Der richtige Anfang für deine Geschichte
Es ist der Anfang des Jahres und damit eigentlich ein wunderbarer Zeitpunkt, um über Anfänge von Geschichten zu reden. Immerhin ist es häufig eine der Sachen, die vielen Autor*innen unglaublich viele Gedanken bereitet.
Der erste Satz
Gerade unter Genre-Autor*innen wird dem ersten Satz eine sehr große Bedeutung beigemessen. Er soll am besten alles sein. Er soll die Leser*innen packen, mitreißen und am besten gar nicht mehr los lassen. Der Nachteil an dem ganzen: Für viele baut sich ein Druck auf, den perfekten ersten Satz zu finden – so ein Druck, dass es länger dauert, bis man überhaupt erst einmal mit dem Schreiben anfängt.
Ich selbst sehe es ein wenig entspannter. Ein cooler erster Satz ist genau das: Cool. Aber wenn der Rest des Textes nicht mithalten kann, bringt er auch wenig. Gleichzeitig ist ein recht normaler erster Satz nicht weiter schlimm, wenn der Rest des Textes gut ist. Zumal es nun einmal von Leser*in zu Leser*in sehr unterschiedlich ist, was als „guter erster Satz“ empfunden wird – oder überhaupt als guter Anfang.
Die einen mögen gerne irgendetwas Lustiges, die anderen etwas Spannendes oder Außergewöhnliches. Es gibt einfach viele Möglichkeiten, eine Geschichte zu beginnen und es wird bei vielen Möglichkeiten immer Leute geben, die sie mögen und jene, die es nicht tun.
Die möglichen Anfänge
Lasst uns in diesem Zusammenhang über die möglichen Anfänge für eine Geschichte reden, denn diese lassen sich in ein paar Kategorien aufteilen. Wichtig dabei zu merken wäre, dass sich diese Kategorien durchaus auch mischen können und ein Anfang gleich Eigenschaften von zwei dieser Anfangstypen hat.
- Dialog: Eine sehr offensichtliche Möglichkeit mit einer Geschichte anzufangen, ist mit dem Dialog zwischen zwei oder mehr Charakteren. Es gibt eine Möglichkeit, vor allem die Charaktere, eventuell aber auch über den Inhalt des Dialoges einen oder mehrere Plotpunkte vorzustellen.
- Mysterium: Mit einem Mysterium anzufangen, heißt, mit einer Frage anzufangen und ein Informationsdefizit auf der Seite der*s Leser*in zu schaffen. Sei es durch eine Szene, in der der Eindruck entsteht, dass etwas wichtiges passiert, di*er Leser*in aber nicht weiß, was, oder eben durch eine Frage, die etwaige Figuren sich selbst stellen.
- Schock: Ebenso ist es möglich mit einer schockierenden Szene anzufangen. Bspw. einer besonders brutalen oder erschreckenden Szene. Dies kann helfen, die Atmosphäre für eine Geschichte zu setzen.
- Flashforward/Flashback: Ein weiterer Klassiker ist mit einem Flashback oder seltener auch einem Flashforward anzufangen. Also einer Szene, die in der Vergangenheit der Geschichte spielt oder vielleicht auch in der Zukunft. Beides sind Anfänge, die vor allem gerne als Framing-Device gebraucht werden.
- Alltag: Der klassische Anfang nach der Heldenreise, beginnt mit der*m Held*in in seinem*ihrem Alltag, wo si*er alltägliche Dinge macht. Dies dient meist als Einführung in Charakter und Welt.
- In Media Res: Dieser lateinische Ausdruck, beschreibt eine Geschichte, die direkt mitten in der Handlung anfängt, wo bereits etwas Plotrelevantes passiert. Dies kann, muss aber nicht – abhängig von der Art der Geschichte – Action sein.
Natürlich lassen sich leicht noch andere Möglichkeiten finden, um eine Geschichte zu beginnen, aber dass hier sind die Klassiker. Dabei hat natürlich jeder davon seine eigenen Vor- und Nachteile.
Mysteriöser Anfang
Bei einem mysteriösen Anfang werden Fragen aufgeworden. Sie funktionieren damit ein bisschen ähnlich wie Clickbait, indem sie ein Informationsdefizit schaffen, dass Leser*innen zu füllen versuchen. Damit ist natürlich klar, dass dieser Anfang vor allem für Mystery-Geschichten praktisch geeignet sind. Hier nehmen sie praktisch schon eine „In Media Res“ Funktion ein, wenn sie auf der Frage beginnen, die die Protagonist*innen zu beantworten suchen.
Eine
Herausforderung dieser Anfänge ist, die richtigen Fragen zu finden.
Das heißt: Fragen, die für die Leser*innen auch ohne Vorkenntnis
anderer Umstände interessant sind. Das ist einer der Gründe, warum
man diese Anfänge eher in Geschichten findet, in denen die Welt den
Leser*innen bereits bekannt ist. Anders gesagt: Ein fragliches
magisches Rätsel könnte für eine*n einsteigende*n Leser*in
eventuell weniger tun, als die simple Frage: „Wer hat Jan Olaf
getötet?“
Prinzipiell ist das wichtige dabei, wenn man direkt oder indirekt Fragen zu Beginn der Geschichte offen legt, dass es auch Fragen sind, die di*en Leser*in interessieren. Das heißt auch, Fragen die auf Genre und Zielgruppe abgestimmt sind.
Schockierender Start
Thriller, aber auch andere eher düstere Genre wie Horror oder Dark Fantasy, fangen gerne mit einem Schock an. Wie schockierend das wird, kommt ein wenig auf die Geschichte und das genaue Genre an. Vielleicht wird jemand ermordet, vielleicht beschreibt man direkt eine Schlacht, vielleicht auch, wie eine Stadt gerade einer feindlichen Macht zum Opfer fällt. Dies kann, muss aber nicht zwangsweise „In Media Res“ sein – sprich: Der schockierende Moment kann sowohl eine Vorgeschichte oder ein Nebenaspekt der Haupthandlung sein, als auch ein Teil von ihr.
Man kann diese Art von Einstieg sowohl positiv, als auch negativ sehen. Gerade wenn die Beschreibungen sehr brutal sind, können sie bereits einen guten Einblick dazu geben, was die Leser*innen erwarten wird. Gleichzeitig aber können sie auch manche Leser*innen abschrecken. Die Frage dabei sei natürlich, ob man dies nicht als Bonus sehen kann, wenn es später ähnliche Szenen gibt, die für diese Leser*innen vielleicht ebenso abschreckend wären.
Durchaus kritisch betrachten kann man diese Anfänge allerdings, wenn sie nichts weiter als Effekthascherei sind. Sprich: Wenn sie gar nicht mal sprechend für den späteren Verlauf der Geschichte sind, sondern einfach nur da sind um etwas schockierendes zum Anfang zu haben. Dies gilt übrigens doppelt dafür, wenn die schockierenden Starts Dinge wie Folter, Gewalt gegen marginalisierte Gruppen oder eine Vergewaltigung beinhalten.
Flashing forward/backward
Wahrscheinlich sind die Flashforwards oder Flashbacks zu Beginn einer Geschichte die umstrittenste Art eine Geschichte zu beginnen – gerade Flashforwards. Das heißt nicht, dass sie nicht gelingen können, aber sehr wohl, dass sie öfter Leser*innen verwirrt oder frustriert zurücklassen können, was natürlich genau so auch beabsichtigt sein kann.
Die Sache ist natürlich, das Flashbacks viele Dinge sein können: Vielleicht fangen wir in einer Vergangenheit mit anderen Charakteren an, deren Handlung vielleicht alles ins Rollen gebracht hat, was für die Geschichte wichtig ist. Genau so ist es allerdings Möglich, dass der Anfang der Geschichte etwas aus der Vergangenheit der*s Protagonist*in behandelt, was später noch wichtig in der Geschichte wird. Der Vorteil hier ist natürlich, dass man auch bei einer Geschichte, die eine Weile braucht, um zur Action zu kommen, hier ggf. direkt mit Action anfangen kann, die sogar für die Handlung relevant ist. Beginnt die Handlung allerdings mit anderen Figuren, so kann dies für manche Leser*innen auch verwirrend sein.
Flashforwards können häufig Rahmenhandlungen sein. Vielleicht gibt es einen Kontext, in dem di*er Protagonist*in (oder auch ein anderer Charakter) die Handlung der Geschichte erzählt, so dass wir mit diesem Rahmen anfangen. Genau so ist es natürlich möglich, dass man tatsächlich einfach später in der Handlung einsteigt, um einen spannenden Anfang hat und danach aufdröselt, wie es zu der Situation gekommen ist. Je nachdem, wie dies gemacht ist, kann es sowohl Spannung fördern, als auch vernichten. Hierbei kommt es ein wenig auf das Fingerspitzengefühl an.
Das einfache Leben
Wenn wir Campbells Heldenreise (die natürlich trotzdem kritisiert werden sollte) betrachten, so steht bei dieser oft der Alltag der*s Held*in am Anfang im Vordergrund. Es muss die normale Heimat etabliert werden, damit di*er Held*in diese später verlassen kann. Entsprechend ist es kaum verwunderlich, dass wir diese in vielen Geschichten wiederfinden. Wobei es natürlich erneut ein Einstieg mit Vor- und Nachteilen ist.
Der größte Vorteil, der aus dieser Art des Einstiegs kommt, ist, dass di*er Leser*in eine Möglichkeit hat, die Charaktere und die Welt kennen zu lernen, bevor es los geht, und eine Bindung zu diesen zu entwickeln. Da es viele Leser*innen (wie mich übrigens auch) gibt, die eine Bindung zu den Charakteren brauchen, um sich für die Handlung zu interessieren, tut man diesen mit einem solchen Anfang definitiv einen Gefallen, solange man es geschickt anstellt.
Der Nachteil ist, dass es eben auch andere Leser*innen gibt, die langsame Anfänge, die vor allem Figuren- und Weltenbau betreiben, eher langweilig finden. Gerade in der Phantastik, aber auch in anderer Genrefiktion wie Krimi oder Thriller, gibt es viele dieser Leser*innen, die sich einen flotteren Einstieg wünschen. Für diese ist eher der nachkommende Einstieg geeignet.
In Media Res
In Media Res ist Latein und bedeutet so viel wie „In die Mitte der Sache“. Ein wenig salopper kann man es also mit „Direkt zur Sache kommen“ übersetzen. Was wichtig dabei zu verstehen ist: In Media Res meint nicht, dass es einfach nur mit einer spannenden Sequenz anfängt, sondern wirklich direkt in der Mitte der zentralen Handlung. Hintergründe über Charaktere, Welt und Konflikt werden im Verlauf der Geschichte durch Flashbacks, Dialoge und andere Mittel eingeführt. Effektiv beginnt man im zweiten, statt im ersten Akt der Geschichte.
Damit gefällt dieser Art von Einstieg natürlich gerade solchen Leser*innen, die gerne sofort Handlung und Action haben wollen. Denn das haben In Media Res Anfänge gemeinsam: Man steigt in einer Szene ein, in der direkt wichtige Dinge passieren und sich die Handlung wahrscheinlich auch schnell bewegt.
Der Nachteil ist halt, dass man genau die Leute verliert, die sich von den langsamen Anfängen eher angesprochen fühlen: Die Art von Leser*in, die einen Bezug zu den Charakteren braucht, um sich für die Handlung zu interessieren. Für jene Leser*innen kann die Handlung gerade noch so actiongeladen und verwickelt sein, Spannung kommt für sie erst auf, wenn sie die Charaktere kennen.
Es gibt keinen perfekten Anfang
Wie ihr sicher gemerkt habt, habe ich keinen konkreten Abschnitt zu Dialogen gemacht. Auch wenn es viele Leser*innen gibt, die Dialoge zu Beginn sehr mögen, da sie einen guten Einblick in die Charaktere geben können, so sind diese Dialoge meist immer in Kombination mit einem der anderen Anfangstypen zu finden.
Das ist natürlich ein wichtiger Faktor: Die Typen von Anfängen lassen sich meistens recht frei Mischen. Man kann Beispiel ein Kapitel 1 schreiben, das In Media Res anfängt, aber eigentlich ein Flashforward ist, nur um ab Kapitel 2 die Geschichte dann klassisch linear von Anfang an zu erzählen. Genau so ist es möglich, einen sehr alltäglichen Anfang zu haben, der jedoch Fragen über die Charaktere und ihre Welt aufbringt. Es müssen keine reinen Anfänge einer Art sein.
Dabei lässt sich feststellen, dass keiner der Anfänge ideal für alle Leser*innen ist. Geschmäcker sind verschieden und das gilt auch dafür, wie man Geschichten beginnt. Während ein*e Leser*in ein Buch mit einem längeren Alltagsprolog aus der Hand legen wird, wird jemand wie ich dazu geneigt sein, eine Geschichte mit einem In Media Res Anfang zur Seite zu legen, weil ich halt erst einmal Figuren kennen lernen will. Kurzum: Man kann es nicht allen Recht machen.
Entsprechend macht es Sinn darüber nachzudenken, welche Art von Geschichte man erzählen will und welche Art von Anfang den Leser*innen dieser Geschichte wohl am besten gefällt. Ist es ein atemloser Actionthriller? Dann kann ein schockender Anfang mit In Media Res vielleicht genau das richtige sein. Ist es eine sehr charaktergetriebene Geschichte? Vielleicht ist es dann besser, die Leser*innen erst einmal die Charaktere kennen lernen zu lassen.
Das Beitragsbild stammt von Unsplash.