Der Verzicht auf Magie

Letzte Woche haben wir über das Ende der Magie – heute soll es um eine spezifische Unterform dieses Tropes gehen: Das Aufgeben der Magie. Charaktere, die magisch sind, aber ihre Magie letzten Endes aufgeben müssen.

In diesem Beitrag wird es viel um Anime und japanische Medien gehen, da hier diese Variation unglaublich häufig ist.

Welt gerettet, ab nach Hause

Ich habe in meiner Kindheit viel am Ende von Anime-Serien geweint. Denn bei meinen liebsten Serien – sowohl Digimon, als auch diversen Magical Girls – ist das Ende fast immer gleich: Die Welt ist gerettet und nun müssen die Held*innen wieder in ihr normales Leben zurückkehren. Bei Magical Girls heißt es, die magischen Maskottchen kehren in ihre Welt zurück, bei Digimon hieß es, die Kinder müssen die digitale Welt verlassen. Es kommt auf dasselbe hinaus: Kinder trennen sich von ihren magischen Partnern, es werden Tränen vergossen, aber sie sind um die Erfahrungen reicher.

Wie das ganze begründet wird, kann unterschiedlich sein. Aber meistens geht es ein wenig in diese Richtung: Ja, dass die Welten sich treffen konnten, hing mit den Bösewichten zusammen. Aber würden die Welten weiter verbunden bleiben, würde es sie destabilisieren, deswegen muss jeder in seine eigene Welt zurück.

Dies ist zwar meistens traurig, aber meistens fixieren sich diese Enden darauf, was die Protagonist*innen im Verlauf der Geschichte gelernt und wie sie gewachsen sind. Dadurch ist es eben nur bittersüß.

Isekai – Wie kommen wir wieder heim?

Natürlich sei auch dazu gesagt, dass das Genre, das diese Enden am häufigsten hat, das Isekai-Genre ist. Isekai bedeutet „andere Welt“ und ist genau das, wonach es klingt: Der oder die Protagonist*innen landen in einer anderen Welt. Und fast immer ist ihr Ziel von Anfang der Geschichte an, wieder nach Hause zu kommen. Wobei die Ausprägung, wie dringend dies ist stark variieren kann.

In beinahe allen Fällen ist es jedoch so, dass diese Protagonist*innen in der anderen Welt neue Freundschaften knüpfen, neue Dinge lernen und sich alles in allem gut einleben. Entsprechend schwindet der Wunsch wieder heim zu kommen oftmals mit der Zeit – denn nach einer Weile wird die neue Welt zur zweiten Heimat. Dennoch ist es natürlich fast immer das Endziel der Serie die Protagonist*innen nach Hause zu befördern.

Dabei ist die Möglichkeit heim zu kommen meist daran gebunden, dass sie etwas in der Welt tun müssen. Mal ist es ein klarer „Rette die Welt“ Quest, mal müssen sie einfach bestimmte Aufgaben erfüllen.

Eine der großen Ausnahmen hier im Genre ist Monster Rancher (oder Monster Farm), wo der Protagonist Genki in der anderen Welt ankommt, sich freut in der anderen Welt zu sein und am Ende am Boden zerstört ist, zurückzumüssen. Selbst wenn die Serie natürlich versucht das Ende dennoch bittersüß zu gestalten – immerhin hat er ja so viel getan und gelernt.

Werd doch mal erwachsen

Die Moral der Geschichte ist natürlich immer wieder dieselbe: Beinahe alle diese Geschichten – egal ob Magical Girl oder diverse Isekai – sind Coming of Age Geschichten. Sprich: Die Charaktere erleben im Verlauf der Geschichte Abenteuer, die ihnen helfen aus der Kindheit rauszuwachsen. Das ist die Aufgabe der Magie (egal welche Form diese annimmt) in diesen Geschichten: Sie soll den Kindern/Jugendlichen helfen sich über sich selbst und ihr Potential im klaren zu werden.

Allerdings führt dies auch dazu, dass es manchmal schwer fällt, diese Geschichten ganz ohne einen gewissen Zynismus zu konsumieren. Denn die Moral der Geschichte ist letzten Endes: „Abenteuer schön und gut, aber werd endlich mal erwachsen.“ Die magischen Elemente in diesen Geschichten lassen sich hierbei in vielen Geschichten leicht mit dem „kindlichen Wunder“ gleichsetzen. Wenn man ein Kind ist, ist vieles noch magischer. Und genau das muss am Ende aufgegeben werden, um ein funktionierender Teil der (kapitalistischen) Gesellschaft zu werden.

Besonders zynisch ist dies bei Magical Girl Serien, die bei allem kämpfenden Kriegerinnen am Ende oft eng an traditionellen Geschlechterrollen hängen. Teenage-Mädchen dürfen kämpfen, aber als Frauen sollen sie am besten alle Hausfrauen und Mütter werden – oder zumindest in einem „für Frauen akzeptablen Job“ arbeiten (aka irgendwas mit Kinder, Küche, Kleidung machen). Genau deswegen muss am Ende die Magie aufgegeben werden.

Moralische Fragen?

Es gibt noch eine andere Geschichte aus Japan, in der die Charaktere am Ende die Magie aufgeben müssen. Auch Isekai, wenn man so will, jedoch kein Anime, sondern ein Videospiel. Final Fantasy Tactics Advance, das Gameboy Advance Spiel aus der Ivalice Alliance. Dieses möchte ich gesondert herausstellen, weil hier das Aufgeben der Magie mit weit mehr zusammenhängt.

In dem Spiel finden vier Kinder ein magisches Buch, das über Nacht ihre Welt in eine magische verwandelt. Protagonist Marche versucht nun einen Weg in seine normale Welt zurückzufinden – ohne zu wissen, dass das Buch seine Welt verwandelt hat. Die anderen müssen mitkommen, da besteht für ihn kein Zweifel. Und seine Entscheidung wird vom Spiel als fraglos richtig dargestellt. Da ist nur eine Sache: Für ihn hat die magische Welt den geringsten Unterschied gemacht. Denn während er sportlicher ist, als in der Realität, gibt es für die anderen drei größere Änderungen. Ritz, die ein natürlicher Albino ist, ist dies nicht mehr. Marches kleiner Bruder, der schwerkrank ist, im Rollstuhl sitzt und nicht raus kann, ist gesund. Und Newt hat seine verstorbene Mutter wieder.

Ich fand es früher total schön, wie das Spiel endete. Denn ja, ich bin ein großer Fan von Coming of Age Geschichten und das Spiel ist sehr Coming of Age. Aber aus heutiger Sicht sehe ich vornehmlich einen Jungen, der allen anderen seine Vorstellung davon, wie die Welt „richtig“ zu sein hat, aufdrückt. Sie haben alle etwas in der magischen Welt bekommen, was sie aufgeben müssen, doch für Marche ist dieses „Aufgeben“ am leichtesten.

Und natürlich: Als Spieler*in bekommt man schnell impliziert, dass die fantastische Welt die verwandelte reale Welt ist, in die alle anderen auf Basis der Wünsche dieser vier Kinder gezwungen wurden. Aber der Clou: Marche weiß dies nicht. Seine Entscheidung beruht nicht darauf, dass er dies weiß und sieht, dass das falsch ist, sondern einzig und allein darauf, dass er es für falsch hält, in einer Welt zu leben, in der einem Wünsche erfüllt werden.

Japan vs Westen

Natürlich kommt es nicht nur in japanischen Medien vor, dass Charaktere am Ende einer Geschichte Magie in irgendeiner Form aufgeben müssen. Doch auffällig ist, dass das Framing häufig ein sehr anderes ist.

Das heißt nicht, dass es das „Coming of Age“ Framing nicht auch gibt. Gerade ältere Geschichten beinhalten dies auf gewisse Art und Weise – man denke nur an Narnia oder Peter Pan, die ihrerseits sicher auch ein Einfluss auf einige Isekai waren – doch oftmals geht in westlicher Fantasy die Aufgabe der Magie mit etwas anderem einher: Einem Opfer.

Denn in westlicher Fantasy ist das Framing viel häufiger: Etwas Schlechtes passiert, es braucht viel Macht dieses Schlechte zu stoppen, wissentlich oder unwissentlich macht di*er Protagonist*in etwas, das ihr*m die Magie (oder das Äquivalent) kostet, um so die Welt zu retten. Sprich: Es gibt keine höhere Macht, die den Protagonist*innen ihre Magie wegnimmt, sondern es ist etwas, das aus den eigenen Entscheidungen der Protagonist*innen resultiert.

Wie gesagt bedeutet dies nicht immer, dass die Protagonist*innen genau wissen, was passiert, wenn sie nun die Welt retten, aber dennoch steht die Entscheidung im Mittelpunkt.

Retten wir die Welt

Das erste Beispiel, das ich in meinem Leben in westlichen Medien getroffen habe, war His Dark Materials. Hier stellt sich am Ende heraus, dass die Tore zwischen den Welten das sind, was viele der Probleme in der Geschichte verursacht hat. Lyra und Will müssen daher in ihre jeweiligen Welten zurück und Will muss das magische Messer zerstören, um zu verhindern, dass die schlechten Dinge weiter passieren.

Ein anderes Beispiel habe ich schon letzte Woche genannt, da es das Aufgeben mit dem allgemeinen Ende der Magie verbindet: Star gegen die Mächte des Bösen. Wie schon letzte Woche geschrieben, beschließt die Protagonistin dort, dass Magie die Ursache für den gesamten Konflikt (der eine riesige Metapher für Kolonialismus ist) war. Deswegen geht sie zur Quelle der Magie, um diese auszulöschen.

Können wir nicht einfach die Magie behalten?

Früher fand ich das Aufgeben der Magie immer bittersüß. Klar, es ist traurig, aber hey, man hat ja was gelernt und ist nun erwachsen. Vielleicht liegt es an einem etwas abgestumpften „Erwachsensein ist nicht so toll, wie ich mir das immer vorgestellt habe“, dass ich diesen Trope mittlerweile selten gerne sehe – mit wenigen gut gemachten Ausnahmen. Deswegen Frage ich mich ja: Können wir die Magie nicht einfach einmal behalten?

Und natürlich gibt es eine Menge Geschichten, in denen die Charaktere am Anfang magisch sind und am Ende auch – halt eben in Welten, in denen Magie häufig ist. Doch in den Geschichten, in denen ein Charakter erst seine Magie erhält, ist das Aufgeben der Magie sehr häufig. Dies gilt besonders für Geschichten, in denen die Protagonist*innen in eine magische andere Welt reisen, auch in westlichen Medien. Denn hierbei ist es beinahe unausweichlich, dass der Status Quo am Ende wieder hergestellt wird und jeder in seine eigene Welt zurückkehrt. Und natürlich häufig auch ohne eine Möglichkeit wieder in die magische Welt zurückzukehren. Das gilt umso mehr, wenn die Charaktere noch Kinder/Jugendliche sind.

Wieso ist das so? Ich weiß es nicht. Aber ich wünschte mir echt ein paar mehr Geschichten, in denen die Magie erhalten bleibt und Charaktere sich entscheiden, in der magischen Welt zu bleiben – und überhaupt die Chance dazu bekommen.


Das Beitragsbild stammt von Unsplash.