Pokémon – Eine queere Perspektive

Es ist Juni. Es ist Pride-Month. Ich habe seit Monaten nicht mehr zu Anime gebloggt. Alles zusammengenommen: Lasst uns über Pokémon sprechen, dem wohl queersten nicht offiziell queeren Anime den es gibt.

Über 20 Jahre Pokémon

Fangen wir mit einem einfachen Fakt zum Anfang an: Pokémon als Franchise ist über 20 Jahre alt. Der Pokémon-Anime ist über 20 Jahre alt. Das Franchise hat seinen Anfang in 1997 gefunden und ist seither nur gewachsen.

Die erste Staffel des Anime wurde von dem leider mittlerweile verstorbenem Takeshi Shudo geschrieben – der während der Produktion mehr als einmal mit den Produzenten aneinander geraten ist. Dasselbe Drama, wie bei Digimon: Eine Streitfrage war immer wieder, welche Themen man Kindern zumuten könnte oder nicht.

Das ist einer der Gründe, warum Shudo nach der ersten Staffel bereits die Leitzügel abgab und anderen Autor*innen den Vortritt ließ. Seither wurde die Serie von Staffel zu Staffel von anderen Story-Komponisten betreut. Aber eine Sache hat die Serie dabei auf mysteriöse Art und Weise seit den frühsten Folgen behalten: Sie hat eine Menge queere Unterthemen.

Und genau über diese möchte ich heute mit euch sprechen.

Team Drag Rocket

Die offensichtlichste Queerness in der Serie sehen wir vornehmlich durch eine Truppe: Das Rocket Trio – und das heißt vornehmlich Musashi und Kojiro oder für diejenigen, die nur mit der westlichen Verion vertraut sind: Jessie und James. Ich habe von mehr als einer Person gehört, bei der die beiden einen Einfluss auf die Erkenntnis der eigenen Queerness hatten. Und dies ist kaum verwunderlich: Die beiden sind massiv queer kodiert.

Das fängt mit dem offensichtlichsten an: Dem theatralen Verhalten und der allgemeinen Showman-Ship. Ja, dies ist ein übelstes Klischee, lässt sich aber genau deswegen leicht als queer lesen. Fast jede Folge – vor allem in den frühen Episoden – stellen die beiden eine Show auf die Beine, wenn sie sich übertrieben als irgendjemanden verkleiden, um die Heldentruppe hinters Licht zu führen.

Aber genau bei diesen Verkleidungen geht es weiter. Denn nicht selten bringen diese Verkleidungen auch Crossdressing mit sich. Besonders für Kojiro gibt es häufiger mal Momente, in denen er als Frau durch die Gegend marschiert. Dies ist für ihn jedoch nichts, was er peinlich findet, sondern im Gegenteil etwas, das ihm Spaß macht und was er gerne macht. Er hat Spaß daran. Und genau so ist es auch bei Musashi nicht so, als würde sie sich daran stören als Mann verkleidet durch die Gegend zu laufen. Immer wieder kommt es vor, dass die beiden einfach mit vertauschtem Gender auftreten. Dass hier verschiedene Fans Genderqueerness heraus interpretiert haben, sollte weniger eine Überraschung sein. Und darüber hinaus ist gerade Kojiro auch sonst deutlich queer kodiert worden – besonders in der englischen Fassung, die dies noch einmal eine Spur deutlicher gemacht hat.

Natürlich kann man hier nun sagen: „Ja, aber die beiden sind die Bösewichte und das spielt da in ein bedenkliches Muster mit hinein.“ Was stimmen würde, wäre die Serie nicht recht deutlich darin, dass Zuschauer*innen Sympathie mit dem chaotischen Rocket-Trio haben sollen. Und davon abgesehen …

Der Held der Geschichte

Denn wenn einem Team Rocket nicht reicht, dann gibt es auch noch Satoshi, aka Ash Ketchum. Satoshi, über den sich zwei Sachen sagen lassen: Er hat kein Interesse an Mädchen und er hat wenig Probleme damit zu crossdressen. Ersteres geht soweit, dass es uns via Word of God, sowohl von Shudo, als auch von Tomioka, der die Serie von Diamond & Pearl bis XY geschrieben hat, bestätigt wurde.

Doch fangen wir mit dem Crossdressing an, denn wie auch Kojiro wird Satoshi von Zeit zur Zeit in Mädchenkleidung gesteckt. Mal, um irgendwo reinzukommen, wo Jungs nicht reingehören. Mal, weil irgendein anderer Charakter es so beschließt. Und die meiste Zeit scheint Satoshi daran seinen Spaß zu haben und sich genau so wenig daran zu stören, wie Kojiro – selbst wenn er es anders als dieser nicht aus Eigeninitiative macht.

Aber dann ist da auch die Sache, die vor allem in XY schmerzhaft deutlich wurde: Satoshi hat für Romantik absolut kein Verständnis. Er bemerkt nie, wenn ein Mädchen was von ihm will, entwickelt seinerseits nie Gefühle für ein Mädchen. Dass Serena was von ihm will, geht für über 200 Folgen komplett an ihm vorbei. Nun, mag nun der ein oder andere sagen, aber Satoshi ist halt auf ewig 10. 10Jährige haben daran nun einmal kein Interesse. Doch das ist nicht das Bild, dass die Serie uns zeichnet. Zumindest in der Welt des Pokémon Anime (in der 10Jährige übrigens als Volljährig gelten) scheinen Kinder in dem Alter durchaus schon solche Interessen zu haben. Nur für Satoshi haben die Autoren bestätigt, dass er kein Interesse an Romantik hat. Pokémon sind halt sein ein und alles. Aber wenn wir die Autoren hier beim Wort nehmen, dann heißt es, dass Satoshi tatsächlich zumindest aromantisch ist.

Queercodierte Bösewichte

Es ist allerdings nicht so, als würde die Serie nicht auch diese Negativbeispiele haben, in denen deutlich antagonistisch dargestellte Charaktere queer kodiert werden. Das beste Beispiel dafür ist wohl Harley – der in allen Sprachen seinen Namen behält. Dieser ist ein Koordinator, der in den Advance Generation Staffeln der Serie vorkommt und dort ein Rivale zu Haruka/Maike auf ihrem Quest als Koordinatorin ist.

Von allen Rivalen von Haruka, ist Harley der mit Abstand fieseste und manipulativste. Er will um jeden Preis gewinnen und spielt daher mehrfach mit unsauberen Mitteln. Sei es, dass er versucht Maike das Selbstbewusstsein zu nehmen, oder dass er versucht seine Rivalen anders aus den Rennen zu kegeln.

Gleichzeitig ist Harley jedoch von allen Rivalen die Haruka/Maike hat auch derjenige, der deutlich queer kodiert ist. Das fängt damit an, dass er die Haare lang trägt und häufiger feminin gekleidet auftritt, geht aber dazu über, dass er sich in allen Sprachen deutlich weiblicher ausdrückt und somit auch über seine Sprache kodiert wird. Auch seine Art sich zu halten und aufzutreten sind klischeehaft schwul kodiert. Was ihn zu einem deutlichen Negativbeispiel macht.

Die gute Rivalin

Ein deutlich positiveres Beispiel dagegen ist Nozomi/Zoey in Diamond & Pearl. Sie ist ebenfalls eine Koordinatorin und die Hauptrivalin von Hikari/Lucia. Während Harley allerdings eine deutlich negative Beziehung zu Haruka hat, die in die Feindlichkeit mit hineinreicht, sind Nozomi/Zoey und Hikari allerdings befreundet. Dennoch ist Nozomi in vielerlei Hinsicht – wenngleich klischeehaft – lesbisch kodiert.

Ohne Klischees kommt der Anime auch bei ihr nicht aus: Sie hat kurze Haare und ist allgemein burschikos. Während die anderen Mädchen und Frauen bei den Wettbewerben in Kleidern auftreten, trägt Nozomi einen Anzug trägt. „Heißt das dann nicht nur, dass sie eher ein Tomboy ist?“, mag nun der ein oder andere Fragen. Und ja, würde es heißen, wäre da nicht eine gewisse Kodierung auch abseits von ihrem Design.

Da sind sowohl ihre Interaktionen mit Hikari, als auch ihr Verhältnis zu Suzuna/Frida, der Eis-Arenaleiterin der Sinnoh-Region. Diese ist eine Kindheitsfreundin von Nozomi und wird mit ihr gemeinsam auf eine Art dargestellt, die leicht als romantisch gelesen werden kann. Nozomis Signaturpokémon ist eins, dass sie gemeinsam mit Suzuna großgezogen hat. Entsprechend ist es nicht schwer, Nozomi als lesbisch zu lesen, weshalb dies auch eine der gängigen Lesearten ist.

Subtext und Text

Und es gibt noch mehr Charaktere, die auf diese Art gelesen werden können. Gerade bestimmte Charaktere – in Anime und Spielen – wie Shirona/Cynthia oder Liliana werden nicht ohne Grund immer wieder queer interpretiert.

Nun muss man natürlich fragen: Okay, ist das denn überhaupt Repräsentation – geschweige denn gute? Immerhin ist nichts von alle dem soweit Text. Das nächste an Text heran ist Harley und der ist deutlich negativ kanontiert. Und hier muss man natürlich sagen: Nein. Nein ist es nicht. Und es ist soweit schade, dass abgesehen von einem lesbischen Pikachu-Paar (mit der expliziten Erwähnung, dass es homosexuelle Pokémon gibt) im Anime von Sonne und Mond es keine richtige, explizite Repräsentation gibt.

Auch in den Spielen beschränkt sich Repräsentation auf ein wenig Dialogoptionen von Random-Trainern, die man auf den Routen bekämpft. (Besonders hervorgehoben sei die trans Schönheit, die in mehreren Spielen vorkommt.) Was schade ist, sich aber soweit nicht ändern lässt.

Dennoch hat der Pokémon-Anime und vor allem Team Rocket einen besonderen Platz im Herzen vieler queerer Fans, für die er teilweise sogar der erste Kontakt mit Themen wie crossdressing war.

Go(h)ing forward

Die offene Frage bleibt, ob der Pokémon-Anime je mehr an Repräsentation bekommt, als Andeutungen und vor allem genderqueer kodierte Figuren wie Kojiro und durchaus auch Satoshi. Auf der einen Seite gibt es auch in Japan nach und nach mehr Repräsentation, auch außerhalb von Medien, die spezifisch Boys Love/Girls Love oder für ein queeres Publikum sind. Auf der anderen Seite ist Japan jedoch auch ein sehr konservatives Land – und Pokémon für sehr junge Kinder konzipiert.

Und natürlich ist dann da die Frage, die sich mit dem aktuellen zweiten Hauptcharakter der neusten Serie einige stellen: Ist dieser Charakter vielleicht die Repräsentation, auf die wir gewartet haben? Denn Goh ist auf eine Art und Weise gezeichnet, die ihn sehr androgyn wirken lässt – genug so, dass viele beim Charakterdesign ihn erst für ein Mädchen hielten. Ist dies einfach eine kreative Entscheidung oder will man damit etwas bestimmtes zum Ausdruck bringen?

Wir werden sehen, was für Entscheidungen der Anime, der zumindest in den letzten Jahren mutiger geworden ist, in der Zukunft treffen wird. Bis dahin aber feier ich die drei Queens von Team Rocket weiterhin als Queer-Icons – und ich denke, ich bin damit nicht allein.


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