Warum Diversity nicht „erzwungen“ ist

Neues Jahr, altes Thema. Ich dachte, es wäre einmal wieder an der Zeit über das Thema Diversität in den Medien zu sprechen – denn tatsächlich haben wir das lange nicht mehr gemacht. Denn auch im Jahr 2022 haben wir noch immer die Leute, die davon sprechen, dass die Diversität, die wir nun sehen, „erzwungen“ wäre.

Die „erzwungene“ Diversität

Es wird langsam – die Betonung auf langsam. Nach und nach werden Filme und Serien ein bisschen Diverser. Auch die Buchbranche bemüht sich darum, zu diversivizieren, in den USA soweit deutlich mehr als in Deutschland, aber selbst hier sehen wir langsam mehr Diversität. Ja, sogar bei den großen Franchises sehen wir die Diversität nun langsam. Es gibt für Studios und Verlage einfach keine Ausreden mehr und tatsächlich zeigt sich immer wieder, dass diese Filme und Serien sehr erfolgreich sein können.

Doch je mehr wir davon sehen, desto häufiger hören wir auch wieder dieselbe Beschwerde: „Das ist total erzwungen!“ In vielen Fällen ist dies natürlich ein „Bad Faith“ Argument. Es ist nur eine vorgeschobene Beschwerde von Menschen, die prinzipiell gegenüber der Aussicht abgeneigt sind, dass ihre Medien sich nicht länger auf weiße, ablebodied, cishetero Menschen konzentrieren.

Aber ja, es gibt auch jene Menschen, die ernsthaft der Meinung sind und sich sogar eventuell an sich mehr Repräsentation wünschen. Dennoch haben sie das Gefühl, es sei irgendwie erzwungen – und genau an diese Leute soll sich dieser Eintrag richten. Denn so wirklich erzwungen ist an der Sache tatsächlich nichts.

Die „normale“ Homogenität

Die erste Frage, die ich Menschen stellen möchte, die Diversität – bspw. in Eternals oder Star Trek: Discovery oder den neuen Star Wars Filmen stört – stört und als „erzwungen“ empfinden, ist: Warum erfindet ihr diese Diversität erzwungen, aber die relative Homogenität in Avengers, den alten Star Trek Serien und den alten Star Wars Filmen nicht?

Denn es gibt keinen vernünftigen Grund dafür, warum das originale Team in Avengers komplett aus weißen Leuten – mit einer Ausnahme weißen Männern – bestehen sollte. Noch weniger gibt es einen Grund, warum die Menschen, die wir in Star Wars sehen alle weiß sind, von Star Trek einmal ganz zu schweigen.

Und ja, eigentlich sollte diese durchaus erzwungene Homogenität stören. Umso mehr bei Science Fiction, wo man doch davon ausgehen sollte, dass die Menschheit eben doch eher den Proportionen unserer planetaren Gesamtbevölkerung entsprechen sollten. Doch der Punkt ist letzten Endes: Ja, es ist durchaus erzwungen, wenn alle Figuren weiß, cishetero und ablebodied sind – und meistens sogar bis auf ein paar Ausnahmen auch männlich. Warum also stört euch dieser erzwungene Umstand weniger, als wenn Diversität erzwungen wird?

Ein paar Statistiken

Doch schauen wir uns einmal ein paar Statistiken an, um das ganze deutlicher zu machen. Es ist ein wenig schwer zu sagen, wie viele Menschen welcher ethnischen Abstammung genau auf der Welt leben – und es ist wohl auch besser so – aber prinzipiell kann man sagen, dass weiße Menschen nicht mehr als 16-18% der Weltbevölkerung ausmachen. Menschen ostasiatischer Abstammung derweil um die 30% und solche westasiatischer Abstammung etwa 25%. Genau deswegen finde ich es gerade bei interstellaren Geschichten, wo die Menschheit als solche repräsentiert sein sollte, sehr seltsam, wenn 50% oder mehr der menschlichen Figuren weiß sind.

Natürlich ist es derweil sehr schwer zu sagen, wie viele Menschen jetzt eigentlich queer sind. Immerhin sieht man das den Menschen so erst einmal nicht an – und wenn sie nicht out sind, dann tauchen sie nicht in Statistiken auf. Die Tendenz zeigt derweil aber deutlich: Je offener ein Land mit queeren Menschen umgeht und je mehr Rechte sie haben, desto mehr Leute identifizieren sich auch als queer. Deswegen identifizieren sich unter Gen Z in den meisten westlichen Ländern zwischen 20 und 40% als queer. Auch die Anzahl der Menschen, die sich in irgendeiner Form als trans identifizieren (nicht-binäre Identitäten eingeschlossen und unabhängig davon, ob es einen Wunsch zur Transition gibt) ist bei Gen Z in diesen Ländern hochgeschossen, je nach Gegend teilweise bis auf 10%.

Ebenso ist es natürlich auch schwer zu sagen, wie viele Menschen genau behindert sind. In Deutschland sind knapp 10% der Bevölkerung als „schwerbehindert“ gemeldet.

Addieren wir das ganze auf (0,16 * 0,6 * 0,45 * 0,9) kommen wir zum Schluss, dass nur 3,8% der Bevölkerung weiße, nicht queere, abled Männer sind. Selbst wenn wir es für die USA nehmen und uns an deren Zahlen orientieren, weil die meisten Medien von dort kommen, kommen wir nur auf etwa 13% (aufgrund der deutlich höheren Anzahl behinderter Menschen in den USA). Ganz schön erzwungen, dass unsere Medienlandschaft zu großen Teilen aus ihnen besteht, oder?

Thema oder nicht?

Ein weiterer Punkt, wo sich die Leute, die die ganze Zeit von „erzwungener Diversität“ reden, nicht einmal einig werden können, ist bezogen darauf, ob marginalisierte Themen, nun, zum Thema werden sollten oder eben nicht. Also natürlich dann, wenn marginalisierte Figuren vorkommen.

Denn kommen marginalisierte Figuren vor und die Marginalisierung wird zum Thema, dann wird sich gerne darüber beschwert. Dann ist es erzwungen, dass diese Themen vorkommen. Müssen die marginalisierten Menschen einem denn immer diese Themen aufdrängen? Kann man nicht mal einen Film schauen, ohne dass einem direkt diese Themen aufgezwungen werden? Egal, ob das Thema dann „Leben mit Rassismus“ oder „Leben mit Queerfeindlichkeit“ ist oder auch nur „Transition“ als zentraler Aspekt vom Charakterarc einer trans Figur.

Kommen diese Themen allerdings nicht vor, heißt es sofort: „Warum ist der Charakter denn überhaupt marginalisiert? Gibt es doch keinen Grund für?“ Wieder ein Aspekt wo die Doppelmoral sehr deutlich wird: Denn bei den wenigsten weißen, cismännlichen, abled, hetero Figuren gibt es eine Plotbegründung dafür, dass diese eben all diese Dinge sind.

Die Homogenisierung Gemeinschaften

Natürlich gibt es einen gewissen anderen Aspekt, mit dem man bei manchen Geschichten noch argumentieren kann: Die Homogenisierung von Gemeinschaften. Denn ja, prinzipiell lässt sich eine Tendenz von Menschen beobachten, sich eher mit Leuten, die so sind, wie sie, zu umgeben und dies auch auf die ein oder andere Art durchzusetzen.

Ein sehr gutes Beispiel dafür ist, wie in den USA viele weiße Menschen mit aller Macht versuchen dafür zu sorgen, dass ihre Schulbezirke weiß sind und weiß bleiben, damit ihre Kinder ja nicht mit BI_PoC zur Schule gehen müssen. Und natürlich wissen wir auch alle, dass bestimmte Industrien ihr möglichstes tun, alle rauszumobben, die keine weißen, cis Männer sind. Also ja, hat man so etwas als Setting kann es sein, dass es durchaus realistisch ist, dass ein Cast homogener ist.

Das macht allerdings nur Sinn, wenn man wirklich in einem so spezifischen, lokalen Setting unterwegs ist. Schauen wir uns derweil aber etwas, wie Avengers an, so macht es nur bedingt Sinn, dass alle weiß sind, immerhin entstammen sie nicht alle derselben Community. Und bei Settings, wo die Figuren aus allen möglichen Umständen zusammengebracht wurden, oder gar bei Weltallsettings ergibt es eben so gar keinen Sinn.

Übrigens gilt hier zudem: Wer A sagt, muss auch B sagen. Denn wer mit dieser Homogenisierung argumentiert, wenn es um ein Cast aus weißen, cishetero Männern geht, sollte sich auch nicht beschweren, dass es Geschichten mit einem komplett queeren oder komplett BI_PoC Cast gibt … Denn auch innerhalb dieser Gruppen ist die Tendenz (umso mehr in einer Welt, wo sie diskriminiert werden) sich mit Leuten zu umgeben, die ihre Erfahrungen teilen.

Die Token-Problematik

Ein Unterthema, zu dem ich bereits einen eigenen Blog geschrieben habe, das zu diesem Thema ein wenig mit dazugehört, sind die Token-Figuren. Sprich: Jene einzelnen Figuren, die ganz allein eine ganze diverse Gruppe repräsentieren müssen, weil der Rest vom Cast natürlich nicht dieser Gruppe entspricht.

Ein übliches Beispiel ist die Smurfette: In einem Cast, das komplett aus (wahrscheinlich weißen) Männern besteht, gibt es eben den einzelnen weiblichen Charakter, der tatsächlich handeln darf. In Phase 1 und 2 vom MCU war das Black Widow, in der originalen Star Wars Trilogie ist es Leia und in der originalen Star Trek Serie ist es Uhura (die gleichzeitig auch der Token Schwarze Charakter der Crew ist).

Und natürlich gibt es das so eben auch für diverse Marginalisierungen. Am bekanntesten sind natürlich eben der Quoten-Schwarze und der Quoten-Schwule. Aber so gesehen gibt es das auch für diverse andere Marginalisierungen – vor allem, weil eben viele nicht-betroffene Autor*innen überfordert sind mit der Vorstellung mehr als eine*n davon in etwas hineinzuschreiben.

Wie aber im originalen Beitrag geschrieben, ist das durchaus nicht unproblematisch. Zum ersten fallen negative Eigenschaften (gerade, wenn sie entsprechenden Klischees entsprechen) bei einer Figur deutlich mehr ins Gewicht, wenn diese Figur eine marginalisierte Gruppe allein vertritt. Auch ist es praktisch nicht möglich, diese Figur zu töten, ohne dass es negativ auffällt. Davon abgesehen ist es eben doch häufig sehr unrealistisch, dass diese Figur keinen Kontakt zu anderen hat, die ihre Identität haben.

Die Sache mit den kleinen Casts

Was gerne als eine Begründung genutzt wird, um ein sehr homogenes Cast zu begründen, ist eben, dass das Cast recht klein ist. Vielleicht nur zwei, drei Hauptfiguren – vielleicht auch nur fünf, was für manche irgendwie auch noch als kleines Cast zählt. Deswegen, muss man sehen, konnte man nicht mehr Figuren marginalisiert gestalten. Denn das wäre ja unrealistisch geworden.

Nun, dazu fallen mir zwei Sachen ein. Zum einen natürlich noch einmal der Verweis auf die Statistik oben. Zum anderen: Ja, wenn die Figuren aus demselben Umfeld kommen und es nur so wenige sind, dann macht es durchaus Sinn, wenn sie so homogen sind. Setzen sie sich jedoch aus einem größeren Umfeld zusammen, ist halt wieder die Frage: Warum?

Ich möchte an dieser Stelle wieder Phase 1 des MCU als Beispiel dazuziehen. Denn hier ist es eben sehr offensichtlich: Es gibt keinen Grund, warum diese Figuren alle weiße, heterosexuelle Männer sein müssen. Ja, sie sind es im sehr, sehr alten Comic, aber das heißt nicht, dass es in den Verfilmungen so hätte sein müssen. Genau so hätte man im ersten Avengers (oder, heck, im zweiten) das Team diverser Aufstellen können. Man hat es aber nicht. Und ja, wenn wir uns das moderne, sehr diverse Amerika anschauen wirkt es halt schon ein wenig unglaubwürdig.

Historisch ist keine Ausrede

Was übrigens gerne als Ausrede genommen wird, warum etwas sehr homogen sein muss, ist, dass es in einem historischen Setting spielt. Denn wir wissen ja alle: Im Mittelalter war Europa ja komplett weiß und es gab keinerlei Menschen, die von irgendwo anders hergekommen sind. Homosexualität wurde ja sowieso erst 1920 erfunden. Und behinderte Menschen haben halt einfach nicht das Mittelalter überlebt oder so. Natürlich sind die letzten drei Sätze triefend vor Sarkasmus zu lesen.

Denn die große Ironie ist: Europa war immer schon der am wenigsten homogene Kontinent. Zum einen war bereits ein Teil der frühen Menschen, die in Europa gelebt haben, Schwarz und nicht weiß, zum zweiten waren dank der Römer diverse Schwarze Menschen durch ganz Europa verteilt, die als römische Soldaten gekämpft haben. Mit dem asiatischen Raum existierte schon zu der Antike Handel, weshalb auch von dort Menschen hierher kamen. Also ja, ein ethnisch weißes Europa gab es so gesehen nie. Und die Sache mit queeren Menschen ist nun einmal: Das Verhältnis von queeren Menschen zu nicht-queeren Menschen war wahrscheinlich immer ein ähnliches. Ja, sicher waren damals weniger Leute offen im Umgang damit. Gleichzeitig ist es allerdings auch ein unwahres Vorurteil, dass es wirklich immer so „gefährlich“ für queere Menschen gewesen sei, offen zu leben – denn das war es tatsächlich nicht. Und auch behinderte Menschen wurden seit prähistorischen Zeiten von den Menschen um sie herum versorgt und hatten ihren Platz.

Kurzum: Wer ein sehr homogenes Cast in einem historischen Setting schreibt, tut dies letzten Endes, weil si*er es so möchte. Es ist absolut nichts daran unglaubwürdig, diverse historische Settings zu haben – denn die gab es in der realen Geschichte vor allem in Europa einige.

Diversität ist nicht „erzwungen“

Kurzum: Nein, Diversität ist nicht „erzwungen“. Jedenfalls nicht „erzwungener“ als die Homogenität ist, die halt immer noch in weiten Teilen der Medienlandschaft vorherrscht. Denn diese Homogenität ist eben keine gottgegebene Eigenschaft der Medien, sondern etwas, das von Menschen selbst erfunden wurde. Vor allem aber ist sie definitiv kein Spiegel der Realität – denn diese ist sehr divers.

Letzten Endes hat sich die Homogenität eben durch Unterdrückungsstrukturen entwickelt. Dank dem Patriarchat gibt es zwei Geschlechter: Männlich und politisch. Dank White Supremecy gibt es zwei Hautfarben: Weiß und politisch. Dank Heteronormativität gibt es zwei sexuelle Ausrichtungen: Hetero und politisch. Die Liste könnte man so endlos weiter fortführen.

Tatsache ist: Selbst wer ohne böse Absicht davon spricht, dass Diversität irgendwo „erzwungen“ wäre, tut dies im besten Fall eben nur, weil si*er daran gewöhnt ist, dass Casts durchweg weiß, durchweg allocishetero, durchweg männlich und durchweg abled sind. Aber das ist eben nicht die Realität, das ist eine Fiktion die erfunden wurde, um Menschen, die keine weißen, allodyacishetero, abled Männer waren zu unterdrücken. Genau deswegen müssen wir aus dieser Denkweise endlich ausbrechen. Die reale Welt ist ein sehr diverser Ort. Es wird Zeit, dass Fiktion das widerspiegelt!


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