Dekolonialisierung der Phantastik: Koloniales Disney

Koloniale Narrativen gibt es überall. Der Kolonialismus und seine Denkweisen sind tief in unserer Kultur verankert, wie wir im Rahmen der „Dekolonialisierung der Phantastik“ Beiträge schon ausführlich erörtert haben. Deswegen soll es diese und nächste Woche um eine bestimmte Firma gehen und ihren Bezug zu diesem Thema.

Dieser Beitrag ist ein Bonus-Beitrag zur Dekolonialisierung der Phantastik Reihe.

Disney, der Mediengigant

Es wirkt nicht übertrieben – vor allem nicht zur heutigen Zeit – zu sagen, dass Disney die amerikanische Popkultur mehr prägt, als irgendein anderer Konzern. Was wäre die moderne amerikanische Medienlandschaft ohne Disney, denen mittlerweile zwischen Marvel, Star Wars und anderen aufgekauften Fox-Medien so viel gehört?

Doch selbst bevor der Mutterkonzern Disney so viele andere Konzerne aufgekauft hat, war Disney prägend für die US-Medien. Disney Animation Studios waren praktisch synonym mit „amerikanischer animierter Musical Film“. Klar, diese gab es auch von anderen Firmen, aber es hat schon seinen Grund, warum bei diversen dieser anderen Firmen so viele glauben, dass ihre Filme eigentlich von Disney seien. Das Genre und das Studio gehören einfach zusammen.

Bedenken wir dabei aber, wie sehr die amerikanische Medienlandschaft ebenfalls von Kolonialismus geprägt wurde – und auch wie alt Disney ist – sollte es kaum verwundern, dass Disney ebenfalls diese kolonialistischen Einflüsse vorweisen kann. In diesem Beitrag soll es daher um jene Filme von Disney gehen, die massiv von Kolonialismus geprägt wurden. Inklusive jener Filme, die Disney selbst gerne vergessen würde.

Die Arten von Kolonialismus

Bevor wir auf einzelne Beispiele eingehen, lasst uns erst einmal über die Arten sprechen, auf die Disney kolonialistische Konzepte in seine Filme eingebaut hat. Lasst uns dabei übrigens direkt eine Sache klar machen: Das ist nicht nur etwas, das in Disneys früher Phase vorkam, sondern Dinge, die sich auch in den Filmen der Renaissance finden – sprich selbst Mitte der 1990er Jahre noch.

Prinzipiell macht sich Disney dabei vor allem zweier Dinge schuldig: Zum einem der Reproduktion rassistischer Stereotype, zum anderen aber auch kultureller Aneignung – wobei zweiteres selten ohne ersteres einher geht. Außerdem kann man natürlich ein Argument dafür machen, dass auch der Sexismus, den viele Disney-Filme reproduzieren durchaus durch den Kolonialismus mit beeinflusst wurde.

Inwieweit diese Dinge stattfinden unterscheidet sich von Film zu Film und es gibt tatsächlich einen großen Unterschied. Hierbei ist natürlich der größte Unterschied je nach Alter der Filme zu bemerken.

Was wir außerdem in ein paar der Filmen sehen, ist ein historischer Revisionismus, der die Kolonialzeit verharmlost.

Die frühen Disney-Filme

Fangen wir mit den frühsten Disney-Filmen an, von denen viele noch Kurzfilme waren. Hier finden sich vor allem eine Menge rassistischer Karikaturen. Immer wieder findet man in diesen Filmen vor allem schwarze Charaktere, die mit überzeichneten visuellen Eigenschaften dargestellt werden. Das heißt übertrieben flache Nase und übertrieben dicke Lippen. Viele der schwarzen Figuren werden komplett auf diese Eigenschaften reduziert.

Auch was Charakter angeht, werden diverse Charaktere auf eine solche Art vereinfacht und rassistisch dargestellt. So finden wir auch Kurzfilme, in denen beispielsweise Schwarze als von Melonen und Hühnchen besessen dargestellt werden. Schlimmere Darstellungen gehen sogar in die Richtung übergriffiger schwarzer Figuren.

Dabei sind schwarze Figuren nicht die einzigen, die rassistisch dargestellt werden. Wir haben in verschiedenen Kurzfilmen auch stereotype Darstellungen von Mexikanern, indigenen Menschen und Asiaten. Es ist etwas, das sich durch viele Filme durchzieht.

Song of the South

Kommen wir damit zuerst einmal mit dem Film, bei dem Disney möchte, dass wir alle vergessen, dass er existiert. Ein Film, den selbst Disney als so problematisch anerkennt, dass er seit 30 Jahren keinen Release mehr auf VHS, DVD oder BluRay bekommen hat und der auch im Programm von Disney+ komplett fehlt. Dies könnte ein Grund dafür sein, warum viele den Film – abseits von seinem bekanntesten Lied – überhaupt nicht kennen.

Song of the South handelt von einem Jungen, der gemeinsam mit seiner Mutter auf die Plantage seiner Großmutter im Süden der USA zieht. Dort lernt er Onkel Remus kennen, einen schwarzen Mann, der auf der Plantage arbeitet. Onkel Remus nimmt sich des Jungen an und bringt ihm Dinge über das Leben in Form von einfachen Parabeln bei, die der Film als animierte Segmente beinhaltet.

„Klingt doch unproblematisch“ mag der eine oder andere sagen. Allerdings ist es das nicht. Denn der Film stellt nie klar, wann er spielt. So wirkt der Film bestenfalls wie eine Geschichte über eine schwarze Familie, die nach dem Bürgerkrieg dennoch glücklich und zufrieden auf der Plantage geblieben sind, wo sie einst versklavt waren. Schlimmstenfalls ist es die Geschichte von glücklichen Sklaven, die mit ihrer Stellung zufrieden sind.

Denn der Film spielt zumindest im groben zur Bürgerkriegszeit. Es ist nicht ganz klar, ob er davor oder danach spielt. Dennoch bleiben das die einzigen beiden Möglichkeiten den Film zu lesen. Dazu kommt, dass es in dem Film so oder so sehr deutlich ist, dass die weißen Figuren vom Status her über den schwarzen Figuren stehen – und das wird als etwas durchweg positives dargestellt.

Vor den 90er Jahren

Während Disney sich zu wünschen scheint, dass einfach die Welt vergessen würde, dass Song of the South existiert, gibt es einige Filme, die Disney noch immer vertreibt und die man auch auf Disney+ findet, die ebenfalls problematisch sind. Problematisch genug, dass sie einen Disclaimer auf Disney+ bekommen haben.

Fangen wir bei den Beispielen mit Dumbo an. Auch ein Film, der eigentlich recht unschuldig wirkt, wenn man nicht genauer hinschaut. Achtet man jedoch auf diese Dinge, fallen ein paar Sachen auf. Wie beispielsweise die Arbeiter beim Zirkus, die durchweg schwarz sind und darüber singen, wie gerne sie arbeiten. Oder aber auch die Krähen, die Dumbo helfen fliegen zu lernen, und obwohl sie von weißen Darstellern gesprochen werden, sehr rassistischen Stereotypen entsprechen.

Ein anderes Beispiel hätten wir in Peter Pan. Hier sind es die indigenen Charaktere, die komplett stereotypisiert werden und effektiv als Karikaturen dargestellt sind. Dies wurde mehrfach kritisiert und ist nach wie vor problematisch.

Auch haben wir Filme wie Susi und Strolch oder die Aristocats in denen Figuren auftauchen, die asiatische Menschen (oder in beiden Fällen eigentlich Katzen) darstellen. Auch diese sind massiv durch rassistische Stereotype geprägt und problematisch. In beiden Fällen sogar samt problematischer Lieder dazu.

Aladdin

Doch gut, viele dieser Filme sind alt und, wie man so schön sagt, „Kinder ihrer Zeit“. Was ist jedoch mit neueren Filmen? Eingangs habe ich bereits angesprochen, dass diese Probleme durchaus bis in die Disney Renaissance angehalten haben. Also welche Filme der Renaissance waren davon betroffen?

Nun, zu aller erst hätten wir da Aladdin. Während viele der anderen Filme, die hier genannt wurden, auf den ersten Blick unschuldig erscheinen, ist bei Aladdin nicht schwer zu sehen, wo das Problem liegt: Der Film spielt in einer fiktionalen und massiv schon rassistischen Klischees durchsetzten Version des nahen Ostens.

Das fängt damit an, dass der Film sich nicht die Mühe macht, genauer zu definieren, wo er spielt. Stattdessen spielt er in einer fiktionalen Stadt, die einfach eine Vielzahl orientalistischer Vorstellungen in sich vereint. Dazu kommt die Darstellung des „Orient“ als eine harsche Gegend, in denen Leuten schon für kleine Verbrechen die Hände abgehackt werden.

Ebenso haben wir ein Problem dadurch, wie stark die Frauen in diesem Film sexualisiert sind – das gilt sowohl für die Hintergrundfiguren, als auch für Jasmin. Dies ist leider prinzipiell eine Tendenz von Disney: Nicht-weiße Frauen werden hier häufig sexualisiert.

Pocahontas

Ebenfalls sexualisiert wurde Pocahontas, die Heldin des gleichnamigen Films. Auch in diesem Film läuft aus kolonialkritischer Perspektive vieles falsch und anders, als die meisten der anderen Filme, hat dieser auch direkt mit Kolonialismus zu tun.

Ein zentraler Aspekt dabei ist, dass der Film vermeintlich historische Ereignisse wiedergibt, allerdings in Realität sehr wenig mit der tatsächlichen Geschichte zu tun hat. Während die historische Matoaka (der eigentliche Name von Pocahontas) ein junges Mädchen und eigentlich ein Kind war, so ist die Pocahontas in diesem Film eine junge Frau. Während Matoaka eine historisch große Rolle spielte, weil sie Englisch lernte, reden wir hier mit dem Herzen und ignorieren das Kommunikationsproblem komplett. Während Matoaka von den Siedlern entführt und als Geisel gehalten wurde, passiert dergleichen im Film nicht.

Gerade letzteres ist ein Zeichen von einem größeren Problem des Films: Der historische Revisionismus. Was historisch gesehen eine Ausbeutung und Erpressung der lokalen Bevölkerung war, die damit endete, dass diese ihr Land verlor, wird im Film als ein Konflikt dargestellt, an dem beide Seiten irgendwie Schuld hätten. Dabei sehen am Ende des Films dann natürlich auch beide Seiten ihr Unrecht ein und alle leben glücklich bis an ihr Lebensende oder so. Etwas, das natürlich nicht der historischen Realität entsprach.

Kurzum: Der Film macht aus der Kolonialisierung Amerikas ein eineinhalbstündiges Feelgood Musical. Kein besonders guter Look.

Fazit

Kurzum: Es lässt sich feststellen, dass Disney Animation Studios immer wieder Probleme im Bezug auf Kolonialismus und Rassismus hatte. Viele dieser Probleme setzen sich von den frühsten Filmen aus den 1920ern und 1930er Jahren bis in die 1990er fort, selbst wenn die Art, wie sie erscheinen unterschiedlich sind.

Das größte Problem dabei sind die rassistischen Darstellungen von BI_PoC. Das kann in alten Filmen sowohl durch die visuelle Darstellung, als auch durch die Charakterisierung der ohnehin seltenen nicht-weißen Figuren vor. Während dies in den neueren Filmen nicht mehr so stark zu finden ist, sehen wir auch hier noch immer überzeichnete Darstellungen, sowie eine starke Sexualisierung nicht-weißer Frauenfiguren.

Darüber hinaus sehen wir in Disney-Filmen jedoch auch historischen Revisionismus in Bezug auf die Kolonialzeit. Denn da sehen wir auf der einen Seite (ehemalige) Sklav*innen, die auf ihren Plantagen glücklich sind, auf der anderen Seite aber auch eine revisionierte Darstellung der Besiedlung Amerikas, der den Konflikt zwischen Siedlern und indigener Bevölkerung als beidseitig darstellt.

Allerdings hat seit den 1990er Jahren Disney in diesen Dingen dazu gelernt und versucht sich zu bessern, wie wir an einigen der neueren Filme sehen.


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