Dekolonialisierung der Phantastik: Post-koloniales Disney
Letzte Woche haben wir über die kolonialen Narrativen in Disney-Filmen gesprochen. Allerdings hat sich Disney seit den 1990er Jahren geändert und hat versucht, wesentlich progressiver zu werden, was diese Dinge angeht. Betrachten wir heute, inwieweit es ihnen gelungen ist.
Dieser Beitrag ist ein Bonus-Beitrag zur Dekolonialisierung der Phantastik Reihe.
Das neue Disney
Es lässt sich nicht bestreiten, dass seit der Disney-Renaissance der 1990er Jahre eine Menge bei Disney passiert ist. Die Chefetage wurde beinahe komplett ausgewechselt, Pixar ist zu einem wichtigeren Bestandteil geworden und allgemein hat sich das Studio komplett neu orientiert. Das gilt zum einen für den Animationsstil, der mittlerweile komplett in Computeranimation daher kommt, zum anderen aber auch für die Inhalte.
Nun sollte man keinen Fehler machen: Auch zwischen der Renaissance und den modernen Filmen waren noch ein paar problematische Einträge dabei. Allein voran Küss den Frosch, ein Film, der so tut, als hätte es Jim Crow nie gegeben. Dennoch: Spätestens seit Beginn der aktuellen Ära an Disney-Filmen hat sich eine Menge geändert.
Dabei wollen wir in diesem Artikel betrachten, was Disney genau getan hat, um sein Verhältnis zu kolonialen Themen zu verbessern und inwieweit diese Veränderung wirkungsvoll war. Auch soll dieser Artikel betrachten, ob und was Disney in der Hinsicht noch verbessern könnte.
Der Beginn der neuen Ära
Es ist ein wenig schwer zu sagen, wann die neue Ära der Disney-Filme begonnen hat. Denn auch wenn Rapunzel computeranimiert war, so war der Film zumindest im Geiste noch eher ein Kind des alten Disney. Ein wenig hat man den Eindruck, dieser Film steht noch ein wenig zwischen den Stühlen zwischen dem klassischen Disney-Flair und dem, was die neuen Disney-Filme ausmacht. Als ein Film, der in einer quasi deutschen Welt spielt, ist er allerdings in Bezug auf Kolonialismus nicht wirklich interessant.
Der erste Film, der den Geist der neuen Disney-Filme beinhaltet, wäre wohl Wreck-It Ralph, alias Ralph reicht’s. Dieser Film nimmt weite Schritte weg von der üblichen Disney-Formel und ist in vielerlei Hinsicht eher wie ein Dreamworksfilm aufgebaut. Allerdings ist er auch der erste Film, der einen zentralen Punkt der neuen Disney-Filme aufnimmt: Es geht um Außenseiter, die sich für ihre Gesellschaft beweisen müssen.
Das ist ein Thema, dass viele der neuen Filme auf die ein oder andere Art aufbereiten und das die neue Ära beschreibt. Doch auch Wreck-It Ralph ist kein Film, über den sich viel interessantes aus kolonialismuskritischer Perspektive sagen lässt. Das Thema wird kommt erst mit dem nächsten Disney-Film langsam auf.
Frozen
Bei Frozen mag sich der ein oder andere auch denken: „Hat das wirklich mit Kolonialismus zu tun?“ Denn immerhin haben wir es bei Frozen ebenfalls mit einem Film zu tun, der in einem weißen Land angesiedelt ist und auf einem europäischen Märchen beruht. Entsprechend sei jedem vergeben, der den Film nicht unbedingt für koloniale Themen einordnet.
Tatsächlich ist der Film gerade im Vergleich zu Frozen 2 relativ milde, was diese Themen angeht. Dennoch seien ein paar Aspekte genannt, in denen der Film sich von alten kolonialen Bildern fortbewegt. Dabei seien zuerst die deutlich abgewandelten Frauenrollen genannt, die in dem Film vorkommen und der Kommentar, den der Film zum Thema der alten Rollen und Romanzen wiedergibt.
Denn während Disney die längste Zeit sehr traditionelle und damit auch koloniale Frauenrollen wiedergegeben hat, bricht Frozen deutlich mit diesen. Auch mit den Beziehungsmustern, die alte Disney-Filme etabliert haben, bricht Frozen. Nehmen wir dazu, dass Elsa als eine Figur, die letzten Endes mit Heldin des Films ist, deutlich queerkodiert ist, ist der Film nahezu revolutionär.
Zuletzt sei auch noch Kristoff genannt. Denn auch wenn der Film dahingehend nicht so explizit ist, wie der zweite Teil, so ist er deutlich als Sámi kodiert, damit als eine indigene europäische Gruppe.
Big Hero 6
Auch Big Hero 6 ist nicht unbedingt ein Film, bei dem man als erstes an Dekolonialisierung denkt. Immerhin haben wir es letzten Endes mit einem kinderfreundlichen Superheldenfilm zu tun. Dennoch heißt es nicht, dass es in diesem Film nichts zu besprechen gibt. Dabei sind viele Aspekte, die an diesem Film dahingehend interessant sind, vor allem auch in Bezug auf die Dekolonialisierung von Superheldencomics interessant – etwas, das vielleicht auch ein Thema für einen zukünftigen Beitrag sein kann.
Das erste, was an Big Hero 6 interessant ist, ist das Setting. Denn der Film spielt in San Fransokyo vermischt die Ästhetik von San Francisco und Tokyo miteinander und lässt das Setting vor allem wie ein japanisiertes San Fancisco wirken. Dies kann man positiv, als auch negativ betrachten. Zum einen ist es ein Schritt weg von den üblichen durchweg weißen Settings vieler Disney-Filme, allerdings kann man in Bezug auf die Darstellung auch von kultureller Aneignung sprechen. Es kann auf jeden Fall auch als eine Form von Techno-Orientalismus gesehen werden.
Dennoch sei positiv angemerkt, dass der Film kein komplett weißes Cast hat. Statt der in vielen Disney-Filmen weißen Held*innen, haben wir einen asiatischen Hauptcharakter, sowie auch weitere nicht-weiße Charaktere in der Held*inne-Gruppe. Auch damit macht der Film einen Schritt nach vorne.
Zootopia
Kommen wir zum ersten Film, bei dem der Zusammenhang deutlicher sein sollte. Denn Zootopia ist ein Film, der sich zu verschiedenen Themen, die mit dem Kolonialismus zusammenhängen, deutlich äußert. Denn auch wenn der Film komplett über tierische Metaphern abgebildet ist, dreht sich der Film zentral um Sexismus und Rassismus.
In dem Film sehen wir eine Welt, in der verschiedene Tiere eng miteinander zusammenleben. Dabei sehen wir allerdings auch Diskriminierung. Zum einen wird Protagonistin Judy in ihrer Berufswahl Polizistin werden zu wollen diskriminiert, weil sie ein Kleintier ist. Die Symbolik ist hier in Bezug auf Sexismus. Wie Frauen in diversen Jobs diskriminiert werden, weil sie zu „schwach“ seien, wird hier auch Judy diskriminiert.
Der andere und wesentlich zentralere Aspekt des Films, ist allerdings seine Rassismusmetapher. Denn in der Welt von Zootopia gibt es viele Vorurteile gegen Raubtiere, die im Verlauf des Films zum zentralen Konflikt werden. Während hierbei sehr deutlich mit Rassismusmetaphern gearbeitet wird, kann man den Film jedoch auch genau dafür kritisieren. Denn anders als Raubtiere, waren nicht-weiße Menschen in der realen Welt nie eine Gefahr für weiße Menschen. Der Film legt durch die unschöne Auswahl seiner Metapher nahe, dass es irgendwie gute Begründungen für Rassismus geben könnte. Auch für die koloniale Vorgeschichte, die Rassismus hat, gibt es im Film keine Entsprechungen.
Moana
Ein wenig anders ist derweil Moana (Vaiana auf Deutsch). Auch dieser Film hat einen deutlich dekolonialen Ansatz und ist gleichzeitig auf eine gewisse kolonialer. Allerdings geht es in diesem Film nicht direkt um koloniale Themen. Viel eher ist der Film in Bezug auf Dekolonialismus interessant, dahingehend, wie er mit der fremden Kulturen umgeht.
Denn Moana ist in der polynesischen Kultur angesiedelt. Tatsächlich ist der Film ein quasi-mythischer Ansatz, um eine Periode der polynesischen Geschichte zu erklären, der als „die lange Pause“ bezeichnet wird – eine Periode von knapp 1000 Jahren, in der die polynesischen Kulturen keine weiteren Inseln besiedelt haben. Im Film ist dies mit der Ausbreitung dunkler magischer Monster erklärt.
Der Film selbst bedient sich recht großzügig an der polynesischen Mythologie. Allerdings ist ein großer Kritikpunkt dahingehend, dass der Film auch viel von der Mythologie verändert. Dies ist besonders dahingehend zu kritisieren, dass hinter dem Film vornehmlich weiße Personen stehen. Zwar gab es eine Gruppe polynesischer Menschen, die den Film mit Feedback und Beratung unterstützt haben, doch ist der Film letzten Endes doch ein vornehmlich weißes Projekt. Deswegen scheidet der Film unter polynesischen Menschen auch die Geister: Die einen finden ihn gut, da er Aufmerksamkeit auf die polynesischen Kulturen bringt, die anderen empfinden ihn als ein Beispiel von kultureller Aneignung.
Frozen 2
Mit Abstand der Film, der den deutlichsten Bezug zum Thema Dekolonialisierung hat, ist Frozen 2. Denn während andere Filme zwar thematisch irgendwie mit dran sind, beschäftigt sich Frozen 2 inhaltlich zentral mit Dekolonialisierung. Denn der Konflikt, der dem Film zugrunde liegt, ist ein kolonialer Konflikt: Arendelle hat dadurch, dass sie den Damm gebaut haben, die Northuldra kolonialisiert und hat dies auch in genau dieser Absicht getan. Das hat erst die Geister wütend gemacht und damit zum Konflikt des Films geführt.
Hier findet der Film auch deutliche Worte dazu. Denn Anna und Elsa zögern beide nicht, als sie davon erfahren. Ihr Ziel ist sofort klar: Der Damm, das Symbol der Kolonialisierung der Northuldra, muss weg. Anna ist bereit den Damm zu zerstören, obwohl dies nach ihrem Wissen, auch die Zerstörung von Arendelle bedeuten würde. Kurzum: Der Film hat eine deutliche dekoloniale Nachricht.
Diese wurde auch hinter den Kulissen dadurch gestärkt, dass der Film in enger Zusammenarbeit mit den Sámi geschaffen wurde. Die Sámi sind, wie bereits erwähnt, ein indigenes europäisches Volk, das leider wie viele indigene Völker weltweit oft um seine Rechte kämpfen muss. Entsprechend ist es positiv, dass der Film sie in den Vordergrund rückt.
Raya und der letzte Drache
Zuletzt haben wir noch Disneys neusten Film: Raya und der letzte Drache. Auch hier sollte der Zusammenhang ersichtlich sein, denn ähnlich wie Moana ist Raya ein Film, der in einer fremden Kultur angesiedelt ist. Oder vielmehr: Raya ist ein Film, der in einem fremden Kulturkreis angesiedelt ist. Denn wie Moana in einer Ansammlung aus polynesischen Kulturen spielt, so ist Raya in einer Fantasie-Version von Südostasien angesiedelt.
Tatsächlich lässt sich wenig über den Film in dieser Hinsicht sagen, was sich nicht auch über Moana sagen lässt: Der Film mischt verschiedene Kulturen und nutzt deren Mythologie mehr als „Inspiration“, anstatt sich konkret daran anzulehnen. Und auch, wenn asiatische Menschen am Drehbuch des Films beteiligt waren, so sind große Teile der Aufgaben hinter den Kulissen von weißen Menschen erfüllt worden.
Der Film ist noch nicht so lange heraus, weshalb es schwer zu sagen ist – gerade auch in Anbetracht der Pandemie – wie der Einfluss des Films sein wird. Allerdings erwarte ich allgemein, dass dieser ähnlich sein wird, wie bei Moana: Einige werden den Film als kulturelle Aneignung verurteilen, andere ihn als wichtige Repräsentation empfinden.
Fazit
Disney hat große Fortschritte in den letzten Jahren gemacht, wenn es um sein Verhältnis zu anderen Kulturen geht. Generell lässt sich feststellen, dass eine Menge gelernt wurde, seit Darstellungen während der Renaissance und früher. Disney beschäftigt sich deutlich mehr mit anderen Kulturen und tut dies deutlich respektvoller, als es beispielsweise noch bei Pocahontas der Fall war.
Allgemein scheint Disney auch ein größeres Interesse daran entwickelt zu haben, andere Kulturen darzustellen. Wir haben mit Moana, Frozen 2 und Raya und der letzte Drache gleich drei Filme, die sich zentral um indigene Kulturen drehen.
Dennoch läuft dahingehend noch nicht alles perfekt. Denn auch wenn Disney sich in einem respektvollen Umgang übt, so sind die Rollen von Produzent*innen, Regisseur*innen und Drehbuchautor*innen auch bei diesen Filmen zu großen Teilen von weißen Menschen besetzt. Dies ist etwas, das kritisiert werden muss, selbst wenn das Studio in den vergangenen Jahren wirklich große Fortschritte gemacht hat.
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