Autismus schreiben

Heute gibt es einen der Beiträge, die sich Leser*innen dieses Weblogs am häufigsten gewünscht haben: Einen Beitrag über Autismus und spezifisch darüber, wie man Autismus in Geschichten darstellen kann.

Disclaimer: Ich bin selbst vor 8 Jahren mit Autismus diagnostiziert worden. Spreche also hier aus eigener Erfahrung. Tatsächlich sind die meisten Perspektivenfiguren in meinen Geschichten neurodivergent – es fällt mir schlicht und ergreifend schwer, neurotypische Figuren zu schreiben. Dennoch kenne ich natürlich nur meine eigene Perspektive, habe allerdings einige Bücher über Autismus gelesen und mich mit anderen Autist*innen unterhalten.

CN Im Sprechen über Tropes erwähne ich auch Ableismus

Der Mangel an Neurodiversität

Stellen wir eine Sache fest: Neurodiversität ist in Büchern, Filmen, Comics und anderen Medien chronisch unterrepräsentiert. Dafür, dass um die 8% aller Menschen ADHS in irgendeiner Form haben und immerhin knapp 2% auf dem autistischen Spektrum liegen, finden wir wenig Repräsentation – und die Repräsentation, die wir finden, ist häufig schlecht.

Das sollte sich ändern, gerade auch, damit neurodiversen Menschen mehr Verständnis entgegengebracht wird. Denn auch hier muss gesagt werden: Repräsentation ist wichtig. Zum einen hilft sie bei nicht-betroffenen Menschen Empathie aufzubauen, zum anderen ist es aber auch wichtig für Betroffene, sich selbst repräsentiert zu sehen.

Genau deswegen ist es wohl auch nicht verwunderlich, dass eine der häufigsten Fragen, die man mir auf Twitter gestellt hat, war: Wie schreibe ich eigentlich autistische Figuren? Und genau darum soll es heute gehen. Ich möchte euch ein wenig etwas über Autismus erzählen, was diesen ausmacht und ein paar Do’s und Don’ts ableiten darüber, wie man es besser machen kann.

Was ist eigentlich Autismus?

Autismus wird aus der medizinischen Perspektive als „schwerwiegende Entwicklungsstörung“ beschrieben. Autistische Gehirne entwickeln sich anders, als die Gehirne von allistischen Menschen. Dies kann unter anderem zu einer veränderten oder verzögerten Entwicklung im Kindesalter führen.

Zentral werden bei der Diagnose folgende Kriterien unterschieden, von denen nicht alle zutreffen müssen.

  • Soziale Entwicklung: Autistische Menschen erleben häufig eine verzögerte soziale Entwicklung. Das heißt soziales Verhalten, dass allistische Kinder einfach aufnehmen und rein durch Beobachtung lernen, fällt autistischen Kindern häufig schwerer. Dazu gehört auch das stereotype Beispiel, dass es vielen Autist*innen schwer fällt anderen Menschen direkt in die Augen zu sehen.
  • Kommunikation: Autistische Menschen haben häufig eine verzögerte Entwicklung der Kommunikationsfähigkeiten. Das heißt, sie lernen oftmals erst später sprechen, erfinden eher eigene Sprachen und machen fremde Laute. Häufig wächst sich dies im Verlauf der Jugend aus, doch es gibt auch Autist*innen, die nie wirklich sprechen lernen und komplett nonverbal sind. Bei autistischen Kindern machen non-verbale Autist*innen fast 40% der gesamten Autist*innen im Kindesalter aus.
  • Veränderte Wahrnehmung: Autistische Menschen nehmen ihre Umgebung häufig anders wahr. Ein zentraler Anteil davon ist, dass es vielen autistischen Menschen schwer fällt, Sinneseindrücke zu filtern. Deswegen erleben sie oftmals auch eine Sinnesüberladung.
  • Wiederholendes Verhalten: Ein weiteres Symptom von Autismus ist repetitives Verhalten. Das können wiederholende Bewegungen sein, starke Wiederholungen im Sprachgebrauch, aber auch rituelle Handlungen. (Ein Klassiker hier: Autistische Kinder können oftmals denselben Film in Dauerschleife schauen.)

Es gibt auch eine Vielzahl von anderen Symptomen, die sich zum Teil aus den genannten zentralen Symptomen ergeben, teilweise aber auch unabhängig davon sind. Viele autistische Kinder und auch erwachsene Menschen erleben emotionale Meltdowns, die sich entweder aus einer Sinnesüberladung ergeben oder auch aus einer Menge von Emotionen, die sie nicht kommunizieren können.

In einigen Fällen kann Autismus auch mit großen kognitiven Einschränkungen einher gehen, in anderen Fällen allerdings auch mit Hochbegabung oder Inselbegabungen.

Es gibt außerdem eine statistische Auffälligkeit, dass autistische Menschen häufiger ins transgeschlechtliche Spektrum fallen, als allistische Menschen. Auch andere queere Identitäten treten statistisch häufiger bei autistischen Menschen, als bei allistischen Menschen auf. Es ist allerdings soweit nicht geklärt, ob dies eine bloße Korrelation ist oder einen kausalen Zusammenhang hat.

Es gibt nicht DEN Autismus

An dieser Stelle möchte ich eine Sache ganz klar sagen: Es gibt nicht den Autismus. Nimmt man sich 10 verschiedene Autist*innen heraus, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass keine zwei von ihnen komplett identische Symptome und Verhaltensmuster haben. Das liegt daran, dass Autismus ein extrem weit gefasstes Spektrum ist und als solches verstanden werden muss.

Ein großes Problem damit ist, dass dieser Fakt selbst bei medizinischen Spezialist*innen nicht ausreichend verstanden ist. Dies geht vor allem darauf zurück, dass die meiste Forschung auf dem Gebiet an autistischen, weißen, minderjährigen Jungen durchgeführt wurde. Während Autismus in weißen Jungen daher sehr gut dokumentiert ist, gibt es verhältnismäßig wenig Forschung zu Menschen anderer Geschlechter, die nicht weiß in einer weißen Mehrheitsgesellschaft aufgewachsen sind. Denn auch Sozialisierung und das Geschlecht selbst verändert Symptome von Autismus. Das bedeutet nur auch, dass Forscher*innen schlechter darin sind, Autismus in anderen Personengruppen zu erkennen, da die Symptome sich anders äußern.

Genau deswegen ist es auch wichtig, den Kontakt zu autistischen Menschen zu suchen und ihnen beispielsweise auf den sozialen Medien zu folgen.

Das Problem mit autistischen Figuren

Leider überträgt sich dieses Problem auch auf die Darstellung autistischer Figuren in den Medien. Denn diese haben fast durchweg eins gemeinsam: Sie sind weiße Jungen oder weiße Männer. In den meisten Fällen erwachsene weiße Männer, da wir natürlich allgemein weniger Darstellungen von minderjährigen Figuren in den Medien sehen.

Dabei sehen wir in den Medien auch die Reduktion von Autismus auf zwei verschiedene Charaktertypen: Der kognitiv eingeschränkte Charakter, der häufig aber in irgendeinem Gebiet ein Savant ist, und das absolute Genie, das allerdings keinerlei Empathie hat und komplett unfähig im Umgang mit anderen Menschen ist.

Während ich an dieser Stelle nicht behaupten will, dass es nicht beides absolut gibt, so reduziert es doch Autismus auf zwei sehr schädliche Stereotype. Denn effektiv sagt es: Autist*innen sind entweder komplett unselbstständig, selbst wenn sie eine „Superkraft“ haben (bspw. Rainman). Oder: Autist*innen sind die totalen Genies, sind halt nur dabei ziemliche Arschlöcher (bspw. Sheldon Cooper oder Sherlock Holmes (aus der Sherlock BBC Serie)).

Aber wie geht es besser? Nun, dafür habe ich eine ganze Reihe von Tipps für euch.

Autist*innen haben Gefühle

Eine Sache ist sehr wichtig: Autist*innen haben Gefühle und auch Empathie. Das ist eine Sache, die gilt für alle Autist*innen, selbst wenn das wahrgenommene Stärke der Gefühle sich unterscheidet. Eine Darstellung, in der Autist*innen emotionslose Roboter sind, ist also nicht nur ein schädlicher Stereotyp, sondern auch schlicht und ergreifend falsch.

Was allerdings wichtig ist: Viele Autist*innen kommunizieren diese Gefühle anders, als allistische Menschen. Einigen fällt es komplett schwer, diese zum Ausdruck zu bringen, bei anderen brechen sie schwallweise hervor. Wieder andere haben weniger Probleme, diese Gefühle tatsächlich auch verbal zu kommunizieren. Und wieder andere kommunizieren diese Gefühle gar nicht – das bedeutet aber eben nicht, dass sie nicht da sind.

Auch Empathie ist etwas, das autistischen Menschen nicht fremd ist. Es ist durchaus so, dass manche autistischen Menschen nicht die Fähigkeit haben, Gefühle bspw. von Körperhaltung und Gesichtsausdrücken abzuleiten, das heißt auf diese Anzeichen nicht empathisch reagieren. Dennoch ist es den allermeisten Autist*innen möglich, sich in die Situationen und Gefühle anderer Menschen einzudenken. Nur ist auch hier oftmals das Problem: Autist*innen tun sich schwer damit, diese Empathie zu kommunizieren. So ist es bspw. häufig so, dass Autist*innen versuchen empathisch zu sein, in dem sie über eigene, ähnliche Erfahrungen sprechen, was auf manche allistischen Menschen sehr selbstzentriert wird, aber tatsächlich schlicht und ergreifend die Art ist, wie diese Autist*innen Empathie zeigen.

Autist*innen sind meist keine ewigen Kinder

Ein anderer sehr negativer Stereotyp, den wir auch häufiger in den Medien sehen – wohlgemerkt auch in Sachmedien zum Thema – ist die Darstellung von Autist*innen als ewige Kinder.

Hierzu sei gesagt: Ja, Autismus ist eine Entwicklungsstörung ist. Das heißt, dass sich in vielen Fällen die Entwicklung – speziell eben die soziale Entwicklung – verzögert. Das bedeutet allerdings nicht, dass alle Autist*innen im Kindesalter steckenbleiben. Auch hier sei wieder betont: Autismus ist ein Spektrum und ja, es gibt autistische Menschen, die eine geistige Reife haben, die eher auf dem Level eines Kindes ist. Dennoch ist es falsch und störend, das zu verallgemeinern.

Natürlich ist es allerdings auch fair zu erwähnen, dass die Spezialinteressen von Autist*innen (dazu gleich mehr) eben auch Dinge sein können, die man eher mit Kindern in Verbindung bringt. Ein recht prominentes Beispiel hierfür wären Cartoons. Allerdings sei hier betont, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: Auch Erwachsene können Interesse an Cartoons und Kinderspielzeug haben, das macht sie nicht weniger erwachsen – egal, ob sie dabei autistisch sind oder nicht.

Nicht alle Autist*innen sind Genies oder „Savants“

Die Darstellung mit dem „genialen Arschloch“ hat neben dem „Arschloch“ natürlich den zweiten Aspekt: Das „Genie“. Denn eben das geht auch häufig mit der Darstellung von Autist*innen einher: Wenn sie nicht kognitive Einschränkungen haben, dann sind sie Genies. Alternativ gibt es noch die Mischform: Savants. Also Menschen mit kognitiven Einschränkungen, aber einer unglaublichen Begabung in einem bestimmten Bereich – in den Medien sehr häufig irgendetwas in Bezug auf Mathematik oder Computer.

Und hier sei erneut gesagt: Kommt es vor? Ja, natürlich kommt es vor. Es gibt sowohl Autist*innen, die einen sehr hohen IQ haben, als auch Autist*innen, die besondere Einzelbegabungen haben. Aber dies sind nun einmal nicht die meisten. Tatsächlich sind beide Fälle eher enorme Ausnahmen im autistischen Spektrum. Das macht es per se nicht schlimm, so etwas darzustellen, aber in dem Fall wäre ein Ausgleich dafür ebenfalls gut.

Viel eher ist es allerdings so, dass Autist*innen so wirken können, als hätten sie eine Spezialbegabung, da fast alle Autist*innen ein oder mehrere Spezialinteressen haben. Doch gehen wir einmal darauf genauer ein.

Spezialinteressen

Auch wenn Autismus ein Spektrum ist, so gehören „Spezialinteressen“ zu einem der stärksten Erkennungsmerkmalen eines autistischen Menschen. Denn das autistische Gehirn ist besonders gut darin, sich auf ein oder eine kleine Auswahl von bestimmten Themen zu fokussieren. Diese Themen können sich übrigens im Verlauf des Lebens einer*s Autist*in ändern, allerdings hält das Spezialinteresse üblicherweise mindestens mehrere Monate an.

Was dieses Spezialinteresse ist, kann komplett unterschiedlich sein. Wie gesagt, ein Klischee, das wir oft sehen, sind Naturwissenschaften und Computer – und ja, das kommt häufig vor. Auch Interesse an mechanischen Dingen oder Gegenständen kann häufig sein, wie bspw. an Zügen, Autos, Schiffen, Flugzeugen. Allerdings kann es auch etwas ganz anderes sein. Vielleicht sind es Pferde, vielleicht sind es Tiere allgemein, vielleicht sind es Bücher, vielleicht Geschichte, vielleicht Medizin, vielleicht aber auch Sport – und das übrigens nicht nur in der Theorie – oder Mode oder Make-Up oder oder oder. Und natürlich können auch fiktionale Werke jedweder Art zum Spezialinteresse werden.

In meiner Kindheit war das erste Spezialinteresse, an das ich mich konkret erinnere, Lesen. Ich habe schlicht und ergreifend alles gelesen, was mir in die Finger gekommen ist, vollkommen ungeachtet des Inhalts. Daraus entwickelte sich dann ein Spezialinteresse für Harry Potter. Etwas später stieß ich dann auf Digimon, was zu einem absolutem Spezialinteresse wurde. Ein paar Jahre später dann Fluch der Karibik und alles, was damit zusammenhing (sowohl Filmtechnik, als auch Piratengeschichte). Mittlerweile sind meine größten Spezialinteressen: Schreiben, Geschichte (speziell in Bezug auf kulturelle Entwicklungen) und Gleichberechtigung.

Wichtig ist: Autist*innen kennen sich bei ihrem Spezialinteresse gut aus und sofern sie verbal sind (oder anders, bspw. über Computer, kommunizieren) blühen sie meist wirklich auf, wenn man sie zu dem Interesse erzählen lässt. Sie können dann auch richtige Infodumps auf ihre Umgebung loslassen. Mit dem manchmal problematischen Nebeneffekt, dass sie oft schwer vom Thema wieder abzubringen sind, auch wenn jemand anderes gerne das Thema wechseln würde. Übrigens kann es auch sein, dass gerade wenn Autist*innen sich gerade mit ihrem Spezialthema auseinandersetzen, sie die Welt um sich herum gar nicht mehr wahrnehmen.

Übrigens: Auch Spezialinteressen sind ein großer Faktor in Diagnose und Unterdiagnose. Denn während Kinder mit stereotypen Spezialinteressen (wie eben mit mechanischen Dingen oder Computern) häufig direkt als Autist*innen erkannt werden, gilt dies weniger für andere Spezialinteressen. Das betrifft übrigens besonders weibliche Autistinnen mit stereotyp weiblichen Spezialinteressen, wie Pferde, Make-Up oder Mode. Auch Autist*innen, deren Spezialinteresse Sport ist, werden oftmals nicht als solche erkannt.

Sensory Overload

Wo wir allerdings beim Thema Wahrnehmung sind, kommen wir auch zu einem anderen Thema, das viele Autist*innen betrifft: Wahrnehmung und die häufig fehlenden oder nur eingeschränkt vorhandenen Filter. Aber was bedeutet das?

Nun, ich finde es am einfachsten dies aus meiner eigenen Erfahrung zu erzählen. Nehmen wir eine Convention, wo ich an sich gerne bin, denn sie betreffen oft meine Spezialinteressen. Allerdings prasseln dort sehr viele Sinneseindrücke auf mich ein. Da sind so viele Gesichter, die ich nicht ausblenden kann, die zu deuten mir aber schwer fällt. Da sind auch viele Laute. Geräusche von Menschen, die sich einfach bewegen, die miteinander tuscheln oder auch laut reden. Das höre ich alles und kann es nicht komplett filtern. Dazu noch andere Sinneseindrücke, wie Gerüche, Gefühle (bspw. weil es besonders heiß oder kalt ist) und so weiter. Und das wird dann eben schnell einmal zu viel. Und das kann unterschiedliche Folgen haben.

Ich selbst kenne in diesen Fällen zwei Reaktionen: Entweder ich erlebe einen Meltdown, also ein Überschwellen von Gefühlen, das sich meistens in Weinen und Zittern bei mir äußert, oder ich werde katatonisch und bin nicht mehr wirklich fähig zu interagieren. So oder so: Ich persönlich brauche dann Ruhe und einen Rückzugsort.

Während die meisten Autist*innen Sensory Overload (also Sinnesüberladung) in irgendeiner Form erleben, ist das Ausmaß allerdings erneut von Person zu Person unterschiedlich. Manche Autist*innen können bspw. einige Sinneseindrücke filtern, andere dagegen nicht. Auch ob es zu einem Meltdown kommt und wie sich dieses äußert, kann sehr unterschiedlich sein.

Stimming

Eine Sache, von der viele sicher auch gehört haben, gerade da entsprechende Toys sehr beliebt sind, ist Stimming. Das ist ein Verhalten, das Autist*innen unter anderem auch machen, um nach einem Sensory Overload wieder zu sich zu finden. Stimming ist vereinfacht ausgedrückt extrem repetitives Verhalten irgendeiner Form oder das gezielte Suchen nach bestimmten Sinneseinflüssen.

Stimmende Bewegungen kennen viele sicher: Das kann ein Vor- und Zurückschaukeln des eigenen Körpers sein oder wiederholende Bewegungen mit den Händen. Auch Stimmingtoys unterschiedlicher Arten können helfen, wozu auch Fidget Spinner und Fidget Cubes gehören können.

Allerdings kann Stimming auch ganz andere Dinge beinhalten. Beispielsweise das Suchen bestimmter Sinneseindrücke. Diese können audativ (bestimmte Geräusche oder auch bestimmte Musik), visuell (bestimmte Videos, bestimmte Muster) oder auch anders sensorisch (bestimmte Geräusche oder bestimmte Texturen) sein.

Einige Autist*innen stimmen Beispielsweise auch durch Videospiele oder, wie ich, über das Handy, was natürlich von vielen gar nicht als Stimmingverhalten wahrgenommen wird.

Masking

Ein letztes Element, das häufig zum Erleben vieler Autist*innen gehört, auch wenn nicht alle es gleich gut können, ist Masking. Dies bedeutet, dass man (häufig unbewusst) sein Verhalten an die allistische Mehrheitsgesellschaft anpasst und so handelt, wie man es bei allistischen Menschen beobachtet. Leider heißt das auch, dass die Autist*innen, die Masking gut beherrschen, oftmals gar nicht erst diagnostiziert werden.

Generell sind nicht alle autistischen Menschen fähig, erfolgreich zu masken. Das hat oftmals leider zur Folge, dass man gesellschaftlich zum Außenseiter wird.

Es ist soweit in der Forschung außerdem beobachtet, dass autistische cis Mädchen besser im Masking sind, als cis Jungen (zu wenig Forschung in Bezug auf trans Menschen). Man geht davon aus, dass dies damit zusammenhängt, dass Mädchen weitaus früher strenger in Bezug auf ihr Verhalten erzogen werden, speziell in Bezug auf ihr Sozialverhalten, sie also quasi zum Masking gezwungen werden.

An dieser Stelle sei noch einmal gesagt: In einer idealen Welt müssten Autist*innen nicht masken. Masken ist eine permanente psychische Belastung und Anstrengung. Es ist nicht angenehm.

Autist*innen sind keine Last

Ein anderes großes Problem, das viele Darstellungen mit autistischen Figuren haben, ist, dass diese in erster Linie als Belastung für ihr allistisches Umfeld dargestellt werden. Das gilt sowohl für die „genialen Arschlöcher“, als auch für die kognitiv eingeschränkten autistischen Figuren.

Bei genialen Arschlöchern ist es so, dass diese häufig ungehobelt, unfreundlich und unempathisch sind, sowie häufig auch narzisstisches Verhalten zeigen. Dies wird in den entsprechenden Medien oft als Grundlage für Drama zum einen, aber auch Humor zum anderen genommen. Der Humor ist halt „Hahaha, der verhält sich so ungehobelt“, aber auch „Hahaha, der Charakter ist ehrlich“, wenn eine Figur nicht filtert. Das Drama ist selbsterklärend: Figuren sind unempathisch, verhalten sich wie Arschlöcher, das führt zu Konflikten mit Freund*innen und Familien. Dabei steht allerdings immer im Vordergrund, wie sich die allistischen Menschen im Umfeld fühlen – der autistische Charakter ist einfach nur ein „Problem“, das geschaffen wird.

Bei den kognitiv beeinträchtigten Figuren derweil ist es so, dass die Filme sich fast immer um das etwaige Umfeld drehen, sehr wahrscheinlich Verwandtschaft (denn diesen Menschen trauen Filme nicht zu, ein unabhängig von der Verwandtschaft bestehendes soziales Umfeld zu haben). Diese leidet natürlich darunter, dass dieser autistische Charakter dann komplett abhängig ist, ist auch mit den Meltdowns überfordert und weiß auch sonst nicht, wie sie mit ihm umgehen soll. Zentral in diesen Geschichten ist natürlich die Charakterentwicklung der allistischen Menschen, oftmals sind die Autist*innen kaum genug ausgearbeitet, um überhaupt als komplette Charaktere zählen zu können.

Genau von diesen Darstellungen müssen wir weg. Autist*innen können vollständige Mitglieder in einer Freundesgruppe oder Familie sind, die genau so viel positiv, wie negativ beitragen, wie die allistischen Mitglieder es tun.

Das Problem mit nicht-menschlichen Autist*innen

Ein anderes Problem, das wir in den Darstellungen natürlich auch haben, ist dass oftmals die Darstellung von Autist*innen auf nicht-menschliche Figuren beschränkt wird, bevorzugt auf Aliens und Roboter.

Natürlich sei gesagt, dass es Autist*innen gibt, die solche Figuren durchaus als empowernd empfinden und sich sogar mehr mit diesen identifizieren, als sie es mit menschlichen autistischen Figuren tun – aber eben nicht alle. Genau so stören sich auch viele Personen daran, in den Darstellungen so entmenschlicht zu werden.

Und genau das ist natürlich auch der andere Faktor: Wer als allistischer Mensch nur Darstellungen sieht, in denen autistische Figuren entweder anderen zur Last fallen, oder in denen autistische Personen nicht menschlich sind, dann entmenschlicht die Person Autist*innen schnell im Kopf. So werden Vorurteile entwickelt und wie jeder, der marginalisiert ist, wissen sollte: Das sorgt oft für eine Menge negativer Folgen.

Es gibt mehr als eine*n Autist*in

An dieser Stelle möchte ich noch eine andere Sache ansprechen: Häufig, wenn wir Medien sehen, sind autistische Figuren als solche allein. Sprich: Es gibt in der ganzen Geschichte nur eine autistische Figuren, alle anderen sind allistisch. Das ist natürlich genau so problematisch, wie es auch ist, nur ein Beispiel von irgendeiner anderen marginalisierten Gruppe zu haben.

Rein praktisch ist es problematisch, weil ein solcher Charakter dann eben allein für eine ganze Gruppe steht. Das heißt, irgendwelches Verhalten – positiv, wie negativ – wird von Menschen, die mit der Gruppe nicht vertraut sind, auf die ganze Gruppe verallgemeinert. Das ist problematisch, wenn man einzelne queere Personen hat, wenn man einzelne Schwarze Figuren hat und natürlich genau so bei einzelnen autistischen Figuren.

Allerdings gibt es da auch den anderen Aspekt: Genau so, wie es selten ist, dass man bei irgendeiner anderen marginalisierten Gruppe (zumindest in der modernen Welt) Einzelpersonen findet, so ist es eben auch bei autistischen Menschen sehr unwahrscheinlich. Wie schon gesagt: Mit 1 in 50 Personen ist Autismus nun nicht sehr selten und meistens haben neurodiverse Menschen neurodiverse Freund*innen. Man findet einfach irgendwie zueinander. In der modernen Welt mit Internet erst recht.

Positive Beispiele autistischer Figuren

Gut, jetzt habe ich viel darüber gesprochen, was ich nicht sehen möchte und was negative Beispeile sind, aber wie sieht es mit positiven Beispielen aus? Nun, ich möchte euch von vier Stück erzählen.

  • Abed aus Community. Dieser Charakter ist ein interessantes Beispiel, denn der Serienschaffer hat sich nicht mit dem Ziel dran gesetzt, einen autistischen Charakter zu schreiben. Stattdessen hat er einfach nur einen Charakter geschrieben, der ihm selbst sehr ähnlich ist – später stellte sich heraus, dass er autistisch ist. Und ja, vieles typisches autistisches Verhalten findet sich in Abed. Er verfehlt häufig den richtigen Tonfall, er versteht die Welt um sich herum, indem er sie auf fiktionale Werke bezieht und nutzt diese auch, um Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen. Dennoch werden diese Eigenschaften nicht als etwas dargestellt, dass anderen Menschen zur Last fällt.
  • Elisabeth aus Queen’s Gambit. Auch Elisabeth versteht die Welt um sich herum, in dem sie alles auf ihr Spezialinteresse bezieht. Was bei Abed Medien sind, ist bei ihr Schach. Schön ist bei ihr, dass sie dennoch ein sehr komplexer Charakter auch mit Charakterentwicklung ist. Außerdem auch sehr schön: Sie hat eine dargestellte Sexualität, darf also auch als autistische Figur sexuell sein – womit sie eine deutliche Ausnahme ist.
  • Zuko aus Avatar – The Last Airbender. Kommen wir zu einem Beispiel, das definitiv nicht beabsichtigt so geschrieben wurde, das aber von sehr, sehr vielen Autist*innen geclaimed wurde. Zuko lernt als Kind sehr viele Dinge, indem er Azula imitiert, obwohl sie die jüngere Schwester ist. Das heißt, er übernimmt viele Dinge, wie Azula sie sagt, ohne das zu hinterfragen. Allgemein nimmt er Dinge, die ihm gesagt werden, oft als die Wahrheit an und hinterfragt nicht. Auch hat er deutlich Probleme, anderen Menschen gegenüber Empathie oder überhaupt Gefühle abseits von Wut auszudrücken.
  • Lilo aus Lilo & Stitch. Auch hier ein Charakter, bei dem nicht klar ist, ob die Figur absichtlich so geschrieben wurde. Fakt ist: Lilo ist das beste Beispiel von einem weiblichen, autistischem Kind, das mir persönlich bekannt ist. Sie hat Probleme, ihre Gefühle zum Ausdruck zu bringen, weshalb diese Gefühle oftmals in einem Meltdown überkochen. Außerdem lebt sie in einer fantastischen Welt, die sie teilweise für real hält. Auch hat sie Probleme Konsequenzen für ihr Handeln abzuschätzen – ein weiteres Problem, das viele Autist*innen haben.

Und ja, es lässt sich feststellen: Viele gute Beispiele wurden nicht absichtlich nicht als autistisch geschrieben – aber sie zeigen so viele Charakteristika, mit denen sich viele autistische Menschen identifizieren können.

Seid vorsichtig mit vermeintlichen „Hilfsorganisationen“

Eine Sache, die nicht wirklich etwas mit dem Schreiben von autistischen Charakteren, aber sehr wohl mit Autismus in der realen Welt zu tun hat: Passt auf mit vermeintlichen „Hilfsorganisationen“ und dem, was diese schreiben. Denn leider gibt es bei Autismus diverse „Organisationen“, die leider absolut nicht am Wohl von Autist*innen interessiert sind.

Das bekannteste Beispiel hierfür ist Autism Speaks. Diese Organisation verwendet nicht nur einen Großteil der Spendengelder dafür, um ihren Vorstand massiv zu bereichern, sondern auch den Rest dafür, „Heilungen“ für Autismus zu finden. Statt autistischen Menschen helfen zu wollen, wollen sie Autismus verschwinden lassen und konzentrieren sich komplett auch hier auf die „Last“ die autistische Menschen für ihre Familien darstellen.

Übrigens sei auch allgemein gesagt: Gibt eine Organisation an, für Autist*innen zu sein, unterstützt aber ABA (Applied Behavior Analysis), könnt ihr davon ausgehen, dass diese Organisation nicht das beste für Autist*innen im Sinne hat. Denn ABA baut darauf auf, autistischen Kindern den Autismus abzuerziehen, was meistens einfach enormer Stress und teilweise sogar komplett traumatisch ist.

Fazit

Autismus und Neurodiversität allgemein sind Themen, die in Medien deutlich zu wenig repräsentiert werden. Es gibt kaum Figuren, die (absichtlich) mit autistischen Eigenschaften geschrieben werden und noch weniger gibt es Figuren, die absichtlich autistisch geschrieben wurden und dabei gute Repräsentation sind. Häufig werden autistische Figuren zu zwei Stereotypen heruntergebrochen: Das geniale Arschloch und der kognitiv eingeschränkte Savant. In beiden Fällen handeln die Geschichten eher davon, was diese Stereotype für ihr Umfeld bedeuten, als die Figuren selbst zu zentrieren.

Autismus ist ein Spektrum, das heißt autistische Menschen können sehr unterschiedlich sein. Doch obwohl Autismus in den Geschlechtern etwa gleich häufig vorkommt, werden vor allem im jungen Alter Jungen weitaus häufiger diagnostiziert als Mädchen. Auch in den medialen Darstellungen sehen wir beinahe nur weiße, männliche Autisten, was ebenfalls sehr schädlich ist.

Aspekte, die die meisten Autist*innen erleben, sind Probleme zu kommunizieren und speziell ihre Gefühle auf eine für allistische Menschen verständliche Art zum Ausdruck zu bringen, sowie Probleme sensorische Eindrücke zu filtern (mit der Folge eines Sensory Overloads). Außerdem stimmen viele autistische Menschen – allerdings auf sehr unterschiedliche Arten. Diese Aspekte wären gut in einer Geschichte dargestellt zu sehen.

Wichtig ist außerdem: Entgegen gängiger Stereotype empfinden Autist*innen Emotionen und in den meisten Fällen auch Empathie – häufig sogar sehr extreme Empathie. Sie können diese oftmals nur eben nicht zum Ausdruck bringen.

Letzten Endes bleibt wie bei der Darstellung vieler marginalisierter Gruppen zu sagen: Folgt betroffenen Menschen auf Social Media, schaut eventuell auch Own Voice Videos auf YouTube an und holt euch, wenn ihr es schreibt, einen Sensitivity Reader. (Ich biete übrigens Sensitivity Readings zum Thema an!)


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