Queerbaiting & Queercoding

Kommen wir zu einem leidlichen Thema im Bereich der queeren „Nicht-ganz Repräsentation“. Ein Thema, zu dem es schon unzähliche YouTube-Videos gibt. Dies soll mich aber nicht davon abhalten, hier im Weblog darüber zu reden. Zum ersten, da ich auch eine Chance will, zum zweiten, damit eventuell der ein oder andere das Problem versteht, und zum dritten, um hoffentlich di*en ein oder andere*n Creator davon abzuhalten. Die Rede ist natürlich von Queerbaiting.

Was ist Queerbaiting?

Queerbaiting ist eine Art Trope in den Medien. Es beschreibt eine Geschichte, in der bestimmte Charaktere auf eine Art dargestellt werden, die in irgendeiner Form queer codiert ist. Das kann alles mögliche sein. Sei es klischeehaftes Verhalten, Dinge, die scheinbar ungesagt bleiben, das Andeuten davon, dass er oder sie irgendetwas verheimlicht oder eventuell auch ein Charakter, der crossdressed oder ähnliches. Kurzum: Verhalten, dass zu einer Interpretation einlädt, dass der fragliche Charakter halt nicht cishetero ist.

Besonders beliebt ist dabei natürlich die Andeutung eines queeren Pairings. Ihr kennt es: Da sind zwei Charaktere, bei denen eins klar ist: Hätten die beiden Charaktere unterschiedliche Geschlechter, so würde die Beziehung jeder als romantisch lesen. Beispiele gibt es dabei wie Sand am Meer. Da wären John und Sherlock in der BBC-Serie. Da sind mehr Marvel-Charakter-Duos, als man aufzählen kann. Da sind so viele Magical Girls im Anime-Bereich. Und gefühlt hat jede Teen-Serie, die was auch sich hält so eine Charakterkombination. Kurzum: Queerbaiting ist überall.

Und natürlich gibt es immer wieder diese andere Art von Zuschauern. Die Art, die da ruft: „Das bildet ihr euch nur ein.“ Die Art, die so tut, als sei es nicht beabsichtigt – und genau da ist das Problem. Es ist beabsichtigt. Selbst wenn nie beabsichtigt ist, dass die Figuren zusammenkommen.

Queerbaiting – eine Origin Story

Seinen Ursprung hat Queerbaiting schon vor langer, langer Zeit. Denn es fing alles in den 1930er Jahren in Hollywood an – mit dem sogenannten Hays Code. An dieser Stelle überrasche ich euch vielleicht einmal: Ja, es gab bereits in Stummfilmen homosexuelle (vorrangig schwule) Paare. Inklusive Küsse und allem drum und dran. Was der Grund für den Hays Code war. Denn man sah damals Hollywood als den ersten Schritt zum moralischen Verfall! (Denk doch einer an die Kinder!)

Ja, ich gebe euch einen Moment, um die Augen zu verdrehen.

Kurzum: Damals wurde von einigen Organisationen – unter anderem einige Kirchen – deshalb für das Verbot von Filmen demonstriert. Und eventuell hätte die Regierung auch zugehört, hätte das damals junge Hollywood nicht gegengesteuert. Es muss sich doch ein Kompromiss finden lassen, nicht? Und dieser Kompromiss war der Hays Code. Dieser besagte, was Filme zeigen durften und was nicht. So waren bestimmte Arten von Gewalt verboten und auch, bspw. Drogen und Drogenabhängigkeit darzustellen. Sex zu zeigen war ebenfalls nicht erlaubt. Und bestimmte Arten rein romantischer Kombinationen auch nicht. Dazu zählte neben der Homosexualität übrigens auch Paare mit unterschiedlichen Hautfarben. Sollte man doch mal einen solchen Charakter oder eine solche Beziehung zeigen, durfte es mit diesen Figuren kein gutes Ende geben – so der Hays Code.

Von Zwang zu Trope

Im Bereich der Homosexualität hieß das aber, das Filmemacher, die das Thema für wichtig für ihre Story hielten oder einfach provozieren wollten, sich etwas einfallen lassen mussten. Die Geburtsstunde des modernen Queercodings. Sprich: Männer mit übertrieben weiblichen Eigenschaften, Butch Ladies und dergleichen wurden als Shorthands verwendet, um eine solche Information zu vermitteln. Dennoch starben diese Charaktere nicht selten – manchmal auf eine so plötzliche Art, dass es recht klar war, warum. Weil der Hays Code es verlangte.

Nun, Zeit vergeht. Dinge ändern sich. Irgendwann war es dann auch mit dem Hays Code vorbei. Allerdings nicht mit dem Queercoding und damit einhergehenden Queerbaiting. Denn dieses wurde weiterhin aufgegriffen. Denn während der Hays Code vorbei war, rief man bei diversen Themen noch immer: „Denk doch jemand an die Kinder!“ Ich meine, kommt, wir wissen, dass man es bis heute ruft. Entsprechend waren Charaktere etwaig codiert – nur um am Ende ihren „No Homo!“ Moment zu haben.

Was ist der „No Homo“-Moment? Das ist der Moment, in dem ein Charakter ganz deutlich macht, dass er oder sie nicht schwul oder lesbisch ist. Beziehungsweise auch in keiner anderen Form queer. Mal ist er besser, mal schlechter in die Handlung eingewoben. Nicht selten ist es der: „Oh, haben Sie einen Freund/eine Freundin“ Moment. Eine Szene, in der jemand den Charakter für schwul oder lesbisch hält, woraufhin ein deutliches: „Ich bin nicht homosexuell!“ kommt. Na ja, oder die Charaktere werden am Ende in eine „Für immer und ewig“ Heterobeziehung gesteckt.

Warum queercoden Filme/Serien so gern?

Das bringt natürlich die Frage auf: Warum queercoden vor allen Filme und Serien so häufig ihre Charaktere? Denn ja, es ist etwas, das besonders in den visuellen Medien sehr häufig vorkommt – wohl auch, weil es Bücher schwerer machen, speziell wenn es um POV Charaktere geht. Visuell dagegen ist es leicht: Man benutzt visuelle Identifier und bei vermeintlichen Paaren nutzt man halt dieselben visuellen Mittel, wie in einer Heterobeziehung.

Und der Grund ist einfach. Wie sagt man so schön im Englischen: „They want to have their cake and eat it to.“ Also sie wollen zwei entgegengesetzte Sachen gleichzeitig erreichen. In diesem Fall: Als progressiv gelten, die LGBTQ* Community auf ihre Seite bringen und gerne auch noch die Gay Romance Fans anziehen. Aber auch keinen Ärger mit selbsternannten moralischen Instanzen, wie Kirchen oder Elterngruppen haben.

Teilweise werden dann sogar queere Communities gezielt angeworben mit einem vermeintlichen Vorhäucheln, dass es Repräsentation gäbe. Die es dann auch tatsächlich gibt. In Form von namenlosen Hintergrundfiguren. (Hi, Disney! Wie geht es heute so?) Derweil wird ein wichtiger Charakter gequeercoded, was bei queeren Fans speziell mit dem Versprechen queerer Rep den Eindruck erweckt, dass dieser Charakter queer ist. Nur, damit am Ende dann ein „No Homo!“ daher kommt. Sprich: Man legt einen Köder aus, um queere Leute anzuziehen. Queerbait.

Warum ist Queerbaiting so verhasst?

Nun mag sich der ein oder andere denken: „Na und? Speziell das Paare angedeutet werden, nur damit den Fans dann sprichwörtlich die Zunge herausgestreckt wird, ist doch nichts neues. Also warum ist das so ein Problem?“ Solltest du gerade so etwas denken: Willkommen in meinem Blog. Du bist neu hier, oder? Nein, nicht wegklicken. Ich erkläre es schon.

Das Problem hat zwei Seiten. Die eine Seite ist recht einfach: Der Mangel an Repräsentation, den es eh schon gibt. Über ein heterosexuelles Paar, das angedeutet wird, mögen sich Fans ärgern, aber letzten Endes macht es keinen Unterschied. Weil dieselbe Geschichte wahrscheinlich zumindest ein, zwei andere heterosexuelle Paare haben wird oder explizit heterosexuelle Charaktere. Also einmal davon abgesehen, dass auch sonst alle davon ausgehen werden, dass jeder Charakter erst einmal hetero ist. Entsprechend tut es eben weh, Repräsentation – etwas, das für viele Leute sehr, sehr wichtig ist – versprochen zu bekommen, diese dann aber nicht nennenswert zu sehen.

Zum anderen ist da das Othering und die Tatsache, dass es in einigen Fällen wirklich hämisch wirkt. Nein, natürlich kann es nicht ohne weiteres sein, dass ein wichtiger Charakter queer ist. Wo kämen wir hin? Denk doch einer an die Kinder! Deswegen darf es nicht sein. Na ja, und manchmal kommt eben ein: „Ihr seid verrückt, weil ihr den Charakter als schwul seht!“ von den Machern und anderen Fans daher (bestes Beispiel ist Johnlock bei BBC Sherlock). Ja, auch schon in Fällen, in denen Mitarbeiter ein absichtliches Queerbaiting bestätigt wurde. Das ist verletzend.

Es geht nicht nur um Pairings

„Aber eigentlich sind das nur Shipper, oder? Shipper, die beleidigt sind, richtig?“ Nein. Denn auch wenn Queerbaiting häufiger Paare trifft, als einzeln queercodierte Charaktere – besonders männliche Figuren, da eben das Gay Romance Genre relativ beliebt ist – so geht es vielen in der queeren Community nicht um das Paar selbst.

Reden wir mal von mir selbst und Johnlock. Ich mag das Pairing als Pairing nicht. Vorrangig, weil ich ich denke, dass Sherlock nicht gut für John ist – nicht in der Interpretation der Figuren, die BBC in der modernen Fassung zeigte. Dennoch war ich sauer, dass die beiden nie etwas hatten, da die Show mit dem Queercoding so dick aufgetragen hat. Hier umso mehr, da Moffats und Gaffis‘ Verhalten gegenüber den queeren Fans echt daneben war.

Ein anderer Fall wären auch Steve und Bucky im MCU. Hier gab es auch in meinem Umkreis ein paar Leute, die nach Endgame ankamen: „Boah, warum regen sich alle so auf, dass Stucky nicht Kanon wurde? Ich rege mich doch auch nicht wegen Stony auf!“ Der Grund ist einfach: Während ich das queercoding von Steve und Tony in den Comics nicht anzweifle, war es immer recht fest, dass Tony und Pepper zusammen sein werden und man Tony als hetero lesen sollte. Steve und Bucky waren derweil enorm gequeerbaitet worden. Daher die Wut. Viele queere Shipper, die ich kenne, hätte es nicht mal so gestört – wäre ein anderer wichtiger Charakter queer geoutet worden. Nicht eine Hintergrundfigur.

Ein weiterer Fall war Sterek in Teen Wolf. Das Pairing wurde aktiv zu Marketing-Zwecken der Serie verwendet. In den letzten eineinhalb Staffeln sogar aggressiv. Doch auch hier kam nichts – nicht einmal ein Stiles, der offiziell bi ist. (Da Stiles sehr stark codiert war.)

Und das ganze gilt halt doppelt, wenn die fraglichen Charaktere auf dem letzten Meter in eine unpassende heterosexuelle Beziehung gestopft werden.

„Unabsichtliches“ Queercoding?

Queercoding und queerbaiting ist nun aber etwas, das immer in kompletter Absicht passiert – oder? Nun, eben das leider nicht. Denn es gibt diverse Fälle, wo es so eng mit einem Charaktertyp verbunden ist, dass das eine sich nicht vom anderen trennen lässt, wenn man es nicht hinterfragt. Ein gutes Beispiel ist etwas, worüber ich schon in einem anderen Kontext gesprochen haben: Queercodierte Bösewichte, die allerdings weniger wegen Queerbaiting, sondern aus anderen Gründen problematisch sind.

Doch auch ansonsten kann bspw. der Wunsch, eine besonders enge Freundschaft zu beschreiben schnell zu etwas führen, dass sich wie Queerbaiting anfühlt – selbst, wenn nicht beabsichtigt. Während damit nicht der oben beschriebene Ballast verbunden ist, lohnt es sich hier als Autor durchaus ab und zu bei seinen Freundschaften zu hinterfragen: Wären die beiden ein Paar, hätten sie verschiedene Geschlechter? Und: Warum sind sie es nicht? Warum wird das Thema nicht einmal angesprochen?

Und erneut: Die einfachste Art damit nicht beleidigend zu wirken ist, indem man andere gleichgeschlechtliche Paare einbringt. Welche, die mehr sind, als Hintergrundzierde. Denn in dem Fall fühlt es sich weit weniger, wie eine Ausgrenzung an, wenn einer der betroffenen Charaktere darauf beharrt definitiv nicht auf das eigene Geschlecht zu stehen. Es fühlt sich dann nicht an, als wollte man queere Identitäten unsichtbar machen.

Fälle von Queerbaiting

Für diejenigen, die Probleme haben, sich Queerbaiting vorzustellen, vielleicht eine kleine Übersicht von Queerbaiting. Sowohl Fälle, die im Rahmen des Textes der Serie durch Coding gebaitet wurden, als auch welche, die durch Marketing kamen – oder durch das Schneiden von Text.

  • LeFou in der Realverfilmung von „Die Schöne und das Biest“. Hier wurde vorher viel darüber gesprochen, dass der Charakter in der Realverfilmung schwul ist – nur, damit es im Film im Subtext ist.
  • Die Sache mit der geschnittenen Valkyrie-Szene, die ihre Bisexualität bestätigt hätte, in Thor Ragnarök, wird von vielen ebenfalls als Queerbaiting bezeichnet – gerade da Disney dennoch es hat immer wieder aufbringen lassen im Marketing.
  • Carol Danvers im MCU ist ebenfalls ein Fall. Der Charakter ist extrem lesbisch codiert. Sie hat mit einer anderen Frau ein Kind gemeinsam großgezogen. Die andere Frau wird als ihre „Familie“ bezeichnet. Aber das Thema wird nicht einmal angesprochen.
  • Ebenso Steve im MCU – vor allem in der Steve/Bucky Paarung.
  • Das bereits erwähnte Stiles/Derek Paar in Teen Wolf. Etwas, das wie gesagt im Marketing gepusht wurde – wie allgemein, dass Stiles zumindest bi ist. Dennoch kommt nichts davon je in den Text und sie haben etwaige „No Homo“ Momente.
  • Emma/Regina in Once Upon a Time. Ein weiteres Beispiel, wo queere Fans angefangen haben, etwas zu shippen, was seinerseits wiederum dazu geführt hat, dass die Serie es mehr und mehr aufgespielt hat. Es gibt hier übrigens queere Figuren – dennoch ist die Serie heteronormativ ohne Ende.
  • Das bereits angesprochene John/Sherlock in Sherlock BBC. Inklusive Bait und „No Homo“ Switch.
  • Weil BBC Wiederholungstäter sind, ist da auch noch Arthur/Merlin in der BBC Merlin-Serie. Hier gibt es ebenfalls massiv viele Szenen, die so deutlich romantisch geframet sind, jedoch nie ein Payoff bekommen.
  • Die namensgebenden Protagonistinnen der Serie Rizzoli & Isles. Hier geht es soweit, dass von „Liebe“ geredet wird, nur um ein „natürlich komplett freundschaftlich“ hinterher zu setzen.

Wo man übrigens auch viele Beispiele findet, ist im Rahmen von Musicals. Stichwort: Wicked. Stichwort: Dear Evan Hansen.

Und wenn wir zu Anime schauen, vor allem bei PreCure. PreCure sind die unbestrittenen Meister der „unglaublich romantischen, aber sicher platonischen Freundschaft zwischen Mädchen“. Fast jede Staffel hat eine codierte Paarung unter den Mädchen.

Schlusswort

Ich weiß, vieles hier drin klingt ein wenig hart, doch ich will eins klarstellen: Viele der Serien, die ich hier aufgezählt habe, mag ich. Sehr. Aber genau das macht es eben noch bitterer, dass sie noch immer diesen alten Trope bedienen. Vor allem da es bei einigen so seltsam ist: Warum dürfen Nebencharaktere queer sein, aber Hauptcharaktere nicht? Egal wie sehr ich etwaige Filme und Serien liebe, so etwas nervt und es tut weh.

Ich sage übrigens auch nicht, dass es an den Regisseur*innen oder Drehbuchautor*innen liegt. Bei einigen der Fälle sind etwaige Schauspieler*innen, Regisseur*innen und Drehbuchautor*innen dafür gewesen, haben eventuell sogar solche Szenen gedreht – nur damit das Studio es hat schneiden lassen. Ihr wisst schon. Die Kinder. Und China.

Insofern: Seht das hier, als was es ist. Ein kleiner Rant und eine Warnung an Autor*innen. Versucht darauf zu achten. Und seid gewarnt: Ja, es kann sein, dass ein Verlag zu euch kommt und euch bittet, ein homosexuelles Paar oder andere Repräsentation zu streichen. Ich habe so etwas leider mehrfach gehört. Daher: Sollte euch so etwas treffen, denkt daran, wie weh so etwas tut. Denn es tut weh.