Darstellung weiblicher Sexualität
Als letzten Eintrag diesen Monat möchte ich um ein Tabu-Thema reden. So könnte man zumindest meinen, wenn man den Umgang mit dem Thema online betrachtet. Weibliche Sexualität – im Sinne von Sexualität, die von einer Frau ausgeht und von einer Frau (mit)bestimmt wird. Denn das stört schnell diverse Konsumenten.
Eine Sache die immer wieder bezüglich weiblichen Charakteren in Medien auffällt: Sie sind oft sexuell extrem passiv. Ja, sogar (oder vielleicht besonders) die „starke, unabhängige Frau“ ist am Anfang ihrer Geschichte entweder Jungfrau oder hat seit Jahren keinen Sex mehr gehabt. Wenn eine Frau sexuell selbstbestimmt ist, dann ist sie schnell antagonistisch oder eine Antiheldin. Denn über weibliche Sexualität wird in Medien wenig geredet.
Jungfräulichkeit und Slutshaming
Das Ganze beginnt bereits damit, dass weibliche Hauptcharaktere sehr oft am Anfang ihrer Geschichte jungfräulich sind, also bisher keinen Sex hatten. Das gilt für YA-Protagonistinnen sowieso beinahe immer, trifft aber nicht selten auch für erwachsene Figuren zu. Die Gründe können dabei unterschiedlich seien. Bei manchen sind sie Religiös, bei liegt es daran, dass sie auf den Richtigen warten und wieder andere hatten einfach keine Gelegenheit.
An sich muss das ja auch nicht schlimm sein. Ich will niemanden shamen, der aus welchen Gründen wartet. Das Problem ist nur, dass in den Geschichten mit jungfräulichen Protagonistinnen nicht selten weibliche Sexualität geshamet wird. Umso mehr, wenn diese weibliche Sexualität außerhalb einer romantischen Beziehung mit einem Mann gezeigt wird. Slutshaming ist dabei nicht selten zu finden. Mal mehr, mal weniger aggressiv.
Generell ist die weibliche Sexualität in diesen Geschichten beinahe immer an die romantische, monogame Beziehung mit einem Mann gebunden. Ja, es kommt durchaus vor, dass eine Protagonistin längerer Reihen oder Serien mit mehreren Männern Sex hat – doch selten passiert dies außerhalb einer Beziehung, jedenfalls nicht ohne mit Shaming einher zu gehen.
Auch werden in diesem Kontext gerne übliche Lügen über Jungfräulichkeit wach gehalten, wie zum Beispiel, dass das erste Mal immer weh tut, dass es danach immer blutet und dass das Hymen danach (und nie vor dem ersten Mal) gerissen ist. Manchmal geht auch das Bekommen oder der Verlust magischer Fähigkeiten damit einher, als könnte einmaliger Sex mit einem Mann eine Frau gänzlich verändern.
Cis- und Heteronormativ
Ich muss mich an dieser Stelle selbst kritisieren, denn der letzte Absatz Dingen über das Hymen und Blut sind im Bezug auf weibliche Charaktere natürlich cisnormativ. Nicht alle Frauen haben Hymen. Vagina oder Eierstöcke – genau so, wie nicht jede Person, die diese Dinge hat, eine Frau ist. Dass der Absatz so geschrieben ist, hat allerdings natürlich einen Grund: Die meisten in Massenmedien dargestellten weiblichen Figuren haben vollkommen unabhängig davon, was für eine Spezies sie sind, Brüste und Vagina. Trans* oder inter* Figuren gibt es nicht oder kaum. Schon gar nicht in visuellen Medien. Sollte es sie doch geben, werden sie oft von cisgender Schauspielern dargestellt und gesprochen.
Werden Transfrauen dargestellt, werden sie viel zu häufig als „Witz“ genutzt. Nicht selten ist ein männlicher Protagonist dann schockiert, wenn er mit einer hübschen Frau Sex haben will und an ihr einen Penis entdeckt. Dass dieser Trope transfeindlich ist, muss ich hoffentlich niemanden erklären. ContraPoints hat dazu vor einer Weile ein sehr, sehr gutes Video gemacht. Schaut es euch an, wenn ihr Zeit habt.
Auch ist ein nicht unerheblicher Teil der Medien heteronormativ. Sprich: Homo- oder Bisexualität gibt es kaum – auch wenn es natürlich in den letzten paar Jahren wenigstens im Fernsehen besser geworden ist. Dennoch sehen wir es oft genug, dass Charaktere prinzipiell erst einmal hetero sind oder eine etwaige lesbische Beziehung als „weniger Ernst“ dargestellt wird. Auch lesbischer Sex wird zu oft medial als „kein richtiger Sex“ dargestellt – ein Grund, warum eine Kinderserie mit einem lesbischen Paar eher durchkommt, als mit einem schwulen. Der Grund ist einfach: Lesbischer Sex wird als nicht-penetrativ wahrgenommen (da die Existenz von Transfrauen genau so ignoriert wird, wie die von Sexspielzeug) und ist damit „unschuldiger“.
Keine Bedürfnisse
Aber auch sonst sind weibliche Protagonisten im sexuellen Sinne oftmals unschuldig und zurückhaltend. Romantische Anziehung? Klar, die kennen sie. Doch sexuelle? Die wird ihnen oftmals abgesprochen. Auch dies ist etwas, dass sicherlich interessant wäre, würde man sie daher explizit als demisexuell darstellen – doch das sind sie natürlich nicht. Stattdessen wird es als Standard angesehen, dass Mädchen und Frauen keine sexuelle Anziehung außerhalb einer Beziehung fühlen, dass es sich anders nicht gehört.
Zumindest gilt das für narrative Medien und weibliche Protagonistinnen. Hat man einen männlichen Protagonisten, so trifft dieser öfter einmal Frauen, die bereit sind, ihn mal ranzulassen. Natürlich sind dies selten die Haupt-Love-Interests, sondern eher Zierde, die dazu dienen, klarzumachen, was für ein toller Stecher der Held ist. Die eine andere Situation, in denen weibliche Sexualität stark illustriert wird, ist die Musikindustrie. Denn bei Popstars und –Sternchen ist es nicht unüblich über Sex zu singen. Selbst dann nicht, wenn das Sternchen noch deutlich minderjährig ist.
Ach ja, auch in einer anderen Hinsicht haben weibliche Figuren keine Bedürfnisse: Denn während männliche Masturbation zumindest im Bereich von Comedy öfter vorkommt, gilt dies für weibliche Figuren kaum. Das hat auch mit einem anderen Aspekt zu tun.
Und noch einmal: Wären die weiblichen Charaktere explizit demi- oder asexuell, wäre das natürlich absolut in Ordnung. Ja, es wäre sogar wünschenswert, da das asexuelle Spektrum noch kritischer unterrepräsentiert ist, als Homo- und Bisexualität, doch das sind sie auch nicht. Natürlich nicht. Denn auch das Recht selbstbestimmt kein sexuelles Interesse zu haben, bleibt weiblichen Figuren meistens versagt. Sie sollen schon sexuelles Interesse haben, aber eben nur auf eine vermeintlich „anständige“, gesellschaftskonforme und vor allem monogame Art.
Der weibliche Körper ist tabu
In Medien und der Öffentlichkeit ist der weibliche Körper stark tabuisiert. Wir haben noch drüber gelacht, als tumblr bei ihrem Purge „weiblich präsentierte Brustwarzen“ verboten hat, doch genau das ist ein Zeichen dafür. Männliche Brustwarzen zu zeigen ist okay. Weibliche nicht. Weibliche Brüste sind in der Öffentlichkeit generell tabu. Sie zu zeigen wird oft als Zeichen von sexueller Freizügigkeit dargestellt. Selbst wenn sie gezeigt werden, um Kinder zu stillen, wird es als Tabu behandelt.
Auch wenn wir unter die Gürtellinie gehen, kommen wir zu einem Tabu. Natürlich: In der Öffentlichkeit ist die Darstellung von primären Geschlechtsorganen generell verboten – dennoch finden wir immer wieder visuelle Referenzen auf erigierte Penisse. Und mal ehrlich: Diese findet man beinahe überall als Grafittis hingescribbelt. Nicht, dass dies wirklich toll oder wünschenswert ist. Dennoch kann man generell davon ausgehen, dass die meisten Menschen eine grobe Vorstellung davon haben, wie ein Penis funktioniert. Derweil ist das, was zwischen den Beinen einer cisgender Frau zu finden ist oft ein mit Scharm behaftetes Geheimnis.
Das führt dann auch dazu, dass sich diverse cisgender Männer schwer tun, die Klitoris zu finden, und ebenso dazu, dass Menstruation als Thema mit enormer Scharm verbunden ist.
Frauen sind passiv
Aus diesen Dingen, speziell dem Mangel an eigenen sexuellen Bedürfnissen ergibt sich oft noch etwas Anderes: Wenn es um sexuelle Dinge geht, sind Frauen in der Fiktion oftmals passiv. Sie wollen keinen Sex, haben aber – natürlich – Sex, wenn ihr etwaiger Freund das möchte. Dann ist es wahrscheinlich auch toll und sie haben unrealistisch viele Orgasmen. Doch liegt die Initiative beinahe immer beim männlichen Charakter.
Paart man das damit, dass in Romanzen vollkommen unabhängig vom Medium praktisch nie die Frage nach Consent, also ausgesprochenem Einverständnis aufkommt, und wir haben eine in mehr als einer Hinsicht ein Problem. Denn so werden zwei Dinge über Frauen vermittelt:
- Eine gute Frau hat keine eigenen sexuellen Bedürfnisse. Hat eine Frau eigene sexuelle Bedürfnisse und lebt diese aus, ist sie eine Schlampe. Dafür sollte sie sich schämen. Außerdem sollte kein Mann, der etwas auf sich hält, eine solche Frau daten. (Sex mit ihr haben geht natürlich schon.)
- Eine gute Frau möchte Sex, wenn ihr Freund/Partner Sex möchte. Dann gibt sie sich ihm willig hin. Das ist auch ein Liebesbeweis. Sollte sie das nicht tun, egal aus welchem Grund, ist das deutlich ein Zeichen, dass sie den Partner nicht liebt. Es kann natürlich allerdings sein, dass sie, um ihren Anstand zu zeigen, erst „Nein“ sagt. Das kann man getrost ignorieren.
Beide Punkte sind extrem problematisch und finden sich dennoch immer und immer wieder in Romanzen aller Art. Den letzten Punkt („Nein“ ist nur eine Art den Anstand zu demonstrieren) kenne ich ursprünglich aus Anime und Manga, wo kaum ein Shojo- oder Yosei-Manga ohne auskommt. Doch dank der globalen Kulturdurchmischung hat es mittlerweile auch in unseren Romanen und anderen Medien Einzug gehalten. Kaum verwunderlich, kenne ich es doch aus meiner eigenen Jugend. Als Teenager nahm ich diesen Trope als so normal war, dass ich ihn in beinahe jeder meiner Geschichten selbst verwendete.
Sexuelle Gewalt
Und das bringt mich zu dem nächsten Themenblock, der leider zu häufig eine Rolle spiel: Sexuelle Gewalt an Frauen und die Darstellung in den Medien. Denn wie schon in meinem Eintrag zu Gewalt in Fantasy geschrieben: Es gibt vorrangig eine Gewalt, der Frauen in Fiktion ausgesetzt wird, und diese ist sexueller Natur. Vergewaltigung und die Androhung einer solchen gegenüber einem weiblichen Charakter ist fast zu einem Trope geworden.
Will man seinen Helden motivieren den Bösewicht zu konfrontieren? Einfach. Entweder der Bösewicht hat die Freundin vergewaltigt oder sie entführt, so dass der Held sie vor der Vergewaltigung retten muss. Braucht man einen Bruch in der Geschichte, damit Helden (unabhängig vom Geschlecht)? Jemand, wahrscheinlich eine Frau, wird vergewaltigt oder mit einer Vergewaltigung bedroht. Oh, und du brauchst eine dramatische Hintergrundgeschichte für einen weiblichen Charakter? Wie wäre es mit Vergewaltigung? Am besten Jahrelang durch eine Erziehungsperson!
Ich denke selbst ohne Emoji trieft der Sarkasmus hier genug, als dass man drauf ausrutschen kann. Das Thema ist leidlich und kommt immer und immer wieder auf. Problematisch wird es dabei vor allem dadurch, dass gerade in visuellen Medien die Vergewaltigungen oftmals auf eine Art dargestellt sind, als dass sich der Zuschauer (ein angenommener cishetero männlicher Zuschauer) daran aufgeilen kann. Ob dieser nun will oder nicht.
Nicht weniger problematisch ist aber auch, wie die Figuren damit umgehen. Denn mehr als einmal habe ich es leider als „Test“ für einen weiblichen Charakter gesehen. Der „starke“ weibliche Charakter will Rache, zeigt sich sonst aber unbeeindruckt. Der „schwache“ weibliche Charakter ist danach ein Häuflein Elend und für den Rest der Geschichte zu nichts mehr zu gebrauchen. Darüber, was dies realen Opfern, von denen es genug gibt, vermittelt, denkt scheinbar niemand nach.
Der akzeptable, sexuelle weibliche Körper
Und dann gibt es noch ein letztes Thema, das wir leider nicht vergessen können: Und das ist die Darstellung der Sexualität abhängig vom Aussehen der Frau. Ich hatte ja bereits das Thema Transfrauen angesprochen, doch sind sie nicht die einzigen, die dahingehend Hohn ausgesetzt sind. Will eine übergewichtige Frau Sex, so ist das lustig, die männlichen Charaktere sind angewidert. Es wird eventuell sogar zum Running Gag. Eventuell inklusive dessen, dass die Vergewaltigung eines Mannes zum Witz wird. Dabei wird gerne impliziert, dass eine Frau, weil sie übergewichtig ist, aufdringlich ist, keinerlei soziales Feingefühl und ebenso wenig Impulskontrolle besitzt.
Frauen, die sexuell im oben angegebenen Rahmen aktiv sein dürfen, sind cisgender, meistens dünn, traditionell hübsch, able bodied und natürlich – nicht zu vergessen – weiß. Sind sie das nicht … Nun, es kommt darauf an, inwieweit sie es nicht sind. Sind sie nicht traditionell hübsch oder disabled, so kann es eventuell eine Story über diesen netten, lieben Mann geben, der sie dennoch liebt. Ist das nicht toll von ihm? Wobei gerade disabled Personen selten als sexuell dargestellt werden. Sex und Disability? Für viele scheinbar kaum vorstellbar.
Sind die Frauen nicht weiß, kommen noch rassistische Stereotype dazu. So werden hispanische Frauen oftmals als sinnlich erotisch dargestellt, während BWoC gerne ebenfalls mit mangelnder Impulskontrolle dargestellt werden. Das oder sie haben erneut einfach keine sexuellen Bedürfnisse. Kommen wir zu asiatischen oder native Frauen, so sind diese extrem unterwürfig, mehr noch, als es von einem weißen weiblichen Charakter erwartet wird.
Weibliche Sexualität ist böse
Einen letzten Trope gibt es in dem Kontext noch. Ein Trope, der sich nahtlos an den Eintrag von letzter Woche anreiht: Gelebte, weibliche Sexualität als ein Zeichen davon, dass ein weiblicher Charakter böse ist oder korrumpiert wurde. Während die Protagonistin oft – wie oben aufgeführt – sehr ruhig, sehr zurückhaltend und ohne sexuelle Bedürfnisse ist, hat eine etwaige Antagonistin sehr wohl sexuelle Bedürfnisse und zeigt diese offen.
Mehr als einmal sieht man ein Szenario, in dem die Protagonistin eigentlich ihrem Love Interest die Liebe gestehen will, aber eine hypersexuelle Antagonistin gerade dabei ist ihn zu verführen. In diesem Kontext kann es durchaus auch passieren, dass der männliche Charakter dort vergewaltigt oder beinahe vergewaltigt wird. Eventuell unter Gedankenkontrolle oder Drogen, doch es kommt vor.
Genau so wird offen gezeigte weibliche Sexualität als Zeichen dafür verwendet, dass ein Charakter korrumpiert wurde. Egal, ob dies magisch geschah oder der Charakter wirklich „zur dunklen Seite“ gewechselt ist. Auf einmal flirtet ein weiblicher Charakter sehr offen und sehr sexuell. Denn natürlich: Wenn wir die Medien fragen, sind sexuelle weibliche Charaktere – sofern sie nicht dafür da sind, dass sich ein männlicher Charakter mit ihr vergnügt – definitiv böse oder zumindest moralisch korrumpiert.
Für mehr selbstbestimmt sexuelle Frauen
Was uns am Ende bleibt, ist den Mangel an Frauenfiguren mit selbstbestimmter Sexualität zu beklagen. Ja, den Mangel an Frauenfiguren, die von sich aus sexuelle Bedürfnisse haben und sich dafür nicht schämen müssen. Ebenso gibt es einen Mangel an nicht-heterosexuellen und nicht-cisgender Frauen in medialen Darstellungen.
Ja, es sei gesagt, dass in verschiedenen Medien natürlich etwaige lokale kulturelle Einflüsse mit einspielen. Die Macher von Catherine: Fullbody haben sich über transphobe Inhalte im Spiel verteidigt, dass es halt ein japanisches Spiel sei – doch japanische Transfrauen haben der impliziten Aussage, dass Transfrauen in Japan weniger mit diesen Dingen zu kämpfen hätten oder sich weniger daran stören würden, deutlich widersprochen. Ähnliches lässt sich auch für die anderen Probleme sagen. Unabhängig davon, wie laut die feministischen Bewegungen sind: Mediale Darstellungen von Frauen als idealerweise submissiv gegenüber einem männlichen Partner schadet.
Also: Wenn ihr das nächste Mal auf diese Tropes stößt, überlegt, warum sie dort sind. Natürlich muss sexuelle Zurückhaltung nicht schlecht sein – die Abwesenheit von positiv dargestellter, weiblicher Sexualität ist es jedoch. Und wenn ihr Autoren seid: Macht euch durchaus auch Gedanken über die Sexualität eurer Charaktere und wie sie diese ausleben! Dahingehend gibt es vielleicht auch hier ein wenig Inspiration. Danke!
Das Beitragsbild stellt die Moissonneuse Endormie von Louis Veray dar. Es wurde von Rvalette aufgenommen und unter CC3.0 bereitgestellt.