#ProjektBielefeld – Version A
#ProjektBielefeld ist mein neues Buchprojekt. Ich bin aktuell noch am Überlegen, in welchem Stil ich dieses Buch schreibe. Daher hier ein Versuch. Die Entscheidung ist bei euch. Dies ist Version A, Version B findet ihr hier.
Die Abstimmung ist auf Twitter.
Ein ungeduldiges Mauzen drang von weit her an Jules‘ Geist. Sie drehte sich auf die Seite. Ein weiteres Mauzen folgte. Sie zog ihre Decke höher. Dann sprang etwas auf sie herauf und begann ihren Arm zu kneten.
„Merle“, murmelte Jules und versuchte im Halbschlaf die Katze von sich herunterzuschieben, doch der Vierbeiner blieb hartneckig.
Ein langgezogenes Mauzen, dessen Bedeutung mehr als offensichtlich war, brachte Jules schließlich dazu, sich aufzurichten. Sie warf der pechschwarzen Katzen einen missmutigen Blick zu.
Die Sonne stand draußen bereits am Himmel und ein Blick auf das Handy neben dem Bett verriet Jules, dass es bereits kurz nach zehn war. Sie schlief in letzter Zeit eindeutig zu viel, doch war Schlafen definitiv angenehmer, als wach sein.
Missmutig kroch sie zum Fußende des Bettes, das eigentlich nur eine Matratze war, die auf einer Art Balkon über dem Wohnzimmer lag. Ein glorifiziertes Hochbett, wenn man wollte.
Unter dem vorwurfsvollen Blick Merles kletterte sie die hölzerne Treppe ins Wohnzimmer hinab und schlurfte durch den Flur zum Bad. Auch wenn eine ungeduldige Merle ihr folgte, ließ sie sich die Morgentoilette nicht nehmen. Fünf Minuten länger würde die Katze schon aushalten.
Sie wusch sich das Gesicht und warf ihrem Spiegelbild einen langen Blick zu. Die dunklen Ringe unter ihren Augen verschleierten gut, wie viel sie eigentlich schlief. Irgendwie fühlte sie sich ja dennoch nie wach. Nach der kurzen Wäsche versuchte sie das widerspenstige braune Haar in einen Zopf zu bringen. Das Ergebnis war nicht ausgehfertig, doch tat seinen Job vorerst.
Als sie nach dieser Tortur das Bad verließ, stolperte sie beinahe über Merle, die ungeduldig vor der Tür wartete.
Die Katze starrte sie aus goldenen Augen an und mauzte erneut, dieses Mal eine Spur vorwurfsvoller als zuvor. „Was brauchst du solange, Dosenöffner“, schien sie zu sagen.
Jules seufzte. Sie ging zur Treppe, um zur Küche hinabzugehen, wo es Kaffee für sie und Futter für Merle gab. Die Katze folgte ihr leichtfüßig die knarzenden Treppenstufen hinab.
Unten angekommen griff Jules in das Kabinett unter der Spüle, um wahllos irgendeine Dose Katzenfutter hervorzuziehen. Sie musste die Katze vom Futternapf zurückschieben, um diesen überhaupt befüllen zu können.
Die Leute sagten, dass Familiare intelligenter waren als normale Tiere, doch wenn Merle irgendeine Grundlage war, so war dies nur ein Gerücht. Die Katze fraß so hastig, dass sie sich beinahe verschluckte, spukte ein besonders großes Stück wieder aus und kaute dann auf diesem herum.
Nicht sehr appetiterregend.
Jules richtete sich auf und sah auf den Kalender. 15. Mai. Freitag. Tag 463 seit Josephine verschwunden war. Dieser Gedanke ließ ihren Magen sich zusammenziehen. Sie war noch immer keinen Schritt näher, Josie zu finden. Wenn sie sie je finden würde …
Sie schloss die Augen und atmete tief durch. Es brachte nichts, darüber zu grübeln. Erst einmal musste sie wach werden. So füllte sie Wasser in die Kaffeemaschine und dann Pulver in einen Filter, ehe sie die Maschine anstellte.
Dann wandte sie sich ab und ging zurück in die Diele, um nach dem zu schauen, worum sie sich eigentlich kümmern sollte.
Der vorderste Raum des Hauses war das, was sie als „den Laden“ bezeichnete.
Schon als sie die Tür öffnete schlug ihr der Geruch von Kräutern, Weihrauch und alten Büchern entgegen. Dinge, die sie normalerweise auch verkaufte, selbst wenn die Laufkundschaft weniger geworden war, seit die Pandemie begonnen hatte. Positiv daran: Niemand störte sich wirklich daran, wenn sie den Laden erst um 11 öffnete. Negativ: Das Geld war weniger. Nicht dass es je viel Laufkundschaft gegeben hatte. Auch wenn sie direkt am Bürgerpark lagen, so war es ein Laden, den man nur fand, wenn man wusste, wonach man suchte.
Es half nicht, dass das alte Fachwerkhaus versteckt lag und nur ein Holzschild über der Eingangstür es von den normalen Wohnhäusern unterschied. Jules war sich recht sicher, dass ihr Laden nicht immer ein Laden gewesen war. Ja, irgendwann war dieses Haus ein einfaches Haus gewesen.
Es gab eine Sache, die im Moment ihr Essen und Merles Futter bezahlte: Bestellungen. Denn diese hatten in den letzten zwei Monaten eher zugenommen, als nachgelassen. Sie zog ihren Block aus dem Fach unter der Kasse hervor und schaute drauf. Ja, wie sie es in Erinnerung hatte: Vor allem Schutz- und Heilzauber. Viele der latent begabten Magier und Magierinnen waren vorsichtig, wusste doch niemand, wie sich dieses Virus mit Magie verhielt. Entsprechend gab es gleich fünf Bestellungen für Schutzamulette gegen Krankheiten und zwölf für universelle Heiltränke. Letztere hatte sie noch da, doch die Amulette würde sie neu verzaubern müssen. Außerdem waren da noch zwei, drei andere Bestellungen. Ein Schutzzauber für ein Haus. Konzentrationstränke. Schlaftränke. Sie hatte diese Sachen zulange vor sich hergeschoben.
Vielleicht sollte sie heute endlich damit beginnen. Ihre Kunden würden spätesten am Anfang der nächsten Woche danach fragen. Doch auf der anderen Seite fühlte sie sich komplett energielos. Wie sollte sie in diesem Zustand zaubern.
Noch einmal schaute sie auf die Liste, presste die Lippen schuldbewusst zusammen und wandte sich dann ab. Erst einmal einen Kaffee, sagte sie sich, und schlenderte in die Küche zurück.
Eventuell gab es einen guten Grund, die Zauber noch etwas aufzuschieben. Immerhin würde sie für die Schutzamulette einen Türkis als Grundlage brauchen und Türkise waren ihr Anfang der Woche ausgegangen. Und auch wenn sie noch genug Heiltränke hatte, um die Bestellungen zu decken, so wäre langsam ein neuer Bergkristall als Katalysator notwendig, damit die Tränke keine Potenz verloren.
Das hieß, die könnte zu Fynn fahren. Ja, das war eine gute Idee, überlegte sie, während sie sich Kaffee in eine Tasse füllte. Wenn sie mit Fynn gesprochen hatte, würde sie sich eventuell besser fühlen. Außerdem hatte er versprochen, einen weiteren Aufspürzauber für sie vorzubereiten. Eventuell war es endlich der Zauber, der ihr sagen würde, wo Josie war.
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