Ideale Weiblichkeit in Magical Girl Anime
Das Anime-Genre, das mich von allen am längsten begleitet hat, ist fraglos das Genre der „Magical Girls“ und damit bin ich nicht allein. Für viele sind verschiedene der magischen Mädchen Heldinnen gewesen und sind es noch immer. Gerade in den 90ern, wo es verhältnismäßig wenig Shows mit reinen weiblichen Casts gab, waren sie was besonderes. In Japan ist „Pretty Cure“ eine der längsten laufenden Magical Girl Serien – und da diese Woche eine neue Serie startet, ist es ein guter Augenblick, dass Genre ein wenig kritisch zu betrachten. Denn auch wenn Magical Girls weibliche Kriegerinnen sind – feministisch sind sie nur selten.
Ich kann mich noch erinnern. Als ich 5 oder 6 war schaltete ich eines Morgens den Fernseher an auf ZDF tivi und war gehypt. Da lief Sailor Moon mit einem Konzept das Kindergarten-Alex komplett unbekannt war: Ein komplett weibliches Cast? Unglaublich. Mein Kinderhirn ist förmlich explodiert. Das Konzept war neu und ich stellte relativ schnell fest, dass auch diverse andere Kids im Kindergarten die Serie schauten – ironischerweise vor allem die Jungs. Und ja, es war cool. Und als das Finale der ersten Staffel ausgestrahlt wurde … Wow! Was ein Twist – aus der Sicht eines 6jährigen Kindes.
Dann allerdings kam ich in die Grundschule, schaute die Serie am Wochenende weiter und meine Begeisterung schrumpfte beständig. Ich konnte mich mit „Bunny“ einfach nicht identifizieren, beziehungsweise wollte das auch schnell nicht mehr. Während sie ein paar coole Momente hatte, hatte ich im Verlauf der Serie selten das Gefühl, dass sie eine fortwährende Entwicklung hatte. In einer Folge war sie cool, in der nächsten wieder wegen Kleinigkeiten am Weinen und irgendwelchen Jungs am hinterherhecheln. Und die anderen Mädels? Die haben entweder mitgemacht oder sind im Hintergrund verschwunden. Vor allem nachdem Chibiusa auftauchte und das Rampenlicht für sich beansprucht hat.
Allerdings konnte ich dem Genre gegenüber nicht zu lang verbittert sein. Als ich ins Gymnasium kam, entdeckte ich Manga so wirklich für mich und mein erster Manga war Kamikaze Kaito Jeanne. Ich habe es geliebt und bin darüber auch auf andere Magical Girl Serien gekommen, gerade da das Genre um die Jahrtausendwende so richtig aufgeblüht ist. Ojamajo Doremi, Mermaid Melody, Tokyo Mew Mew, Pretty Cure und wie sie noch alle hießen. Auch eine meiner liebsten Serien kam damals raus: Uta~Kata. Anders gesagt: Ich habe viel (zu viel!) Magical Girl Shows geschaut und als mit Puella Magi Madoka Magica dann der Hype um die „rekonstruierten“ Magical Girl Shows losging, war ich definitiv mit dabei.
Mädchen, keine Superhelden
Aber hier ist die Sache: So cool Magical Girls vom Konzept her sind, speziell als Gegenkonzept zu anderen Superhelden, so schneiden die meisten dieser Shows nicht besonders gut ab, wenn es um Frauendarstellung geht. Nicht zuletzt, da Japan nun einmal ein sehr traditionelles Land ist, in dem traditionelle Familienwerte hoch gehalten werden, weshalb gerade große, weitreichende Produktionen diese auch beinhalten – man will ja keinen Skandal erzeugen, nicht?
Natürlich, der ein oder andere mag jetzt sagen: „Ist es richtig Medien einer anderen Kultur nach unseren Standards zu bewerten?“ Doch die Sache ist nun einmal, dass ich häufig Magical Girl Serien auch im „Westen“ dafür gelobt sehe, wie toll und unabhängig und motiviert ihre Heldinnen seien und was für tolle Vorbilder für Mädchen sie wären. Und sicher: Die magischen Mädchen sollen Vorbilder sein, doch eben keine Vorbilder, die Mädchen Unabhängigkeit beibringen. Im Gegenteil.
Und so haben Magical Girls eine ganze Vielzahl von Themen und problematischen Aspekten, die aus der Sicht der Frauendarstellung zu kritisieren sind. Das fängt damit an, dass beinahe alle Magical Girls – animetypisch – dieselbe sehr dünne Figur haben und dieselbe Hautfarbe. Als japanische Serie sind die meisten Figuren japanisch, soviel ist klar, doch Minderheiten in Japan finden genauso wenig Repräsentation, wie verschiedene Körperformen. Ab und an kommt eine Serie daher, in der es dann das blonde Mädchen aus „irgendwo im Westen“ gibt, die gleich diverse Klischeevorstellunge über Europäer und/oder Amerikaner in sich fusioniert. Und die Kostüme sind dabei nicht nur immer pastellfarbend, sondern meistens auch sexy und sehr knapp bemessen und – selbst wenn die fraglichen Mädchen 10 oder 11 Jahre alt sind.
Was noch hinzukommt: Auch wenn effektiv alle Mädchen identische Körper haben, gibt es gerne ein Mädchen in der Gruppe, das gerne isst und prompt fatshaming ausgesetzt wird, wie es Usagi beispielsweise bei Sailor Moon des häufigeren passiert. Eine weitere gute Moral für kleine Mädchen? Iss nicht zuviel, denn kein Mann will dicke Mädchen heiraten.
Weiblichkeitsideale und mundane Berufsaussichten
Schlimmer sieht es jedoch mit der charakterlichen Darstellung aus: Fast alle Magical Girls – mit Ausnahme vielleicht eines einzelnen Tomboys in der Gruppe – entsprechen traditionellen, japanischen Weiblichkeitsidealen oder versuchen das zumindest. Sie streben alle die sogenannten „Acceptable Feminine Goals“ (Warnung: Der Link führt auf TV Tropes!) an. Das heißt: Wenn sie mehr vom Leben erwarten, als zu heiraten, um dann Hausfrau und Mutter zu werden, dann sind es Jobs im Bereich von Pflege, Kunst, Kleidung/Mode oder irgendetwas, das mit Blumen, Kultur oder Kochen zu tun hat. Das allerhöchste der Gefühle, wenn man ein weibliches Genie hat, sind meistens anstrebende Ärztinnen. (Ist studiert, aber immer noch „Pflege“ und damit das höchste der Gefühle.)
Und ja, ich bin mir dessen bewusst, dass Kochen, Kunst und Mode Berufsfelder sind, in denen Frauen immer noch unterrepräsentiert sind, doch das ändert nichts daran, dass sie eben zu den „annehmbaren Jobs für Frauen“ gehören, wenn es um Fiktion geht. Ich kenne kaum ein Magical Girl, das Bestrebungen hat, Profisportler, Mathematiker, Informatiker oder Ingenieur zu werden oder bspw. In die Politik zu gehen.
Und das ist ohne die Tatsache, dass sehr viele Magical Girls in ihrem normalen Leben, an kaum etwas anderes als Mode, Make-Up und Jungs zu denken scheinen und genau dahingehend entsprechende Ziele verfolgen, ja, sich sogar darüber definieren, ob sie eine Beziehung mit dem Jungen ihrer Träume haben oder nicht. Mit Ausnahme – natürlich – der implizit und manchmal sogar explizit lesbischen Magical Girls, die allerdings dieselbe Selbstaufgabe und Unterwerfung gegenüber einer Beziehung zeigen, nur halt mit einem weiblichen Partner. Etwas, das nur dadurch etwas ausgeglichener wird, dass beide Partnerinnen emotional ähnlich viel in diese Beziehung investieren, während die emotionalen Kosten einer heterosexuellen Magical Girl Beziehung fast immer auf der weiblichen Seite liegen.
Magische Kräfte mit Verfallsdatum
Allerdings endet es nicht nur bei den Klischees, denn oftmals kommen Magical Girl Serien noch mit einer anderen Implikation oder gleich zwei oder drei davon einher. Erstens: Mädchen können nur durch Magie etwas Besonderes werden. Zweitens: Diese Möglichkeit haben sie nur während ihrer Jugend. Danach haben sie zu heiraten. Drittens: Es geht nur, wenn sie keinen Sex haben, weil Jungfräulichkeit und Unschuld eine wichtige Grundlage für magische Kräfte sind.
Während männliche Figuren in ihren Serien nicht selten durch pures Training ihre Kräfte bekommen und diese bis ins Erwachsenenalter behalten, bekommen Mädchen ihre Kräfte aus magischen Quellen geschenkt, meistens mit einem konkreten Ziel und meistens, um sie nach dem Erreichen des Ziels zu verlieren und dann eben zu heiraten und Kinder zu bekommen. Oder sie sind gar an die Sache, dass die Mädchen nicht heiraten und keinen Sex haben, gebunden – denn offenbar ist nichts mächtiger darin Magie zu zerstören, als ein Penis.
Was jedoch noch schlimmer ist, sind Magical Girls im historischen Zusammenhang. Denn egal ob wir nun von Kamikaze Kaito Jeanne oder Madoka Magica reden: Es gibt ein paar Serien, die dahingehend unschöne Implikationen haben. Vor allem, dass Frauen erst durch Magie überhaupt signifikant werden können. Denn wenn wir uns Madoka Magica und das erweiterte Universum dort ansehen, wird klar gemacht: Viele historisch relevanten Frauen war in dieser Welt ein Magical Girl. Sprich: Sie war nicht toll und beeindruckend, weil sie etwas geleistet hat, nein, sie hat nur etwas geleistet, weil sie magische Kräfte von Aliens bekommen hat. Jap. Coole Moral.
Magische Voraussetzungen für mystische Kräfte
Auch die Begründungen, warum ausgerechnet Mädchen die magischen Kräfte bekommen, hinterlassen, wenn es sie gibt, nicht selten einen üblen Nachgeschmack. Denn entweder wird hier mit einer vermeintlichen Reinheit und Unschuld, die Jungen nicht haben können, argumentiert, oder mit den Emotionen von Mädchen, denn Mädchen sind ja ganz eindeutig viel emotionaler als Jungen, nicht?
Manch eine Serie geht wie Madoka Magica sogar noch weiter und impliziert, dass menschliche Teenagermädchen die emotionalsten und/oder unschuldigsten Wesen im ganzen weiten Universum (in manchen Serien sogar Multiversum) seien und sich deswegen besonders gut als Magical Girl eigenen würden, was wieder in das übliche Klischee der emotionalen Frau gegen den rationalen Mann hineinspielt.
Und natürlich noch einmal: Die sexuellen Jungfrauen, die als Thema auch in verschiedenen Serien aufkommen. Vor allem natürlich in My Otome, wo sie sogar namensgebend sind. Hier mit der doppelt unschönen Implikation, dass lesbischer Sex ihnen diese „Unschuld“ der Jungfräulichkeit nicht nimmt – das passiert erst, wenn mindestens ein Mann involviert ist. Denn wir sehen sexuell aktive lesbische Otome, die ihre Fähigkeiten problemlos nutzen können.
Natürlich gibt es auch Serien, wo es anders läuft. In Tokyo Mew Mew war es reiner Zufall, dass es Mädchen waren. In Mermaid Melody sind es nun einmal Meerjungfrauen. Und in Sailor Moon sind die Damen halt wiedergeboren. Doch in genug Serien, wo eine magische, mystische Kraft den Protagonistinnen die Magie gibt, sieht die Begründung irgendwie so aus.
Die enge Definition akzeptabler Weiblichkeit
Und um es noch deutlich zu machen: Es geht nicht darum, dass es schlecht wäre, einen gesellschaftlich als „annehmbaren Job für Frauen“ zu machen oder als Frau einfach zu heiraten und Kinder zu bekommen. Es geht darum, dass diese Serien, die sich an junge Mädchen richten, halt keine Alternativen bieten und kleinen Mädchen effektiv vermitteln, dass das ihre einzigen Optionen sind und ein anständiges Mädchen eine dieser Dinge machen muss.
Es geht ebenso darum, dass diese Serien oft „Unschuld“ und „Aufopferungsbereitschaft“ für Freunde, Geliebte und Familien als die höchsten weiblichen Tugenden darstellen, selbst wenn die Mädchen ansonsten aktiv und eigensinnig sind. Und das diese Unschuld zwar gerne sexy aussehen darf, dabei aber Sexualität ablehnen muss, wenn nicht von dem etwaigen Geliebten gewünscht, für den notfalls aus alles andere impliziert geopfert wird.
Es geht auch darum, dass eine Serien, die eben keine Diversität unter Frauen zeigt – abgesehen davon, dass es seit Uranus und Neptun gerne ein implizites oder manchmal sogar explizites lesbisches Paar unter den Magical Girls gibt – nicht unbedingt für ihre Darstellung von verschiedenen Frauen mit verschiedenen Eigenschaften zu loben ist.
Oder anders gesagt: Ja, Magical Girls mögen Mädchen sein, die eigene Ziele und Wünsche haben, die sie innerhalb der Serien sogar verfolgen. Doch alles in allem ist das, was diese Serien als akzeptables, weibliches Verhalten und auch als akzeptables, weibliches Aussehen und akzeptable, weibliche Lebensläufe darstellen ein sehr, sehr enger Korridor.
Positive Darstellungen und die Zukunft des Genres
Und ich sage nicht, dass es keine guten Magical Girl Anime in der Hinsicht gibt. Ich muss nachwievor Ojamajo Doremi loben. Während hier zwar auch diverse Klischees vorhanden sind, zeigt die Serie eine Vielzahl verschiedener Frauenfiguren, sowohl unter den Kindern, als auch den Erwachsenen. Einige davon haben klassische Jobs angenommen, andere eben nicht. Auch die Protagonistinnen beschreiten später verschiedene Wege. Und auch wenn Doremi selbst gerne für Jungs schwärmt, so kann sie dennoch auch mit Jungs als Menschen interagieren. Generell zeigt die Serie die Figuren vor allem als das: Als Menschen.
Und unter den PreCure Staffeln gibt es ab und an ein paar helle Momente. In Sachen Frauenfiguren vor allem Doki Doki PreCure, in dem die jungen Mädchen nicht nur wenig Interesse an Jungs haben, sondern auch sehr ungewöhnliche Jobs anstreben: Unsere Protagonistin will Politikerin werden, mit dem Ziel Premierministerin Japans zu sein. Die beste Freundin strebt die Arztkarriere (die nicht so ungewöhnlich ist) an. Dann haben wir Alice, die CEO der Familienfirma wird. Und Makoto als Idol, aber gleichzeitig auch als Kriegerin und Leibgarde ihrer Königin, die leider allerdings trotzdem „Prinzessin“ heißt. Es kann halt nicht perfekt sein.
Und ja, weil ich weiß, dass viele daran hängen: Auch bei den „Outer Senshis“ in Sailor Moon gibt es so etwas wie Diversität – selbst wenn sie von den vor allem in der 90er Jahre Serie sehr einseitig dargestellten Gruppe der „Inners“ teilweise stark überschattet werden.
Doch wie gesagt: Alles in allem? Solche Darstellungen sind eher die Ausnahme als die Regel. Und ja, ich liebe das Magical Girl Genre. Ich liebe es wirklich. Nicht zuletzt für das obligatorische angedeutete Lesbenpaar in den etwaigen Serien und generell das Einbringen queerer Themen. Aber bezüglich Frauendarstellungen würde ich das Genre wirklich nicht als fortschrittlich bezeichnen, so leid es mir auch tut. Ich hoffe nur weiterhin, dass es sich in Zukunft ändert und wir wirklich einmal unterschiedliche weibliche Figuren in diesen Anime repräsentiert bekommen, wie es in westlichen, von Magical Girls inspirierten Serien, der Fall ist und werde sicherlich in jede neue Magical Girl Serie, die auf den Markt kommt, zumindest reinsehen. Irgendwann wird es soweit sein, oder? Denn ob ihr es glaubt oder nicht: Auch viele japanische Mädchen hungern nach solchen Vorbildern.
Wie gesagt: Am Sonntag startet die neue Pretty Cure Serie – Star☆Twinkle Pretty Cure – dieses Mal mit einem ziemlich ungewöhnlichen Konzept, da die magischen Mädchen nun durchs Weltall reisen werden. Ich glaube zwar noch immer nicht, dass Astronomie eine Rolle spielen wird, rechne eher mit viel Astrologie, und die Rakete, die sie nutzen ist – oh Wunder – pink, doch vielleicht überrascht diese Serie mit ein paar positiven Darstellungen. Wir werden es sehen.
Das Beitragsbild wurde von mir selbst aufgenommen.