Zeitreisen und Philosophie

Es erscheint mir als wunderbar passend gerade jetzt einen Eintrag zum Thema Zeitreisen online zu stellen. Wer einen gewissen Film bereits gesehen hat, weiß, warum ich dieser Meinung bin. Immerhin wird das Thema dort bereits recht ausgiebig diskutiert. Allerdings möchte ich heute nicht über verschiedenste Zeitreise-Theorien und ihre Herausforderungen in der Fiktion sprechen (sollte euch so ein Eintrag interessieren, sagt mir doch auf Twitter Bescheid), sondern über zwei bestimmte und Gedanken, die ich bezüglich ihrer habe. Heute gibt es mehr Fragen als Antworten.

Es sei dazu gesagt: Ein Teil dieses Beitrags war bereits seit mehr als 3 Monaten fertig. Es erschien gerade nur als ein wunderbarer Moment, das Thema aufzugreifen!

Verschiedene Zeitlinien

Als erstes möchte ich Zeitreisen ansprechen, bei denen von verschiedenen, parallelen Zeitlinien ausgegangen wird, die sich aufgrund bestimmter Ereignisse voneinander abspalten. Diese Ereignisse können je nach Geschichte winzig sein oder müssen eine gewisse Größe haben. Während im einen Universum schon die Farbe einer Krawatte eine neue Linie erschafft, ist es in einer anderen ein Tod oder gar ein großes Unglück.

Wer hat gewonnen?

Einer meiner liebsten Anime arbeitet mit dieser Art Zeit zu betrachten: Es gibt verschiedene Zeitlinien und selbst Kleinigkeiten können zu massiven Unterschieden führen. Die Serie ist Steins;Gate. Steins;Gate. Ich liebe diese Show einfach. Viele liebenswerte Charaktere – selbst wenn die Show nicht ganz fehlerfrei ist. Speziell der Umgang mit Rukako hätte besser sein können.

Wer sie nicht kennt: Es geht um einen selbsterannten verrückten Wissenschaftler, der aus Versehen eine Zeitmaschine erfindet. Er und seine Freunde spielen damit herum – doch das führt dazu, dass er in einer Zeitlinie landet, in der seine beste Freundin stirbt. Am Ende muss er sich für eine Zeitlinie entscheiden: Die, in der die beste Freundin, oder die, in der seine Geliebte stirbt. Und er versucht eine neue zu schaffen. Eine, in der beide leben. Doch dies bedarf vielen Versuchen. Wie erfolgreich er ist? Nun, schaut die Show selbst.

Als Steins;Gate 0 angekündigt wurde, war ich gehypt für die Serie, doch als sie dann lief, habe ich das Interesse sehr schnell verloren. Warum? Nun, die Antwort ist im Konzept der Serie selbst beinhaltet: Steins;Gate 0 spielt in einer der verlassenen Timelines. Eine Timeline, in der Protagonist aus der Haupttimeline diese Versuche früh aufgibt, weshalb hier nun eine gebrochene Kopie unseres verrückten Wissenschaftlers sitzt. Genau so wissen wir dank der Audiodramen, dass auch diverse andere Timelines weiter existieren.

Und das bringt mich zur ersten philosophischen Frage zum Thema Zeitreisen: Wenn wir verschiedene Zeitlinien haben und eventuell durch Veränderungen neue Zeitlinien erschaffen haben, in der es ein Happy End gibt, was ist dann gewonnen?

Es sind doch Trillionen gestorben

Der Protagonist in der Serie hüpft durch diverse Zeitlinien, in denen das eine oder das andere Mädchen stirbt. Wir wissen, dass für jedes Mal, dass er weiter geht, auch eine Zeitlinie mit der alternativen Entscheidung existiert: Die Version des Protagonisten, der aufgegeben hat. Das heißt, unabhängig davon, ob unserer Protagonist am Ende die beiden Mädchen retten kann oder nicht: Es gibt zig, wenn nicht hunderte Versionen des Protagonisten, die Aufgegeben und mindestens eine der beiden verloren haben.

Mehr aber noch: In der Serie ist ein weiterer Plotpunkt, dass die Figuren erfahren, dass ihre Handlungen unbeabsichtigt den dritten Weltkrieg auslösen. Sie versuchen damit also auch, die Handlungen so rückgängig zu machen, dass es diesen Weltkrieg nicht gibt. Doch was bringt es eigentlich, wenn sie jedes Mal, wenn sie etwas ändern, nur in eine Zeitlinie wechseln, in der es eben nicht passiert ist – während in der alten Zeitlinie es dennoch so war? Denn ihre Veränderung der Zeit erzeugt sogar mehr Zeitlinien. Und damit mehr Realitäten, in denen Millionen von Menschen im dritten Weltkrieg sterben.

Haben sie damit dann wirklich etwas Gutes getan? Was soll der Konsument einer solchen Geschichte spüren, wenn er letzten Endes nur einer Version eines Protagonisten folgt – wohl wissend, dass es andere gibt, die bis zu einem gewissen Zeitpunkt dieselben Erlebnisse haben? Selbst wenn die Version, der man folgt, gewinnt, scheitern so viele anderen eben doch. Ich bin mir nicht sicher. Denn ich bin mir halt auch nicht mehr sicher, was ich am Ende darüber gespürt habe.

Eine Zeitlinie

Es gibt aber natürlich auch noch eine andere Version, auf die in der Fiktion Zeitreisen betrachtet werden: Es gibt tatsächlich nur eine Zeitlinie. Immerhin ist das Modell mit verschiedenen Zeitlinien dadurch entstanden, dass man Zeitparadoxen vermeiden will. Beispielsweise das Großvater-Paradox. Doch sehen wir es, wie es ist: All diese Theorien sind eben nur das. Theorien. Niemand weiß, ob Paradoxen wirklich in der Realität eine Rolle spielen würden – wäre Zeitreise möglich. Genau deshalb gibt es eben auch Geschichten, in denen Zeitreisen möglich sind, Paradoxen aber ignoriert werden. Aber auch in diesem Szenario gibt es eine Frage, die ich mir stelle.

Die bessere Alternative?

Hier habe ich kein konkretes Medienbeispiel. Es ist jedoch ein Thema, mit dem ich mich gerne als Gedankenspiel befasse. Gehen wir davon aus, man kann die Vergangenheit verändern. Gehen wir davon aus, die ganze „Dann hättest du keinen Grund mehr“ Frage, hat genau so wenig Einfluss, wie das Großvater-Paradox. Gehen wir davon aus, es wäre möglich, in die Vergangenheit zu reisen und bspw. den ersten Weltkrieg zu verhindern. Wie auch immer das passiert. Jemand reist in die Vergangenheit und damit gegebenenfalls auch das dritte Reich und den zweiten Weltkrieg oder zumindest den europäischen Teil von diesem. (Man könnte es auch durch etwaige andere Ereignisse austauschen. Das Beispiel ist nur gewählt, da sich die meistens es wohl am ehesten vorstellen können.)

Doch dadurch würden natürlich auch massiv viele andere Dinge verändert. Der Alltag der Personen sähe anders aus. Personen würden andere Personen treffen. Kinder, die so geboren wurden, werden nicht geboren. Paare, die zusammengekommen wären, kommen nicht zusammen. Es werden andere Leute geboren. Die Personen sind andere. Charaktere sind andere. Es ist vieles anders. Oder anders gesagt: Diese Zeitreise würde die Existenz von Milliarden von Menschen auslöschen und durch die Existenz anderer Menschen ersetzen.

Sagen wir weiterhin, dass Zeitreisende mit welcher Zeitveränderung auch immer, massiv viel Leid und Tod verhindert. Eben nur mit den Kosten, dass Milliarden von Menschen nicht oder sehr anders existieren, als zuvor. Anders wären Millionen durch Gewalt gestorben. Hat der Zeitreisende jetzt etwas Gutes getan oder nicht?

Philosophie?

Zugegebenermaßen: Es gibt eine philosophische Theorie, die darauf eine Antwort weiß. Und das ist der Antinatalismus. Ihr habt eventuell schon einmal etwas davon gehört. Immerhin wird er hier und da gern von den Medien zerrissen. Was seine grundlegende Ausrichtung ist, sagt ja bereits der Name: Gegen Geburten.

Warum sind Antinatalisten gegen Geburten? Nun, weil sie Leid verhindern wollen. Sie sagen, dass es moralisch richtig ist, Leid zu verhindern. Wird ein Mensch geboren, bedeutet es, dass dieser Mensch leiden wird. Denn ein Leben ohne Leid ist nicht möglich. Wahrscheinlich wird dieser Mensch auch irgendwann bei anderen Leid verursachen. Existiert der Mensch aber nicht, also wird nie gezeugt und nie geboren, so leidet si*er nicht. Entsprechend ist Nicht-Existenz der Geburt und damit dem Leid zu bevorzugen.

Auf dieses Gedankenexperiment angewendet, lässt sich aus dieser Philosophie auch ableiten: Die Vergangenheit zu verändern, um großes Leid zu verhindern, ist auch dann richtig, wenn Milliarden Leben so verhindert werden. Denn Nicht-Existenz bedeutet eben kein Leid. Doch natürlich ist das nur eine Theorie. Genau so gibt es andere Ansätze.

Schlusswort

In beiden Versionen interessiert mich: Wie denkt ihr darüber? Sowohl in der Hinsicht der verschiedenen Zeitlinien, als auch in der einen Zeitlinie. Ist es richtig, etwas Schlimmes verhindern zu wollen, dabei aber noch mehr Zeitlinien zu erzeugen, in denen es passiert? Ist es richtig, Existenzen auszulöschen, um etwas Schreckliches zu verhindern?

Und wie denkt ihr von diesen Konzepten und den Umgang mit diesen Fragen in den Medien? Hat es euch schon einmal die Spannung geraubt zu wissen, dass es Zeitlinien gibt, in denen bspw. bestimmte Charaktere dennoch sterben? Wie denkt ihr eigentlich allgemein über Zeitreisen in Geschichten?

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Das Beitragsbild wurde von Maksym Kozlenko aufgenommen und unter der CC4.0 Lizenz geteilt.