Die Geschichte der Pride

Machen wir also weiter mit unserem Pride Month auf Alpakawolken – und ich habe mich entschlossen dieses Jahr ein wenig über queere Geschichte zu sprechen. Und ein Teil davon ist natürlich die Geschichte des Monats selbst und wie es dazu kam, dass wir Pride feiern. Viele werden die Geschichte vielleicht in Anteilen kennen, doch es lohnt sich immer wieder darüber zu sprechen!

Wenn euch dieser Artikel gefällt, lasst mir doch einen Ko-Fi da oder unterstützt mich auf Patreon!

Als Homosexualität verboten war

Fangen wir mit einer wichtigen Tatsache an, die immer wieder betont werden muss: Für lange Zeit war in vielen westlichen Ländern (und dank dem Kolonialismus auch anderswo auf der Welt – wo ein Teil der Gesetze bis heute noch steht) Homosexualität über sogenannte Sodomiegesetze verboten. In Deutschland wurden diese Gesetze ab 1969 abgeschafft, in Österreich ab 1971. (Wobei beides nur unter Einschränkungen galt, denn es gab genug Szenarien, die weiterhin verboten waren.) Auch in den UK wurde bereits ab 1967 mit der Entkriminalisierung angefangen – während in den USA erst 2003 die letzten Gesetze durch einen Beschluss des obersten Gerichtshofs fielen!

Doch natürlich: Auch ungeachtet dieser Gesetze haben queere Menschen schon lange für ihre Rechte gekämpft – vor allem für das Recht in der Öffentlichkeit existieren zu können. Die Geschichte davon geht weit, weit zurück und wäre wahrscheinlich direkt noch einmal ein oder gleich mehrere Beiträge wert.

Um jedoch das anzusprechen, was ein mehr oder weniger direkter Vorgänger zur heutigen Pride war: In den 1950ern und 1960ern fanden in den USA (und auch einigen anderen Ländern) immer wieder Proteste gegen die Polizeigewalt gegen LGBTQ*-Menschen statt. Viele davon natürlich geleitet durch queere Menschen. Vor allem ab 1965 gab es dann die „Annual Reminder“, die auf die Opfer von queerfeindlicher Gewalt (vor allem Gewalt, die von der Polizei ausging) aufmerksam machen sollte. Diese „Annual Reminders“ fanden in Philadelphia statt.

Und damit sind wir eben bei dem Grundthema an, das am Ende zu dem geführt hat, was später zur Pride werden sollte: Polizeigewalt …

Der Angriff auf Stonewall Inn & die Stonewall Riots

Auch wenn 1969 Homosexualität in Deutschland entkriminalisiert wurde, sah die Situation in den USA sehr anders aus. Ja, es gab einzelne Staaten (allen voran Illinois, das in 1962 Vorreiter war), die es bereits legalisiert hatten, doch in den meisten US-Staaten hatten Gesetze gegen Homosexualität und diese wurden auch wieder und wieder durch die Polizei durchgesetzt. So kam es auch immer wieder vor, dass gerade auf Bars in Greenwich Village und Harlem in New York – zwei Stadtteile, in denen viele queere Menschen lebten – immer wieder von Polizisten untersucht wurden. Spezifisch gab es hier natürlich einige Bars, die speziell für queere Menschen waren und während die Betreiber (meistens der Mob) die Polizei dafür bezahlten, sie zu ignorieren, aber dennoch … Trotz Korruption waren auch diese Bars nicht dauerhaft sicher.

Eine dieser Bars war Stonewall Inn an der Christopher Street. Diese hatte eine Abmachung mit der Polizei, dass sie über etwaige Ermittlungen vorgewarnt wurde – doch irgendwie passierte dies nicht in der Nacht vom 27. zum 28. Juni, als das „Public Morals Squad“, eine Spezialeinheit der Polizei, einen Angriff auf die Bar unternahm mit dem Ziel die Kund*innen festzunehmen. Wie schon aus der Tatsache, dass es ein „Public Morals Squad“ gab, zu entnehmen ist: Das war eine recht übliche und regelmäßige Angelegenheit, die an diesem Abend jedoch nicht nach Plan verlaufen sollte.

Denn die Kund*innen der Stonewall Inn waren bisher erfolgreich vor dieser Form von Polizeigewalt geschützt worden und wurde panisch. Das sorgte dafür, dass die Festnahme weit länger dauerte, als von der Polizei angenommen. In dieser Zeit versammelten sich draußen Schaulustige, viele von ihnen selbst queer. Diese waren noch allgemein guter Dinge, als die Mafiosi, die die Bar betrieben, abgeführt wurden – doch diese Stimmung schlug schnell um, als die ersten Drag-Performer abgeführt wurden. Die ersten Dinge (unter anderem Kleingeld und Flaschen) wurden geworfen. Von hier an eskalierte die Situation.

Als eine Frau abgeführt wurde, kam es zu ersten Handgreiflichkeiten gegen die Polizei, die mit Schlagstöcken reagierte. Dies machte die Menge nur noch wütender. Die Situation eskalierte weiter. Einige der dabeistehenden – und auch einige der mittlerweile im Chaos entkommenen Festgenommenen – fanden bei einer nahen Baustelle Backsteine und diese wurden geworfen. Daraufhin wurden die taktischen Einheiten der Polizei gerufen und auch diesen wurde mit Verachtung begegnet, Gewalt mit Gewalt vergolten. Es dauerte am Ende fast zwei Stunden, bis die Polizei den Impromptu Protest auflösen konnte und sich die Protestierenden verstreuten.

Auch in der nächsten Nacht passierte ähnliches. Protestanten (und Polizist*innen, die absichtlich versuchten Gewalt anzustacheln) versammelten sich. Es kam zu Gewalt und erneuten Eskalationen.

Christopher Street Liberation Day

Die Proteste hielten für gut eine Woche an und die Zeit war natürlich per Zufall eine Woche vor dem nächsten „Annual Reminder“, der im nahen Philadelphia stattfand. So fuhren auch diverse der Protestant*innen in diesem Jahr zum „Annual Reminder“ – und fanden sich dort sehr schnell unzufrieden wieder. Denn bei der Aktion versuchten die queeren Veranstalter Queerness als brav und unschuldig darzustellen. Paaren aus New York, die Händchen hielten, wurde dies verboten und es gab innerhalb des Stillen Protests Konflikte – die allerdings für einiges Medieninteresse sorten.

Aus dieser neuen aktivistischen Ambitionen entwickelten sich zwei Projekte: Die Gay Liberation Front (GLF) und die Gay Activist Alliance (GAA). Diese brachten recht schnell einiges an Protest zustande. Zum einen dadurch, dass sie sich mit den Antikriegs-Protestant*innen verbündeten, zum anderen dadurch, dass sie speziell in New York auch eine queere Zeitschrift auf die Beine stellten, um die queere Gemeinschaft besser zu organisieren.

Zwischen Organisator*innen der beiden Allianzen entstand so im November ’69 auf der Eastern Regional Conference of Homophile Organizations die Idee eines jährlichen Protestmarsches, der in New York in Erinnerung an die Unruhen stattfinden sollte. Am März wurde dann daran gearbeitet, diesen Protest auf die Beine zu stellen. Der Termin stand fest: Der 28. Juni 1970 – ein Jahr nach Beginn der Stonewall Riots.

Und tatsächlich klappte alles mehr oder weniger wie geplant. Trotz großer Nervosität fand der Protestmarsch ohne größere Zwischenfälle statt. Tatsächlich gab es parallel auch einen ähnlichen Marsch, der in Chicago stattfand – sprich: In dem Staat der USA wo Homosexualität legalisiert worden war. Auch San Francisco und Los Angeles schlossen sich an.

Der Beginn einer jährlichen Aktion

Der Christopher Street Liberation Day war ein totaler Erfolg – sowohl in New York, als auch in den drei anderen teilnehmenden Städten. So stand bereits innerhalb des nächsten Monats fest, dass man, ganz wie im Vorjahr geplant, die Aktion im nächsten Jahr wiederholen würde. Ähnliches geschah auch in den anderen teilnehmenden Städten.

Nun sei an dieser Stelle gesagt, dass dies nicht bedeutet, dass es keinerlei Probleme und Konflikte im Zusammenhang mit diesen Märschen gab. Von dem angespannten Verhältnis mit der Polizei einmal abgesehen, gab es absolut auch Konflikte zwischen einzelnen Gruppen der LGBTQ*-Gemeinschaft – denn genau dieses „Gemeinschaftsgefühl“ war nicht für alle Teilnehmenden gegeben und so gab es Spannungen. Dieselben Spannungen, die wir auch heute beobachten können: Spannungen zwischen Homo- und Bisexuellen („die sind ja gar nicht richtig queer“), Spannungen zwischen cis und trans Teilnehmenden und auch Spannungen zwischen weißen Teilnehmenden und BI_PoC. Aber auch das ist ein komplexes Thema, das bei Interesse einmal einen eigenen Beitrag verdienen würde.

Auch nahmen bereits im nächsten Jahr weitere Städte an der Aktion teil: Neben New York, Chicago, San Francisco und Los Angeles konnte man nun auch Proteste in Boston, Dallas und Milwaukee besuchen. Auch in Paris und London fanden nun die ersten Paraden in Europa statt. Noch ein Jahr später, in 1972, kamen in den USA auch Atlanta, Brighton, Buffalo, Detroit, Washington D.C., Miami und Philadelphia dazu.

Der CSD kommt nach Deutschland

1972 war auch das Jahr, in dem der CSD nach Deutschland kam – und zwar nach Münster aus allen Städten. Natürlich schlossen sich in diesem Jahr auch noch weitere europäische Städte der Bewegung an, da sich nun die Bewegung schneller und schneller verbreitete. Dies zeigte sich übrigens besonders in den USA, wo sich die Anzahl von LGBTQ*-Aktivismusgruppen innerhalb von drei Jahren verfünfzigfachte!

Natürlich war auch Berlin (das heißt West-Berlin – ich finde leider keine Angaben zu Ostberlin) sehr schnell dabei, die Bewegung aufzunehmen. Zusammen mit Bremen, Köln und Stuttgart. Hierbei wurden nun auch die abwertenden Begriffe „schwul“ und „lesbisch“ aufgenommen und reclaimed, so dass sie zu Identifikationsbegriffen der Bewegung wurden.

So wie sich die Proteste in den USA mit der Antikriegs-Bewegung verbündeten, verbündete sich die Bewegung in Deutschland und Österreich mit der antifaschistischen Bewegung und erhielt von dieser tatkräftige Unterstützung. So wurde mit der bestehenden Organisationsstruktur aus der antifaschistischen Bewegung weitere Proteste, der nun vermehrt als „Gay Pride“ bekannten Bewegung.

Pride in den 80ern und 90ern

Diese Umbenennung in „Gay Pride“ hatte allerdings auch interne Gründe, die erneut auf die USA zurückgingen. Und zwar gab es hier, als die Bewegung Erfolg hatte, eine verstärkte Organisation, die in einigen Fällen sogar von den Städten ausging. Dies sorgte zwar dafür, dass die Veranstaltungen größer und aufwändiger wurden, allerdings trennte sie die Veranstaltung auch vermehrt von den „radikaleren“ Elementen. Das hieß: Sowohl von denjenigen, die sehr deutlich mehr Rechte einforderten, als auch von anderen politischen Elementen, die ursprünglich Teil der Veranstaltung war. Das sorgte dafür, dass aus dem „Christopher Street Liberation Day“ zuerst das „Liberation“ herausfiel, ehe es an vielen Orten zur neutraleren „Pride Parade“ wurde.

Dennoch war dieses Konzept erfolgreich und mehr und mehr Städte integrierten es in ihre Jahresplanung auf Wochenenden im Juni und teilweise auch im Juli. Dabei wurde nach und nach auch die Regenbogenflagge aufgenommen. Während diese bereits in den 1970ern auf der San Francisco Pride eingeführt wurde, war es vor allem der Tod von Harvey Milk (der für die Einführung zentral war), der dafür sorgte, dass sie sich in den 80er Jahren als Symbol der Pride Bewegung verbreiteten.

Pride heute – und warum Regenbogenkapitalismus nichts bringt

Was gibt es über die Geschichte der Pride seitdem zu sagen? Es hat sich verbreitet. Die meisten großen Städte in Deutschland und auch den USA und so vielen anderen Ländern – selbst einige von denen, wo Homosexualität unter Todesstrafe steht – haben mittlerweile eine Pride Parade zwischen Mai und Juli und mit jedem Jahr gibt es mehr davon! Mit der weiteren Legalisierung von Queerness und allgemein gesellschaftlicher Anerkennung hat sich allerdings auch etwas anderes verändert: Pride ist eine Möglichkeit für Firmen aller Art zu zeigen, wie progressiv sie sind.

Dabei sind auch diverse Firmen, die für die längste Zeit sich gegen die Anerkennung von Rechten von LGBTQ* gestellt haben – ja, mehr noch: Firmen, die auch heute noch aktiv queeren Menschen schaden. Sei es direkt (wie das FBI, das zur Zeit des Anfangs der Bewegung aktiv daran gearbeitet hat, sie zu zerstören) oder eben Firmen wie Disney oder Pfizer, die jedes Jahr Millionenbeträge für queerfeindliche Politiker*innen spenden. Immerhin ist das erste und oberste Interesse von diesen großen Konzernen, Kapitalismus voran zu treiben und dafür gehen sie über Leichen. Allen voran den Leichen marginalisierter Menschen.

Das Problem mit der aktuellen Bewegung von Pride ist, dass immer und immer weiter versucht wird, es zu verwässern. Was ursprünglich ein Protest war, wird mehr und mehr von Firmen vereinnahmt. Es wird erwartet, dass man sich dem Mainstream anpasst, dass man brav ist, während gerade bei den großen Prides ein nicht unerheblicher Teil des Umzugs in irgendeiner Form von riesigen Firmen gesponsert ist. Und, nun, am Ende wird dadurch die Nachricht vermittelt: „Wir akzeptieren euch schon – wenn ihr euch anpasst.“ So wie bei dem letzten der „Annual Reminders“ ein Konflikt darüber entstand, ob die Leute etwas skandalöses wie „Händchen halten“ dürfen, haben wir heute dieselben Diskussionen, nur heute dann eben über Drag auf Pride und Kink auf Pride. Das kann es nicht sein.

Fazit

Fassen wir also zusammen: Der Christopher Street Liberation Day entstand nach einem Protest in Reaktion auf Polizeigewalt gegen queere Menschen in einer queeren Bar – der Stonewall Inn. (Und diese auch bis heute anhaltende Gefahr von queerfeindlicher Gewalt durch die Polizei gehören Cops nicht auf die Pride – anders als Drag, Sexy Outfits und Kink.) In Erinnerung an diesen sehr erfolgreichen und sehr viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen wurde ein Jahr später der „Christorpher Street Liberation Day“ ins Leben gerufen – ein Konzept, das gerade dadurch, dass es zur damaligen Zeit durch die offene Queerness schockierte viel Aufmerksamkeit auf sich zog.

In den kommenden 10 Jahren verbreitete sich das Konzept weiter und weiter auf der Welt – vor allem in den USA und diversen europäischen Ländern. In diesem Rahmen wurden dann auch einige Symbole, wie die Regenbogenflagge eingeführt. Allerdings wurden die Paraden immer größer und rückten damit immer weiter vom eigentlichen Protest weg. So wurden sie auch von „Christopher Street Liberation Day“ und „Gay Liberation Parade“ nach und nach zu „Pride Parades“ umbenannt. Dies merkt man auch heute sehr, wo Pride mehr und mehr kapitalisiert wird.

Genau deswegen habe ich es als so wichtig erachtet, dieses Jahr ein wenig über die Geschichte zu sprechen. Denn entgegen dem, was Konservative uns erzählen wollen: Wir sind weit, weit weg von der Gleichberechtigung von LGBTQ*. Wir haben immer noch große Probleme mit Queerfeindlichkeit, vor allem Transfeindlichkeit. Immer wieder gibt es Übergriffe und Gewalt gegen Queere Menschen. Bis heute werden intergeschlechtliche Kinder zwangsoperiert. Und auch rechtlich sind wir lange noch nicht gleichgestellt. All das muss sich ändern – und genau deswegen muss Pride auch ein Protest sein! Also: Seid Laut, wenn ihr die Möglichkeit dazu habt. Es ist wichtig! Frohe Pride!


Das Beitragsbild stammt von Unsplash.