Fantastische Tierwesen und das ziellose Franchise

Ich bin lang schon kein Freund mehr der „Harry Potter“ Bücher. Es gibt einfach zu viele Dinge, die mich, als progressive Person an den Büchern stören – und als Rowling, die für mich das Paradebeispiel einer Autorin ist, die nicht weiß, wann Schluss ist. Nichts desto trotz: Ich mochte den ersten Fantastic Beasts Film. Nun, jedenfalls 80% des Films. Bis das Finale kam, effektiv. Na ja, und dann kam er zweite Teil. Der zweite Teil, der alles kaputt machte.

Ich möchte in diesem Eintrag den Film nicht als Gesamtwerk reviewn, sondern vor allem darüber sprechen, wie der Film bezüglich Charakterdarstellung und grundlegendem Storytelling scheitert. Und darüber, wie sich Probleme, die sich teilweise lange schon im Franchise zeigten, hier in den Vordergrund drängen.

Wer ist Newt Scarmander?

Das ganze fängt mit Newt an. Denn auch wenn Newt wahrscheinlich der Teil des ersten Films war, den die meisten Kritiker furchtbar fanden: Ich mochte ihn. Ich mochte ihn wirklich sehr. Ein Teil des Grundes hat Popculture Detective wunderbar in seinem Video „The Fantastic Masculinity of Newt Scarmander“ zusammengefasst. Denn ja, genau das mochte ich. Newt war kein klassischer Protagonist.

Man kann nun lang darüber streiten, ob man Newt als eine klischeebehaftete Darstellung eines Autisten lesen kann. Denn ja, kann man. Deutlich. Und ja, das kann man durchaus kritisch sehen. Aber persönlich fand ich, dass es eine nette Abwechselung war einen eher unsicheren, männlichen Protagonisten zu haben. Ein Protagonist, der sanftmütig ist, aber nicht selbstbewusst. Ein Protagonist, der mit Tieren besser kann, als mit Menschen. Das war interessant. Es war was anderes.

Zugegebenermaßen: Ich war von Anfang an nicht begeistert von der Idee, eine Quintologie aus der Reihe zu machen. Man muss nicht von allem so viel haben. Aber ja, eine Geschichte über so einen Protagonist … Warum nicht?

Wer ist Newt Scarmander nicht?

Was uns dann direkt zum zweiten Teil bringt und dem größten Problem, das ich bereits im Finale des ersten Films hatte. Ich komme wunderbar mit einem Newt klar, der versucht Credence zu retten. Das passt zu dem Newt, den wir soweit gesehen haben. Ein Newt, der versucht den Obscuro zu kontrollieren. Klar, warum nicht. Aber ein Newt, der gegen Grindelwald kämpft? Nein. Definitiv nicht. Weil das nicht der Newt ist, den der erste Teil uns soweit vorgestellt hat.

Der zweite Teil macht dies noch schlimmer. Ich meine, ich weiß, dass bei allem Ansehen, den dieser Job abgeblich hat, die Standards für Auroren doch relativ niedrig zu sein scheinen. Immerhin scheint man dem Job jedem irgendwie wichtigen Charakter in Rowlings Welt hinterher zu werfen. Aber … Warum sollte irgendjemand wollen, dass Newt Auror wird? Was qualifiziert ihn dazu? Die Antwort ist natürlich: Nichts. Rowling findet Auroren halt cool und deswegen soll auch ihr neuer Held, der Zoologe, Auror werden.

Und warum sollte Dumbledore Newt beauftragen wegen Credence und Grindelwald nach Paris zu reisen? Warum nimmt er nicht jemanden, der speziell dafür … nun, qualifizierter ist. Und wenn es eine Minerva McGonagall ist, die in dem Film zu einer Zeit lebt und unterrichtet, zu der sie eigentlich nicht mal geboren sein sollte.

Dumbledore und Grindelwald

Ich komm nicht umher, über Dumbledore und Grindelwald zu sprechen. Denn ganz ehrlich: Ihre Anwesenheit in diesen Filmen macht in keiner Hinsicht so wirklich Sinn. Warum kommen sie im Film vor? Was ist der Sinn und Zweck dessen? Denn mehr Spannung erzeugen ist es sicherlich nicht – ja, auch dann nicht, wenn Rowling das denkt.

Das Problem an dieser Sache ist letzten Endes, dass wir genau wissen, wie die Geschichte rund um Grindelwald endet. Dumbledore besiegt Grindelwald 1945. Das wissen wir. Es ist also zu keinem Zeitpunkt eine Frage, wie diese Geschichte enden wird. Sicher, an sich muss es nichts heißen. Immerhin wissen wir auch bei jedem James Bond Film, dass der Bösewicht besiegt wird, doch da ist noch ein anderes Problem: Grindelwald ist nicht Newts Bösewicht.

Denn ja, generell sollten die Ziele von Protagonist und Antagonist einander behindern. Sie müssen nicht einmal komplett im Gegensatz zueinander stehen, aber es muss eine Grundlage geben, dass das sich Ziel des Protagonisten und das Ziel des Antagonisten nicht gleichzeitig erfüllen lassen. Doch von sich aus hat Newt dahingehend keine Ziele …

Die Motivationslosigkeit des Newt Scarmander

Damit kommen wir vielleicht zu dem eigentlich kritischsten Punkt des zweiten Films – rein vom qualitativen Storytelling her. Wie schon gesagt: Newt ist kein Auror. Newt steht nicht im Konflikt mit Grindelwald. Newt ist Zoologe. Sein Grund im zweiten Film in Paris zu sein: Dumbledore hat ihm gesagt, er soll Credence finden, bevor Grindelwald es tut.

Aber Moment! Steht damit sein Ziel nicht im Konflikt mit dem Grindelwalds? Na ja, eben nicht wirklich. Denn es ist letzten Endes Dumbledores Ziel, Credence vor Grindelwald zu „retten“. Doch zu keinem Zeitpunkt bekommt man in diesem Film das Gefühl, dass es etwas ist, das Newt wirklich am Herzen liegt. Es ist nicht seine eigene Motivation. Er hat keinen Grund da zu sein. Viel mehr noch: Für ihn steht an sich nichts auf dem Spiel.

Ein wenig scheint der Film das auch zu wissen, denn so sehr, wie der Film zwischen den Figuren hin und her springt, scheint er sich selbst nicht sicher zu sein, wer eigentlich der Protagonist ist. Newt? Oder doch eher Credence. Fest steht: Credence und Yusuf Kama sind effektiv die einzigen Figuren auf der „guten“ Seite, für die Dinge auf dem Spiel stehen. Aber so ganz sicher, was Credence eigentlich machen soll, ist sich der Film auch nicht.

Wer ist Credence? Wen interessiert’s?

Das einzige, das im zweiten Film einem Plothook gleich kommt (selbst wenn es ein verrosteter, verbogener Plothook ist), ist die Frage danach, wer Credence eigentlich ist. Immerhin ist er ja dieser Waise, der seine Herkunft nicht kennt. Und jetzt einmal ganz vom lächerlichen, sinnlosen und zum bisherigen Kanon nicht passenden Reveal am Ende des Films angesehen: Warum sollte es den Zuschauer interessieren?

Credence Anwesenheit im zweiten Film ist ein Thema, dass von Anfang an problematisch ist. Denn Credence ist am Ende des ersten Films gestorben. Das zu retconnen, mehr noch, es mit „Oh ja, der lebt noch, wieso?“ und ohne Erklärung zu retconnen, sorgt effektiv dafür, dass das bisschen Spannung schwindet. Denn Konsequenzen scheint es nur solange zu geben, wie diese Konsequenzen Rowling gerade passen.

Doch auch davon abgesehen: Warum sollte es mich als Zuschauer interessieren, wer Credence ist? Denn um Spannung aus dieser Frage heraus zu bauen, muss der Zuschauer erst einmal verstehen, warum Credence es wissen will. Ja, man muss erst einmal Credence als Figur richtig kennenlernen und eine Verbindung zu ihm aufbauen, ehe diese Fragen interessant werden. Doch die Gelegenheit haben wir nicht. Insofern: Wen interessiert’s?

Tierwesen? Welche fantastischen Tierwesen?

Da ist noch eine andere Sache: Der Film heißt im Englischen „Fantastic Beasts: The Crimes of Grindelwald“, beziehungsweise auf Deutsch: „Fantastische Tierwesen: Grindelwalds Verbrechen“. Leider gab es weder vom einen, noch vom anderen viel in diesem Film. Ja, sicher, wir sehen ein paar Tierwesen – doch eine wirkliche Rolle spielen sie nicht, außer kurz in ein paar generischen Action-Sequenzen aufzutauchen oder im Fall der Niffler merchandisable zu sein. (Und das ist, ohne dass ich darüber spreche, wie unfertig die CGI auf den Tierwesen dieses Mal aussah. Was ist da passiert?)

Und Grindelwalds Verbrechen? Ja, das ist halt die Frage: Welche Verbrechen? Klar, wir sehen, dass er ein paar Muggel tötet. Doch seine Verbrechen spielen nirgends in diesem Film eine zentrale Rolle. Welche Verbrechen sind überhaupt gemeint? Die Muggel oder … Was? Denn konkrete Verbrechen werden nicht angesprochen. Und dann ist da noch das Finale des Films, das irgendwie keinen Film macht.

Warum macht im Finale des Films irgendwer das, was er macht? Es ergibt alles keinen Sinn. Die Charaktere sind mehr oder minder zufällig zu Grindelwalds großer Ansprache, die ihrerseits sehr problematisch ist, dann sterben ein paar Leute, ohne dass dies notwendig gewesen wäre, und dann … Dann kommt noch eine Action-Sequenz, deren Auflösung etwa so unzufriedenstellend ist, wie die der anderen Sequenzen zuvor. Doch gerade die Friedhofsszene lässt fragen: Welchen Konflikt hat Newt mit Grindelwald?

Fantastische Tierwesen hätten gereicht

Ganz ehrlich: Ich verstehe nicht, warum diese Reihe in diese Richtung gegangen ist. Denn wenn ich mir den ersten Film ansehe, wirkt es nicht so, als wäre dass das Ziel gewesen. Wieso nennt man eine Reihe „Fantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“ und macht den Protagonisten Zoologe, wenn man bereits im zweiten Film diesen Aspekt auf die Rückbank setzt um eine klassische „Gut vs Böse“ Narrative zu verwandeln?

Nando v Movies hat ebenfalls ein schönes Video dazu gemacht, dem ich wirklich in jedem Aspekt zustimme. Die Filme hätten durchaus Potential gehabt. Als kleine, kinderfreundliche Geschichten über niedliche und coole Tiere und Umweltschutz. Und wenn man ganz raffiniert gewesen wäre, hätte man es genutzt, um die Filme für den chinesischen Markt ansprechender zu machen, indem man wirklich einen Film mit chinesischen Regisseuren und chinesischen Autoren gemacht hätte.

Doch das würde bedeuten, dass Rowling ihre Kontrolle aufgeben müsste und das scheint sie einfach nicht zu können. Allerdings: So sehr ich mich persönlich über Tierwesen-Filme rein über Newt, Tierwesen und Reisen wünschen würde, so sehr muss ich auch sagen, dass Rowling diese Filme nicht schreiben könnte. Denn bisher hat sie immer und immer und immer und immer und immer und immer und immer und immer wieder gezeigt, dass es ihr unmöglich ist über andere Kulturen zu schreiben, ohne rassistische Stereotypen und kolonialistische Narrativen zu replizieren. Insofern … Nun?

Es gäbe noch viel mehr zu sagen

Ich könnte an dieser Stelle noch lange weitermachen. Ich könnte darüber reden, dass es eine Beleidigung für Rowlings queere Fans ist, letzten Endes die Beziehung von Dumbledore und Grindelwald leicht anzudeuten. Ich könnte auch darüber reden, dass es generell unnötig ist, Dumbledore auch in diesem Franchise aufzuspielen.

Ebenso könnte ich noch länger darüber sprechen, wie unglaublich mies und unfertig die Spezialeffekte in diesem Film aussahen, wie untergenutzt das Setting Paris war oder wie eintönig David Yates als Regisseur ist. Es gibt so viele Dinge, über die ich im Zusammenhang mit dem zweiten Fantastic Beasts Film ranten könnte.

Doch wisst ihr was? All das ist effektiv egal, wenn man bedenkt, dass der Film bereits im Kern nicht funktioniert. Dem Film fehlt ein Plothook, ihm fehlt ein zentraler Konflikt, ihm fehlt eine starke Motivation für den „Helden“. Und eine Geschichte, der alle drei dieser Dinge gehen, kann nicht funktionieren.

Ich denke nicht, dass das Fantastic Beasts Franchise zu diesem Zeitpunkt noch zu retten ist. Dafür ist es zu spät. Die Schienen sind eingestellt, der Zug rast auf die metaphorische Klippe zu. Alles was zu hoffen bleibt ist, dass Rowling, wenn sie und Warner Bros. unweigerlich entscheiden werden, den nächsten „Wizarding World“ Film zu machen, bereit ist die Kontrolle an eine*n gelernte*n Drehbuchautor*in abzugeben. Idealerweise eine*m Drehbuchautor*in, di*er ein besseres Fingerspitzengefühl bzgl. anderer Kulturen hat.

Das Beitragsbild wurde in der Wizarding World of Harry Potter von Jeremy Thompson aufgenommen und unter der CC2.0 Lizenz zur Verfügung gestellt. Es musste für den Blog zurecht geschnitten werden.