Von echten Freund*innen
Ich möchte noch einmal ein wenig formloser über ein Thema reden, das mir am Herzen liegt – und das auch schon mehr als mein halbes Leben lang tat. Es wird ein wenig persönlicher und auch ein kleines wenig philosophisch.
Am letzten Tag vor den Sommerferien meines 12. Schuljahres, war mein damaliger Freund aus Österreich zu Besuch. Da letzte Tage vor den Sommerferien nicht wirklich ereignisreich sind, erlaubte meine Schule ihm, mich an dem Tag in die Schule zu begleiten. Mein Deutschlehrer kam natürlich nicht umher neugierig zu sein. Aus Österreich? Woher kannten wir uns denn. „Aus dem Internet“, antworteten wir. Mein Deutschlehrer verzog daraufhin prompt das Gesicht. Davon halte er ja nicht so viel.
Das war eine Reaktion, die ich damals immer wieder erlebt habe. Egal ob nun auf Liebschaften bezogen oder Freund*innen: Sobald ich erwähnte, dass ich eine Person aus dem Internet kannte, verzogen Leute das Gesicht. „Ja, aber das sind keine richtigen Freund*innen!“ haben mir in der Jugend mehr als genug Erwachsene gesagt.
Der Grund für diese „Annahme“ ist fraglos auch darin geschuldet, dass viele dieser Erwachsenen selbst keine Kontakte über das Internet pflegten, es daher nicht nachvollziehen konnten. Aber selbst heute, wo Social Media doch weit etabliert ist, treffe ich immer wieder Leute – meist, aber nicht nur der älteren Generationen – die solche Freundschaften anzweifeln.
Für mich war jedoch immer die Tatsache, dass meine Online-Freund*innen lange Zeit meine einzigen Freund*innen waren. Jedenfalls die einzigen, auf die ich zählen konnte. Denn in der Schule war ich zuerst gemobbt, danach zumindest Außenseiter. Wirklich enge Kontakte zu Klassenkamerad*innen hatte ich nach der Grundschule nie. Da meine Mutter keine Zeit hatte, mich zu irgendwelchen Sportsachen zu fahren (wir waren halt auf dem Land), waren meine einzigen realen Sozialkontakte die Kinder und Jugendlichen von einem Verein, bei dem ich einmal im Monat auf einem Gesellschaftsspielesamstag und einmal im Jahr auf einer Freizeit war.
Dafür hatte ich recht früh das Internet. Erst dank besagtem Verein, dann über die Fortbildung meiner Mutter, bei der ihr bereits zur Jahrtausendwende ein Computer samt Internet vom Arbeitsamt finanziert wurde. Darüber fand ich mich dann in diversen Onlineforen – damals durchweg in Bezug auf Anime – wieder. Und in diesen Foren hatte ich nun einmal einen großen Teil meiner sozialen Kontakte.
Das hieß ich schrieb mit Leuten – mit einigen sogar noch Briefe – und telefonierte an den Wochenenden, an denen wir eine Telefonie hatten. Viele dieser Leute habe ich nie im realen Leben kennengelernt, einige aber schon.
Natürlich sei fairerweise gesagt, dass von diesen Freundschaften tatsächlich heute keine mehr existiert. Diverse dieser Leute haben mich auch eiskalt hintergangen, doch ich lehne mich soweit aus den Fenster, zu behaupten, dass sie das getan haben, weil wir halt alle ein wenig arschige Teenager waren, nicht, weil wir uns online kannten.
Meiner Mutter gefielen diese Freundschaften gar nie. Wahrscheinlich weil sie darüber weit weniger Kontrolle hatte, als über meine realen Freund*innen, bei denen sie immer arg vorsortierte, wer denn bitte in Frage kam. Gleichzeitig waren diese Online-Freund*innen, anders als meine Freund*innen aus dem physischen Leben, eher bereit, zu versuchen mir in Bezug auf meine Mutter zu helfen. Sei es durch Eltern, die versuchten, mit meiner Mutter zu reden, oder auch der einen Person, die je wegen mir das Jugendamt gerufen hat.
Ähnlich sah es auch später in meinem Leben aus. Während ich in Österreich festsaß und das Problem hatte, weder versichert zu sein, noch mich arbeitslos melden zu können, waren es Freund*innen, die ich von online kannte, die mir geholfen haben. Ich wüsste echt nicht, was ich ohne diese Leute gemacht hätte.
Manchmal sind es auch die einfachen Sachen. Einmal habe ich einen Zug nicht bekommen und saß über Nacht in einer fremden Stadt fest, da der nächste Zug in die Richtung eben erst am nächsten Tag fuhr. Aber ich kannte in der Stadt Leute aus dem Internet. Angerufen und mir hat jemand geholfen, die Nacht nicht auf der Straße verbringen zu müssen.
Anders gesagt: Leute, die ich aus dem Internet kannte, haben sich immer wieder als verlässlich herausgestellt. Ja, diverse auch nicht – aber das kann man für Leute allgemein sagen.
Dieses Jahr aber, habe ich es besonders gemerkt. Es fing mit den ganzen Problemen mit meinem Jetzt-Exfreund an und ging bei meinem Umzug weiter. Vor allem aber war es bemerkbar, nachdem ich im März den Hausbrand hatte. Es waren sofort so viele Leute für mich da, haben mir geholfen und mich unterstützt – sowohl finanziell, als auch tatkräftig. Das war bei weitem mehr Hilfe, als ich je in so einer Situation erwartet hätte.
Besagte Lehrer*innen oder auch andere, die mich als ich ein Kind/Jugendlicher war vor den bösen Leuten im Internet gewarnt haben, hätten das wahrscheinlich auch für unmöglich gehalten. Immerhin war für viele davon ohnehin die Hälfte aller Leute in Onlineforen eine Horde verkappter Kinderschänder. Das die meisten Leute im Internet, nun, einfach Leute sind, war für sie immer schwer vorstellbar.
Aber genau das sind sie: Im Internet sind normale Menschen (und diverse Bots). Unter diesen Menschen gibt es gute Leute, genau so wie es natürlich auch diverse Arschlöcher gibt. Aber Arschlöcher gibt es im alltäglichen Leben auch.
Die Sache mit dem Internet ist nur, dass es auch erlaubt, Menschen zu finden, die ähnliche Interessen, wie man selbst hat. Denn während – je nachdem, wo man lebt und was für Interessen man hat – das im physischen Leben es manchmal schwer ist, Menschen mit denselben Hobbys zu finden, die man selbst hat, ist es im Internet lächerlich leicht. Sei es über Onlineforen für spezielle Interessensgemeinschaften, sei es über Social Media, wo sich solche Leute mithilfe von Hashtags und Gruppen finden lassen.
Das ist nicht nur für Leute mit weniger häufigen Hobbys praktisch, sondern auch für Menschen aus marginalisierten Gruppen. Während ich in meiner Jugend IRL niemanden kannte, der offen queer war (selbst meine erste Freundin war komplett closeted), gab es diese Leute online. Dabei sieht es mit anderen Gruppen ähnlich aus. Online finden sich Communitys diverser anderer marginalisierter Gruppen.
Die Sache bleibt: Der größte Unterschied zwischen einer Onlinefreundschaft und einer Offlinefreundschaft besteht vornehmlich darin, wie oft man sich physisch sieht. Wobei selbst das relativ ist, kann das Internet doch auch helfen, Freundschaften in der näheren Umgebung zu finden. Doch machen physische Treffen wirklich Freundschaft aus? Meiner Meinung nach eher nicht.
Das sollte spätestens dieses Jahr, in dem physische Treffen nun einmal oft nicht möglich waren, besonders demonstriert haben. Denn dieses Jahr haben sich plötzlich viele Freundschaften in den digitalen Raum verlagern müssen. Waren sie deswegen weniger freundschaftlich? Ich behaupte „Nein“.
Kurzum: Freund*innen sind Freund*innen, egal wo man sie kennen gelernt hat. Egal ob online oder offline gibt es gute Freund*innen und schlechte Freund*innen, die Methode, wie man sich kennen gelernt hat, macht wenig Unterschied.
Persönlich bin ich einfach nur endlos dankbar für meine Onlinefreund*innen – jeder*n einzelnen von ihnen. Umso mehr nach diesem Jahr, das von uns allen so viel abgefordert hat. Daher auch noch einmal an jede*n von ihnen, di*er das hier liest: Danke.
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