Von fiktionalen und realen Protestbewegungen
Es ist Pride Month. Dabei dürfen wir nicht vergessen: Ursprünglich war Pride eine Protestbewegung gegen die weitreichende Queerfeindlichkeit und Unterdrückung von queeren Identitäten. Genau deswegen ist dieser Monat vielleicht ein guter Zeitpunkt, um über die Darstellung von Protestbewegungen in der Fiktion zu sprechen.
Die Sache mit Protestbewegungen
Protestbewegungen gehören zu praktisch jeder Gesellschaft dazu. Sie kommen immer dann vor, wenn viele Menschen ein Unrecht wahrnehmen und dagegen vorgehen wollen. Es kommt zu Protesten, die mal mehr, mal weniger ausschreitend werden. Die Hoffnung dabei ist natürlich, diejenigen, die die Macht haben, zu erreichen und so eine Änderung zu erwirken.
In einigen Fällen gehen Protestbewegungen noch weiter und entwickeln sich zu einer wirklichen Rebellion, die gegen die aktuell machthabenden Kräfte vorgehen. In diesen Fällen kommt es praktisch immer zu Ausschreitungen und gegebenenfalls auch gezielten Anschlägen. Dies kann sich allerdings auch dynamisch entwickeln, wenn der Staat versucht eine Protestbewegung gewaltsam niederzuschlagen.
Natürlich kennt auch die Fiktion viele verschiedene Protestbewegungen und Rebellionen. Wie gut diese allerdings dargestellt werden, ist von Geschichte zu Geschichte unterschiedlich. Auch können Protestbewegungen immer wieder als Antagonist*innen vorkommen – und genau dann wird es schnell problematisch.
Wogegen wir protestieren
Eine Sache sollten wir direkt am Anfang im Kopf behalten: Während wir über Protestbewegungen vornehmlich im Kontext mit Menschenrechten sprechen, sind technisch gesehen auch Gruppen, die das genaue Gegenteil erreichen wollen, häufig Protestbewegungen.
Natürlich sind viele der einflussreichsten Protestbewegungen der Geschichte solche, die für Menschenrechte eingetreten sind. Seien es jene, die gegen unterdrückende Regimes protestiert haben, oder jene, die für die Rechte marginalisierter Personen eingetreten sind und auch bis heute noch eintreten.
Dennoch lassen sich auch die Querdenker als eine Protestbewegung bezeichnen, genau so wie Pegida. Die Tatsache, dass sie schlicht und ergreifend menschenverachtend sind, ändert nichts daran, dass sie eine Protestbewegung sind. Sprich: Nicht alle Protestbewegungen müssen links-orientiert sein. Leider gibt es auch mehr als genug Proteste, die rechts orientiert sind.
Der Kampf für Rechte
Doch reden wir hier in dem Kontext besser über jene Protestbewegungen, die für mehr und nicht weniger Menschenrechte einstehen. Immerhin sind es auch diese Bewegungen, die größtenteils im Rahmen der Geschichte in Erinnerung geblieben sind – selbst dann, wenn sie letzten Endes in ihren Protesten nicht erfolgreich waren.
Beispiele für diese Bewegungen fangen früh genug an. Auch die französische Revolution hat als eine Protestbewegung angefangen, die gegen die Ungleichheit in Frankreich protestiert und rebelliert hat. Daraus hat sich dann die Revolution entwickelt – und ähnlich sieht es für die Revolutionen anderer Länder aus, die die französische imitiert haben.
Schauen wir in die jüngere Geschichte, haben wir beispielsweise auch die Friedens- und Studentenbewegungen der 1960er Jahre, in denen unter anderem gegen den Vietnamkrieg protestiert wird.
Und natürlich haben wir all jene Bewegungen, die für mehr Rechte für marginalisierte Gruppen eingestanden sind und noch immer einstehen. Beispiele, die sich für die Rechte Schwarzer Menschen eingesetzt haben, wären die Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King, die Black Panther Party und natürlich heute Black Lives Matter. Und wie eingangs gesagt: Auch die Pride war ursprünglich eine Protestbewegung für die Rechte queerer Menschen.
Methoden realer Proteste
In diesem Kontext lohnt es sich auch über die Methoden zu sprechen, die von realen Protesten angewendet werden. Denn natürlich sind Proteste vielfältig und welche Methoden zum Einsatz kommen sind unterschiedlich.
Natürlich ist eine der ersten Methoden, die zum Einsatz kommen, der tatsächliche Protest im Sinne einer Demonstration. Dies geschieht häufig entweder zu bestimmten historisch relevanten Daten, zu Tagen, an denen die Politik über entsprechende Themen entscheidet, oder in direkter Reaktion auf irgendwelche Ereignisse.
Eine weitere Methode, zu der es kommen kann, die aber häufig schwer umzusetzen sind, ist der Boykott. Hier wird entweder die Zusammenarbeit mit einer Gruppe verweigert (ein Beispiel hierfür wäre der Wahlboykott) oder Produkte von Firmen, beziehungsweise Produkte, die mit bestimmten Themen in Zusammenhang stehen, nicht gekauft. Das Problem dabei ist, dass diese häufig schwer umzusetzen sind, da sie nur etwas bringen, wenn sehr, sehr viele Menschen sich an dem Boykott beteiligen.
Als nächste Eskalationsstufe kann es zu zivilen Ungehorsam kommen. Sprich: Der direkte Verstoß gegen geltende Gesetze. Beispiele hierfür wären das Errichten von Blockaden, Sitzblockaden, sich gegen Polizeibefehle widersetzen, Gebäude besetzen oder beispielsweise auch die Verweigerung von Steuerzahlung.
Bringt all das nichts, kommt es häufig zu gewalttätigen Ausschreitungen. Dabei kann sich die Gewalt gegen Staatsdiener*innen wie Polizist*innen richten, aber auch gegen Individuen, die als Fürsprecher des Systems gesehen werden. Und ja, schlimmstenfalls kann diese Gewalt auch in Form von Terroranschlägen, bis hin zu Bürgerkriegen eskalieren.
Die realen Geschichten
Wir können das ganze so bei verschiedenen realen Protestbewegungen sehen. Dahingehend kann man sich sowohl die amerikanische Bürgerrechtsbewegung, als auch die Lesben- und Schwulenbewegung (oder „Gay Rights“ Bewegung) ansehen. Da es Pride Month ist, erscheint es nur als angemessen, zweitere zu nehmen.
Die Bewegung für die Gleichberechtigung homosexueller Menschen, hat relativ direkt nach dem zweiten Weltkrieg angefangen. Natürlich gab es davor bereits ähnliche Bewegungen, doch die moderne Bewegung hatte mit der „homophilen“ Bewegung ihren Anfang. Diese nannte sich mit Absicht so, um Liebe über den sexuellen Teil zu stellen. Sie war sehr bemüht, ordentlich und friedlich aufzutreten und sich anzupassen.
Das änderte allerdings nichts daran, dass es immer wieder gewaltsame Übergriffe auf queere Menschen (sowohl homosexuelle, als auch trans Menschen) gab. Gerade auch die Polizei war gegenüber queeren Menschen immer wieder gewaltsam übergriffig. So wurde auch die Stonewall Inn, eine queere Bar in der Christorpher Street, von Polizisten gestürmt. Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlauf brachte und die Stonewall Aufstände auslöste. Für mehrere Tage kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen queeren Aktivist*innen und der Polizei.
Daraus allerdings wuchs die wieder deutlich friedlichere „LGBT rights“ Bewegung hervor, die in den kommenden Wochen, Monaten, Jahren immer wieder für queere Rechte auf die Straßen ging.
Dies bedeutete allerdings nicht, dass es nicht auch später noch Zusammenstöße mit der Polizei geben sollte. Gerade während späten 1980er und im Verlauf der 1990er kam es nicht aufgrund der AIDS-Epidemie und der Untätigkeit der verschiedenen Staaten immer wieder zu verzweifelten Protesten für die Rechte queerer Menschen, die ungleich stark von der Epidemie betroffen waren.
Proteste in der Fiktion
Doch lasst uns zu fiktionalen Darstellungen von Protestbewegungen und Rebellionen kommen. Dafür gehen wir ein paar Beispiele durch, wo solche Protestbewegungen aufgegriffen wurden, und sprechen dann über ein paar Probleme, die es in dem Kontext gibt.
Proteste/Rebellion auf Seite der Held*innen
Das wohl prominenteste Beispiel für Rebellionen in fiktionalen Franchises ist Star Wars. Immerhin geht es in der gesamten originalen Trilogie um Rebellen, die gegen ein etabliertes Imperium kämpfen. Dabei ist zumindest in den Filmen allerdings nicht ganz klar, für was die Rebellen eigentlich kämpfen, nur dass sie gegen das Imperium sind. Das wird allerdings in den Büchern und verschiedenen Erweiterungsmaterialien etwas klarer gemacht.
Ein anderes prominentes Beispiel ist auch Harry Potter. Hier haben wir sowohl die Rebellion gegen das Regime von Lord Voldemort, als auch in Band 5 die Rebellion gegen das Zauberei-Ministerium und Dolores Umbridge. Dabei haben weder „Dumbledores Armee“, noch „der Orden des Phönix“ konkrete Ziele formuliert, die über den Sturz der jeweils antagonistischen Partei hinausgehen.
Ein letztes bekanntes Beispiel wären wohl The Hunger Games und die Protestbewegung und Rebellion gegen das Kapitol. Das Kapitol missbraucht hier seine Macht und unterdrückt die Menschen in den Distrikten und im Verlauf der Handlung der Bücher entwickelt sich eine Protestbewegung, die sich dagegen wehrt und schließlich auch das Kapitol angreift. Allerdings endet auch hier das Ziel beim „Sturz des Kapitols“.
Proteste/Rebellion auf Seite der Antagonist*innen
Natürlich sehen wir auch in vielen Medien Protestbewegungen und Rebellionen, die von den Antagonist*innen ausgehen.
Das aktuellste Beispiel dafür sind wohl die Flag Smasher in The Falcon and the Winter Soldier auf Disney+. Die Flag Smasher sind eine Protestbewegung, die sich vorrangig aus den Flüchtlingen entwickelt hat, die seit die im Blip verschwundenen Menschen wieder aufgetaucht sind. Menschen, die nun keine Heimat mehr haben und nicht genügen Hilfe von der Welt bekommen. Sie wollen den Status der internationalen Politik, der während des Blips geherrscht hat, zurückhaben, als die Welt zusammengekommen ist, um mit dem gemeinsamen Trauma und den Problemen, die sich aus dem verschwinden der halben Bevölkerung ergeben haben zu kommen. Deswegen sind sie auch gegen Grenzen. Allerdings ist zumindest ihre Anführerin gewalttätig und terroristisch.
Ein anderes bekanntes Beispiel sind die Equalisten aus der ersten Staffel von The Legend of Korra. Diese haben sich gegen die Zwei-Klassen-Gesellschaft gestellt, die dadurch entstanden ist, dass nicht alle Menschen Elemente beherrschen können. So sind zum Beispiel Nicht-Bändiger im Stadtrat von Republic City gar nicht vertreten. Die Bewegung wird besiegt, indem ihr Anführer als Betrüger entlarvt wird. Danach hören wir nie wieder etwas von der Bewegung.
Zuletzt gibt es noch die Vox Populi aus Bioshock Infinite. Das Spiel spielt auf der schwebenden Insel Columbia, in der schwarze Menschen (und auch irischstämmige Menschen) unterdrückt und quasi versklavt sind. Eine Gruppe dieser unterdrückten Menschen hat sich zusammengefunden und will eine Revolution ermöglichen. Als diese jedoch ins Rollen kommt, werden sie als „nicht besser, als die Unterdrücker*innen“ dargestellt.
Das Problem fiktionaler Protestbewegungen
Die Probleme, die es mit der Darstellung von Protestbewegungen in der Fiktion gibt, sind aus den Beispielen wohl recht offensichtlich.
Sind die Protestbewegungen auf der Seite der Protagonist*innen, so gibt es sehr selten etwas, für das diese Bewegungen kämpfen. Es wird immer nur gegen etwas gekämpft, wobei dieses Etwas selten politisch komplexer ist, als „die Bösen, die böse Dinge tun“ – gerne auch als Nazi-Metapher. Genau deswegen enden die meisten Geschichten auch damit, dass dieses Etwas besiegt wird, denn weiter zu gehen würde bedeuten, dass die Guten für etwas stehen müssten. Genau deswegen starten auch die Star Wars Sequels damit, dass die Guten wieder eine Gegenbewegung zu den Antagonisten sind, obwohl die Rebellion in der originalen Trilogie eigentlich gewonnen hatte.
Sind die Protestbewegungen allerdings antagonistisch, wird es oftmals noch problematischer. Denn während die guten Protestbewegungen zumindest gegen ein ideologisch rechten Status Quo kämpfen, so sind antagonistisch orientierte Protestbewegungen auch beinahe immer links. Anders als die heldenhaften Protestbewegungen stehen sie schon für etwas ein – und das Problem ist, dass diese Dinge oftmals ziemlich gut sind.
Die Equalisten in Legend of Korra haben nachvollziehbare Ziele. Auch die Flag Smashers und die Vox Populi haben gute, nachvollziehbare Ziele. Dennoch werden sie alle als antagonistisch dargestellt und dämonisiert – meistens darüber, dass sie Gewalt anwenden, um ihre Ziele zu erreichen. Eine tiefere Auseinandersetzung mit ihren Forderungen findet nicht statt, wegen der Gewalt, obwohl die Held*innen für ihre Ziele auch ausnahmslos Gewalt einsetzen.
Dazu kommt, dass die meisten antagonistischen Protestbewegungen (genau so, wie die Imperien, gegen die Held*innen rebellieren) meistens zerfallen, wenn ihr Kopf ausgeschaltet wird. Egal wie berechtigt die Forderungen waren, auf sie wird nach Tod der*s Hauptantagonist*in nie weiter eingegangen.
Wie es besser ginge
Daraus ergibt sich natürlich automatisch, was man selbst, wenn man Protestbewegungen und Rebellionen schreibt, bedenken sollte.
Egal ob auf Held*innenseite oder Antagonist*innenseite, macht euch Gedanken darum, wofür und wogegen die Proteste sind. Über die meisten realen Bewegungen haben ein Manifest, in denen beides festgehalten ist. Die Black Panthers zum Beispiel waren unter anderem gegen die Unterdrückung Schwarzer Menschen in den USA und gegen Polizeigewalt, aber für Bildung für Schwarze Jugend (vor allem auch kolonialismuskritische Bildung) und für gleiche Rechte und Gerechtigkeit. Es lohnt sich immer, sich Gedanken darüber zu machen, wie die Welt sich verändern würde, wenn die Protestbewegung gewinnt – umso mehr, wenn es die Held*innen sind, die tatsächlich gewinnen sollen.
Sind die Protestbewegungen auf der antagonistischen Seite, solltet ihr euch Gedanken darüber machen, ob diese Protestbewegung nicht irgendwie Recht hat und valide Punkte aufbringt. Denn mit nichts vertreibt ihr euch mehr Leser*innen, als damit valide Ansichten zu dämonisieren. Es hilft, wenn ihr die entsprechenden antagonistischen Bewegungen dann diverser aufstellt und vielleicht eine Hardliner-Fraktion und weniger harte Teilnehmer*innen.
Vor allem aber sollte immer bedacht werden, dass eine Bewegung aus vielen Menschen besteht und nicht nur einem bis einer handvoll Anführer*innen. Das gilt sowohl bei guten, als auch bei antagonistischen Bewegungen. Anführer*innen sind in den meisten Fällen austauschbar. Ja, eine Bewegung wird Mitglieder verlieren, wenn so ein*e Anführer*in ausgeschaltet wird, aber die wenigsten Bewegungen zerfallen dadurch plötzlich komplett.
Fazit
Protestbewegungen sind wichtig, gerade für die Demokratie, da sie die Meinungen und Bedürfnisse von Menschen in einem Land/Reich ausdrücken. Dabei sollte allerdings immer bedacht werden, dass Protestbewegungen nicht nur in einer Seite des politischen Spektrums bestehen, sondern es rechte, wie linke Proteste gibt.
In der Realität durchläuft eine Protestbewegung meistens verschiedene Stufen der Eskalation. Fast alle Protestbewegungen fangen friedlich an, doch wenn die Proteste gewaltsam niedergeschlagen werden, wird sich auch die Protestbewegung häufig extremer verhalten. Je nachdem wie groß der Leidensdruck ist, können sich dabei auch Milizen bilden. Allgemein neigen allerdings rechtsorientierte Protestbewegungen eher zur Gewalt, als linksorientierte.
Das Problem bei der Darstellung von Protestbewegungen in der Fiktion ist, dass sie häufig nichts haben, für das sie kämpfen, sondern nur etwas, wogegen sie kämpfen. Auch ist ein großes Problem, dass in vielen fiktionalen Settings eine Protestgruppe mit oft linken und durchaus validen Protestgründen, häufig über ihre Anwendung von Gewalt dämonisiert werden – im selben Setting, in dem auch die Protagonist*innen ihre Probleme häufig mit Gewalt lösen.
Wer selbst Fiktion mit Protestbewegungen schreibt, sollte dies nach Möglichkeit reflektiert tun, und sich über die Ziele der Bewegung genaue Gedanken machen.
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Das Beitragsbild stammt von Unsplash.