Zensur der Queerness
Heute geht es um ein Thema, dass ich häufig schon angesprochen habe, aber nie komplett ausgearbeitet habe: Den Hays Code (sprich: den Motion Picture Production Code) und Section 28 – und warum wir diese beiden bis heute eine Menge Queerbaiting zu verdanken haben.
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Das frühe Kino
Wie wir wissen, hat das „Film“ seine Anfänge im frühen 20. Jahrhundert dank der Erfindung der Filmkamera. Bald schon wurden die ersten richtigen Filme gedreht und viele Kreative – anfangs vor allem aus dem Theater kommend – fanden sich zusammen. Das Zentrum der amerikanischen Filmkultur stand recht bald fest: Hollywood in Los Angeles. Und so entwickelte Hollywood recht bald eine ganz eigene Kultur.
Zu dieser Kultur gehörte es auch, die Grenzen des „Sagbaren“ und „Zeigbaren“ auszutesten. Etwas, das unter anderem dadurch geschah, das alle möglichen Themen in diesen frühen Filmen aufgegriffen wurden. So sahen wir sexuelle Themen, Gewalt, Alkohol- und Drogenabhängigkeit, Scheidungen, Affären und andere Themen der Art – und genau hier lag ein Problem.
Denn auch wenn wir uns an dieser Stelle in den 1920ern befinden, einer Zeit, wo tatsächlich auch gesellschaftlich viele Grenzen ausgetestet wurden, war die Mehrheit der Gesellschaft noch konservativer, als es heute der Fall ist. Und diese Mehrheit war teilweise empört über das, was in so einigen Filmen zu sehen war. Dies galt besonders aber für eine Gruppe …
Die katholische Kirche und Meinungsfreiheit
Um den Hays Code zu verstehen – und wie es genau dazu gab – muss eine Sache deutlich gemacht werden: Wie jeder, der mit dem amerikanischen Internet interagiert weiß, so geben die Amerikaner*innen doch immer sehr viel auf ihre Meinungsfreiheit, also die „Freedom of Speech“, die ihnen durch das 1st Amendment gewährt wurde. Diese ist in den USA deutlich stärker ausgelegt, als in Deutschland, denn was dort sagbar ist, umfasst weit mehr. Allerdings hatte Hollywood ein kleines Problem: Bereits in den 1910ern versuchten einzelne Staaten in den USA Filme zu zensieren, sprich, bestimmte Filme innerhalb des jeweiligen Staates zu verbieten. Dies führte zu einem Gerichtsverfahren, in dem ein Studio auf das 1st Amendment klagte – Mutual Film Corp. v. Industrial Commission of Ohio – und dieses Verfahren wurde bis zum obersten Gerichtshof geklagt … und dieser beschloss, dass, nein, Filme fallen nicht unter das 1st Amendment, dürfen damit also zensiert werden.
Und nun gab es eine Gruppe, die sich besonders über den aktuellen Stand der Hollywood-Filme aufregte und versuchte eine Änderung zu erwirken: Die katholische Kirche. Diese störte sich vor allem an der Darstellung von sexuellen „Perversionen“ (lese: Unehelicher Sex, Homosexualität, Interracial Beziehungen) und an dem dargestellten Drogenkonsum. Und deswegen versuchten sie eine Zensur zu erwirken. Schließlich galt ja „Free Speech“ nicht für Filme.
Der Hays Code – Selbstzensur
Dies brachte die Filmstudios in eine beschissene Lage: Denn wie ihnen Ohio und auch Virginia gezeigt hatten, hieß die Entscheidung des obersten Gerichtshofs, dass ihre Filme gegebenenfalls in einem ganzen Staat nicht gezeigt werden konnten. Mehr noch: Es gab die Gefahr das auf der Ebene der USA selbst Filme zensiert werden könnten – und damit natürlich kein Geld mehr für das Studio machen könnten. (Ihr dürft nicht vergessen: Es gab zu diesem Zeitpunkt auch keine VHS, um die Filme außerhalb des Kinos zu verbreiten.)
Deshalb setzte sich 1929 Will H. Hays, der damalige Präsident der Motion Picture Producers and Distributors of America (MPPDA) daran, Richtlinien zu entwickeln, die effektiv als Selbstzensur dienen würden. Denn, so die Logik, wenn die Filme von sich aus nichts „problematisches“ beinhalten würden, dann würden sie auch nicht zensiert werden. Diese Liste, die er entwickelte, beinhaltete folgende „Don’ts“, also Dinge, die Filme fortan nicht mehr darstellen sollten:
- Jedwede Arten der Gotteslästerung – im Text oder im Titel (auch, bspw. durch Flüche wie „Um Himmels Willen“ oder „Hell“, „verdammt“ etc.)
- Jedwede Form von anzüglicher Nacktheit – inklusive solcher, die nur durch Silhouetten angedeutet wird
- Der illegale Handel oder Konsum von Drogen
- Jedwede Andeutung sexueller Perversion
- Versklavung weißer Figuren
- Interracial Beziehungen
- Sexuelle Hygiene, sowie sexuell übertragbare Krankheiten
- Die Darstellung von Geburt
- Die Genitalien von Kindern
- Verachtung der Kirche oder von Kirchenmännern
- Willentliche Beleidigung einer Nation, Ethnie oder Glaubensrichtung
Darüber hinaus gab es noch eine Liste von „mit Vorsicht zu genießenden“ Themen, zu denen unter anderem Gewalt gehörte, aber auch alles, was „gegen die Institution der Ehe“ gerichtet wäre.
Während diese Regeln erst als Richtlinien formuliert wurden, wurden sie ab 1930 zu Regeln. Regeln, an die sich wohlgemerkt erst niemand hielt, weshalb sie ab 1934 dann sehr deutlich und teilweise mit Strafen (in Form von Ausschluss von Regisseuren) durchgesetzt wurden.
War da nicht auch noch was mit Comics?
An dieser Stelle möchte ich einen kleinen Exkurs vornehmen in ein Thema, das ziemlich genau 20 Jahre später aufkam – denn da passierte genau dasselbe in der Comicindustrie. Diese war in ihrer aus heutiger Sicht erkennbaren Form seit Mitte der 1930er vorhanden und hatte vor allem in den 1940ern an Beliebtheit gewonnen. Da sie während des Weltkriegs auch ein zentrales Propagandamittel waren, sind sie zu dieser Zeit erst einmal nicht hinterfragt worden. Dann aber kamen die 1950er Jahre.
Denn in den 50ern war auf einmal wieder die Unschuld der Kinder ein Thema – und Comics waren in erster Linie nun einmal an Kinder vermarktet worden oder wurden zumindest so wahrgenommen. Und so brachte 1954 der Psychiater Fredric Wertham das Buch „Seduction of the Innocent“ heraus, „Verführung der Unschuldigen“. In diesem sprach er über all die Themen, die in seinen Augen so verwerflich an den Comics seien. Ihr könnt euch denken, welche es waren: Sexualität (sogar angedeutete Homosexualität), Drogen, Gewalt. Und tatsächlich löste dieses Buch einen kleinen Skandal in der Szene aus.
Dieser führte dazu, dass die Comics sich für denselben Weg entschieden wie die Filmstudios vorher: Die CMAA entschied sich zur Selbstzensur. Wohlgemerkt war diese Selbstzensur vor allem darauf ausgerichtet, dass Kriminalität als schlimm dargestellt werden und bestraft werden musste – doch bspw. durften Batman und Robin nicht länger ihr Bachelor-Leben zu zweit führen, was ja gegebenenfalls als homosexuell interpretiert werden könnte.
Als Queerness nur noch Subtext war
In beiden Fällen, also sowohl beim Hays Code, als auch beim neuen Code der Comics führte es dazu, dass bestimmte Themen nicht mehr oder nur noch unter bestimmten Umständen dargestellt werden konnten. Ein zentraler Aspekt dabei war, dass in beiden Fällen Kriminalität als etwas dargestellt werden musste, das am Ende bestraft wurde. Niemand durfte mehr mit Kriminalität durchkommen.
Selbiges galt allerdings auch für Homosexualität und Queerness allgemein. Diese durfte nicht mehr explizit dargestellt werden und selbst angedeutete Queerness musste bestraft werden. Das bedeutete vor allem, dass Queerness nur noch Subtext war, sprich, wer sie einbringen wollte, der musste auf Queercoding zurückgreifen. All das, was wir heute in Sachen Queercoding und Queerbaiting sehen, hat seinen Ursprung darin.
Auch war eben eine Folge davon, dass solches Verhalten „bestraft“ werden musste. Das hieß: Wenn ein Charakter angedeutet queer war, dann musste der Charakter dafür bestraft werden. Das bedeutete meistens, dass der Charakter am Ende starb – und sei es durch eine Krankheit oder einen plötzlichen Unfall. Sterben musste er.
Und das Ende?
Aber wie kam es dann zum Ende des Hays Code? Denn auch wenn man die queere Repräsentation in Blockbustern noch immer mit einer Lupe suchen muss, so können wir natürlich sehen, das allgemein die ganzen Regeln lange schon nicht mehr gelten. Also: Was hat sich geändert?
Nun, grundlegend geschahen drei Dinge, die dafür sorgten, dass der Hays Code aufgegeben wurde. Das erste war eine neue Konkurrenz, die das Kino erlebte. Denn im Verlauf der 1950er zogen die ersten Fernseher in die US-amerikanischen Haushalte ein. Und das Fernsehen war nicht an diesen Code gebunden. Während es natürlich keine Queerness zeigte, so wagte es doch Themen wie Alkohol- und Drogenkonsum, Kriminalität und vergleichbares darzustellen und zog damit viel Aufmerksamkeit auf sich.
Der zweite Punkt war das Gerichtsverfahren Joseph Burstyn, Inc. v. Wilson, das um einen Kurzfilm geführt wurde, der zensiert worden war. Das Studio klagte sich hier erneut bis zum Obersten Gerichtshof durch und bekam Recht: Es war Zensur, die gegen das 1st Amendment sprach – damit hatten fortan nun auch Filme „Free Speech“ und konnten nicht länger staatlich zensiert werden.
Zuletzt war es auch so, dass vermehrt Filme aus Europa in die amerikanischen Kinos kamen, Filme, die ohne Selbstzensur produziert worden waren und deswegen eben diverse Themen beinhalteten, die der Hays Code verbat. Auch dies war eine Konkurrenz.
In Folge dieser drei Aspekte ging der Code langsam zu Ende. Er wurde nicht von einem Tag auf den anderen abgeschafft, aber er wurde immer seltener durchgesetzt. Mehr Regisseure wagten es die verbotenen Themen aufzugreifen und so kam es am Ende, das sich niemand mehr daran störte. Anfang der 1960er wurde der Code dann komplett abgeschafft.
Neuer Unsinn aus der UK
Allerdings endete damit die Geschichte der Zensur von Queerness im Westen nicht, denn natürlich kamen immer wieder Gesetze auf, die versuchten Queerness auf die ein oder andere Art zu zensieren und zu verbieten. Wir hatten ja bereits letzte Woche darüber gesprochen, dass in den USA Homosexualität auf Landesebene erst 2003 legal wurde – und während in Deutschland der Prozess es zu legalisieren in 1969 begann, endete er auch hier erst in den 1990ern.
Ähnlich sah es auch in der UK aus. Denn während hier der Vorgang zu Legalisierung 1967 angestoßen wurde, wurden Homosexualität und homosexuelle Handlungen hier erst – haltet euch fest – 2013 komplett legalisiert. Denn zum einen wurde homosexueller Sex (speziell zwischen Männern) danach noch weiter auf Basis des Alters unter Strafe gestellt, zum anderen musste homosexueller Sex in kompletter Privatsphäre stattfinden, wenn deine Nachbarn es mitbekamen, hattest du Pech.
Tja, und diese homofeindlichen Ansichten, die wurden vor allem auch von der Regierung von Margaret Thatcher vertreten. Diese sah Homosexualität als einen starken moralischen Verfall an Diese Einstellung wurde zum damaligen Zeitpunkt, während der AIDS-Krise von mehr und mehr Leuten geteilt. Und so wurde das Gesetz der „Section 28“ 1988 in der UK erlassen. Was die „Werbung für Homosexualität“ durch staatliche Organe verbot.
Die Folgen von Section 28
Was war damit nun gemeint? „Werbung für Homosexualität“? „Staatliche Organe“? Was soll das bitte heißen? Nun, effektiv bedeutete es: Keine Queerness mehr an Schulen. Das Gesetz war eine direkte Reaktion darauf, dass einzelne Schulen Bücher ins Curriculum aufgenommen hatten, die Homosexualität beinhalteten, sowie dass es an Schulen und Universitäten Gruppen für queere Jugendliche und junge Erwachsene gab.
Anders gesagt: Das Thema Queerness wurde in erster Linie von Schulen und auch Universitäten verbannt. Dort, wo eben Staatsapparate unterrichteten und Wissen weitergaben, durfte über das Thema nicht gesprochen werden. Das hieß auch: Queere Kinder, die versuchten einen Ansprechpartner zu finden, hatten damit an den Schulen keine Chance. Denn es war den Lehrkräften komplett verboten das Thema zu besprechen.
Allerdings ging es bald noch etwas weiter. Denn wisst ihr, was in den UK noch ein Staatsorgan ist? Genau. Die BBC. Und so wurden auch queere Themen komplett von der BBC verbannt, so dass auch hier keine queeren Charaktere mehr gezeigt werden durften.
Das Ende von Section 28
Durch die 1990er Jahre hinweg gab es immer mal wieder Versuche, Section 28 aufzuheben – doch sie scheiterten. Zuletzt am House of Lords (ihr wisst schon, die Leute, die nicht gewählt werden aber dennoch ihr Veto geben dürfen) im Jahr 2000. Etwas, das von der damaligen Bildungsministerin Theresa May sehr gelobt wurde, wie ich anmerken möchte.
Allerdings gab es ja auch noch Schottland. Schottland, das wie so oft, ein Stückchen Progressiver als der Rest der UK war. Nach einigem Hin und Her wurde hier eine Aufhebung des Paragraphen für Schottland zur Wahl gestellt und die Abstimmung fiel sehr, sehr eindeutig aus (99 zu 17). Schottland lehnte Section 28 ab. Und das war der Anfang vom Ende. Denn kurz darauf wurde im House of Commons ein erneuter Antrag gestellt, das Gesetz abzuschaffen und dieses Mal ging der Antrag mit einer großen Mehrheit durch. Da das House of Lords nicht gewählt wird, sind die Briten sehr empfindlich dahingehend, wenn dieses Organ deutlich abgestimmte Gesetzesänderungen aufhält und so hielt man sich dort zurück und nickte die Auflösung des Paragraphen einfach ab.
Allerdings muss gesagt werden: Auch wenn so Anfang der 2000er Section 28 fiel, so sehen wir weiterhin häufig, dass auch heute im britischen Kinderprogramm Homosexualität zensiert wird. So war zum Beispiel Steven Universe in Großbritannien teilweise stärker zensiert worden, als in Russland – und das will was heißen.
Immer neue Versuche
Ich würde an dieser Stelle gerne erzählen, dass damit die Zensur ein Ende hatte, dass damit zumindest in Europa und den USA gelernt worden wäre, dass es nicht gut ist, Queerness zu zensieren … doch wir alle wissen, dass es nicht so ist. Immer wieder versuchen diverse Politiker*innen – und auch andere Gruppen – Gesetze durchzudrücken, um Queerness zu zensieren, vor allem wenn es um Bereiche geht, in denen Kinder damit in Kontakt kommen könnte.
Dahingehend ist es nun einmal eine Tatsache, dass während sexuelle Implikationen zwischen heterosexuellen Paaren in den Medien locker für FSK12 (PG13) durchgehen, homosexuelle Implikationen rasch FSK16 (R-Rated) sind. Das gilt in den USA noch einmal deutlich stärker als in Deutschland, lässt sich aber auch hier beobachten.
Und natürlich sehen wir es gerade in Amerika auch immer wieder. Da haben wir aktuell in Florida das „Don’t Say Gay“ Gesetz, das genau dieselbe Folge hätte, wie Section 28.
Dabei ist es nicht so, als wären wir in Deutschland komplett davor gewappnet. Während ein solches Gesetz hier bisher nicht durchgedrungen ist, haben doch immer wieder rechte Gruppen versucht, das Thema Queerness an den Schulen zensieren zu lassen.
Macht dabei keinen Fehler: Immer, wenn solche Gesetze durchkommen, hat es nicht nur Auswirkungen auf Schule oder Filme. Wenn solche Gesetze durchkommen, betrifft es alle queeren Menschen – allen voran die queeren Kinder, denen so wichtige Ressourcen fehlen.
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