Ach, die sollen sich alle nicht so anstellen! Wollen die diesen Themen denn ein ganzes Leben lang aus dem Weg gehen?! Die müssen ihre Probleme mal richtig konfrontieren, anstatt rauszufiltern, was sie nicht lesen wollen.

Hierzu ist mein erster Gedanke: Ja, cool, du Besserwisser, aber du bist sehr wahrscheinlich kein Psychologe. Du kennst ihren spezifischen Fall nicht. Viele sind in Therapie mit Fachleuten, die weitaus besser entscheiden können, ob und wann Konfrontationstherapie sinnvoll für diejenige*denjenigen ist. Und ja, manche Leute kommen über bestimmte Sachen eventuell nie hinweg. Aber das ist nicht ihre Schuld. Nicht jede Psyche verarbeitet so ein Trauma gleich.

Ein weiterer Aspekt ist jedoch auch, dass nicht jeder Triggerwarnungen will, um den Themen komplett aus dem Weg zu gehen. Manche wollen sich einfach nur mental darauf vorbereiten können, innerhalb einer Geschichte mit einem bestimmten Thema konfrontiert zu werden. Wenn darauf vorbereitet, trifft der Trigger bei manchen nicht so stark oder gar nicht. Ich selbst komme mit so ziemlich jedem meiner Triggerthemen klar, sofern ich mich vorher mental darauf vorbereiten kann. Kann ich das jedoch nicht, sitze ich schnell als Häuflein Elend da.

Andere kommen mit bestimmten Themen einfach in bestimmten Phasen nicht klar. Vielleicht haben sie gerade eine depressive Phase und reagieren daher auf bestimmte Trigger empfindlicher. Vielleicht macht Stress sie für Trigger anfälliger, weshalb sie in einer Prüfungsphase an Uni und Schule sich dem Thema nicht aussetzen wollen. Vielleicht hat es noch ganz andere Gründe.

Anders gesagt: Nicht jeder, der Triggerwarnungen will, möchte diese, um ein Thema komplett zu umgehen, und diejenigen, die ein Thema komplett umgehen, haben meist gute Gründe dafür.

Spoilergefahr?

Das nächste Argument, was von der Gegenseite genannt wird, lautet oft wie folgt: „Aber das ist ein Spoiler! Ich kann Thema XY nicht erwähnen, ohne dass die Leser total gespoilert werden würden!

Das ist noch ein Argument, bei dem ich mich sehr schwer tue, es zu verstehen. Wo ist es ein Spoiler zu sagen: „Jemand stirbt in der Geschichte“? Es sagt der*m Leser*in ja nicht, wer es ist. Technisch gesehen kann eine Triggerwarnung auf „Tod“ sogar nur bedeuten, dass „Tod“ in irgendeiner Form eine größere Rolle spielt. Eventuell ist es auch der Tod, der schon vor Beginn der Geschichte verstorbenen Mutter, den der Protagonist im Verlauf der Geschichte aufarbeitet.

Dasselbe gilt für so ziemlich jede der anderen angesprochenen Trigger. Mir fällt persönlich kein Szenario ein, in dem es ein Spoiler wäre – schließlich sagt man nicht, welchen Charakter es betrifft und ob es in der Gegenwart oder Vergangenheit der etwaigen Geschichte stattgefunden hat.

Aber gut, selbst wenn es so wäre: Dann gebt die Trigger auf eine Art an, dass sie nicht sofort ins Auge fallen. Lasst sie hinten ins Buch setzen. Setzt sie (wie wir) in der Buchbeschreibung in die Spoiler. Wer sie nicht lesen will, muss sie nicht lesen. Aber wer sie braucht, bekommt so die Möglichkeit.

Zensur!

Und dann gibt es noch das Argument, das mich persönlich regelmäßig zur Weißglut treibt: „Das ist aber Zensur! So fängt das an, und dann darf man über diese Themen irgendwann nicht mehr schreiben und alle Bücher werden verbrannt!“ (Übrigens kein übertriebenes Argument: Genau das hat mir gegenüber einmal ein Fantasy-Autor behauptet.)

Was mir dazu einfällt: In einigen Ländern der Welt sind fast 8% aller Menschen von Erdnussallergie betroffen. Dennoch hat nie jemand auch nur Ansätze gemacht, den Anbau und Verkauf von Erdnüssen in diesen Ländern zu verbieten. Ausgeschildert werden müssen diese dennoch.

Es ist bei Triggern nichts anderes. Schaut euch doch die beliebtesten Serien im Fernsehen und auf Netflix an. Vielen von diesen beinhalten Vergewaltigungen, graphische Morde, Krieg, Gewalt, Sexismus, Rassismus und mehr. Dasselbe kann man auch für bestimmte Büchergenre, für Comics und teilweise auch über Filme sagen. Glaubt ihr wirklich, dass diese Themen – Themen, die massiv viel Geld in die Kassen großer Firmen bringen – so schnell verboten würden, nur weil man sie ausschreibt?

Videospiele sind teilweise schon lange verpflichtet, bestimmte Themen anzugeben – und doch ist es weit eher die Ausnahme, als die Regel, dass ein solches Spiel auf dem Index landet.

Triggerwarnungen sind letzten Endes eine Ergänzung zu anderen Dingen, wie bspw. Altersfreigabe, die bisher auch nicht zu Zensur – jedenfalls nicht zur Zensur in dem Maße, dass hier angedeutet wird, nämlich, das Themen verboten, ja, Bücher sogar vernichtet würden – geführt hat. Sie sind einfach nur eine Hilfe an die*en potentielle*n Konsumenti*en, zu entscheiden, ob si*er ein Buch zu einer bestimmten Zeit lesen, einen Film zu einer bestimmten Zeit schauen möchte. Letzten Endes nicht anders als Genre.

Natürlich könnte theoretisch jeder Zeit ein autoritäres Regime an die Macht kommen. Aber ich halte die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Triggerthemen verbietet, für geringer, als dass dieses Bücher über bestimmte Minderheiten verbietet – oder bspw. Fantasy-Literatur. Zumindest sehe ich diese Möglichkeit gegeben, sollte das Regime religiösen Ursprung haben. Immerhin sind laut einigen extremeren Gruppen innerhalb mancher Religionen auch Harry Potter, Herr der Ringe und My little Pony Teufelswerk, das Kinder zum Satanismus verführt. Aber das ist etwa so wahrscheinlich, wie das Szenario von The Handmaid’s Tale.

Die Alternative

Was ich mich in der ganzen Diskussion auch Frage, ist, was die Menschen, die keine Trigger angeben wollen, dabei gewinnen? Was ist es, was sie sich erhoffen?

Denn für Betroffene sehen die Alternativen zu Triggerwarnungen so aus: Entweder sie konsumieren Medien weniger, lassen alles von Freunden vorher durchchecken (was ebenfalls zu weniger Konsum führt) oder sie werden eventuell getriggert. Keine von den beiden Möglichkeiten ist aus Sicht der*s Autors*in (oder sonstiger*n Medienschöpfer*innen) ideal, oder?

Wenn Betroffene weniger lesen oder generell bestimmten Genre aus dem Weg gehen, da diese besonders häufig ihr bestimmtes Thema beinhalten, so heißt das für die Autor*innen auch, dass diese Leser*innen eventuell gänzlich für ihre Bücher verloren ist, weil sie bestimmte Trigger haben. Diese Trigger kann im einzelnen Buch nicht vertreten sein, doch wenn es keine Triggerangaben gibt, gibt es keinen Grund, diesen auszuschließen. Optimal für den Künstler? Sicher nicht.

Natürlich können Betroffene auch nachfragen, nur kann das je nach Art des Triggers eben auch sehr unzuverlässig sein. Fragt man Freunde, können diese so etwas nicht bewusst wahrnehmen. Fragt er betroffene … Na ja, würde ich eine*n Autor*in fragen, di*er sich bekannterweise über Triggerwarnungen lustig macht? Eher nicht.

Lesen Betroffene unbedarft weiter und werden potentiell getriggert … was hat Künstler*in dadurch gewonnen? Solltet ihr jemand sein, der die Ansicht vertritt, dass das alles albern ist: Stellt euch vor, eine Elternteil, Geschwisterkind oder Freund*in konfrontiert euch damit, dass eine geliebte Person Selbstmord begangen oder es versucht hat, weil euer Buch/Film/Spiel die Person getriggert hat. Noch immer lustig? Sicher?

Rücksichtnahme

Triggerwarnungen sind letzten Endes nicht mehr als einfache Rücksichtnahme. Ihr nehmt auf Menschen Rücksicht, denen es nicht so gut geht, wie euch – und denen es nachweisbar nicht gut geht. Ja, natürlich werden auch da – wie oben in der Allergie-Allegorie eingebracht – Menschen sein, die eigentlich nicht wirklich getriggert werden, sondern einfach nur ein Thema aus welchen Gründen auch immer meiden. Aber auch hier: Warum wollt ihr nicht auf diese Rücksicht nehmen?

Es gibt viele Möglichkeiten Triggerwarnungen einzubringen. Diverse Kinos zeigen sie mittlerweile vor den Filmen („Dieser Film enthält (graphische) Darstellungen von sexueller Gewalt und ist eventuell nicht für alle Zuschauer geeignet.“) und auch Spiele haben diverse Themen irgendwo erwähnt. Es ist nicht schwer. Wer als Autor*in warnen möchte, kann dies auf diverse Arten tun. Vorne im Buch, hinten im Buch (wobei das bei Ebooks eventuell nachteilig ist), in der Produktbeschreibung oder notfalls auch über die Autorenwebseite. Wir haben es hier auch über einen Spoiler-Tag gemacht.

Es ist nicht viel Aufwand, kann aber für einige Betroffene einen großen Unterschied machen.

Also bitte, bitte nehmt Rücksicht.

Und ganz nebenbei: Diverse Leute suchen auch nach bestimmten Themen, die über Triggerwarnungen angegeben sind, weil sie lieber Geschichten lesen, in denen es durch „Tod“ bspw. Konsequenzen gibt. Sie sind also nicht einmal nur für Leute interessant, die diese Themen meiden wollen.

Beitragsbild aufgenommen von Yinan Chen über GoodFreePhotos unter Public Domain bereitgestellt.