Dekolonialisierung der Phantastik: Kolonialismus & Geschlechterrollen [Teil 1]
Ich habe das Thema Geschlecht, Fantasy und den Zusammenhang mit Kolonialisierung bereits einmal in einem Weltenbau-Beitrag angesprochen. Doch lasst uns heute etwas tiefer in das Thema eintauchen: Wie hat die Kolonialzeit unsere Geschlechtsvorstellungen und -stereotype beeinflusst? Welche anderen Identitäten wurden durch den Kolonialismus verdrängt? Und wie merkt man dies heute in der Literatur – spezifisch natürlich in der Phantastik?
Dieser Beitrag gehört zu meiner Weblog-Reihe „Dekolonialisierung der Phantastik“. Wenn ihr mehr zu der Reihe erfahren wollt, schaut in den Einführungsbeitrag.
Disclaimer: Ich bin eine weiße, nicht-binäre Person und schreibe diese Beiträge aus einer größtenteils weißen Perspektive, da ich mir nicht herausnehmen will, eine andere einzunehmen. Ich bin zudem kein Historiker, beschäftige mich daher nicht professionell mit dem Thema der Geschichte, auch wenn ich für diese Reihe viel Fachliteratur konsumiere.
CN: Sexismus, Transfeindlichkeit, sexuelle Gewalt
Gegenderte Welt
Wir leben in einer gegenderten Welt. Mehr noch: Wir leben in einer künstlich binär gegenderten Welt. Bei uns ist viel, sehr viel entweder „männlich“ oder „weiblich“. Auch Hobbys. Fußballspielen ist für viele ein „Jungs-Hobby“. Reiten dagegen ein „Mädchen-Hobby“. Videospiele wiederum erneut ein „Jungs-Hobby“. Handwerk, abseits von vielleicht Stein- oder Holzarbeit, dagegen eher was für „Mädchen“. Piraten sind für Jungs. Prinzessinnen für Mädchen. Hunde sind Jungentiere. Katzen sind Mädchentiere. Wir kennen es endlos. Gerade wenn wir bspw. unter Kinderbüchern schauen, wird es recht klar, was von der Gesellschaft in welche Ecke gesteckt wird – und auch wenn wir uns Marketing ansehen. Immerhin müssen mittlerweile ja auch saure Gurken gegendert werden. (Wer zum Thema Gendermarketing mehr Beispiele oder tiefergehende Informationen will: Schaut mal bei der Rosa-Hellblau-Falle vorbei.
Dazu sei gesagt, dass manchmal Details zwischen Ländern variieren können, doch diese Neigung Dinge in diese Kategorien zu stecken, ist nicht nur in Europa verbreitet, sondern auch in sämtlichen Kolonialgebieten. Betroffen ist nicht zuletzt eben auch die Phantastik, die abseits der Romantasy und eventuell noch Urban Fantasy, gerne als „Jungsbereich“ gesehen und von den Herren der Schöpfung häufiger als solcher verteidigt wird.
Auch Verhaltensweisen werden natürlich geschlechtersortiert gelesen. Ja, selbst Emotionen sind gegendert. Wut ist so auf einmal eine männliche Emotion, dagegen Liebe eine weibliche. Selbst Trauer wird als „weiblich“ gelesen, gerade wenn sie offen gezeigt wird. Und genau diese Dinge schlagen sich schwer in der Literatur und anderen Medien nieder. Davon ist die Phantastik nicht ausgenommen. Denn auch hier herrschen in vielen Büchern, Filmen und – natürlich auch – Videospielen die Geschlechterstereotypen vor. Sei es in den Themen die je nach Zielgruppe aufgegriffen werden, sei es im Marketing (wer vermarktet ein Fantasy-Videospiel schon an Frauen?), sei es in rigiden Stereotypen. Wie sehr herrschen in der Phantastik wütende Männer als Protagonisten vor, die ggf. liebende, traurige Frauen retten, um einmal bei unseren Emotionen zu bleiben?
Doch Moment. Wir reden über Kolonialismus, oder? Dass wir ein Problem mit Geschlechterrollen haben, ja, das haben wir vielerorts – auch hier im Blog bereits – wirklich diskutiert. Wie aber spielt der Kolonialismus hinein? Nun, es stellt sich heraus: Eine ganze Menge.
Geschlechtswahrnehmung im Europa der Kolonialzeit
Um über den Einfluss von Kolonialismus auf Geschlechterwahrnehmung sprechen zu können, müssen wir erst über die Geschlechterwahrnehmung in Europa im kolonialen Europa sprechen. Als Vorwarnung: Aufgrund der Quellenlage beziehe ich mich hier vornehmlich auf England (oder Großbritannien).
Zuerst einmal muss eine Sache dabei sehr deutlich gemacht werden: Das damalige europäische Geschlechterverständnis war strikt binär. Ja, es gab vorher (und auch weiter unter unterdrückten Minderheiten) in Europa Kulturen mit einem nicht-binären Verständnis, doch zum damaligen Zeitpunkt war der Verständnis relativ rigide – und mit konkreten Erwartungen verbunden. Das hieß nicht zwingend, dass eine Frau zu Hause blieb und sich um Kinder kümmerte. Ich möchte erinnern: Die damalige Gesellschaft war noch stark durch Agrarkultur geprägt, in der natürlich alle an der Arbeit beteiligt waren. Wenn war dies eher eine Erwartung der Oberschicht. Aber generell war da die Erwartung, dass Frauen heiraten sollten, dass Frauen Kinder bekommen sollten, dass Männer ein Umfeld schaffen sollten, in dem diese Familie leben konnte usw.
Denn gerade, als der britische Kolonialismus richtig in die Gänge kam (sprich im späten 17., frühen 18. Jahrhundert), gab es in England selbst mehr und mehr Bewegungen für Frauenrechte. Das bedeutet natürlich: Rechte aus der damaligen Perspektive. Also solche grundlegenden Rechte wie das Recht auf Privatbesitz, das Recht auf Bildung, das Recht darauf nicht komplett über die Familie definiert zu werden und ja, eventuell auch das Recht selber arbeiten zu gehen. Gerade letzteres war jedoch in den langsam aufkommenden Fabriken oft kritisch gesehen. Eine häufige Kritik war, dass Frauen, die arbeiteten, Männern einen Job wegnahmen und damit einer Familie die Lebensgrundlage. Schließlich war die Vorstellung eben, dass jeder arbeitende Mann eine Familie ernährte. Doch trotz Kritik und gesellschaftlicher Gegenwehr: Es kam immer häufiger vor.
Exkurs: Kolonialismus vor dem Kolonialismus
Es ist schwer zu sagen, woher die starke Binärität und Rigidität des europäischen Geschlechterverständnisses kam. Ja, wir können uns zusammenpuzzeln, dass die proto-indo-europäische Kultur sexistisch war und bereits ein solches Verständnis hatte. Gleichzeitig gab es aber auch in Europa nicht-binäre Kulturen. Selbst die „Hochkulturen“ waren teilweise nicht so rigide. Ein guter Tipp ist es jedoch zum römischen Reich und römischen Kolonialismus in Europa zu schauen. Gerade wenn wir die britischen Inseln betrachten, bei denen es im Geschlechterverständnis von allem heute verfügbaren Informationen erst durch die Römer zu einem so rigiden Verständnis kam.
Konflikt: England vs Kolonien
Und dann waren da die Kolonien und die Rollen, die diese für Frauen mit sich brachten. Diese waren teilweise widersprüchlich. Denn eins müssen wir uns in den Kopf rufen: Ja, auch Frauen waren am Kolonialismus beteiligt – vor allem am Siedlerkolonialismus, aber teilweise auch am merkantilistischen, handels- und militärgetriebenen Kolonialismus. Natürlich waren sie das. Denn eine Kolonie hieß, dass dort auch Präsens da sein musste und während Frauen manchmal auch bei den merkantilistischen „Unternehmen“ arbeiteten – wenngleich eher selten – so waren sie doch auch Töchter, Ehefrauen, Schwestern und Mütter von Leuten, die aufgrund von „unternehmerischen Tätigkeiten“ irgendwohin zogen. Und da galt bei merkantilistischem Kolonialismus dasselbe, wie beim Siedlerkolonialismus: Einmal da brauchte man jede Hand die mithelfen konnte. Es waren gerade Anfangs nicht genug Menschen in vielen Kolonien, als dass es möglich gewesen wäre, dass Teile einfach daheim blieben.
Das hieß, dass Frauen teilweise neue Möglichkeiten in den Kolonien geboten wurden. Davon einmal abgesehen, dass gerade bei reichen Kolonialfamilien – dies wird gerne vergessen – es oftmals Frauen waren, die mit der Betreuung und Überwachung der Sklav*innen betraut waren. Kurzum: Frauen, speziell weiße Frauen, hatten im Kolonialismus sowohl in Sachen Karriere, als auch wenn es um Eigentum und Macht ging, Möglichkeiten, die sie in England nicht gehabt hätten.
Gleichzeitig sah man es in den Kolonien jedoch als wichtig an, dass Frauen ihre gesellschaftliche Rolle deutlicher erfüllen. Eine Frau in den Kolonien existierte nicht nur als Ehefrau ihres Mannes, Mutter ihrer Kinder oder ähnliches, sondern auch als eine Frau des Imperiums. Sie sollte damit die Ideale des Imperiums demonstrieren, um so bspw. zu zeigen, wie „zivilisiert“ die Kultur des Imperiums war. Gerade dort, wo indigene Gruppen andere Geschlechterrollen hatten, sah man dies als wichtig an, um sich stärker zu distanzieren und von der anderen Kultur zu kontrastieren. Außerdem brauchte es ein wichtiges Gut, das letzten Endes nur weiße Frauen hervorbringen konnten und was essenziell zum Aufbau einer Kolonie war: Weiße Kinder. Dadurch war der Druck auf Frauen, mehr Kinder zu gebären – mit allem, was damit zusammenhing – umso größer.
Die weiße Frau vs andere Frauen
Die Grenze, die zwischen „weißen Frauen“ und „nicht-weißen Frauen“ gezogen wurde, war in allen Kolonien recht deutlich. Grund dafür war auch – das wird im nächsten Monat noch Thema – dass natürlich diverse (bei weitem nicht alle) kolonialisierten Kulturen ein offeneres Verhältnis zur Sexualität hatten, als das damals noch sehr prüde Europa. Dies resultierte darin, dass diverse indigene Frauen als „leicht zu haben“ gesehen wurden, was oftmals wiederum zur Rechtfertigung von Vergewaltigungen, aber auch zur Rechtfertigung von anderen Entmenschlichungen hergenommen wurde.
Ebenso war es eine übliche Praxis, indigene Frauen einer etwaigen Kultur zu heiraten, um so politische Macht innerhalb der Kultur zu bekommen. Man bedenke als Beispiel allein Matoaka (besser bekannt als Pocahontas), deren Heirat als Mittel genutzt wurde, um die Powatan dazu zu bringen, ihren Krieg gegen die Siedler aufzugeben. Und ähnliches passierte in anderen Kolonien. Sowohl in den Amerikas, als auch in Indien, Südostasiens, Polynesien und Teilen Afrikas. Meist war es so, dass dabei weiße Männer indigene Frauen heirateten. Es gab durchaus auch Fälle, bei denen weiße Frauen an indigene Männer verheiratet wurden, jedoch war die andere Variation üblicher. Grund dafür war letzten Endes, dass diese Heiraten oft politisch motiviert waren und Männer die politischen Akteure waren, aber auch, dass es einen gewissen Besitzanspruch auf „weiße Frauen“ gab, und man diese nicht teilen wollte. Derweil wurden indigene Frauen zwar entmenschlicht, galten aber oftmals – was bis heute ein sehr problematischer Trope ist – als „exotisch“ und allein daher sexuell anziehend.
In der gesellschaftlichen Vorstellung gab es jedenfalls einen deutlichen Unterschied zwischen weißen Frauen und allen anderen Frauen. Während die einen langsam ein paar Grundrechte bekamen, wurden diese den anderen nicht zugestanden. Mehr noch: Diverse indigene Kulturen, vor allem im amerikanischen, afrikanischen und polynesischen Raum, hatten zumindest in einigen Lebensbereichen Gleichberechtigung. Es gab sogar ein paar, die matriarchalisch waren. Dennoch wurde diesen Kulturen natürlich die europäische Lebensweise, inklusive patriarchalen Mustern aufgezwungen, den Frauen damit sogar Rechte genommen.
Exkurs: White Feminism
Die
Frauenrechtsbewegungen im kolonialen England sorgten dafür, dass
weiße Frauen mehr Anerkennung und Grundrechte zugesprochen bekamen.
Dies setzte sich auch bei kommenden Frauenrechtsbewegungen fort. Es
war nicht so, als hätte es keine BIWoC Frauenrechtler*innen gegeben,
doch diese mussten neben den Sexismus auch noch gegen Rassismus
ankämpfen und viele weiße Frauenrechtsgruppen (wie beispielsweise
die Suffragettenbewegung) schlossen WoC aktiv aus, weshalb der frühe
Feminismus auch gerne als „White Feminism“ bezeichnet wird. Diese
Muster des White Feminism, der die Unterdrückung der Frau vor alle
anderen Dinge stellt und blind für intersektionale Problematiken
ist, gibt es allerdings bis heute.
Verschiedene Frauenrollen
Schauen wir uns ein paar der besser dokumentierten Beispiele an von Gesellschaften, in denen die Frauen und (dazu gleich noch mehr) auch teilweise nicht-binäre Menschen gleichberechtigt oder zumindest deutlich gleichberechtigter waren, als in den vorherrschenden europäischen Kulturen.
So finden wir beispielsweise in verschiedenen nordamerikanischen indigenen Kulturen demokratische Gesellschaften, in denen jede Stimme gezählt wurde. Ich möchte nicht zu sehr generalisieren, aber tatsächlich gibt es dahingehend zwischen diversen Gemeinschaften Ähnlichkeiten. Das bekannteste Beispiel sind wohl die Iroquois, aber auch die Cherokee waren ihnen dahingehend ähnlich, wie auch andere Kulturen. Wichtige Entscheidungen wurden gemeinsam demokratisch gefällt. Dabei hatten Frauen und Männer und oftmals auch Kinder dasselbe Stimmrecht. Viele Kulturen hatten dabei auch „Älteste“, die allgemein, aber auch bei solchen Abstimmungen beratend Gemeinschaften zur Verfügung standen. Diese „Ältesten“ waren teilweise Gruppen, die zu gleichen Teilen aus Männern, wie Frauen bestanden, bei den Cherokee bspw. aber ausschließlich die ältesten Frauen. Ansonsten hatten viele Kulturen gemein, dass Frauen dasselbe Recht auf Besitz hatten, wie Männer und andere Geschlechter.
Auch in diversen Kulturen im Süden und Südosten Asiens gab es gleichberechtigte Frauen oder gar Kulturen, in denen Matriarchats herrschten. Das bekannteste Beispiel (und eins, das zumindest vom europäischen Kolonialismus weniger betroffen war), ist die Mosuo-Kultur in Tibet. Erbschaftsfolgen sind hier matrilinear und Frauen sind die Oberhäupter eines Haushalts und entsprechende Entscheidungen werden oft allein von ihnen getroffen. Dafür ist die Politik dennoch eher von Männern dominiert.
Beispiele finden sich aber auch in Afrika, wo Kulturen gibt und gab, die von Frauen angeführt wurden, wie beispielsweise die Akan. Auch Beispiele aus dem Pazifik, wie die Tongan oder auch die ursprüngliche Kultur von Hawai’i, sind bekannt.
Das Thema lässt sich lang besprechen. Beispiele gibt es viele – und das sind nur die, die zureichend dokumentiert wurden. Dabei sei natürlich immer gesagt, dass letzten Endes wir dabei ohnehin die Neigung zeigen, diese Kulturen aus einer westlichen, also europäischen Perspektive zu betrachten und zu benennen – weswegen das Wort „Matriarchat“ in der Forschung eher zurückhaltend gebraucht wird. Was sich jedoch feststellen gibt: Es gab diverse Gesellschaften, in denen Frauen mehr Ansehen, Einfluss und Rechte hatten, als weiße Frauen es zur selben Zeit in Europa hatte. Und viele dieser Kulturen wurden dahingehend in Richtung des Patriarchats im Rahmen des Kolonialismus beeinflusst.
Mehr als zwei Geschlechter
Und damit kommen wir zu dem anderen großen Thema. Bisher habe ich mich sehr binär in meiner Darstellung gehalten, da allein Frauen und der Kolonialismus ein riesiges Thema ist. Doch nicht nur Frauen (und Männer) sind dadurch beeinflusst worden, sondern auch all jene, die weder das eine, noch das andere waren.
Viele Leute tun so, als sei „nicht-binär“ irgendeine neumodische Erscheinung. Als hätte es früher nie nicht-binäre Menschen gegeben. Und als wäre es immer entweder allgemeines Verständnis gewesen, dass intergeschlechtliche Menschen halt einen „Defekt“ hätten, wie diese Leute sagen, oder die Menschen früher waren halt irgendwie naiv, wenn man nachweisen kann, dass intergeschlechtliche Menschen tatsächlich als weder Mann, noch Frau gesehen und gesellschaftlich gesonderte Rollen bekleidet hatten. Doch nicht-binäre Geschlechtersysteme gab es immer schon – um nicht zu sagen, sie sind und waren durchaus verbreitet.
Vom amerikanischen Rundfunk PBS gibt es diese wunderbare kleine interaktive Karte, auf der einige Kulturen, in denen nicht-binäre Geschlechter anerkannt sind oder waren, eingezeichnet sind. Die Karte ist nicht perfekt (was die Skoptsy darauf zu suchen haben, ist mir ein Rätsel) und sie ist nicht vollständig (wir haben Hinweise darauf, dass bspw. die Norden ein nicht-binäres Geschlecht hatten), aber sie gibt einen schönen Eindruck.
Fakt ist: Viele Kulturen hatten nicht bloß ein binäres Geschlechterverständnis. Dass viele Kulturen oftmals historisch im Rahmen eines binären Geschlechterbildes beschrieben wurden, ist oft eher jenen geschuldet, die es niedergeschrieben haben, als der Kultur selbst. Das gilt sowohl für Kulturen in Europa, als auch und vor allem kolonialisierte Kulturen. Oftmals bedeutete das drei Geschlechter: Männlich, weiblich und ein weiteres. Das „Weitere“ waren oft Menschen mit Penis, die sich eher „weiblich“ gelesene Rollen bekleideten, manchmal aber auch komplett eigene Geschlechter. Am oberen Ende gibt es Kulturen, wie die Bugi von Indonesien, deren Kultur ein Verständnis von fünf Geschlechtern bis heute kennt.
Trans war nie etwas „Neues“
Und der Hinweis, dass es Menschen mit Penis gab, die Rollen, die in ihrer Gesellschaft eher weiblich gelesen wurden, bekleideten, sollte uns einen weiteren Hinweis geben: Transgeschlechtliche Menschen waren ebenso überall bekannt. Einzig die Frage, wie anerkannt sie waren, ist eine andere. Es gibt diverse historische Figuren, wie beispielsweise di*er römische Kaiser*in Elabus, die wahrscheinlich transgeschlechtlich waren, jedoch nicht als ihr eigentliches Geschlecht anerkannt wurden.
Natürlich ist es nicht gänzlich unproblematisch, historische Figuren mit Wörtern zu bezeichnen, die erst in unserer modernen Gesellschaft geprägt wurden. Diese historischen Erfahrungen durch das Nichtbenennen unsichtbar zu machen, ist jedoch nicht minder problematisch. Natürlich ist es so, dass andere Kulturen, wie wir hier erörtert haben, verschiedene Konzeptionen von „Geschlecht“ haben und damit natürlich auch Transgeschlechtlichkeit anders verstanden haben, doch prinzipiell gab es diverse Kulturen, die vergleichbare Konzepte kannten und natürlich haben Leute, die dem Konzept entsprechen, auch in anderen Kulturen gelebt.
Und wenn wir uns bspw. die Geschichte von Elabus ansehen, dann sind wir wieder bei Rom und kommen von Rom eben wieder auf Kolonialismus: Erst den römischen, der Europa geprägt hat, dann den europäischen, der den Rest der Welt beeinflusste.
Teil dieses geschlechtergetrennten Weltbilds waren eben auch Hetero- und Cisnormativität. Soweit, dass die Existenz von trans Personen sogar ausgeschlossen wurde. Und diese Leseart wurde auch auf Kulturen übertragen, die diese Existenzen durchaus anerkannten.
Ein komplexes Thema
Letzten Endes ist das Thema, wie ihr sicher schon merkt, ein großes und komplexes Thema. Das Thema „Geschlechter“ an sich ist bereits riesig, doch die Überschneidungen mit Kolonialismus sind nicht wenige. Tatsächlich ist das Thema groß genug, dass diverse Universitäten – jedenfalls im englischen Raum – eigene Lehrstühle und Forschungsgruppen zum Thema „Geschlechter und Kolonialismus“ haben. Deswegen findet ihr heute auch einige Buchempfehlungen unter dem Beitrag.
Ihr werdet aber gemerkt haben: Obwohl wir in der Beitragsreihe „Dekolonialisierung der Phantastik“ sind, ging es heute mehr um Kolonialismus, als um Dekolonialisierung, und so gar nicht um Phantastik. Das liegt daran, dass ich den heutigen Beitrag in zwei Beiträge teilen musste. Den zweiten findet ihr hier am Freitag. Dort wird es um die Phantastik gehen, darum, wie die hier besprochenen Muster die Erzählungen der Phantastik beeinflussen und wie die Phantastik helfen kann, Geschlechterrollen zu dekolonialisieren.
Quellen und weiterführender Stoff:
- David Veevers: The Corporation as a Protagonist in Global History, Ch. Gender
- Susan Stryker: Transgender History
- Kathleen M. Brown: Good Wives, Nasty Wenches, and Anxious Patriarchs: Gender, Race, and Power in Colonial Virginia
- Antoinette Burton: Burdens of history: British eminists, India women and imperial culture
- Helen Callaway: Gender, culture and empore: European women in colonial Nigeria
- Mary A. Procida: Married to the empire: Gender, politics and imperialism in India
- Gender as a colonial object
- Michael Paramo: Transphobia is a white supremacist legacy of Colonialism
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